Urteil des VG Köln vom 15.12.2003
VG Köln: aufschiebende wirkung, kontingent, genehmigung, telekommunikation, offenkundig, unternehmen, markt, abschlag, aussetzung, post
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 2789/03
Datum:
15.12.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 2789/03
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage (1 K 6305/03) der Antrag-
stellerin gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde für
Telekommunikation und Post vom 02.09.2003 (C. 0a 00/000) wird
angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin und die
Beigeladene je zu Hälfte; die außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen trägt diese selbst.
2. Der Streitwert wird auf 50.000,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e
1
I.
2
Die Beigeladenene bietet bundesweit Sprachtelefondienst auf der Basis eines selbst
betriebenen Telekommunikationsnetzes an. Neben den Standardtarifen um- fasst das
Angebot u.a. die Optionstarife "AktivPlus", "AktivPlus basis" und "AktivPlus xxl", welche
zuletzt mit Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post
(RegTP) vom 11.04.2003 befristet bis zum 30.09.2004 genehmigt wur- den.
3
Am 24.06.2003 beantragte die Beigeladene die Genehmigung des weiteren Op-
tionstarifs "AktivPlus basis calltime 120" zum 01.09.2003. Dieser unterscheidet sich von
den Bedingungen des Tarifs "AktivPlus basis" im Wesentlichen dadurch, dass dem
Kunden gegen Zahlung eines um 1,47 EUR höheren monatlichen Überlassung-
sententgelts von 3,63 EUR (netto) 120 Freiminuten für City- und Deutschlandverbin-
dungen eingeräumt werden.
4
Mit Bescheid vom 02.09.2003 entschied die RegTP:
5
"1. Die Entgelte und entgeltrelevanten Bestandteile der Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen für das Optionsangebot "AktivPlus basis calltime 120" werden gemäß der
6
dem Antrag beigefügten Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Preisliste "AktivPlus
basis calltime 120" genehmigt.
In Bezug auf die beantragte Änderung von Punkt 2.1 der entgeltrelevanten Be-
standteile der Allgemeinen Geschäftsbedingungen "AktivPlus basis calltime 120"
(Ausschluss der Preselection-Möglichkeit) wird die Genehmigung ver- sagt.
7
2. Die Anwendung der unter Ziffer 1 genehmigten Entgelte im Rahmen des Kun-
denwertprogrammes "Happy Digits" wird genehmigt.
8
3. Die Genehmigung wird bis zum 31.03.2005 befristet."
9
Am 30.09.2003 hat die Antragstellerin - Inhaberin von Lizenzen der Klassen 3 und 4 -
Anfechtungsklage (1 K 6305/03) erhoben und am 19.11.2003 den vorliegen- den
Aussetzungsantrag gestellt. Sie macht im Wesentlichen geltend:
10
Die angefochtene Entgeltgenehmigung entspreche offenkundig nicht den Anfor-
derungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG. Das im Tarif "AktivPlus basis calltime 120" ent-
haltene Freiminuten-Kontingent werde nicht kostendeckend angeboten. Der darauf
entfallende Anteil des monatlichen Überlassungsentgelts liege weit unterhalb des von
der RegTP nach der sog. "IC+25%"-Formel errechneten Vergleichsmaßstabes von
maximal 0,0314 EUR je Minute. Abgesehen davon verstoße die Genehmigung gegen §
27 Abs. 3 TKG i.V.m. §§ 19 Abs. 4 Nr. 1, 20 Abs. 1 GWB sowie Art. 82 lit. d EGV. Der in
Rede stehende Tarif führe nämlich zu einer unzulässigen Bezugskon- zentration und
Sogwirkung zugunsten der Angebote der Beigeladenen, enthalte eine unzulässige
Leistungskoppelung und verdränge Preselection- und Call-by-call- Angebote von
Wettbewerbern in einer deren Wettbewerbsmöglichkeiten erheblich beeinträchtigenden
Weise. Auch eine von den Erfolgsaussichten der Klage unab- hängige
Interessenabwägung müsse zur Aussetzung der weiteren Vollziehbarkeit der
Entgeltgenehmigung führen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie - die Antrag-
stellerin - nicht nur durch den Tarif "AktivPlus basis calltime 120", sondern vor allem
durch seine massive Bewerbung und Verknüpfung mit U-Net und U-ISDN- Anschlüssen
in Form der Tarifvarianten "U-Net calltime 120" und "U-ISDN calltime 120" gravierende
Wettbewerbsnachteile erleide. Sie werde darin beeinträchtigt, neue Kunden für eine
Nutzung ihres Verbindungsnetzes im Wege von Call-by-call oder Preselection zu
gewinnen und alte Kunden zu halten. Die erhebliche Sogwirkung des Tarifs zeige sich
daran, dass die Beigeladene nach eigenen Angaben in weniger als einem halben
Monat seit dem Angebot von "AktivPlus basis calltime 120" und der Einführung des
weiteren Optionstarifs "AktivPlus xxl (neu)" fast ein halbe Million Neu- kunden für diese
Angebote geworben habe.
