Urteil des VG Köln vom 26.07.2007
VG Köln: behandlung, öffentliches interesse, erkennungsdienstliches material, aufschiebende wirkung, vollziehung, besitz, stieftochter, beschuldigter, ermittlungsverfahren, kreis
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 478/07
Datum:
26.07.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 L 478/07
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Kosten des
Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 13.04.2007 gegen die Verfügung
des Antragsgegners vom 05.04.2007 wiederher- zustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom Gericht vorzunehmende Interessenabwä-
gung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
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Zunächst genügt die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung für das besondere
öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung entgegen der Auffas- sung des
Antragstellers den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
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Im Beiblatt zur Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 05.04.2007 hat
der Antragsgegner eine individuell auf den hier zu entscheidenden Fall abgestimmte,
die Begründung der Anordnung der erkennungsdienstlichen Be- handlung
fortschreibende Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben.
Dabei ist deutlich geworden, dass im Hinblick auf die hohe Bedeutung des betroffenen
Rechtsgutes - Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuell motivier- ten
Übergriffen - dem öffentlichen Interesse besonderes Gewicht beigemessen wor- den ist.
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Überdies reicht zur Vermeidung eines Verstoßes gegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO jede
schriftliche Begründung aus, die - sei sie sprachlich oder gedanklich auch noch so
unvollkommen - zu erkennen gibt, dass die Behörde aus Gründen des zu
entscheidenden Einzelfalls eine sofortige Vollziehung ausnahmsweise für geboten hält,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.07.2004, - 13 B 888/04 - , Juris sowie Beschluss vom
05.07.1994, - 18 B 1171/94 -, NWVBl 1994, 424 ff..
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Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der erkennungsdienstli- chen
Behandlung des Antragsstellers überwiegt vorliegend sein Interesse, vorerst davon
verschont zu bleiben. Hierfür ist ausschlaggebend, dass bei summarischer Prüfung
mehr für die Rechtmäßigkeit als für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung
spricht.
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Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung
zutreffend auf § 81 b 2. Alt. StPO gestützt. Danach dürfen Lichtbilder und Finge-
rabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messun-
gen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die
Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
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Die Voraussetzungen dieser Norm sind nach summarischer Prüfung hier erfüllt:
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden
erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b 2. Alt StPO nicht für Zwecke eines
gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfah-
rens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstel- lung
in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient damit der vorsorgenden Bereitstel- lung von
sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der
Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen
sind,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1982, - 1 C 29.79 -, BVerw- GE 66, 192, Beschluss vom
12.07.1989, - 1 B 85.89 -, DÖV 1990, 117 und zuletzt Urteil vom 23.11.2005 - 6 C 2.05 -,
NJW 2006, 1225.
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Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des
Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der erkennungsdienstlichen Behand- lung
nach § 81 b 2. Alt. StPO muss demnach nicht bestehen. Dass eine erken-
nungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten
angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der
erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu
einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen
den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich
jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte
Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Der spätere
Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens
durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt daher die Rechtmäßigkeit der
angeordneten Maßnahmen unberührt,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1982, - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192, Beschluss vom
06.07.1988, - 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81 B StPO Nr. 1 sowie Urteil vom 23.11.2005,
- 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225.
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Ausgehend hiervon ist der Antragsteller Beschuldigter im Sinne des § 81 b 2. Alt. StPO.
Bei der Staatsanwaltschaft Köln ist gegen ihn unter dem Aktenzeichen 122 Js 193/06
ein Verfahren wegen des Besitzes von kinderpornografischen Darstellungen anhängig,
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welches den Anlass für die hier angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung bot.
Daraus ergibt sich der Verdacht, dass sich der Antragsteller aus dem Internet Dateien
mit kinderpornografischen Darstellungen beschafft hat. Insoweit ist das Vorbringen des
Antragstellers, es fehle an einem gegen ihn gerichteten staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren, nicht nachvollziehbar.
