Urteil des VG Köln vom 08.02.2010
VG Köln (gefährdung der gesundheit, arzneimittel, gefahr, auszug, gefährdung, 50 jahre, auflage, apotheker, arzt, anordnung)
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 5303/09
Datum:
08.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 5303/09
Tenor:
Die Auflagen M.5 und M.12 zum Bescheid des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte vom 22.12.2005 (6463148.00.00)
werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
1
Mit Bescheid vom 22.12.2005 erteilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte die Verlängerung der Zulassung nach § 105 AMG (Nachzulassung) für
das Fertigarzneimittel "J. Tinktur" in der Darreichungsform "Flüssigkeit" und den
Wirkstoffen - bezogen auf 100,0 ml - :
2
"Auszug aus frischer, bitterer Schleifenblume-Ganzpflanze 15,0 ml
3
(1:1,5-2,5), Auszugsmittel Ethanol 50 % (V/V),
4
Auszug aus Angelikawurzel (1: 2,5-3,5), 10,0 ml
5
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
6
Auszug aus Kamillenblüten (1: 2-4), 20,0 ml
7
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
8
Auszug aus Kümmelfrüchten (1: 2,5-3,5), 10,0 ml
9
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
10
Auszug aus Mariendistelfrüchten (1: 2,5-3,5), 10,0 ml
11
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
12
Auszug aus Melissenblättern (1: 2,5-3,5), 10,0 ml
13
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
14
Auszug aus Pfefferminzblättern (1: 2,5-3,5) 5,0 ml
15
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
16
Auszug aus Schöllkraut (1: 2,5-3,5) 10,0 ml
17
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V),
18
Auszug aus Süßholzwurzeln (1: 2,5-3,5), 10,0 ml
19
Auszugsmittel Ethanol 30 % (V/V)."
20
Die Anwendungsgebiete des apothekenpflichtigen Arzneimittels sind im Bescheid wie
folgt formuliert:
21
"Zur Behandlung von funktionellen und motilitätsbedingten Magen-Darm-Erkrankungen
wie Reizmagen- und Reizdarmsyndrom einschließlich krampfartiger Beschwerden des
Magen- und Darmtraktes (Magen- und Darmspasmen) sowie zur unterstützenden
Behandlung der Beschwerden bei Magenschleimhautentzündung (Gastritis)."
22
Dem Bescheid waren Auflagen zur Formalpharmazie (F.1 - F.5), aufgrund medizinischer
Beurteilung (M.1 - M.16) sowie zur pharmazeutischen Qualität (Q.1 - Q.12) beigefügt.
23
Am 16.01.2006 hat die Klägerin gegen einen Teil dieser Auflagen die Klage 24 K
351/06 erhoben. In einem Erörterungstermin am 17.08.2009 haben die Beteiligten
dieses Verfahren in wesentlichen Teilen übereinstimmend in der Hauptsache für
erledigt erklärt. Das Gericht hat daraufhin das Verfahren mit Beschluss vom gleichen
Tage hinsichtlich der weiterhin streitigen Auflagen M.5 und M.12 abgetrennt und unter
dem vorliegenden Aktenzeichen fortgeführt.
24
Auflage M.5 lautet in der dem Nachzulassungsbescheid beigefügten Fassung wie folgt:
25
"M5. Wechselwirkungen
26
Hier ist insgesamt wie folgt zu formulieren:
27
Bisher sind keine Wechselwirkungen bekannt. Entsprechende Untersuchungen mit /.../
liegen nicht vor. Bitte informieren Sie Ihren Arzt oder Apotheker, wenn sie andere
Arzneimittel einnehmen, bzw. vor kurzen eingenommen haben, auch wenn es sich nicht
um verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt.
