Urteil des VG Köln vom 09.06.2005

VG Köln: politische verfolgung, bundesamt für migration, unmenschliche behandlung, neue beweismittel, genfer konvention, rechtskräftiges urteil, grobes verschulden, freiheit, wahrscheinlichkeit

Verwaltungsgericht Köln, 1 K 5609/03.A
Datum:
09.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5609/03.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.
August 2003 verpflichtet, festzustellen, dass in der Person des Klägers
ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK
und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu
1/3.
Tatbestand:
1
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, stammt aus
Q. in der Provinz Kahraman Maras. Er reiste im Juni 1998 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und stellte einen ersten Asylantrag, den das Bundesamt für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge)
- Bundesamt - mit bestandskräftigem Bescheid vom 19. Juni 1998 ablehnte. Gleichzeitig
verneinte es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des
Ausländergesetzes (AuslG) sowie von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG.
Der Kläger wurde aufgefordert, aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen; für
den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht. Die
hiergegen gerichtete Klage bei dem Verwaltungsgericht Aachen (8 K 1667/98.A) blieb
erfolglos (rechtskräftiges Urteil vom 13. Mai 2003, Nichtzulassungsbeschluss des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juni 2003 - 8 A
2427/03.A -).
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Am 15. August 2003 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag, zu dessen Begründung er
sich im Wesentlichen darauf berief, am 27. Juni 2003 eine Versammlung zum Thema
„Freiheit für Öcalan/Lösung der Kurdenfrage" angemeldet zu haben.
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Das Bundesamt lehnte die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie eine
Abänderung der getroffenen Feststellungen zu § 53 AuslG durch Bescheid vom 19.
August 2003 ab.
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Der Kläger hat am 29. August 2003 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf
zahlreiche exilpolitische Aktivitäten beruft. Insbesondere verweist er darauf, dass er
zahlreiche Versammlungen, die sich mit der Kurdenfrage in der Türkei bzw. der Lage
Abdullah Öcalans befassten, angemeldet hat, als Vorstandsmitglied des Vereins „N.
e.V." in Leverkusen im Vereinsregister eingetragen ist und dass in Artikeln in P. Q1. und
N1. am 00. und 00.00.0000 über ihn in seiner Funktion als Vorsitzender der
Kulturvereins berichtet worden ist.
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Der Kläger beantragt, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. August 2003 zu verpflichten,
festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes, hilfsweise Abschie- bungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des
Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie
bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
Inhalt der Gerichtsakten - auch in den Verfahren 1 L 1733/04.A, - sowie der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge. Die Erkenntnisquellen der Kammer zum
Herkunftsland Türkei sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht
worden.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist mit dem Hilfsantrag begründet; Im Übrigen ist sie unbe- gründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes vom 19. August 2003 ist insoweit rechtmäßig und
verletzt den Kläger insofern nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), als ihm Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1
des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verweigert worden ist. Jedoch hat der Kläger
Anspruch auf die Feststellung, dass in seinem Falle Abschiebungsverbote nach § 60
Abs. 2 und Abs. 5 i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Der Kläger hat zunächst keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Nach dieser Vorschrift darf ein
Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine
Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht
ist. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfasst den des Art. 16a Abs. 1 GG,
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zu § 51 Abs. 1 AuslG: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Februar
1992 - 9 C 59.91 -, DVBl 1992, 843; zur Deckungsgleichheit von Art. 16a Abs. 1 GG und
§ 51 Abs. 1 AuslG mit dem Flüchtlingsbegriff der Genfer Konvention: BVerwG, Urteil
vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 u.a. -, NVwZ 1994, 500 (503); Urteil vom 18. Januar
1994 - 9 C 48.92 -, NVwZ 1994, 497 (498 ff.),
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und geht darüber hinaus, indem - allerdings nur nach Maßgabe des § 28 AsylVfG - auch
selbst geschaffene Nachfluchtgründe und gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG eine
Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es
an staatlichen Strukturen fehlt, ein Abschiebungsverbot begründen. Ferner stellt § 60
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Abs. 1 Satz 3 AufenthG klar, dass eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer
bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn Anknüpfungspunkt allein
das Geschlecht ist.
Als politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG ist
hiernach anzusehen, wer bei einer Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen seiner
persönlichen Freiheit zu erwarten hat. Eine Verfolgung ist als politisch anzusehen, wenn
sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder die politische Überzeugung des Betroffenen zielt. Diese Zielsetzung ist
anhand des inhaltlichen Charakters der Verfolgung nach deren erkennbarem Zweck
und nicht nach den subjektiven Motiven des Verfolgenden zu ermitteln,
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vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschlüsse vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478/866
u.a. - in BVerfGE 76, 143; vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - in BVerfGE 80, 315;
BVerwG, Urteile vom 17. Mai 1983 - BVerwG 9 C 874.82 -, BVerwGE 67, 195, vom 26.