11
Die Antragstellerin beantragt,
12
die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 6305/03 gegen den Bescheid der RegTP vom
02.09.2003 (Az.: C. 0a 00/000) anzuordnen.
13
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
14
den Antrag abzulehnen.
15
Sie treten dem Vorbringen der Antragstellerin entgegen und verteidigen den an-
16
gegriffenen Bescheid.
II.
17
Der Antrag ist begründet.
18
Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO
vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse bzw. dem Interesse
der Beigeladenen an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit der
Entgeltgenehmigung vom 02.09.2003 und dem Interesse der Antragsstellerin an der
Aussetzung der Vollziehung fällt zugunsten der Antragstellerin aus. Es ist nämlich
davon auszugehen, dass die Entgeltgenehmigung gemäß § 27 Abs. 3 TKG hätte
versagt werden müssen, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des
angegriffenen Bescheides offenkundig den Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG
nicht entsprach und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt wird,
19
vgl. zur wettbewerberschützenden Funktion dieser Vorschrift: VG Köln, Urteil vom
31.07.2003 -1 K 1246/02-, Juris.
20
Nach § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG dürfen Entgelte keine Abschläge enthalten, die die Wett-
bewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen auf einem Markt der Telekommunikation
beeinträchtigen, es sei denn, dass hierfür ein sachlich gerechtfertigter Grund
nachgewiesen wird. Ein derartiger Abschlag lag am 02.09.2003 in Bezug auf das den
Tarif "AktivPlus basis calltime 120" wesentlich kennzeichnende Freiminuten-Kontingent
offenkundig vor.
21
1. Wie der systematische Zusammenhang des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG mit der Regelung
des § 24 Abs. 2 Nr. 1 TKG über Aufschläge und dem in beiden Vorschriften als
Prüfungsgrundlage heranzuziehenden § 24 Abs. 1 Satz 1 TKG,
22
so: BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, DVBl. 2003, 403 (409),
23
zeigt, liegen Abschläge vor, wenn das zu beurteilende Entgelt die Kosten der effizienten
Leistungsbereitstellung unterschreitet,
24
vgl.: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Rn. 21 zu § 24;
Schuster/Stürmer, in Beck`scher TKG- Kommentar, 2. Aufl., Rn. 41 zu § 24; auch auf
Normalpreise und hypothetische Wettbewerbspreise als Referenzgrößen abstellend:
Spoerr, in Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz mit FTEG, 1. Aufl., Rn. 69
und 70 zu § 24.
25
1.1 Ob dies vorliegend der Fall ist, hat die RegTP nicht unter Zugrundelegung der dafür
eigentlich maßgeblichen Bestimmungen des § 3 TEntgV, sondern - wie in ihrer
bisherigen Regulierungspraxis üblich - anhand der sog. "IC+25 %"-Formel ermittelt (vgl.