28
Begründung: Diese Angaben entsprechen dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu
29
/.../. Hinsichtlich der Aufnahme des letzten Satzes verweisen wir auf die
Bekanntmachung über die Neufassung der Empfehlungen zur Gestaltung von
Packungsbeilagen nach § 11 AMG, veröffentlich im BAnz-Nr. 78 vom 25.04.2002. Diese
Angaben dienen der Patientensicherheit und -information."
Zu M. 12 (Fachinformation) heißt es:
30
"M12. Wechselwirkungen
31
Hier ist insgesamt wie folgt zu formulieren:
32
Bisher sind keine Wechselwirkungen bekannt. Entsprechende Untersuchungen mit /.../
liegen nicht vor.
33
Begründung:
34
S. Auflage zur Gebrauchsinformation."
35
Die Klägerin wendet sich weiterhin gegen diese Auflagen und trägt zur Begründung vor:
Die Anordnung des Hinweises sei nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 28 Abs.
2 AMG gedeckt. Er sei nicht erforderlich, um eine unmittelbare oder mittelbare
Gesundheitsgefährdung zu verhüten. Der Hinweis auf eigene Bekanntmachungen des
BfArM ersetze die erforderliche Ermächtigungsgrundlage nicht. Für "J. " seien bislang
keine Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln festgestellt worden. In zwei groß
angelegten Anwendungsbeobachten mit 4815 Patienten (T. und C. , 2000; L. und T. ,
1999) seien bei Begleitmedikation mit weit verbreiteten Wirkstoffklassen in Gestalt von
Blutdruckpräparaten, Antirheumatika, Diuretika, Lipidsenkern und Antidiabetika weder
unerwünschte Arzneimittelwirkungen noch Wechselwirkungen beobachtet worden.
Entsprechende Hinweise ergäben sich auch nicht aus den Spontanmeldungen, die über
annähernd 50 Jahre dokumentiert seien. Auch seien in sechs randomisierten
Doppelblindstudien mit insgesamt 403 behandelten Patienten keine Wechselwirkungen
dokumentiert. Der Hinweis, es lägen keine entsprechenden Untersuchungen vor, treffe
daher sachlich nicht zu. Er trage zu einer Verunsicherung der Patienten bei.
36
Mit Schriftsatz vom 03.09.2009 hat die Beklagte die Auflagen umformuliert. Diese lauten
nunmehr wie folgt:
37
M.5:
38
"Bisher sind aus der klinischen Anwendung von /.../ keine Wechselwirkungen bekannt.
Spezielle Wechselwirkungsuntersuchungen von /.../ mit bestimmten Arzneimitteln liegen
nicht vor.
39
Bitte informieren Sie ihren Arzt oder Apotheker, wenn Sie andere Arzneimittel
einnehmen bzw. vor kurzen eingenommen haben, auch wenn es sich nicht um
verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt."
40
M.12:
41
"Bisher sind aus der klinischen Anwendung von /.../ keine Wechselwirkungen bekannt.
Spezielle Wechselwirkungsuntersuchungen von /.../ mit bestimmten Arzneimitteln liegen
42
nicht vor."
Die Klägerin wendet sich auch gegen die umformulierten Auflagen und beantragt
sinngemäß,
43
die Auflagen M.5 und M.12 zum Bescheid vom 22.12.2005 aufzuheben.
44
Die Beklagte beantragt,
45
die Klage abzuweisen.
46
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und führt im Wesentlichen aus: § 28 Abs.
