Urteil des VG Köln vom 28.07.2006

VG Köln: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, schutzwürdiges interesse, vollziehung, verfügung, tierschutz, interessenabwägung, wild, verbraucherschutz, behörde

Verwaltungsgericht Köln, 13 L 1181/06
Datum:
28.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 L 1181/06
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom
27. Juli 2006 gegen den Änderungsbescheid des Antragsgegners vom
11. Juli 2006 wird insoweit wiederhergestellt bzw. angeordnet, als darin
die Durchführung der Disziplinen ​Wild Horse Race" und ​Bull Riding"
(Ziffer I. 1. des Bescheides) und der Einsatz von Flankengurten beim
Bare Back Riding" und ​Saddle Bronc Riding" (Ziffer I. 2. des
Bescheides) untersagt wird, und insoweit für den Fall der
Zuwiderhandlung Zwangsgeld angedroht (Ziffer III.) wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
3. Der Beschluss soll den Beteiligten vorab per Telefax bekanntgegeben
werden.
G r ü n d e
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Dem Antrag des Antragstellers vom 27. Juli 2006,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 27.Juli 2006 und einer eventuell
nachfolgenden Anfechtungsklage gegen den Än- derungsbescheid des Antragsgegners
vom 11. Juli 2006 hinsichtlich des Verbots der Disziplinen „Wild Horse Race" und
„Bullenreiten" (Nr. 1. des Bescheides) sowie des Verbotes des Benutzens eines Flan-
kengurtes bei den Disziplinen „Bareback Riding" und „Saddle Bronc Riding" (Nr. 2. des
Bescheides) wiederherzustellen,
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war zu entsprechen. Er ist insgesamt nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) statthaft, zulässig sowie auch begründet.
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Bei der in Anwendung der vorbenannten Bestimmung vom Gericht vorzunehmenden
Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung
der Verfügung jedenfalls vorläufig verschont zu bleiben, das vom Antragsgegner
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angeführte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit seines Bescheides
vom 11. Juli 2006, mit dem der Antragsgegner die dem Antragsteller vom Landkreis N.
unter dem 21. Juni 2005 in Anwendung von § 11 Abs. 1 Nr. 3 d TierschG unter Auflagen
erteilte Erlaubnis zum gewerbsmäßigen zur Schau stellen von bis zu 30 Pferden und bis
zu 15 Rindern im Rahmen von Rodeo- Veranstaltungen abgeändert hat.
Bei der Entscheidung, ob die Vollziehung ausgesetzt und die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs wiederhergestellt werden soll, hat das Gericht den voraussichtlichen
Erfolg des eingelegten Rechtsbehelfs mit zu berücksichtigen. Die Anordnung der
sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse ist dann gerechtfer- tigt, wenn der
Widerspruch offensichtlich unbegründet ist, weil in Fällen dieser Art ein schutzwürdiges
Interesse an der Aussetzung der Vollziehung nicht in Betracht kommt. Dagegen ist ein
öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung zu ver- neinen, wenn der
Widerspruch offensichtlich begründet ist. Ist bei der gebotenen summarischen
Überprüfung des eingelegten Rechtsbehelfs nicht festzustellen, dass dieser
offensichtlich begründet oder unbegründet ist, so ist eine Interessenabwägung im
weiteren Sinne vorzunehmen.
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Nach diesen Grundsätzen ist hier die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des
Antragstellers gegen den mit der Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit versehenen
Bescheid des Antragsgegners vom 11. Juli 2006 in dem in der Entscheidungsformel
wiedergegebenen Umfang wiederherzustellen bzw. anzuordnen . Es kann
insbesondere nicht festgestellt werden, dass der Widerspruch offensichtlich aussichtslos
wäre. Vielmehr führt bereits die im Verfahren des vorläufigen Rechts- schutzes allein
mögliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage zu erheb- lichen Zweifeln an
der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung, welche nur in einem
Hauptsacheverfahren abschließend geklärt werden können.