Bescheid S. 14/15). Das bedeutet z.B. für die im umstrittenen Tarif enthaltene teuerste
Leistung (Deutschlandverbindungen montags bis freitags zwischen 7.00 und 18.00 Uhr),
dass die RegTP als Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung angesetzt hat:
26
0,0251 EUR/Minute (Interconnection-Entgelte U. -B.1 Tarifzone I = 0,0065 EUR/Minute
plus U. -B.2 Tarifzone III = 0,0186 EUR/Minute )
27
+ 0,0063 EUR/Minute (25 % Zuschlag für Vertriebskosten, Inkasso und Delkredere)
28
= 0,0314 EUR/Minute.
29
Die Kammer muss wegen des summarischen Charakters des vorliegenden
Eilverfahrens offen lassen, ob die Anwendung dieser Formel den
regulierungsrechtlichen Anforderungen zumindest im Ergebnis genügt. Sie geht hier
auch deshalb von dem im Bescheid angenommenen "IC+25 %"-Grenzwert aus, weil -
zum einen - die Antragstellerin nichts dargelegt hat, was zweifelsfrei zur Annahme einer
höheren Dumpingrenze zwänge. Dass - soweit ersichtlich - keine konkrete
Kostenprüfung anhand von Kostennachweisen durchgeführt wurde, kann im
vorliegenden Zusammenhang auf sich beruhen, da wenig dafür spricht, dass § 3
TEntgV Schutzwirkung zugunsten von Wettbewerbern des Marktbeherrschers hat. Denn
diese Vorschrift konkretisiert den gesetzlichen Maßstab des § 24 Abs. 1 TKG, der - wie
inzwischen höchstrichterlich
30
so: BVerwG, Urteil vom 10.10.2002, a.a.O.
31
geklärt ist - nicht dem Wettbewerberschutz dient. Zum anderen geht die Kammer hier
deshalb von der "IC+25%"-Formel aus, weil diese auch Grundlage der - trotz
Beteiligung der Antragstellerin - bestandskräftig gewordenen Genehmigung des
Optionstarifs "AktivPlus basis" vom 11.04.2003 war.
32
1.2 Bei der Frage, ob das auf das Freiminuten-Kontingent entfallende Entgelt die
anhand der "IC+25%"-Formel gekennzeichnete Abschlagsgrenze unterschreitet, ist
entgegen der Auffassung der RegTP nicht das gesamte monatliche
Überlassungsentgelt in Höhe von 3,63 EUR (netto), sondern nur die Differenz zum
Überlassungsentgelt für "AktivPlus basis" ( 2,16 EUR) in Höhe von 1,47 EUR
anzusetzen. Es wird nämlich weder nachvollziehbar dargelegt noch ist sonst ersichtlich,
dass -wie im Bescheid (S. 15) behauptet - die Kosten der ab der 121.
Verbindungsminute nutzungsdauerabhängig tarifierten Sprachtelefondienstleistung
bereits durch die verschiedenen Verbindungspreise (ohne Berücksichtigung des
Überlassungsentgelts) gedeckt seien. Träfe dies nämlich zu, so verstieße das
Überlassungsentgelt des Tarifs "AktivPlus basis" gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 TKG. Da die
RegTP diesen Tarif aber mit Bescheid vom 11.04.2003 genehmigt und niemand
dagegen geklagt hat, muss die Kammer davon ausgehen, dass das "AktivPlus basis"-
Überlassungsentgelt mit dazu dient, die Kosten der nutzungsdauerabhängigen
Sprachtelefondienstleistungen zu decken. Dies muss dann aber auch für den
entsprechenden, außerhalb des Freiminuten-Kontingents liegenden Leistungsteil des
hier umstrittenen Tarifs "AktivPlus basis calltime 120" gelten. Daraus folgt, dass nur die
Differenz zwischen den Überlassungsentgelten dieser beiden, ansonsten preislich
identischen Optionstarife als Gegenleistung für das Freiminuten-Kontingent in Betracht
gezogen werden kann.