2 AMG gestatte die Anordnung von Auflagen zur Arzneimittelsicherheit auch zur
Verhütung mittelbarer Gesundheitsgefahren. Gemeint sei damit eine Gefahr, die bei der
Anwendung des Arzneimittels selbst entstehe, also durch dessen Anwendung
hervorgerufen werde. Da auch solche Gefahren umfasst seien, dürften an das
Kausalitätserfordernis keine hohen Anforderungen gestellt werden. Erforderlich aber
auch ausreichend sei, dass die Anwendung des Arzneimittels die Gefahr hervorrufe
oder mehr als nur unwesentlich erhöhe, auch wenn zur Realisierung der Gefahr weitere
Umstände hinzutreten müssten. Hier sei eine mittelbare Gefährdung für den Fall
anzunehmen, dass der Anwender im Rahmen der Selbstmedikation Unverträglichkeiten
feststelle, die auf bislang nicht bekannte Wechselwirkungen zurückzuführen sein
könnten. Die Auflagen stellten klar, dass Wechselwirkungen aus der klinischen
Anwendung bislang nicht bekannt seien, aber spezielle Interaktionsuntersuchungen
nicht vorlägen. Wenn der Patient Unverträglichkeiten oder sonstige Beschwerden
feststelle, werde er diese nicht mit bislang unbekannten Wechselwirkungen in
Verbindung bringen. Vor diesem Hintergrund gelte es einer Gefährdung der Gesundheit
dadurch zu begegnen, den Arzt oder Apotheker darüber zu informieren, welche
Arzneimittel er im Übrigen einnehme oder eingenommen habe.
47
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug
genommen.
48
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
49
Die Klage ist begründet.
50
Die Auflagen M.5 und M.12 zum Bescheid der Beklagten vom 05.12.2005 in ihrer mit
Schriftsatz vom 03.09.2009 geänderten Form sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
51
Für die Anordnung eines Hinweises in Gebrauchs- und Fachinformation darauf, dass
spezielle Wechselwirkungsuntersuchungen mit bestimmten Arzneimitteln nicht vorlägen
und die hiermit verbundene Aufforderung an den Patienten in der Gebrauchsinformation,
bei Einnahme anderer Arzneimittel den Arzt oder Apotheker zu informieren, besteht
keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage.
52
Gemäß § 105 Abs. 5a Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 und 2 AMG kann die zuständige
Behörde die Verlängerung der Zulassung (Nachzulassung) eines Arzneimittels mit
Auflagen verbinden. § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a i.V.m. Nr. 2 lit. a und Nr. 2a lit a) AMG
53
konkretisiert diese Befugnis für die Gestaltung von Gebrauchs- und Fachinfomation.
Demnach können Hinweise und Warnhinweise angeordnet werden, soweit sie
erforderlich sind, um bei der Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare oder
mittelbare Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier zu verhüten. Diese
Auflagenbefugnis besteht im übergeordneten Interesse der Arzneimittelsicherheit, wie
es in § 1 AMG zum Ausdruck kommt. Tatbestandliche Voraussetzungen ist dabei eine
"Gefährdung" von Mensch oder Tier, hier also des anwendenden Patienten. Nach
allgemeinen - auch vorliegend maßgeblichen - Grundsätzen des Ordnungsrechts ist
"Gefahr" eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens erwarten lässt, wobei es für die
erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts maßgeblich auf das gefährdete
Schutzgut ankommt. Je gewichtiger es ist, desto geringer sind die Anforderungen an die
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Ist - wie im Fall einer möglichen
Gesundheitsgefährdung - ein hochrangiges Rechtsgut betroffen, sind die Anforderungen
an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eher gering,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.02.2009 - 13 A 976/07 -, PharmR 2009, 291-297 = A&R
2009, 134-140 ("Differentialdiagnostischer Hinweis"); Urteile vom 27.09.2005 - 13 A
4378/03 -, A&R 2006, 128 ("Kinderhinweis") und - 13 A 4090/03 -, PharmR 2005, 497
("Schwangerenhinweis"), jeweils m.w.N.,
54
wobei der Wortlaut des Gesetzes allerdings einem generellen Verzicht auf das
Gefahrerfordernis entgegensteht.
55
Zudem muss es sich um eine Gefahr handeln, die "bei der Anwendung des
Arzneimittels" droht. Nach dem unzweideutigen Wortlaut der gesetzlichen Ermächtigung
und angesichts der Zielsetzung des § 1 AMG ist damit eine Gefahr angesprochen, die
durch die Anwendung des Arzneimittels hervorgerufen oder mehr als nur unwesentlich
erhöht wird, auch wenn zu Realisierung der Gefahr weitere Umstände hinzutreten
müssen.