Die Notwendigkeit der Anfertigung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich
des Weiteren danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten
Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer
Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art,
Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner
Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er
strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme
bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis
potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und
dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen
fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten,
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vgl. ständige Rechtsprechung des BVerwG, Beschluss vom 06.07.1988 - 1 B 61.88 -,
BVerwGE 66, 192 ff. sowie Urteil vom 23.11.2005, - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225.
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Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG),
der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter
der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen hierbei eine Abwägung zwischen
dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von
Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des
Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potentieller Rechtsbrecher behandelt zu
werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist,
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vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.11.1999 - 5 B 1785/99 - und vom 13.01.1999 - 5 B
2562/98 -, NWVBl. 1999, 257.
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Diese Voraussetzungen liegen bei summarischer Prüfung vor. Zum einen begründet der
Umstand, dass der Antragsteller sich den Besitz von kinderpornografischen Materialen
verschafft hat sowie der weitere Umstand, dass sich auf seinem Computer auch Bilder
von seiner Stieftochter sowie von deren ebenfalls minderjähriger Freundin in sexuell
aufreizenden Posen befunden haben, die Besorgnis, dass sich der Antragsteller auch
künftig entsprechende Bilder beschaffen wird. Auch wenn ein früher eingeleitetes
Verfahren wegen Missbrauchs seiner Stieftochter eingestellt worden ist, bleibt ein
Restverdacht bestehen, dass der Antragsteller nicht alleine im Internet, sondern auch
anderweitig versuchen wird, in den Besitz kinderpornografischer Darstellungen zu
gelangen. Insoweit besteht die Besorgnis, dass der Antragsteller die Rechte von
Kindern und Jugendlichen durch die Aufnahme kinderpornografischer Bilder verletzt.
Aus diesem Grunde greift die Argumentation des Antragstellers, allein aus dem Besitz
kinderpornografischer Darstellungen folge noch nicht die Gefahr tatsächlicher Übergriffe
(etwa in Form einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Missbrauchs) zu kurz. Der
Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung wiegt so schwer, dass
jeder präventiven Maßnahme zur Verhinderung der Anfertigung sexuell motivierter
Bilder ein großes Gewicht zukommt. Dass vor diesem Hintergrund
erkennungsdienstliche Unterlagen nützlich sein können, um bei einem entsprechenden
Tatverdacht eine Beteiligung des Antragstellers feststellen oder ausschließen zu
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können, liegt auf der Hand.
Daneben begründen aber auch die weiteren vom Antragsteller in der Vergangenheit
begangenen Taten die Vermutung, dass er auch künftig strafrechtlich in Erscheinung
treten wird:
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So ist den Darlegungen des Antragsgegners zufolge derzeit gegen den Antragsteller bei
der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Aktenzeichen 19 Js 101/07 ein Verfahren wegen
Körperverletzung anhängig. Ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs seiner
Stieftochter (StA Köln 161 Js 1372/03) ist nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
Des Weiteren waren gegen den Antragsteller bei der Staatsanwaltschaft in Köln unter
den Aktenzeichen 122 Js 229/99 und 122 Js 273/99 Verfahren wegen des Besitzes
kinderpornografischer Bilder anhängig, welche gegen die Zahlung einer Geldbuße
eingestellt worden sind. Darüber hinaus war der Antragsteller nach Erkenntnissen des
Antragsgegners Beschuldigter in bei der Staatsanwaltschaft Hof unter den Aktenzeichen
182 Js 12072/05 und 182 Js 4039/06 wegen der unversteuerten Einfuhr von Zigaretten
geführten Verfahren. Diese Verfahren sind nach den Angaben des Antragsgegners
gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden. In diesem Kontext liegt ferner ein
Rechtshilfeersuchen von Interpol Bukarest wegen des Verdachts von
Zigarettenschmuggel vor (StA Köln 241 AR 835/05). Schließlich ist der Antragsteller
durch das Amtsgericht Brühl unter dem Aktenzeichen 22 Js 306/05 Ds 581/05 wegen
Betruges zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätze á 10 EUR verurteilt worden. Ein
weiteres Verfahren wegen Betruges trägt das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Köln
22 Js 105/05. Der Ausgang dieses Verfahrens ist nicht bekannt. Ohne dass es für die
Entscheidung im hier anhängigen Verfahren von durchgreifender Bedeutung wäre, sei
zur Abrundung darauf verwiesen, dass der Antragssteller nach Darlegung des
Antragsgegners bereits in den späten 70´er und den 80´er Jahren strafrechtlich in
Erscheinung getreten ist und zwar wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz,
mehrfachen schweren Diebstahls (23 VRs 18/86), fortgesetzter Hehlerei sowie
fahrlässiger Tötung (151 VRs 84/82).