33
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der RegTP zur Begründung
herangezogenen Beschluss der Kammer vom 04.04.2001 - 1 L 298/01 -. Zwar heißt es
darin:
34
"Es kann derzeit auch nicht festgestellt werden, dass die in den Optionstarifen XXL der
Beigeladenen enthaltene sog. "Sonntagsflatrate" offensichtlich gegen die
Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG verstößt. Beim gegenwärtigen Sachstand ist
35
nämlich durchaus unklar, ob als Bezugsgröße für diese "flatrate" ein Endkundenpreis
von ca. 5,00 DM (Differenz zum "niedrigeren" Optionstarif) oder - wie die Beigeladene
meint - ein Endkundenpreis von ca. 15,00 DM (Differenz zu den Basistarifen) in Ansatz
zu bringen ist. Zwar mag aus der Sicht des Endkunden für diese Leistung ein
monatlicher Mehrpreis von "nur" 5,00 DM zu zahlen sein. Entscheidend dürfte insoweit
aber nicht die am derzeit geltenden abgestuften Endkundentarifmodell der
Beigeladenen orientierte Kundensicht sein, sondern der tatsächliche
Kostendeckungsgrad aller in den Optionstarifen enthaltenen Leistungen. Sollte sich
dabei - und darauf läuft der Vortrag der Beigeladenen hinaus - für einzelne der im Paket
angebotenen Leistungen eine Kos- tenüberdeckung ergeben, stünde diese
vorbehaltlich der Reichweite des § 27 Abs. 2 Satz 1 TKG zur Kostendeckung der
"Sonntagsflatrate" mit zur Verfügung. Da es sich bei allen insoweit in Rede stehenden
Tarifvarianten um Entgelte für Sprachtelefondienstleistungen handelt - die Nutzung der
"Sonntagsflatrate" für den Internetzugang scheint in der Praxis jedenfalls keine Rolle
mehr zu spielen - könnte eine solche pauschalierende Betrachtung auch nicht von
vornherein ausgeschlossen sein. Die Beantwortung der Frage nach der Kostendeckung
setzte dann aber umfängliche Kostenprüfungen aller in den abgestuften Optionstarifen
enthaltenen Entgelte für Sprachtelefondienstleistungen voraus, die mit den dem Gericht
im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln nicht geleistet werden kann".
Doch lassen sich diese Ausführungen schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall
übertragen, weil hier der kostenmäßige Unterschied zwischen den Optionstarifen
"AktivPlus basis calltime 120" und "AktivPlus basis" nicht zweifelhaft ist. Demgegen-
über war im damaligen Entscheidungszeitpunkt das Verhältnis zwischen der im - alten -
Optionstarif XXL enthaltenen Sonntagsflatrate und den Basistarifen unklar.
36
Außerdem hat die Kammer im vorerwähnten Beschluss entgegen der Interpretation der
RegTP (Bescheid S. 15) eine pauschalierende Betrachtung nicht uneingeschränkt und
erst recht nicht in dem Sinne befürwortet, dass von den Besonderheiten der AktivPlus-
Tarifvarianten abzusehen sei, wenn - wie im vorliegenden Falle - klar ist, welche Kosten
auf die einzelnen Leistungsbestandteile entfallen.
37
Wollte man in einem solchen Fall Kostenunterdeckungen innerhalb des einen
Optionstarifs mit Kostenüberschreitungen in anderen Varianten der "Aktiv-Plus"-
Tarifgruppe verrechnen und die Abschlagsprüfung auf die gesamte Tarifgrupppe
beziehen, so entspräche dies nicht den in § 27 Abs. 1 Nr. 1 TKG enthaltenen
regulierungsrechtlichen Vorgaben. Denn danach erfolgt die Einzelgenehmigung auf der
Grundlage der auf die "einzelne" Dienstleistung entfallenden Kosten. Dementsprechend
hat gemäß § 2 Abs. 1 TEntgV das beantragende Unternehmen die Kostenunterlagen für
die "jeweilige" Dienstleistung vorzulegen. Diese ist nach § 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 TKG
auch Bezugspunkt der Gemeinkostenzuordnung.