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Dabei ergeben sich die rechtlichen Bedenken des Gerichts maßgeblich aus dem
Umstand, dass der Antragsgegner - wie er ausdrücklich im Tenor seiner Entschei- dung
formuliert und auch der Sache nach verfügt hat - eine Änderung des den An- tragsteller
begünstigenden bestandskräftigen und derzeit bundesweit bis zum 31. Dezember 2006
gültigen Erlaubnisbescheides des Landkreises N. vom 21. Juni 2005 für die
Rodeoveranstaltung in Köln am 29. und 30. Juli 2006 vorgenommen hat, ohne dabei die
Eingriffe in die Rechte des Antragstellers hinreichend zu berücksich- tigen. Ob der
Antragsgegner dabei überhaupt für eine solche Abänderung eines Be- scheides einer
anderen Behörde zuständig ist (so allerdings Ziffer 12.1.5 der Allge- meinen
Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes vom 9. Feb- ruar 2000)
und in welchem rechtlichen Verhältnis darüber hinaus - zweifellos zulässi- ge -
Anordnungen der Tierschutzbehörden am jeweiligen Austragungsort der Rodeo -
Veranstaltung zu der erteilten Erlaubnis stehen, mag dabei offen bleiben. Entschei-
dend ist für die hier zu treffende gerichtliche Beurteilung der Rechtslage der Aspekt,
dass der Antragsgegner nach den Ausführungen in seinem „Änderungsbescheid" und
auch ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge zwar zutreffend er- kannt hat,
dass er die dem Antragsteller erteilte Erlaubnis dergestalt abändert, dass er ihm
Einschränkungen bei der Durchführung des Rodeos auferlegt, die in der Er- laubnis
nicht enthalten sind. Er begründet diese Einschränkungen mit tierschutz- rechtlichen
Argumenten und nimmt auch eine Ermessensabwägung dergestalt vor, dass er die
gewerblichen Interessen des Antragstellers den tierschutzrechtlichen Ge- sichtspunkten
gegenüberstellt. Dabei geht er ausweislich der Bescheidbegründung und nach
Aktenlage davon aus, es handele sich bei seiner Maßnahme um eine „zu- sätzliche",
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„erweiternde" „Auflage", die nach einem in dem Erlaubnisbescheid enthal- tenen
„Vorbehalt" ohne weiteres möglich sei, solange tierschutzrechtliche Erwägun- gen eine
solche Regelung in Abwägung gegenüber den Interessen des Antragstel- lers
rechtfertigten. Diese Annahmen treffen jedoch nicht zu. Denn es geht nicht um
zusätzliche, ergänzende, etwa den konkreten örtlichen Gegebenheiten Rechnung
tragende Regelungen, sondern um ihrer Art nach bereits im Erlaubnisbescheid zu
Gunsten des Antragstellers geregelte, d.h. erlaubte Durchführungsmodalitäten. Da- mit
werden dem Antragsteller durch den Erlaubnisbescheid erteilte Rechtspositionen vom
Antragsgegner entzogen. Denn in diesem Bescheid vom 21. Juni 2005 finden sich eine
Reihe von konkreten Durchführungsbestimmungen, die gerade die in dem
angegriffenen Bescheid auch durch den Antragsgegner geregelten Sachverhalte
betreffen. So muss Ziffer 4. d) entnommen werden, dass der Einsatz eines Flanken-
gurtes gerade zulässig sein soll, der allerdings gepolstert sein muss und wie ein
normaler Sattelgurt ohne Druckausübung anzulegen ist. Wenn weiter nach Ziffer 4 e)
nur die Durchführung von Nachtrodeos, Wildkuhmelken, Ferkelfangen und (klassi-
schem) Calf Roping untersagt ist, ist daraus zu entnehmen, dass die Disziplinen „Wild
Horse Race" und „Bull Riding", die nunmehr untersagt werden, durchgeführt werden
dürfen. Das bedeutet aber, dass dem Antragsteller durch die hier in Rede stehende
Untersagungsverfügung des Antragsgegners die durch die erteilte Erlaub- nis vermittelte
Rechtsposition teilweise entzogen wird. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit
eine solche (allgemeine) Einschränkung durch den Antragsgegner, die weder Bezug zu
den örtlichen Gegebenheiten noch zu aktuellen Vorfällen bei Veran- staltungen des
Antragstellers hat, überhaupt zulässig ist, ist eine solche - teilweise - Aufhebung der
Erlaubnis des Landkreises N. nur nach den Regeln über die Rücknahme bzw. den
Widerruf von Verwaltungsakten nach §§ 48,49 Verwaltungs- verfahrensgesetz zulässig.