Juni 1984 - BVerwG 9 C 185.83 -, BVerwGE 69, 320 und vom 19. Mai 1987 - BVerwG 9
C 84.86 -, BVerwGE 77, 258.
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Das Asylrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG beruht auf dem Zufluchtsgedanken und setzt von
seinem Tatbestand her grundsätzlich einen kausalen Zusammenhang zwischen
Verfolgung, Flucht und Asyl voraus. Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, ob der
Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist: Steht fest, dass der
Asylbewerber wegen bestehender oder unmittelbar bevorstehender politischer
Verfolgung ausgereist ist und dass ihm auch ein Ausweichen innerhalb seines
Heimatlandes wegen Fehlens einer inländischen Fluchtalternative unzumutbar war, so
ist er gem. Art. 16 a Abs. 1 GG asylberechtigt, es sei denn, er kann in seinem Staat
wieder Schutz finden. Hat der Asylsuchende sein Land hingegen unverfolgt verlassen,
so kann sein Asylbegehren nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund beachtlicher
Nachfluchtgründe politische Verfolgung droht,
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vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315ff. und
vom 26. November 1986 - 2 BvR 1058/85 -, BVerfGE 74, 51ff.; BVerwG, Urteil vom 15.
Mai 1990 - 9 C 17.89 -, BVerwGE 85, 139ff.
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Vorliegend ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass ein so genanntes
Asylfolgeverfahren in Rede steht.
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Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) ist, wenn ein Ausländer
- wie hier der Kläger - nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages
erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur dann
durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG ist
maßgebend, ob sich die dem Ablehnungsbescheid über den ersten Asylantrag
zugrunde liegende Sach- und Rechtslage nachträglich zugunsten des Asylbewerbers
geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere
Entscheidung herbeigeführt haben würden oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 der
Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind. Nach § 51 Abs. 2 VwVfG ist ein
Wiederaufnahmeantrag nur dann zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes
Verschulden außerstande war, den Wiederaufnahmegrund in dem früheren Verfahren
geltend zu machen. Nach der Bestimmung des § 51 Abs. 3 VwVfG muss der
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Wiederaufnahmeantrag zu- dem binnen drei Monaten nach Kenntnisnahme des
Wiederaufnahmegrundes gestellt werden.
Begründet ist der Antrag sodann, wenn eine (nachträgliche) Änderung der Sach- oder
Rechtslage tatsächlich vorliegt und diese geeignet ist, eine neue, andere
Sachentscheidung herbeizuführen. Erst auf einer dritten Stufe erfolgt dann die Prüfung,
ob dem Asylbegehren nach dem maßgeblichen materiellen Recht stattzugeben ist oder
nicht.
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Vgl. hierzu ausführlich: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 24. April 1997,
NVwZ-Beilage 10/1997, S. 75.
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In Anwendung dieser Grundsätze hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung
des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG.
22
Allerdings droht ihm bei einer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Jedoch greift zu seinen Lasten die
Ausschlussregelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG ein.
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Die - zeitlich nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens gelegene und
fristgerecht geltend gemachte - Betätigung und Eintragung im Vereinsregister des
Klägers als „Verantwortlicher für Innenbeziehung" im Vorstand des Vereins "N. e.V." in
Leverkusen stellt eine politische Betätigung dar, die ihrer Intensität nach ein Ausmaß
erreicht, bei dem davon ausgegangen werden muss, dass die türkischen
Sicherheitsbehörden auf ihn als einen aktiven Anhänger gewalttätiger und/oder
separatistischer Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam geworden sind
und er deshalb bei einer Rückkehr in sein Heimatland mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit Gefahren für sein Leben und seine Freiheit ausgesetzt ist.