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Das Vorliegen der oben aufgeführten Verfahren hat der Antragsteller im Wesentlichen
nicht in Abrede gestellt. Soweit er sich zu einzelnen Verfahren geäußert hat, hat er auf
deren Einstellung verwiesen bzw. ausgeführt, die Vorwürfe lägen zum Teil sehr lange
zurück.
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Bereits die Anzahl der Ermittlungsverfahren sowie deren Häufung in den letzten Jahren
und die Verschiedenartigkeit der Delikte lassen eine erhebliche kriminelle Energie des
Antragstellers erkennen.
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Dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen
fördern können, begegnet keinen vernünftigen Zweifeln.
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Als „Nebeneffekt" der erkennungsdienstlichen Behandlung kommt hinzu, dass das
Bewusstsein, nunmehr leichter identifizierbar zu sein, „abschreckende Wirkung" haben
dürfte,
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vgl. dazu auch Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage, 2007, F,
Rdnr. 463 m.w.N..
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Schließlich bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken gegen die Erforderlichkeit
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der Maßnahme unter dem Gesichtspunkt, dass möglicherweise bereits
erkennungsdienstliches Material über den Antragsteller vorliegt.
Bezüglich der Anfertigung von Lichtbildern ist ein besonderes öffentliches Interesse an
der Aktualität von Aufnahmen ohne Weiteres nachvollziehbar, so dass die
Rechtmäßigkeit der Maßnahme insoweit unproblematisch bejaht werden kann. Aber
auch soweit es um die Abnahme von Fingerabdrücken geht, stellt sich die Maßnahme
nach summarischer Prüfung - auch im Hinblick auf eventuell schon vorhandene
Fingerabdrücke - als rechtmäßig dar. Neben dem Aspekt der Qualitätssteigerung bzw.
einer möglichen Änderung von Fingerabdrücken durch Narben oder Warzen ist vor
allem die Sicherstellung der Identität der fotografierten mit der vorgeladenen Person ein
hinreichender sachlicher Grund dafür, auch im Falle des Vorhandenseins von
Fingerabdrücken bei einer erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung wiederum
Fingerabdrücke abzunehmen.
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Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Aus dem Verwaltungsvorgang und der
Antragserwiderung ergibt sich, dass der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen
einzelfallbezogen ausgeübt hat.
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Bei der weiteren, über die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren hinausgehenden
Interessenabwägung überwiegt ebenfalls das öffentliche Interesse. Der vom
Antragsgegner beabsichtigte Grundrechtseingriff ist dem Antragsteller zuzumuten, da
dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Ausbeutung eine hohe Priorität
zukommt und die oben dargestellte Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller künftig
mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer
strafbaren Handlung einbezogen werden könnte, angesichts des wiederholten
Inerscheinungtretens als hoch einzuschätzen ist und die Aufklärung von Straftaten der in
Rede stehenden Art durch das Vorliegen erkennungsdienstlicher Unterlagen nicht
unerheblich erleichtert wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Der festgesetzte Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG. Der sonach
zugrunde zu legende Auffangstreitwert ist im Hinblick auf die Vorläufigkeit des
Verfahrens auf die Hälfte reduziert worden.
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