38
Somit handelt es sich bei den Varianten der "Aktiv-Plus"-Tarifgruppe ("AktivPlus",
"AktivPlus xxl (neu)", "AktivPlus basis", "AktivPlus basis calltime 120" ) nicht um bloße
Differenzierungen innerhalb eines einzelgenehmigungsfähigen Entgelts (vgl. § 2 Abs. 1
Nr. 6 TEntgV ). Vielmehr liegt diesen Varianten jeweils eine eigenständige Leistung
zugrunde. Das gilt nicht nur für diejenigen Tarife, welche zusätzlich Verbindungen zu
Mobilfunknetzen und Auslandsverbindungen (so "AktivPlus") beinhalten oder neben
diesen Optionen unentgeltlichen Sprachtelefondienst an Wochenenden und
Verbindungen zu Online-Diensten (so "AktivPlus xxl (neu)") umfassen, sondern auch für
die auf City- und Deutschlandverbindungen beschränkten Tarife "AktivPlus basis" und
39
"AktivPlus basis calltime 120". Dass auch hier ein Leistungsunterschied besteht, ergibt
sich daraus, dass bei "AktivPlus basis calltime 120" erst ab der 121. Minute ein
Verbindungspreis berechnet wird. Diese Besonderheit grenzt aus Nachfragersicht die
Leistungen (City- und Deutschlandverbindungen) sachlich gegeneinander ab, so dass
die Beigeladene gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 TKV zu deren gesonderter Aufführung und
Tarifierung verpflichtet ist. Dementsprechend sind auch die jeweiligen "AktivPlus"-
Genehmigungsanträge der Beigeladenen von der RegTP mit selbständigen Bescheiden
genehmigt oder sonstwie beschieden worden.
1.3 Ist somit bei der Kostenbeurteilung des Freiminuten-Kontingents von einem
monatlichen Engelt in Höhe von - nur - 1,47 EUR (netto) auszugehen und setzt man
entsprechend der an den Antragsangaben der Beigeladenen (BA I, 7) orientierten
Berechnungsweise der RegTP (Bescheid S. 15) nicht 120, sondern unter
Berücksichtigung der mittleren Gesprächsdauer der "AktivPlus basis"-Kunden und der
Minutentaktung nur 108,3 Freiminuten an, so errechnet sich für das Kontingent ein
Verbindungsentgelt von 0,0136 EUR (netto) je Minute. Dieses beläuft sich - bezogen auf
die kostenintensivste Verbindungszeit (montags bis freitags von 7.00 bis 18.00 Uhr) - bei
den Deutschlandverbindungen auf 34,3 Prozent der entsprechenden
verbrauchsabhängigen Tarife von "AktivPlus basis" und "AktivPlus basis calltime 120".
Das bedeutet, dass bei ausschließlicher Verwendung des Freiminuten- Kontingents auf
die teuerste Deutschlandverbindung die Kostendeckungsschwelle (0,0314 EUR/Min.)
um 65,7 Prozentpunkte unterschritten wird.
40
Zwar ist durchaus denkbar, dass es nicht immer zu einer maximalen Ausnutzung des
Freiminuten-Kontingents durch alle Tarifkunden kommt. Doch ist nichts dafür
vorgetragen oder sonstwie erkennbar, dass sich der Anteil der Kunden, die das von
ihnen im Voraus bezahlte Freiminuten-Kontingent nicht in vollem oder maximalem
Umfange ausnutzen, aufgrund allgemein anerkannter Methodik einigermaßen genau
voraussagen ließe. Abgesehen davon ist nach der Lebenserfahrung gerade hier von
einer maximalen Ausnutzung auszugehen, weil der Tarif nur für solche Kunden Sinn
macht, die besonders preissensibel (so die Formulierung der Beigeladenen im
Entgeltantrag) sind und die sich deshalb den vorgeleisteten höheren Grundpreis durch
billigere Telefonate auch tatsächlich wieder "einspielen" wollen und können.
41
2. Der dargestellte Abschlag beim Freiminuten-Kontingent beeinträchtigt die
Wettbewerbsmöglichkeiten des Unternehmens der Antragstellerin auf einem Markt der
Telekommunikation.