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Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW), der die Kammer folgt, begründen exilpolitische Aktivitäten in der
Bundesrepublik Deutschland nämlich ein beachtlich wahrscheinliches
Verfolgungsrisiko für türkische Staatsangehörige, wenn sich der Betreffende politisch
exponiert hat, wenn sich also seine Betätigung deutlich von derjenigen der breiten
Masse abhebt. Nur wer politische Ideen und Strategien entwickelt oder zu deren
Umsetzung mit Worten oder Taten von Deutschland aus maßgeblichen Einfluss auf die
türkische Innenpolitik und insbesondere auf seine in Deutschland lebenden Landsleute
zu nehmen versucht, ist aus der maßgeblichen Sicht des türkischen Staates ein ernst zu
nehmender politischer Gegner, den es zu bekämpfen gilt. Das ist beispielsweise bei
denjenigen exilpolitisch tätigen Asylsuchenden anzunehmen, die in der exilpolitischen
Arbeit eine auf Breitenwirkung zielende Meinungsführer- schaft übernehmen und
erkennbar ausüben, kann aber auch auf Aktivitäten im organisatorischen Bereich
zutreffen, die sich - wie die Beschaffung der finanziellen Grundlagen der politischen
Arbeit oder wie die Planung politischer Strategien - nicht unmittelbar und nach außen
gerichtet verbal äußern. Dem türkischen Staat kommt es weniger darauf an, jeder
einzelnen Person habhaft zu werden, die Äußerungen abgibt oder Aktivitäten zeigt, die
nach türkischem Verständnis zu missbilligen sind, sondern es sollen diejenigen
beobachtet und bestraft werden, die zu solchen Äußerungen und entsprechenden
Aktivitäten anstiften und sie öffentlichkeitswirksam organisieren. Im Blickpunkt der
türkischen Sicherheitskräfte stehen vor allem diejenigen exilpoliti- schen Vereinigungen,
die als von der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen domi- niert oder beeinflusst
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gelten oder die von türkischer Seite als vergleichbar militant staatsfeindlich eingestuft
werden. Ein Verfolgungsinteresse des türkischen Staates besteht indes nicht im
Hinblick auf jedes Mitglied einer derartigen Exilorganisation in gleicher Weise, sondern
nur in Bezug auf Mitglieder, die eine politische Meinungsführerschaft übernommen
haben. Das kann bei Vorstandsmitgliedern eingetragener Vereine einer derartigen
Ausrichtung der Fall sein. Deren Gefährdung ergibt sich allerdings nicht bereits daraus,
dass sie in das jedermann zur Einsichtnahme offen stehende Vereinsregister
eingetragen sind. Aktuelle Erkenntnisse darüber, dass Mitarbeiter der türkischen
Nachrichtendienste in nennenswertem Umfang die Vereinsregister einsehen, liegen
nämlich nicht vor.
Bundesministerium des Innern, Auskunft vom 27. September 2004 an OVG Nordrhein-
Westfalen.
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Vielmehr spricht alles dafür, dass die Intensität, mit der einzelne Mitglieder von
Exilorganisationen beobachtet werden, nicht von ihrer formalen Funktion in der
Organisation, sondern von Art und Gewicht der politischen Betätigung abhängt. Es ist
deshalb in allen Fällen - auch bei Vorstandsmitgliedern - im Rahmen einer
Gesamtwürdigung zu ermitteln, ob sich der Betreffende in so hinreichendem Maße als
Ideenträger oder Initiator im Rahmen von aus türkischer Sicht staatsgefährdenden
Bestrebungen hervorgetan hat, dass von einem Verfolgungsinteresse des türkischen
Staates auszugehen ist. Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung ist auch zu prüfen, ob das
betreffende Vorstandsmitglied erkennbar Leitungsaufgaben mit inhaltlich-politischem
Bezug erfüllt oder nur eine passiv-untergeordnete Stellung einnimmt. Dabei kann etwa
die tatsächlich wahrgenommene Funktion eines (ersten) Vorsitzenden einer solchen
Exilorganisation ein Indiz für eine lenkende oder jedenfalls maßgebliche Betätigung im
Rahmen von aus türkischer Sicht staatsgefährdenden Bestrebungen und damit für die
Annahme eines Verfolgungsinteresses des türkischen Staates sein. Für ein geringes
politisches Gewicht der (Vorstands-) Aktivitäten und damit gegen eine
Verfolgungsgefährdung kann demgegenüber eine kurze Dauer der Vorstandstätigkeit
sprechen, ferner die Zugehörigkeit zu einem Vorstand, der unverhältnismäßig groß ist
und/oder dessen Mitglieder auffällig häufig wechseln.
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Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger zu dem Kreis besonders exponierter
Personen im oben dargelegten Sinne gehört.
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Es ist davon auszugehen, dass der Kläger als Vorstandsmitglied eines Vereins, der von
türkischer Seite als von der PKK beeinflusst eingestuft wird, mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit einem Verfolgungsrisiko ausgesetzt ist. Der Verein "N. e.V." steht
unter dem Einfluss der verbotenen PKK/KADEK und ist Mitglied im PKK/KADEK-nahen
Dachverband YEK-KOM,
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vgl. schon Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr
1998, Seite 205 ff., Urteil der Kammer vom 16. September 2004 - 1 K 1281/02.A -,
Beschluss des OVG NRW vom 10. No- vember 2004 - 8 A 4129/04.A -.