Sie erfordert jedenfalls eine Ermessensausübung, die insbesondere den
Vertrauensschutz auf den Bestand der bestehenden Erlaubnis berücksichtigt. Daran
fehlt es aber hier. Der Antragsgegner hat sich bei seinen Er- messenserwägungen mit
dem auferlegten (weiteren) Verbot lediglich in der Art aus- einandergesetzt, wie es im
Fall einer erstmaligen Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis
geboten ist. Den Umstand, dass er eine bestandskräftig erteilte Erlaubnis teilweise
zurücknimmt oder widerruft, hat er jedoch überhaupt nicht in seine Erwägungen
einbezogen. Er hat damit bei seiner Ermessensentscheidung einen wesentlichen
Aspekt unberücksichtigt gelassen.
Angesichts dieser nicht unwesentlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des mit dem
Widerspruch angegriffenen Bescheides in dem hier verfahrensgegenständlichen
Umfang kann das dementsprechend geminderte öffentliche Interesse an seiner
sofortigen Vollziehung auch nicht im Wege einer allgemeinen Interessenabwägung
überwunden werden. Vielmehr findet neben dem Interesse des Antragstellers, von der
Vollziehung einer nicht unerheblichen Rechtmäßigkeitszweifeln ausgesetzten
Verfügung verschont zu werden, auch Berücksichtigung, dass der Antragsgegner auch
keine derart gewichtigen Gesichtspunkte des öffentlichen Interesses glaubhaft zu
machen vermocht hat, dass das Gericht es aus tierschutzrechtlichen Gründen als
schlechthin unzuträglich ansehen müsste, wenn die morgen und übermorgen statt-
findenden Rodeo - Veranstaltungen ohne die von dem Antragsgegner verfügten Ein-
schränkungen durchgeführt werden. Insoweit ist für das Gericht maßgebend, dass schon
die dem Antragsteller im Mai vorigen Jahres erteilte Erlaubnis gerade in den unter Ziffer
4 geregelten Punkten - ebenso wie der jetzt angegriffene Bescheid - den Zweck verfolgt,
den bei Rodeo-Veranstaltungen zu befürchtenden tierschutzwidrigen Zuständen
entgegenzuwirken und dabei u.a. (ergänzend) auch das hier vom An- tragsgegner zur
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Begründung seiner Rechtsauffassung maßgeblich herangezogene „Gutachten über
Rodeoveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland unter tierschutzrechtlichen,
ethologischen und ethischen Gesichtspunkten" der Tierärztli- chen Vereinigung für
Tierschutz e.V. - TVT - vom 25. April 2005 berücksichtigt hat. Dass der Antragsgegner -
in Übereinstimmung mit der aktuellen Beschlusslage der Länderarbeitsgemeinschaft
gesundheitlicher Verbraucherschutz - Arbeitsgruppe Tierschutz - und dem darauf
beruhenden Erlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz des Landes Nordhein-Westfalen vom 26. Juni 2006 - aus diesem
Gutachten (ergänzt um die Anlage der TVT vom 22. Mai 2006) nunmehr andere
Schlussfolgerungen zieht als die Behörde, die die be- standskräftige Erlaubnis erteilt
hat, stellt sich für das Gericht jedenfalls derzeit nicht als eine solch gravierende
Änderung von Beurteilungskriterien dar, die es rechtferti- gen könnte, eine
bestandkräftig erteilte Rechtsposition durch einen mit erheblichen rechtlichen Zweifeln
belasteten Änderungsbescheid einzuschränken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes vom 5. Mai 2004. Im Hinblick auf den nur vorläufigen Charakter
des vorliegenden Verfahrens war der Auffangstreitwert auf die Hälfte zu reduzieren.
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