Urteil des VG Köln vom 06.08.2007

VG Köln: behandlung, erhöhter beweiswert, beihilfe, osteotomie, bvo, mitarbeit, gesellschaft, eingriff, gefahr, leitlinie

Verwaltungsgericht Köln, 19 K 1548/07
Datum:
06.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 K 1548/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstre- ckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des
beizutreibenden Be- trages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in glei- cher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der im Jahre 1958 geborene Kläger steht als Kreisoberverwaltungsrat im Dienst des
Beklagten. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder; der für ärztliche Auf- wendungen
betreffend seine Kinder geltende Beihilfebemessungssatz beträgt 80 v.H..
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Unter dem 03.09.2006 beantragte der Kläger, ihm eine Beihilfe zu den Aufwen- dungen
aus der Rechnung des Arztes für Anästhesiologie I. vom 15.08.2006 über 529,81 Euro
für die Behandlung seines Sohnes T. (ambulante Intubationsnarkose bei
Weisheitszahnentfernung am 19.04.2006) anlässlich der zahnärztlichen Behand- lung
zu gewähren.
3
Mit Bescheid vom 11.09.2006 lehnte der Beklagte eine Beihilfe zu diesen Auf-
wendungen ab und erbat eine Bescheinigung über die medizinische Notwendigkeit
einer Vollnarkose.
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Hierzu legte der Kläger eine Stellungnahme der Zahnärzte Dr. E. u. a., X. vom
25.09.2006 vor, in der erläutert wurde, dass bei dem Sohn T. des Klägers vier extrem
verlagerte Weisheitszähne entfernt worden seien. Bei den oberen Zäh- nen habe die
Gefahr einer Eröffnung der Kieferhöhle, bei den unteren Zähnen die Gefahr von
Kieferbruch und Nervschädigung bestanden, sodass eine Vollnarkose notwendig
gewesen sei; eine örtliche Betäubung sei nicht zumutbar gewesen.
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In der von dem Beklagten veranlassten amtszahnärztlichen Stellungnahme vom
24.10.2006 ist erläutert, dass ein Grund für eine zusätzliche Vollnarkose nicht vorlie- ge.
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Nach Auswertung des Röntgenbildes könne nicht bestätigt werden, dass es sich um
eine extreme Verlagerung der Weisheitszähne gehandelt habe. Bei der gegebe- nen
Situation seien lokalanästhetische Maßnahmen ausreichend und üblich. Im Üb- rigen
ergebe sich sowohl aus einer Stellungnahme des Bewertungsausschusses der Ärzte
und Krankenkassen als auch aus einer solchen der Deutschen Gesellschaft für
Kinderzahnheilkunde, dass eine Vollnarkose nur bei Patienten mit geistiger Behinde-
rung und/oder schwerer Dyskinesie bzw. bei Kindern unter 6 Jahren und Risikofakto-
ren erforderlich sei. Aufgrund dieser Stellungnahme verblieb der Beklagte mit Schreiben
vom 18.12.2006 bei seiner ablehnenden Entscheidung.
Hiergegen wandte der Kläger unter dem 06.02.2007 ein, dass nach der Auffas- sung
des Bewertungsausschusses eine Vollnarkose dann erforderlich sei, wenn eine
Behandlung in Lokalanästhesie nicht möglich sei. Über diese Möglichkeit entscheide
allein der behandelnde Arzt im Zeitpunkt des Eingriffs.
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Nach Einholung einer erneuten Stellungnahme seines amtszahnärztlichen Diens- tes
(vom 22.02.2007, in dem das Fehlen der Erfordernis einer Vollnarkose im vorlie- genden
Fall nochmals eingehend erläutert wurde) wies der Beklagte den Wider- spruch des
Klägers gegen die ablehnenden Entscheidungen vom 11.09.2006 und 18.12.2006 mit
Widerspruchsbescheid vom 19.03.2007 als unbegründet zurück.
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Der Kläger hat rechtzeitig Klage erhoben.
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Er wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und weist
darauf hin, dass eine örtliche Betäubung bei der durchgeführten umfangreichen
Osteotomie der Zähne nicht zumutbar gewesen sei und eine solche umfangreiche
Osteotomie auch nach Auffassung der kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung als
Indikation für eine Vollnarkose ausreiche.
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Im Übrigen reiche auch der erhebliche Gesamtumfang der Maßnahme als Indika- tion für
eine Vollnarkose aus. Die Aufteilung der Zahnextraktion auf zwei Sitzungen sei wegen
dieses Gesamtumfangs nicht angezeigt gewesen. Darüber hinaus habe sich im Verlauf
der Behandlung ergeben, dass wegen des Umfangs der Osteotomie schon bei den
Oberkieferzähnen ein umfangreicherer Eingriff vorliege, so dass im Zuge einer
Gesamtbetrachtung, die ausschließlich dem behandelnden Arzt obliege, auch zur
Vermeidung mehrfachen postoperativen Schmerzes, es medizinisch sinn- voll gewesen
sei, eine Intubationsnarkose zu erbringen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.09.2006 in der Fassung der
Erläuterung vom 18.12.2006 und des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2007 zu
verpflichten, ihm Beihilfe zu den Aufwendungen aus der Rechnung des Arztes für
Anästhesiologie I. vom 15.08.2006 in Höhe von 423,85 Euro zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte bezieht sich auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid und vertieft
seine Ausführungen.
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Der Hinweis des Klägers darauf, dass sich nach der Stellungnahme des behandelnden
Zahnarztes erst während der Behandlung die Notwendigkeit einer Vollnarkose ergeben
habe, sei nicht nachvollziehbar, weil nach Auswertung der Röntgenaufnahme eine
negative Veränderung des Zahnstatus nicht bestanden habe.
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Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte in diesem
Verfahren sowie im Verfahren 19 K 347/07 sowie die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten in beiden Verfahren ergänzend Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO) entscheiden
kann, ist zulässig aber unbegründet.
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Der Bescheid des Beklagten vom 11.09.2006 in der Fassung des erläuternden
Schreibens vom 18.12.2006 und der Widerspruchsbescheid vom 19.03.2007, mit denen
die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen aus der Rechnung des Arztes für
Anästhesiologie I. vom 15.08.2006 in Höhe von 423,85 Euro für die anlässlich der
zahnärztlichen Behandlung des Sohnes T. des Klägers durchgeführte
Narkosebehandlung abgelehnt wurde, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht
in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen aus der vorgenannten Rechnung.
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Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Beihilfenverordnung des Landes Nordrhein- Westfalen (vom
27.03.1975 [GV. NW. S. 332] in der im Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen im
August 2006 maßgebenden Fassung des "Lebenspartnerschaftsanpassungsgesetzes"
vom 03.05.2005 [GV. NRW. S. 498], - BVO -) sind beihilfefähig die "notwendigen
Aufwendungen in angemessenem Umfange in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung
der Gesundheit, zur Besserung oder Linderung von Leiden, usw.". Die beihilfefähigen
Aufwendungen umfassen gemäß § 4 Nr. 1 Satz 1 BVO auch die Kosten für die
Untersuchung, Beratung und Verrichtung.
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Davon ausgehend war anlässlich der zahnärztlichen Behandlung des Sohnes des
Klägers die Durchführung dieser Behandlung bei Intubationsnarkose nicht notwendig,
weil ohne weiteres andere, in gleicher Weise geeignete und den Regeln zahnärztlicher
Kunst entsprechende Möglichkeiten der Schmerzausschaltung vorhanden waren.
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Ob und in welchem Umfang für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Vollnarkose bei
der bei dem Sohn des Klägers durchgeführten zahnärztlichen Behandlung auf die von
den Beteiligten diskutierten Beschluss des "Bewertungsausschusses der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung" zur Änderung des Einheitlichen
Bewertungsmaßstabs (EBM) bzw. auf die Stellungnahme der Kassenzahnärztlichen
Bundesvereinigung zu diesem Beschluss zurückgegriffen werden kann - die
diesbezüglichen Ausführungen sehen eine Vollnarkose bei zahnärztlichen
Behandlungen jedenfalls dann vor, wenn eine Behandlung in Lokalanästhesie nicht
möglich ist - kann im Ergebnis offen bleiben. Nach Auffassung des Gerichts sind für die
Beurteilung der Notwendigkeit die in der "Leitlinie: Operative Entfernung von
Weisheitszähnen" der insoweit sachkundigen und nicht inte- ressengelenkten
Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (www.dgzmk.de)
niedergelegten Grundsätze zu berücksichtigen, die sich auch in den o.g. Beschlüssen
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wiederfinden. Zur "Narkose / Sedierung" heißt es dort unter Ziff. 9.2.1:
"Eine Behandlung kann bei erwartbaren Problemen bei der Mitarbeit des Patienten, bei
großem Gesamtumfang der dentoalveolären Maßnahmen, bei manifesten lokalen
Risikofaktoren (siehe unter 7.1) oder auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten indiziert
sein."
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor:
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Erwartbare Probleme bei der Mitarbeit des Sohnes T. des Klägers sind nicht
beschrieben.
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Für die Indikation eines "großen Gesamtumfangs der Maßnahme" bestehen keine
nachvollziehbaren Anhaltspunkte. Mögliche Risiken einer Zahnextraktion, wie sie in der
Stellungnahme der behandelnden Zahnärzte vom 25.09.2006 beschrieben werden,
bestehen regelmäßig unabhängig von der Art der Anästhesie. Das Gericht hat darüber
hinaus in seinem Urteil vom heutigen Tage im Verfahren VG Köln 19 K 347/07 im
Einzelnen ausgeführt, dass nicht hinreichend dargelegt und auch im Übrigen nicht
ersichtlich ist, dass sich die Extraktion der Zähne bei dem Sohn des Klägers als eine
"umfangreiche Osteotomie" darstelle; hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen
Bezug genommen. Im Übrigen war nach der Einschätzung der den Sohn des Klägers
behandelnden Zahnärzte die Extraktion der Zähne auch in Lokalanästhesie in
Erwägung gezogen worden; aus welchen zwingenden medizinischen Gründen eine
Intubationsnarkose und nicht eine Lokalanästhesie gewählt wurde, ist nicht dargelegt.
Die Alternative Intubationsnarkose / Lokalanästhesie stellte sich bereits nach
Auswertung der Röntgenaufnahmen am 21.02.2006; die Extraktion in
Intubationsnarkose, die im Übrigen in Absprache mit dem Anästhesisten geplant wird,
erfolgte bereits in der nächsten Sitzung am 19.04.2006. Vor diesem Hintergrund ist der
Hinweis auf den anstehenden Behand- lungsumfang der Osteotomie und den
umfangreicheren Eingriff bereits bei den Oberkieferzähnen für die Indikation
ausschließlich einer Intubationsnarkose nicht verständlich. Im Übrigen geht der Kläger
selbst auch nur davon aus, dass bei einer Gesamtbetrachtung es medizinisch sinnvoll
gewesen sei, die Behandlung unter Intubationsnarkose zu erbringen; dies deutet nicht
auf eine zwingende medizinische Notwendigkeit hin.
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Auch der Umstand, dass in einer einzigen Sitzung bei den behandelnden Zahnärzten
am 19.04.2006 sämtliche vier Zähne extrahiert wurden, kann die Annahme eines
"großen Gesamtumfangs" nicht rechtfertigen, weil - ausgehend von der nachvollziehbar
begründeten Stellungnahme des amtszahnärztlichen Dienstes des Beklagten vom
24.10.2006, der - wie im o.g. Urteil vom heutigen Tage ausgeführt - ein erhöhter
Beweiswert zukommt und der der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten ist - die
Extraktion der Zähne auch in zwei oder ggf. auch mehreren Sitzungen in
Lokalanästhesie hätte erfolgen können. Maßgebend ist, dass nach der o.g.
amtszahnärztlichen Stellungnahme eine vollständige Schmerzausschaltung auch in
Lokalanästhesie möglich ist, so dass sich bei dem Patienten - hier bei dem Sohn des
Klägers - lediglich zwei- oder mehrfach postoperative Beschwerden einstellen können.
Aus welchem Grunde dies nicht möglich oder zumutbar gewesen sein soll, erschließt
sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht.
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Für "manifeste lokale Risikofaktoren", die die Zahnentfernung erschweren können (vgl.
Ziff. 7.1 der "Leitlinien") bestehen keine Anhaltspunkte.
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Dass es für die Frage der beihilferechtlichen Notwendigkeit einer medizinischen
Behandlung nicht auf den "ausdrücklichen Wunsch des Patienten" ankommen kann, ist
offensichtlich und bedarf keiner Vertiefung.
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Nach alledem scheidet eine Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die
anästhesiologischen Leistungen gemäß der Rechnung des Arztes für Anästhesiologie I.
vom 15.08.2006 aus.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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