30
Infolge dieser Beeinflussung seines Vereins durch die PKK bzw. die Yek-Kom sowie
aufgrund seiner sich damit aus der Masse der exilpolitischen Aktivitäten von türkischen
Asylbewerbern im Bundesgebiet abhebenden Betätigung ist davon auszugehen, dass
der Kläger im Wege der organisierten Überwachung durch den türkischen Geheimdienst
MIT den türkischen Sicherheitsbehörden als ein der PKK nahestehender türkischer
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Staatsangehöriger bekannt geworden ist.
Der Kläger nimmt innerhalb des Vereins Leitungsaufgaben mit inhaltlich- politischem
Bezug wahr und hat nicht etwa nur eine passiv-untergeordnete Stellung inne. Denn er
organisiert öffentlichkeitswirksam zahlreiche Versammlungen - wie Demonstrationen
und Hungerstreiks -, bei denen er als Verantwortlicher gegenüber der Polizei auftritt. In
seiner Funktion als Vorstandsmitglied hat er sich auch in den Zeitungen P. Q1. und N1.
geäußert, wie er rechtzeitig geltend gemacht hat. Seine - durch jeweils rechtzeitige
Vorlage von Anmeldungsunterlagen untermauerten - glaubhaften Ausführungen in der
mündlichen Verhandlung belegen, dass der Kläger seine Aufgaben als
Vorstandsmitglied, die er seit immerhin zwei Jahren wahrnimmt, auch aktiv erfüllt. Damit
muss im Falle des Klägers von einem Verfolgungsinteresse des türkischen Staates
ausgegangen werden.
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Der Kläger muss daher schon bei seiner Einreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
mit politischer Verfolgung in Form von Inhaftierung durch die türkischen
Sicherheitskräfte sowie einem Verhör zur Erlangung von Informationen über die
türkeifeindliche Szene in Deutschland rechnen, in dessen Verlauf psychischer und
physischer Druck sowie Folter angewendet wird. Die türkischen Stellen könnten sich
von einem derartigen Verhör nämlich versprechen, jedenfalls etwas über die Aktivitäten
staatsfeindlicher Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland zu erfahren.
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Der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG steht jedoch die -
vorliegend anwendbare, § 77 Abs. 1 AsylVfG, Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG
entgegen. Nach dieser Vorschrift kann, wenn der Asylbewerber - wie der Kläger - nach
unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt
und er sein Vorbringen - wie hier - auf selbstgeschaffene Nachflucht- gründe im Sinne
des Absatzes 1 stützt, die nach unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Antrages
entstanden sind, und im Übrigen die Voraussetzungen für die Durchführung eines
Folgeverfahrens vorliegen, in der Regel die Feststellung, dass ihm die in § 60 Abs. 1
AufenthG bezeichneten Gefahren drohen, nicht mehr getroffen werden. Vorliegend kann
insbesondere nicht angenommen werden, dass die vom Kläger entfalteten politischen
Nachfluchtaktivitäten auf einer festen, bereits im Herkunftsland er-kennbar betätigten
Überzeugung beruhten, § 28 Abs. 1, Satz 1, letzter Halbsatz AsylVfG. Denn der Kläger
hat sich vor seiner Ausreise aus der Türkei nicht politisch beteiligt, wie aufgrund des
rechtskräftigen Urteils des VG Aachen vom 13. Mai 2003 (Az.: - 8 K 1667/98.A -), dessen
Wertungen sich das erkennende Gericht ausdrücklich zu eigen macht, feststeht.
Schließlich ist nicht erkennbar, dass vorliegend eine exzeptionelle Fallkonstellation, die
eine Abweichung von der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG rechtfertigen könnte, in Rede
stünde.
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Greift nach alledem zu Lasten des Klägers § 28 Abs. 2 AsylVfG ein, scheidet eine
Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten
nach § 60 Abs. 1 AufenthG aus.
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Da dem Kläger jedoch nach dem oben Gesagten aufgrund seiner exponierten
exilpolitischen Betätigung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter sowie
unmenschliche Behandlung und erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben oder
Freiheit drohen, ist ihm auf den Hilfsantrag hin Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2
und Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK sowie Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewäh- ren.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO; das Verfahren ist gem. § 83b
AsylVfG gerichtskostenfrei. Hinsichtlich des Gegenstandswertes wird auf § 30 RVG
verwiesen.
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