56
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.02.2009 a.a.O; BVerwG, Beschluss vom 20.12.2006 - 3 B
17.06 -, NJW 2007, 859 = A&R 2007,83.
57
Abzugrenzen von diesen der Verhütung anwendungsbezogener Gefahren dienenden
Auflagen sind Maßnahmen bloßer Risikovorsorge, die auf ein Einschreiten im Vorfeld
der Gefahrenabwehr zielen. Denn die Begriffe "Gefahr" und "Risiko" werden im
Arzneimittelgesetz nicht synonym verwendet, wie die Verordnungsermächtigung des § 6
Abs. 1 Satz 1 AMG verdeutlicht, die beide Begriffe ausdrücklich gegenüberstellt.
58
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.02.2009 a.a.O.
59
Maßnahmen der Risikovorsorge betreffen nicht die die Abwehr einer drohenden
(konkreten) Gefahr. Sie dienen vielmehr dem Zweck, schon das Entstehen einer Gefahr
zu verhindern. Hierauf gestützte Eingriffe sind von der angesprochenen
Auflagenermächtigung nicht erfasst.
60
Der Hinweis, dass spezielle Wechselwirkungsuntersuchungen von "J. " mit anderen
Arzneimitteln nicht vorliegen und (deshalb) der Arzt oder Apotheker von der Einnahme
anderer Arzneimittel zu informieren sei, betrifft diesen Bereich vorbeugender
Gefahrenvorsorge. Seine Anordnung kann sich nicht auf die arzneimittelrechtliche
61
Auflagenermächtigung stützen. Hierbei bedarf es keiner Klärung der Frage, ob er
inhaltlich zutrifft, was von der Klägerin unter Hinweis auf Anwendungsbeobachten mit
4815 Patienten (T. und C. , 2000; L. und T. , 1999) bei Begleitmedikation mit weit
verbreiteten Wirkstoffklassen in Gestalt von Blutdruckpräparaten, Antirheumatika,
Diuretika, Lipidsenkern und Antidiabetika in Abrede gestellt wird. Auch muss nicht der
Frage nachgegangen werden, was unter speziellen Wechselwirkungsuntersuchungen -
hierbei handelt es sich nicht um einen durch das Arzneimittelgesetz begründeten
Rechtsbegriff - im Gegensatz zu entsprechenden allgemeinen Untersuchungen zu
verstehen ist. Jedenfalls überschreitet die Auflage den durch Art. 28 Abs. 2 AMG
vorgegebenen Kreis anwendungsbezogener Gefahren: Die Beklagte bestreitet selbst
nicht und betont dies auch im ersten Teil des beauflagten Textes, dass aus der
(durchaus langjährigen) Anwendung des Präparats keine Wechselwirkungen mit
anderen Arzneimitteln bekannt geworden sind. Auch hat sie weder in der
Bescheidbegründung noch im gerichtlichen Verfahren ansatzweise Anhaltspunkte für
eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch Wechselwirkungen zwischen "J. "
und anderen Arzneimitteln erkennen lassen. Der Auflage fehlt mithin der sachliche
Ansatzpunkt in Gestalt einer - zumindest denkbaren - Gefahr.
Die allgemein und abstrakt bei jedem Arzneistoff denkbare Möglichkeit von
Interaktionen mit anderen Stoffen genügt nicht, eine der Auflagenbefugnis genügende
Gefährdung durch die Anwendung des Präparats zu bejahen. Denn sie betrifft alle
Arzneistoffe gleichermaßen. Es handelt sich um eine theoretische Gefahrenlage, die
prinzipiell alle Arzneimittel betrifft und deren Berücksichtigung In Gestalt eines
Warnhinweises einer ausdrücklichen gesetzgeberischen Entscheidung bedurft hätte.