42
Eine derartige Beeinträchtigung, die als selbständige Tatbestandsvoraussetzung des §
24 Abs. 2 Nr. 2 TKG unabhängig von dem weiteren Erfordernis fehlender sachlicher
Rechtfertigung zu prüfen ist, liegt schon bei jeder für ein anderes Unternehmen
wettbewerblich nachteiligen Maßnahme vor,
43
vgl.: Bechtold, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 2. Aufl., § 19
Rn. 62; Schuster/Stürmer, in Beck`scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., Rn. 42 zu § 24;
ähnlich: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Rn. 21, 22 zu § 24;
Möschel, in Immenga/Mestmäcker, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, 3.
Aufl., Rn. 112 zu § 19 GWB; Spoerr, in Trute/Spoerr/Bosch, Telekommunikationsgesetz
mit FTEG, Rn. 72 zu § 24; Witte, in Scheurle/Mayen, Telekommunikationsgesetz, Rn. 92
zu § 24.
44
Dabei kommt es weder auf die Verfolgung wettbewerbsfremder oder sonstiger zu
missbilligender Zwecke
45
vgl.: Schuster/Stürmer, a.a.O.; Spoerr, a.a.O.,
46
noch darauf an, ob die Beeinträchtigung in erheblicher Weise erfolgt. In Abweichung
von § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB hat der TKG-Gesetzgeber auf das Erheblichkeitskriterium
bewusst verzichtet, um wegen der spezifischen Struktur des
Telekommunikationsmarktes nicht nur den Marktzutritt neuer Unternehmen zu
ermöglichen, sondern um auch ihre Wettbewerbsmöglichkeiten besonders zu schützen,
47
so: Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drs. 13/3609, S. 43 (zu § 23 Abs. 2).
48
Für die Antragstellerin ist der Abschlag beim Freiminuten-Kontingent wettbewerblich
nachteilig, weil er die maßgebliche Kostengrenze nicht nur geringfügig, sondern - wie
oben dargelegt - in großem Umfange unterschreitet. Um der Beigeladenen Marktanteile
bei Deutschlandverbindungen abgewinnen oder einen Verlust von erworbenen
Marktanteilen verhindern zu können, ist die Antragstellerin gezwungen, ihre Angebote
ebenso weit, wenn nicht sogar noch weiter unterhalb der Kostendeckungsschwelle zu
tarifieren. Der wettbewerbliche Nachteil liegt in einem derart krassen Fall auf der Hand.
Davon geht auch die RegTP aus, wenn sie ausführt (Bescheid S. 19), es mache für den
Kunden keinen Sinn, die vom Freiminuten- Kontigent erfassten Verbindungsleistungen
über einen anderen Anbieter zu beziehen. Wie das Bundeskartellamt in seiner
Stellungnahme vom 29.08.2003 ausgeführt hat, geht von Freiminuten-Kontingenten
zudem ein besonders hoher, sogar kartellrechtlich bedenklicher Anreiz aus,
49
kritisch auch: Monopolkommission, Wettbewerbsentwicklung bei Telekommunikation
und Post 2001: Unsicherheit und Stillstand, S. 130.
50
Denn der Kunde wird diese Vergünstigung vollständig ausnutzen wollen und somit
mangels leichter Erkennbarkeit der Kontingentgrenze sicherheitshalber oder aus
Bequemlichkeit weiter die Verbindungsleistungen der Beigeladenen in Anspruch
nehmen, statt über andere Anbieter im Wege des Call by call zu telefonieren.
51
Die mit der Anreiz- und Sogwirkung verbundene Wettbewerbsbenachteiligung wird
auch nicht durch die Einführung der Carrier Selection im Ortsbereich infolge der
Änderung des § 43 Abs. 6 TKG (Art. 2 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des
Telekommunikationsgesetzes vom 21.10.2002, BGBl. I 4186) ausgeglichen. Die
wettbewerbsfördernden Möglichkeiten, die sich aus dieser Änderung ergeben, haben
rechtlich nichts mit der hier allein maßgeblichen Frage der
Wettbewerberbenachteiligung durch Preisdumping zu tun. Abgesehen davon erfasst
diese Gesetzesänderung nur den Call by call-Sektor im Ortnetz, wohingegen der für den
Kunden attraktive Teil des in Rede stehenden Freiminuten-Kontingents die
Deutschlandverbindungen betrifft.