Eine solche Entscheidung zugunsten allgemeiner Hinweise auf Wechselwirkungen liegt
jedoch nicht vor, wie der Vergleich mit anderen Bestimmungen des
Arzneimittelgesetzes zeigt. So sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. c) AMG
Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder anderen Mitteln, soweit sie die
Wirkung des Arzneimittels beeinflussen können, in der Packungsbeilage anzugeben.
Entsprechendes gilt für die klinischen Angaben der Fachinformation gemäß § 11a Abs.
1 Satz 2 Nr. 4 lit. e) AMG. Angaben zu Wechselwirkungen zählen zudem zu den
Pflichtangaben in den Zulassungsunterlagen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 AMG und
sind fakultativ über die Vorgaben vereinheitlichter Texte nach § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG
oder einer Standardzulassung nach § 36 Abs. 1 Satz 3 AMG hinaus zulässig.
Wechselwirkungen sind schließlich Gegenstand der Beobachtung im
Pharmakovigilanzsystem gemäß § 62 Satz 1 AMG und des Auskunftsanspruches nach
§ 84 a Abs. 1 Satz 2 AMG. Stets handelt es sich in diesen Fällen entweder um bekannte
Wirkungen mit anderen Stoffen oder zumindest um Sachlagen, in denen begründete
Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Wirkungen bestehen. Hätte der Gesetzgeber
eine darüber hinausgehende Warnung in den Informationstexten beabsichtigt, hätte es
einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft. Diese ist dem Arzneimittelgesetz
jedoch nicht zu entnehmen.
62
Sie ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass § 28 Abs. 2 Nr. 1 lit. a) AMG Auflagen
zu Hinweisen und Warnhinweisen auch zur Abwehr einer mittelbaren Gefährdung
zulässt. Ungeachtet der Frage, ob mit dem Begriff der Mittelbarkeit ein herabgestufter
Kausalitätsmaßstab verstanden wird, der eine Gefahrenlage auch dann als
präparatbezogen ansieht, wenn zur Realisierung der Gefahr noch weitere Umstände
hinzutreten müssen,
63
so OVG NRW, Urteil vom 11.02.2009, a.a.O. unter Hinweis auf Kloesel/Cyran,
64
Arzneimittelrecht, Kommentar, § 6 AMG Anm. 7,
oder eine Modifizierung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes hinsichtlich des
Gefahreneintritts im Vergleich zur unmittelbaren Gefährdung, wie sie zum Beispiel in §
15 Abs. 1 VersammlG angesprochen ist,
65
vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233/81 und 341/81 -, BVerfGE 69, 315
ff.; Schoch, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, 13. Auflage 2005, 2.
Kapitel, Rn. 100,
66
erfordert auch die mittelbare Gefährdung die nicht bloß abstrakte Möglichkeit eines
Schadenseintritts. Dafür liegt hier jedoch nichts vor. Sie ergibt sich auch nicht aus der
von der Beklagten herangezogenen Möglichkeit, der Patient könne im Rahmen der
Selbstmedikation Unverträglichkeiten feststellen, die auf bislang nicht bekannte
Wechselwirkungen zurückzuführen sein könnten. Auch insoweit handelt sich um eine
abstrakte Möglichkeit, die alle Arzneimittel gleichermaßen betrifft. Der Vergleich mit der
dem bereits zitierten Urteil des OVG NRW vom 11.02.2009 zugrunde liegenden
Fallgestaltung geht fehl, weil dort durch die Anordnung eines differentialdiagnostischen
Hinweises mit Blick auf die zugelassene Indikation aus präparatspezifischen Gründen
versucht wurde, den Patienten zu einem notwendigen Arztbesuch anzuhalten. Einen
solchen Bezug zum konkreten Arzneimittel weisen die hier streitbefangenen Auflagen
mit dem Hinweis auf fehlende spezielle Wechselwirkungsuntersuchungen nicht auf.
Auch ist nicht erkennbar, welche Untersuchungen hier erforderlich wären. Vor diesem
Hintergrund fehlt auch der an den Patienten gerichteten Aufforderung, dem Arzt oder
Apotheker die Anwendung anderer Arzneimittel mitzuteilen, die sachliche Grundlage.
Denn dieser könnte keine weiterführenden Aussagen zu etwaigen Wechselwirken
treffen, da Erkenntnisse hierzu nicht vorliegen. Insbesondere bliebe bei einer
unüberschaubaren Anzahl möglicher Arzneimittelkombinationen offen, ob das
streitbefangene bzw. eines oder mehrere andere eingenommene Präparate abzusetzen
wären.
67
Die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage kann auch nicht durch
den Hinweis auf die Bekanntmachung über die Neufassung der Empfehlungen zur
Gestaltung von Packungsbeilagen nach § 11 AMG (BAnz. Nr. 78 vom 25.04.2002), die
nunmehr in der Fassung vom 30.11.2006 vorliegen, oder auf die EU-Empfehlung
"Guideline on the Readability oft the Label and Package Leaflet of Medicinal Products
for Human Use" ersetzt werden. Ungeachtet des Umstandes, dass auch diesen Quellen
keine konkreten Anweisungen für die hier zu entscheidende Fallgestaltung zu
entnehmen sind, handelt es sich hierbei um Empfehlungen der zuständigen Behörden
ohne Rechtsnormcharakter. Diesen erlangen sie auch nicht in Verbindung mit § 28 Abs.
2 Nr. 3 AMG, der es der Bundesoberbehörde erlaubt, eine Vereinheitlichung von
Packungsbeilagen zu erwirken,
68
zum Umfang dieser Auflagenbefugnis: Urteil der Kammer vom 29.03.2006 - 24 K
2778/03 -, juris; hierzu: OVG NRW, Beschluss vom 10.09.2008 - 13 A 2288/06 -,
PharmR 2009, 94 f.
69
da hiermit keine Befugnis zur inhaltlichen Erweiterung der Pflichtangaben verbunden ist.
70
Ein Rückgriff auf die allgemeine Auflagenbefugnis des § 36 VwVfG scheidet ebenfalls
aus. Hierbei bedarf es keiner Klärung der noch offenen Frage nach dem
71
abschließenden Charakter der detaillierten Aufzählung arzneimittelrechtlicher Auflagen
in § 28 Abs. 2 AMG. Die Beklagte stützt ihre Ermessensentscheidung selbst nicht auf §
36 VwVfG, für dessen Voraussetzungen nichts vorliegt. Insbesondere bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Auflage im Sinne des § 36 Abs. 1, 2. Halbs. VwVfG
sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt werden.
Denn die geforderten Angaben zählen nicht zu den Voraussetzungen der
arzneimittelrechtlichen Zulassung.
Die Auflagen unterliegen auch insgesamt der Aufhebung, obwohl die Klägerin die
Angabe "Bisher sind aus der klinischen Anwendung von /.../ keine Wechselwirkungen
bekannt" offenbar nicht in Abrede stellt. Denn für eine auf diesen Text reduzierte Auflage
bestünde kein Anlass, da die Klägerin in ihren vorgelegten Informationstexten einen
entsprechenden Hinweis ohnehin vorsah. Anhaltspunkte dafür, dass sie die Klage nur
als Teilanfechtung der Auflage verstanden wissen wollte, liegen gleichfalls nicht vor.
72
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
73
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr.11, 711 ZPO.
74
Anlass, die Berufung nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO
zuzulassen besteht nicht, da die Voraussetzungen der Auflagenbefugnis in der
obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt sind und das vorliegende Urteil
von diesen Grundsätzen nicht abweicht.
75