52
Schließlich ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, dass die Antragstellerin
selbst seit dem 01.04.2003 einen Optionstarif ("B. Preselect 760") mit einem 120-
minütigen Freikontingent anbietet. Denn zum einen beschränkt sich dieses Kontingent
auf die Citygesprächszone; zum anderen kommt es für die Frage der wettbewerblichen
Benachteiligung nicht auf das Freiminuten-Kontingent als solches, sondern darauf an,
dass es von der Beigeladenenen - weit - unterhalb der Kostendeckungsschwelle
53
angeboten wird.
3. Ein sachlich gerechtfertigter Grund ist nicht nachgewiesen.
54
Die Beigeladene hat in ihrem Entgeltantrag das Freiminuten-Kontingent mit dem
Vorhandensein ähnlicher Angebote in den USA, Großbritannien und Frankreich sowie
einem entsprechenden Kundenbedürfnis auf dem nationalen Markt begründet. Das stellt
aber schon vom Ansatz her keine Rechtfertigung für ein nicht kostendeckendes Tarif-
angebot dar.
55
Ebenso wenig kann zur Begründung herangezogen werden, dass es sich um ein
Angebot für besonders preissensible Kunden handele. Diese Erwägung mag
kaufmänischen Maßstäben entsprechen, doch genügt sie nicht den
regulierungsrechtlichen Anforderungen. Anderenfalls könnte die gesetzlich gebotene
Orientierung am Maßstab der Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung (§ 24 Abs. 1
TKG) und damit der Schutz der Wettbewerber des Marktbeherrschers leicht unterlaufen
werden,
56
vgl. auch: VG Köln, Beschluss vom 09.11.1999 - 1 L 1213/99 -.
57
Das Interesse der Endkunden an niedrigen Preisen ist nicht vorrangig gegenüber dem
in § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG normierten gesetzlichen Ziel der Regulierung, einen
chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerb auf den Märkten der
Telekommunikation sicherzustellen. Erst wenn solche Märkte als Ergebnis der
Regulierung tatsächlich existieren, sind die Grundlagen für ein möglichst nachhaltiges
niedriges Preisniveau gelegt.
58
4. Schließlich war die Verletzung der Anforderungen des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG im
maßgeblichen Zeitpunkt offenkundig.
59
Dieses Tatbestandsmerkmal ist erfüllt, wenn die Verletzung - schon - im Rahmen einer
Plausibilitätsprüfung erkennbar ist,
60
so: Begründung des Gesetzentwurfs: BT-Drs. 13/3609, S. 44 (zu § 26 Abs. 3)
61
Dies ist hier der Fall. Denn der sich aufdrängende Vergleich zwischen den Tarifen
"AktivPlus basis calltime 120" und "AktivPlus basis" sowie der Umstand, dass Letzterer
bestandskräftig genehmigt ist, lassen - wie oben dargelegt - das Vorliegen eines
Abschlags sowie die davon ausgehende wettbewerbliche Benachteiligung der
Antragstellerin ohne weiteres, d.h. ohne Durchführung weiterer Ermittlungen und ohne
Beantwortung schwieriger Rechtsfragen, deutlich erkennen.
62
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob die Genehmigung des Tarifs
"AktivPlus basis calltime 120" Rechte der Antragstellerin auch wegen Verstoßes gegen
die §§ 19 Abs. 4 Nr. 1 und 20 Abs. 1 GWB oder gegen Art. 82 EGV verletzt.
63
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1 und 3, 159 Satz 1, 162 Abs.
3 VwGO.
64
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG, wobei die
Kammer berücksichtigt, dass die Aussetzung der Vollziehbarkeit der Genehmigung
65
faktisch auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft.