Urteil des VG Köln vom 17.02.2004

VG Köln: cannabis, verkehr mit betäubungsmitteln, körperliche unversehrtheit, öffentliches interesse, schutz der gesundheit, marihuana, multiple sklerose, verschlechterung des gesundheitszustandes

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 8135/02
Datum:
17.02.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 8135/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Voll- streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Berufung wird hinsichtlich des Klageantrages zu I. zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Der seit 1981 an Morbus Crohn erkrankte Kläger begehrt mit der Klage die be-
täubungsmittelrechtliche Erlaubnis, Cannabis/Marihuana zum Zweck der Selbstthe-
rapie seiner Krankheit anbauen bzw. erwerben zu dürfen. Bei der Krankheit des Klä-
gers handelt es sich um eine chronische, in Schüben verlaufende, entzündliche
Krankheit des Magen-Darm-Traktes, die bei dem Kläger nach wiederholten Kranken-
hausaufenthalten und längeren Phasen der Arbeitsunfähigkeit eine Frühverrentung im
Jahr 1993 zur Folge hatte. Seit dem Jahr 1996 führte der Kläger eine Eigenthera- pie in
Form des Rauchens von Marihuana und der Anwendung von Sitzbädern mit
Cannabisblättern durch, die nach seinem eigenen Bekunden zu einer deutlichen Lin-
derung seiner Beschwerden führte. Eine Besserung des Krankheitsbildes wurde von
den behandelnden Ärzten bestätigt. Die Cannabis-Pflanzen zog der Kläger selbst in
seiner Wohnung. Am 17.05.2000 wurde die Pflanzung beschlagnahmt und der Klä- ger
wurde vor dem Amtsgericht U. wegen des unerlaubten Besitzes von Betäu-
bungsmitteln in nicht geringen Mengen angeklagt, AZ.: (283/268) 4 Op Js 1431/00 Ls
(168/00).
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Am 14. Februar 2001 beantragte der Kläger beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM), ihm gemäß § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)
die Erlaubnis zu erteilen, zum Zweck der Medikation, Selbstmedikation und der
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Herstellung medizinischer Bäder Cannabis anzubauen und Cannabis (Marihua- na) und
Hanfsamen bzw. Hanfstecklinge einzuführen, zu erwerben, sich auf sonstige Weise zu
verschaffen und zu besitzen. Ferner begehrte er von der Behörde eine Reihe von
Auskünften und Feststellungen, die eine legale Verwendung von Cannabis und
Cannabisprodukten zur Behandlung seiner Krankheit ermöglichen sollen. Schließlich
stellte er eine Reihe von Hilfsanträ- gen.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Er sei seit 1981 an Morbus Crohn
erkrankt. In gewissen Abständen träten Krankheitsschübe auf, bei denen er
insbesondere unter krampfartigen schmerzhaften Durchfällen, Erbrechen und damit
einhergehender erheblicher Gewichtsabnahme leide. Ferner habe die Krankheit zur
Bildung schmerzhafter Fisteln im Analbereich mit der Folge einer dauerhaften Schä-
digung des Analbereiches geführt. Cannabisprodukte übten bei seiner Erkrankung sehr
gute zusätzliche therapeutische Wirkungen aus, die nur durch Cannabis und nicht durch
andere Medikamente erzielt werden könnten. Die Verordnung von Can-
nabis/Marihuana sei für ihn medizinisch indiziert. Dies folge aus ärztlichen Attesten der
behandelnden Ärzte Dr. A. vom 08.02.2001, Dr. O. vom 29.11.2000, T. vom 05.02.2001
und einem Sachverständigengutachten von Dr. H. vom 02.02.2001.
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Durch Bescheid vom 17. Mai 2001 lehnte das BfArM die Erteilung der Erlaubnis ab und
trug zur Begründung unter anderem vor: Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG
seien nicht erfüllt, da die Erlaubnis weder zu wissenschaftlichen noch zu ande- ren im
öffentlichen Interesse liegenden Zwecken begehrt werde. Die medizinische Versorgung
eines einzelnen Patienten sei kein wissenschaftlicher Zweck. Es würden auch keine
anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke erfüllt.
5
Zwar sei die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung ein öffentli- ches
Interesse und die Behandlung der Symptome des Antragstellers mit Cannabis könne
dieses öffentliche Interesse begründen. Dies setze jedoch voraus, dass Can- nabis
nachweislich ein wirksames Medikament für die Behandlung der Symptome des Morbus
Crohn sei und keine anderen wirksamen Arzneimittel zur Verfügung stünden. Klinische
Untersuchungen mit Marihuana oder anderen THC-haltigen Zube- reitungen im Sinne
eines schlüssigen Wirksamkeitsnachweises lägen für die Indikati- on Morbus Crohn
nicht vor. Bekannte Cannabiswirkungen auf die Symptome krampfartige Schmerzen,
Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, eventuell auch Ent- zündungsaktivität könnten
zwar im Einzelfall des Klägers zu der beschriebenen Bes- serung des Krankheitsbildes
geführt haben, seien jedoch nicht ausreichend durch wissenschaftliche
Veröffentlichungen gestützt. Aufgrund der bisherigen Datenlage sei davon auszugehen,
dass die beschriebenen Wirkungen des inhalierten und lokal angewandten Cannabis
auch durch eine verschreibungsfähige THC-haltige Rezeptur (Marinol oder Dronabinol),
die den Hauptwirkstoff von Cannabis sativa L. enthalte, zu erreichen sei.
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Weiterhin erhob das BfArM für den Ablehnungsbescheid eine Gebühr von 100 DM
gemäß § 7 Abs. 2 Betäubungsmittelkostenverordnung.
7
Gegen den ablehnenden Bescheid erhob der Kläger am 19.06.2001 Widerspruch und
wies darauf hin, dass seine Auskunfts- und Feststellungsanträge sowie die Hilfsanträge
noch nicht beschieden seien. Bei den Ermessenserwägungen der Beklagten sei nicht
berücksichtigt worden, dass es im Fall des Anbaus zur Selbstversorgung zu keinem
nennenswerten Betäubungsmittelverkehr kommen werde, soweit dieser gegen den
Zugriff Dritter gesichert werde.
8
Die Beklagte sei nicht berechtigt, den Kläger auf andere Therapieformen, insbesondere
einen Therapieversuch mit Dronabinol zu verweisen, da durch dieses Vorgehen in die
Therapiefreiheit des Klägers und seines Arztes eingegriffen werde. Dronabinol sei für
die Indikation "Morbus Crohn" nicht zugelassen. Es könne dem Kläger nicht zugemutet
werden, anstelle des erfolgreich getesteten Cannabis einen Therapieversuch mit
Dronabinol zu unternehmen, da dies mit gesundheitlichen und ökonomischen Risiken
verknüpft sei. Es sei unwahrscheinlich, dass die Krankenkasse die Kosten des für
Morbus Crohn nicht indizierten Dronabinol übernehmen werde.
9
Schließlich fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung, da der Kläger
keine Betriebsstätte unterhalte.
10
Durch Widerspruchsbescheid vom 20. August 2002 wies das BfArM den Widerspruch
zurück. Zur Zumutbarkeit eines Therapieversuchs mit Dronabinol führte es aus, ein
schlüssiger Wirksamkeitsnachweis zur Anwendung bei Morbus Crohn liege weder für
Dronabinol noch für Cannabisextrakt vor. Zumindest sei bei Dronabinol die
appetitsteigernde Wirkung in einer klinischen Studie überprüft und von Seiten der US-
amerikanischen Zulassungsbehörde als ausreichend eingestuft worden. Da es
plausibel sei, Cannabisextrakt und Dronabinol hinsichtlich der Wirksamkeit bzw.
Unwirksamkeit als vergleichbar einzustufen, erscheine das gesundheitliche Risiko bei
der Einnahme eines importierten Fertigarzneimittels bzw. einer in einer Apotheke
zubereiteten standardisierten Zubereitung geringer als bei Einnahme eines nicht
standardisierten Naturproduktes, das keine gleichbleibende Qualität aufweise.
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Zur Erteilung der vom Kläger begehrten Auskünfte sei die Beklagte nicht verpflichtet, da
sich ein Auskunftsanspruch weder aus speziellen Vorschriften noch aus allgemeinen
Grundsätzen herleiten lasse.
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Die Hilfsanträge seien teilweise wegen Fehlens der Antragsbefugnis des Klägers
teilweise wegen der Subsidiarität der erbetenen Feststellungen unzulässig.
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Ferner wurde für die Entscheidung über den Widerspruch eine weitere Gebühr in Höhe
von 51,13 EUR gemäß § 7 Abs. 3 Betäubungsmittelkostenverordnung (BtMKostV)
festgesetzt.
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Mit seiner am 25.09.2002 erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verpflichtung der
Beklagten, in einer Erlaubnis gemäß § 3 Abs. 2 BtMG festzustellen, dass er berechtigt
sei, jederzeit Cannabis/Marihuana zum Zwecke der Selbstmedikation bis zu einem
Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC zu besitzen und seinen Antrag, den Anbau, die
Einfuhr sowie den Erwerb von Cannabis/Marihuana sowie von Hanfsamen zu
genehmigen, erneut zu bescheiden. Weiterhin begehrt der Kläger festzustellen, dass er
berechtigt ist, sich im Rahmen eines ärztlichen Behandlungsverhältnisses
Cannabis/Marihuana verschreiben, verordnen, verabreichen und anwenden zu lassen
oder zum Gebrauch überlassen zu erhalten.
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Zur Begründung trägt sein Prozessbevollmächtigter ergänzend im Wesentlichen vor:
Ausweislich des Privatgutachtens von Dr. H. entspreche die Anwendung von
Cannabis/Marihuana zu therapeutischen Zwecken dem Stand der wissenschaftli- chen
Forschung. Jedenfalls könne ein Heilversuch bei Patienten, die an Morbus Crohn
erkrankt seien, indiziert sein. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit § 3 BtMG
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ergebe sich ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis . Zum öffentlichen Interesse sei
auch die Wahrung des grundgesetzlich geschützten Individualinteresses zu rechnen. Es
liege im öffentlichen Interesse, die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen, Art. 2 Abs.
2 S. 1 GG, sowie dessen Therapiefreiheit (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 S.
1 GG) zu wahren. Es sei Gegenstand des Kerns des Persönlichkeitsrechts, selbst zu
entscheiden, welche Maßnahmen der Kläger zur Heilung und Linderung seiner
Krankheiten ergreife.
Abgesehen davon bestehe auch ein wissenschaftliches Interesse an der
Erlaubniserteilung. Zu den wissenschaftlichen Methoden gehörten auch
Einzelfallstudien. Der Kläger sei bereit, Erfolg oder Misserfolg zu dokumentieren oder
dokumentieren zu lassen.
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Weiterhin trage die Erlaubnis dazu bei, die notwendige medizinische Versorgung der
Bevölkerung sicher zu stellen, und liege daher im öffentlichen Interesse. Eine Erlaubnis
für den Kläger habe zur Folge, dass auch das Angebot von Cannabis/Marihuana
erlaubnisfähig sei. Dies wiederum diene der notwendigen medizinischen Versorgung
der Bevölkerung. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten sei auch
ermessensfehlerhaft, da sie verkenne, dass § 3 BtMG in verfassungskonformer
Auslegung einen Individualanspruch aufgrund eines individuellen Interesses gebe. Die
hilfsweisen Ermessenserwägungen der Beklagten seien auch deshalb rechtsfehlerhaft,
weil eine ordnungsgemäße Abwägung zwischen dem Interesse an der Erteilung der
Erlaubnis und dem Mißbrauchsrisiko nicht vorgenommen worden sei. Abgesehen davon
könne das Mißbrauchsrisiko auch durch Auflagen minimiert werden.
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Der Kläger könne auch deshalb nicht auf Dronabinol verwiesen werden, weil dies in die
Therapiefreiheit von Arzt und Patient eingreife und es nahe liege, dass ein Gemisch von
einer Vielzahl von Wirkstoffen anders wirke als ein einzelner Wirkstoff. Auch die
Erwägungen der Beklagten zu § 5 Abs. 6 BtMG seien ermessensfehlerhaft. Es sei nicht
erforderlich, dass der medizinische oder wissenschaftliche Zweck der begehrten
Erlaubnis gleichlautend mit der Zielrichtung des Gesetzes sei, einen Missbrauch bzw.
das Entstehen einer Abhängigkeit auszuschließen. Die Beklagte habe nur zu prüfen, ob
im Einzelfall den Gründen, die für die Erteilung der Erlaubnis sprächen, hier eine
aussichtsreiche Therapie, ein größeres Gewicht zukomme als den Gefahren eines
Missbrauchs.
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Ermessensfehlerhaft sei auch, dass die Beklagte nicht geprüft habe, ob die Empfehlung
durch den behandelnden Arzt oder den Privatgutachter, Cannabis/Marihuana arzneilich
zu verwenden, nicht gleichbedeutend mit einer "medical prescription" im Sinne des Art.
30 des Einheitsübereinkommens sei. Es sei davon auszugehen, dass es sich dabei um
einen anderen Begriff als in § 13 Abs. 1 Satz 3 BtMG handele. Die ärztliche Empfehlung
von Marihuana könne daher eine "medical prescription" im Sinne des Völkerrechts sein,
ohne eine Verschreibung im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 BtMG zu sein. In den USA
werde eine ärztliche Abgabe von Cannabis als "medical prescription" trotz
Verschreibungsverbotes praktiziert. Art. 30 Abs. 2 B) des Einheitsübereinkommens
stehe daher einer Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BtMG nicht entgegen. Jedenfalls werde
hierdurch eine Selbstmedikation mit Cannabis nicht ausgeschlossen.
20
Abgesehen davon bestehe hinsichtlich des Anbaus von Cannabis/Marihuana in der
eigenen Wohnung keine Regelungskompetenz des Bundes, weil der
Betäubungsmittelverkehr dadurch nicht tangiert sei. Dies folge aus der
21
Frischzellenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Abgesehen davon sei
Hanfsamen kein Betäubungsmittel, so dass auch durch die Aufnahme von Hanfsamen
in die Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz die Regelungskompetenz des Bundes
überschritten sei. Hinsichtlich der Einfuhr sei eine von den niederländischen Behörden
geduldete Be- schaffung bei der Institution " Stichting of Medical Marijana" beabsichtigt.
Der Erwerb solle in erster Linie bei Personen und Institutionen erfolgen, die eine
Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG hätten oder gemäß § 4 BtMG einer solchen Erlaubnis
nicht bedürften. Der Antrag, sich Marihuana auf sonstige Weise zu verschaffen, ziele
darauf ab, sich Cannabis/Marihuana im Wege der ärztlichen Anwendung zu
verschaffen. Dies sei im Wege der Auslegung des § 13 BtMG möglich. Die Erlaubnis
könne unter der Auflage erteilt werden, dass dem behandelnden Arzt eine
entsprechende Erlaubnis der Beklagten vorliege. Die mit der Feststellungsklage
begehrte Feststellung solle es dem Kläger ermöglichen, darauf hinzuwirken, dass ein
Arzt einen korrespondierenden Erlaubnisantrag beim BfArM stellen könne. Falls das
Gericht davon ausgehe, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG
nicht erfüllt seien, werde angeregt, dem Bundesverfassungsgericht die Sache zur
Entscheidung vorzulegen, da dann die Aufnahme von Cannabis/Marihuana in die
Anlage I zum BtMG verfassungswidrig sei.
Die Gebührenerhebung sei rechtswidrig, da der Kläger nicht über eine Betriebsstätte im
Sinne der Gebührenregelung verfüge, da er nicht beabsichtige, Einkünfte zu erzielen.
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In dem vor dem Amtsgericht U. geführten Strafverfahren wurde ein
Sachverständigengutachten zur Frage der Wirksamkeit von Cannabis bzw. THC auf die
Erkrankung des Klägers durch Prof. Dr. S. (Universitätsklinikum C. ) unter dem
03.06.2003 erstellt. Ferner wurden Prof. S. sowie der Privatgutachter Dr. H. in der
mündlichen Verhandlung vom 27.11.2003 als Sachverständige vernommen. Das
Sachverständigengutachten von Prof. S. und das Protokoll der Hauptverhandlung
wurden beigezogen. Der Kläger wurde durch Urteil vom 27.11.2003 des unerlaubten
Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und unter
Vorbehalt einer Geldstrafe ver- warnt.
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Der Kläger beantragt,
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I. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Mai 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. August 2002 zu ver- pflichten,
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1. dem Kläger die Erlaubnis zu erteilen, jederzeit Cannabis/Marihuana zum Zwecke der
Selbstmedikation in der Menge bis zu einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC zu
besitzen,
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2. den Antrag des Klägers, ihm die Erlaubnis zu erteilen,
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Cannabis/Marihuana zum Zwecke der Selbstmedikation
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a) anbauen, b) einführen, c) erwerben, d) sich auf sonstige Weise zu verschaffen zu
dürfen
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sowie Hanfsamen in angemessenem Umfang zum Zwecke des zu genehmigenden
Anbaus erwerben, einführen oder sich auf sonstige Weise verschaffen zu dürfen,
30
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
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II. festzustellen, dass er berechtigt ist, sich im Rahmen eines ärztlichen
Behandlungsverhältnisses Cannabis/Marihuana verschreiben, verordnen, verabreichen
und anwenden zu lassen oder zum unmittelbaren oder mittelbaren Gebrauch
überlassen zu erhalten,
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III. die Gebührenfestsetzung im Bescheid vom 16. Mai 2001 und im Wider-
spruchsbescheid vom 20.08.2002 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den
angefochtenen Bescheiden und führt ergänzend aus, das öffentliche Interesse im Sinne
des § 3 Abs. 2 BtMG sei nicht gegeben, weil eine Ausstrahlungswirkung auf die
medizinische Versorgung der Bevölkerung durch die beantragte Erlaubnis nicht
gegeben sei, wenn es um die Therapie einer Einzelperson gehen. Dem stehe auch
nicht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2001 entgegen, da
das Bundesverfassungsgericht konkludent davon ausgehe, die medizinische
Versorgung der Bevölkerung sei nur dann betroffen, wenn die Therapie einer
individualisierbaren Gruppe von Betroffenen zu Gute komme. Angesichts der bisher
fehlenden wissenschaftlichen Basis einer Cannabistherapie bei Morbus Crohn
erscheine es darüber hinaus fraglich, ob die Behandlung des Morbus Crohn mit
Cannabis als medizinische Versorgung im vorgenannten Sinn aufzufassen sei.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten weiter vertiefend
vorgetragen, das individuelle Interesse des Klägers an der Durchführung eines
Heilversuchs mit Cannabis könne ein öffentliches Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2
BtMG auch deshalb nicht begründen, weil dieser Heilversuch nicht reproduzierbar sei.
Es fehle sowohl an der Verwendung eines Produktes von definierter pharmazeutischer
Qualität als auch an einem wissenschaftlichen Versuchsaufbau einschließlich
Dokumentation und Auswertung. Die Ergebnisse des Heilversuchs hätten daher keinen
Nutzen für die Allgemeinheit.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM sowie die seitens des
Amtsgerichts U. übersandten Unterlagen des Verfahrens (283268) 4 Op Js 1431/00 Ls
(168/00) Bezug genommen.
38
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
39
Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
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Sie ist hinsichtlich der Klageanträge zu I. und zu III. unbegründet. Der Bescheid der
Beklagten vom 16. Mai 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.
August 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs.
5 VwGO.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis zum Besitz von
42
Cannabis/Marihuana bzw. auf Neubescheidung seines Antrages auf Erteilung der
Erlaubnis, Cannabis oder Hanfsamen anzubauen, einzuführen, zu erwerben oder sich
in sonstiger Weise zu verschaffen. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 3 Abs. 2 in
Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln
(Betäubungsmittelgesetz - BtMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März
1994 (BGBl. I, 358), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.06.2002 (BGBl. I 2261) in
Betracht. Danach bedarf einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM), wer Betäubungsmittel anbauen oder, ohne mit ihnen Handel
zu treiben, einführen oder erwerben will, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Eine Erlaubnis für die in
Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das BfArM nur ausnahmsweise zu
wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen,
§ 3 Abs. 2 BtMG. Da Pflanzen und Pflanzenteile von Cannabis/Marihuana sowie deren
Samen, sofern er zu unerlaubtem Anbau bestimmt ist, in der Anlage I (zu § 1 Abs. 1
BtMG) als Betäubungsmittel aufgeführt sind, kann die Erlaubnis nur ausnahmsweise bei
Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG gewährt werden.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der vom Kläger erstrebte Anbau oder Erwerb
von Cannabis zum Zweck der Selbstmedikation erfüllt weder einen wissenschaftlichen
noch einen anderen im öffentlichen Interesse dienenden Zweck.
43
Ein wissenschaftlicher Zweck ist gegeben, wenn die Verwendung des
Betäubungsmittels im Rahmen eines nach Inhalt und Form ernsthaften, planmäßigen
Versuchs zur Ermittlung von Erkenntnissen erfolgen soll,
44
vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Aufl. 2001, § 3 Rn. 37;
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 -
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 35, 79, 113.
45
Die Annahme eines wissenschaftlichen Versuchs setzt demnach im Einzelnen voraus,
dass dieser von fachkompetenten, wissenschaftlich erfahrenen Personen mit einer
bestimmten wissenschaftlichen Fragestellung nach einem bestimmten Plan und unter
Verwendung wissenschaftlich anerkannter Methoden durchgeführt, dokumentiert,
kontrolliert, ausgewertet und vermittelt wird,
46
vgl. Körner Betäubungsmittelgesetz, a.a.O., § 3 Rn. 40 ff.
47
Ein Selbstversuch des Klägers genügt diesen Anforderungen nicht. Die Beklagte hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Kläger eingesetzten Cannabispflanzen
kein Produkt von definierter pharmazeutischer Qualität sind und dass es an einem
wissenschaftlichen Versuchsaufbau fehlt, die Ergebnisse also nicht reproduzierbar sind
und folglich keinen wissenschaftlichen Nutzen haben. Schließlich fehlt auch die gemäß
§ 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erforderliche Sachkenntnis bzw.
wissenschaftliche Qualifikation des Klägers.
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Es ist auch nicht ausreichend, dass der Kläger sich für wissenschaftliche Forschung zur
Verfügung stellt. Denn die Erlaubnis kann nur für ein bereits konzipiertes
Forschungsprojekt, dass einer Prüfung unterzogen werden kann, erteilt werden, vgl. § 7
Nr. 8 BtMG. In diesem Fall stünde die Antragsbefugnis auch nicht dem Kläger als
Teilnehmer des Versuchs, sondern dem Träger des Forschungsprojektes zu.
49
Die vom Kläger beabsichtigte Nutzung des Cannabis zum Zweck der Selbsttherapie
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seiner Krankheit erfüllt auch keinen anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck.
Vielmehr handelt es sich dabei um einen Zweck, der ausschließlich dem individuellen
Interesse des Klägers dient.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss, mit dem eine
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde, darauf
hingewiesen, dass auch die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung, die
als Gesetzeszweck in der Regelung der Versagungsgründe unter § 5 Abs. 1Nr. 6 BtMG
genannt wird, ein öffentlicher Zweck ist, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis
gemäß § 3 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann,
51
vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.01.2000 - 2 BvR 2382-2389/99 - , NJW 2000, 3126.
52
Daraus folgt jedoch nicht, dass eine therapeutische Anwendung des Betäubungsmittels
bei einer einzelnen Person bereits der medizinischen Versorgung der Bevölkerung
dient. Ein öffentliches Interesse ist gegeben, wenn das Vorhaben zumindest auch einem
gegenwärtigen Anliegen der Allgemeinheit entspricht,
53
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - NJW
2001, 1365 . Die Therapie einer einzelnen Person dient nur der Gesundheit des
jeweiligen An- tragstellers und damit einem individuellen, aber keinem öffentlichen
Anliegen. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass dieser sich möglicherweise auf
den Schutz seiner Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2
Grundgesetz (GG) und auf freie Wahl seiner Behandlungsmethode im Rahmen der
allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann. Ansonsten läge die
Erfüllung der grundrechtlich geschützten Interessen eines Einzelnen immer gleichzeitig
im öffentlichen Interesse und die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten
Interessen wäre weitgehend obsolet.
54
Dieses Ergebnis wird durch die in § 13 Abs. 1 BtMG getroffene Regelung bestätigt.
Diese Vorschrift regelt die Möglichkeiten der Behandlung eines einzelnen Patienten mit
Betäubungsmitteln durch den Arzt und verbietet eine Behandlung mit Betäubungsmitteln
der Anlage I und II. Eine Ausnahme ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Eine Erlaubnis
nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Einsatz von Betäubungsmitteln zu therapeutischen Zwecken
erscheint daher nach der Systematik des Gesetzes nur möglich, wenn der Antragsteller
eine vom Regelungszweck des § 13 Abs. 1 BtMG nicht erfasste Besonderheit, also ein
über das private Behandlungsinteresse hinausgehendes, allgemeines und damit
öffentliches Interesse geltend machen kann.
55
Sähe man dies wegen der möglichen Heilwirkung von Cannabis anders, würde die
Konzeption des Betäubungsmittelgesetzes unterlaufen, nach dem die Betäubungsmittel
nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit unter die verschiedenen Anlagen eingestuft sind und
dementsprechend entweder nicht verkehrs- und nicht verschreibungsfähig (Anlage I),
verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig (Anlage II) oder verkehrsfähig und
verschreibungsfähig (Anlage III) sind. Der Einzelne könnte allein zum Zweck seiner
Behandlung ein Betäubungsmittel, für welches ein absolutes Verschreibungsverbot
besteht, durch Erlaubnis des BfArM erhalten. Er würde damit nicht der Verschreibungs-
und Überwachungspflicht des Arztes unterliegen, welche der Gesetzgeber für
Betäubungsmittel mit einem wesentlich geringeren Gefährdungspotential, nämlich für
die in Anlage III aufgenommenen Mittel, in § 13 BtMG vorgesehen und strengen
Prüfungsan- forderungen unterworfen hat. Die zum Schutz der Allgemeinheit wie des
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Einzelnen vorgesehenen Kontrollfunktionen würden so umgangen.
Ein über das private Behandlungsinteresse des Klägers hinausgehendes Anliegen der
Allgemeinheit ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere kann eine mögliche Vorbildwirkung
der Erlaubnis für andere Patienten, die Cannabis ebenfalls zu Therapiezwecken
einsetzen wollen, nicht zu der Annahme führen, dass die medizinische Versorgung der
Bevölkerung tangiert sei und die Erteilung der Erlaubnis rechtfertige.
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Vielmehr zeigt die Bedeutung der begehrten Erlaubnis für eine unbegrenzte Anzahl von
kranken Menschen, dass eine Zulassung von Cannabis als Heilmittel nicht im Wege
einer Ausnahmeentscheidung nach § 3 Abs. 2 getroffen werden kann, sondern eine
allgemeine Regelung durch Umstufung des Betäubungsmittels aus der Anlage I in die
Anlage III erfordert. Da die Verwendung von Cannabis/Marihuana zur Behandlung der
Symptome einer Reihe von Erkrankungen diskutiert und erforscht wird (z. B. HIV,
Multiple Sklerose, Krebserkrankungen, verschiedene Schmerzzustände), käme eine
Vielzahl von Erkrankten für eine Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG in
Betracht. Dies ist mit dem Ausnahmecharakter des § 3 Abs. 2 BtMG nicht zu
vereinbaren, und zwar auch deshalb, weil in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob
die Anwendung von Cannabis im Einzelfall einen hinreichenden Heilungserfolg
verspricht, keine nicht tolerierbaren Nebenwirkungen besitzt und nicht durch ein
anderes Medikament ersetzt werden kann, dass nicht unter die Anlage I zum BtMG fällt.
Für eine derartige individuelle medizinische Prüfung in einer Vielzahl von Fällen ist das
BfArM weder eingerichtet noch vom Gesetzgeber vorgesehen.
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Der Auffassung, dass § 3 Abs.2 BtMG die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis zum
Zweck einer Einzelfalltherapie nicht vorsieht, steht die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 - nicht entgegen. Das
Bundesverfassungsgericht hat lediglich entschieden, dass die Beschwerdeführer den
Rechtsweg noch nicht erschöpft hatten, weil unter anderem die Erteilung einer Erlaubnis
nach § 3 Abs. 2 BtMG zu therapeutischen Zwecken nicht von vornherein ausscheide.
Die Frage, ob nach der zunächst den Fachgerichten obliegenden Prüfung und
Beurteilung der einfach-rechtlichen Fragen unter Zugrundelegung eines konkreten
Erlaubnisantrags die angegebenen therapeutischen Zwecke zugleich im öffentlichen
Interesse liegende Zwecke sind, war nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen
Entscheidung,
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vgl. auch Wagner, PharmR 2004, 17 ff.
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Diese Auslegung des § 3 Abs. 2 BtMG i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG, die die Erteilung einer
Erlaubnis des BfArM zur Verwendung von Cannabis zu Therapiezwecken für
Einzelpersonen ausschließt, steht im Einklang mit der Verfassung, insbesondere mit
den Grundrechten des Klägers. Durch die Versagung der Erlaubnis wird der Kläger
weder in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2
Grundgesetz - GG - noch in seinem Recht auf Wahl seiner Behandlungsmethoden, das
als Bestandteil der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird,
verletzt.
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Art. 2 Abs. 2 GG schützt den Einzelnen vor hoheitlichen Eingriffen in sein Leben und
seine körperliche Unversehrtheit. Außerdem ist der Staat verpflichtet, sich schützend
und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen, sie insbesondere vor den Angriffen Dritter
zu bewahren. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Abwehr eines Eingriffs des
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Staates oder eines Dritten in die Gesundheit des Klägers. Die Gesundheit ist bereits
durch die chronische und nicht heilbare Krankheit des Klägers beeinträchtigt. Vielmehr
handelt es sich um eine Einwirkung auf die vom Kläger gewünschte Therapie, weil ihm
durch das ausnahmslose Behandlungs- und Verschreibungsverbot in § 13 Abs. 1 BtMG
ein bestimmtes Therapiemittel entzogen wird.
Ein unmittelbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit liegt in dieser Beschränkung
nicht, da das Betäubungsmittelgesetz mit der Einordnung von Cannabis in die Anlage I
gerade den Schutz des Einzelnen vor den schädlichen Nebenwirkungen dieses
psychoaktiven Mittels bezweckt. Die Untersagung der Verwendung zu
Therapiezwecken könnte allenfalls ein mittelbarer - nicht beabsichtigter - Eingriff in das
Grundrecht sein, wenn durch den Entzug des Mittels eine erhebliche Verschlechterung
des Gesundheitszustandes eintreten würde oder wenn dem Kläger hierdurch eine
objektiv begründete Aussicht auf Besserung seines Zustandes oder Linderung seiner
Beschwerden genommen würde.
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Eine derartige schädliche Einwirkung auf den Gesundheitszustand des Klägers setzt
jedoch voraus, dass Cannabis überhaupt Wirksamkeit im Hinblick auf die Krankheit
oder die Krankheitssymptome des Klägers entfaltet und dem Kläger kein gleich
wirksames erlaubtes Mittel zur Verfügung steht und auszuschließen ist, dass die bei
einem Dauergebrauch von Cannabis eintretenden schädlichen Nebenwirkungen die
positiven Wirkungen überwiegen.
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Die Wirksamkeit von Cannabis auf entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn
im Sinne einer ursächlichen Beeinflussung des Krankheitsverlaufs ist nach einhelliger
Auffassung der Sachverständigen bisher nicht mit der erforderlichen Sicherheit
nachgewiesen. Es gibt bislang keine klinischen Studien, mit denen die Wirksamkeit auf
Morbus-Crohn-Patienten erforscht und bewiesen wurde (vgl. Gutachten von Prof. S. vom
03.06.2003 - im folgenden: "Gutachten S. " - , S. 6 und Gutachten von Dr. H. vom
02.02.2001 - im folgenden: "Gutachten H. " - , S. 7 unten, sowie Protokoll der
mündlichen Verhandlung vor dem AG U. vom 27.11.2003 - im folgenden: "Protokoll" - S
20, 21). Bislang gibt es lediglich Tierversuche, aus denen sich Anhaltspunkte für eine
entzündungshemmende Wirkung ergeben. Zusammenhänge werden diskutiert, sind
aber noch nicht abschließend geklärt (vgl. etwa ablehnend S. , Gutachten, S. 11 - 14). H.
räumt in seinem von S. (Gutachten, S. 11) zitierten Buch ein, dass diese
tierexperimentellen Studien mit hohen THC-Dosen durchgeführt wurden und auf den
Menschen nicht einfach übertragen werden können.
65
Es kann bisher auch nicht als bewiesen angesehen werden, dass einige Symptome des
Morbus Crohn, insbesondere krampfartige Schmerzen im Bauchraum sowie Appetit-
und Gewichtsverlust, durch den Einsatz von Cannabis wirksam bekämpft werden
könnten. Die Kammer geht allerdings davon aus, dass eine Wirksamkeit von Cannabis
im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Klägers auch dann bejaht werden könnte,
wenn zwar eine ursächliche Bekämpfung nicht möglich ist, die gravierenden
Krankheitsbeschwerden jedoch erheblich gelindert werden könnten.
66
Zwar hält der Sachverständige Prof. S. die krampflösende und appetitsteigernde
Wirkung von Cannabis aufgrund einiger wissenschaftlicher Untersuchungen und
zahlreicher anekdotischer Berichte für eindeutig belegt (Gutachten, S. 5 u. 10). Diese
These wird jedoch nicht näher begründet und erläutert. Im Gutachten von Dr. H. (S. 6 u.
7) werden die Studien und Fallberichte wiedergegeben, die eine positive Wirkung von
67
Cannabis auf krampfartige Schmerzen und Appetit- bzw. Gewichtsverlust begründen
könnten. Diese sind jedoch zu einem wissenschaftlichen Nachweis positiver Effekte auf
Morbus-Crohn-Patienten schon deshalb nicht geeignet, weil es sich in allen
Berichtsfällen um Patienten mit anderen Grunderkrankungen handelt, bei denen folglich
die Krankheitssymptome möglicherweise auf anderen biochemischen Prozessen
beruhen. Es ist daher zwar denkbar, dass die Resultate dieser Forschungen und
Einzelfallberichte auf Morbus- Crohn-Kranke übertragen werden können. So ist wohl
auch die vorsichtige Formulierung von Dr. H. zu verstehen, Cannabisprodukte
versprächen therapeutischen Nutzen bei Morbus Crohn bzw. könnten diese Krankheit
günstig beeinflussen (Gutachten, S. 6 u. 8). Dies ist jedoch - auch mangels genauer
Kenntnis über die Wirkungsweise - keinesfalls wissenschaftlich abgesichert.
Im Übrigen erscheint fraglich, ob sich ein Wirksamkeitsnachweis von Cannabis auf die
Symptome krampfartige Schmerzen und Appetit- und Gewichtsverlust aus den
Ergebnissen der im Gutachten von Dr. H. angegebenen Studien und Einzelfallberichte
bei Multiple-Sklerose- und Aids-Patienten ableiten lässt. Zweifel bestehen auch daran,
ob die vorgelegten Atteste von Dr. T. und Dr. A. die Ursächlichkeit des
Cannabiskonsums für die nachträglich festgestellte Verbesserung bzw. Stabilisierung
des Krankheitszustandes belegen könnten. Diese Fragen können indessen offen
bleiben, da dem Kläger zumindest gleich wirksame Therapiealternativen zur Verfügung
stehen.
68
Im vorliegenden Fall sind nicht alle erlaubten Therapiealternativen ausgeschöpft
worden. Es ist weder ein ernsthafter Therapieversuch mit dem nach Anlage III des BtMG
verschreibungsfähigen Wirkstoff Dronabinol unternommen worden , noch ist die heute
übliche Behandlungsmethode, die aus einer Kombination dreier Medikamentengruppen
besteht, bisher angewandt worden.
69
Es ist in diesem Verfahren bisher nicht vorgetragen worden, das ein ernsthafter, ärztlich
angeleiteter und überwachter Therapieversuch über einen angemessenen Zeitraum mit
Dronabinol unternommen wurde. Vielmehr hat der frühere behandelnde Arzt, Dr. T. , vor
dem AG U. ausgesagt, dass diese Möglichkeit einmal angesprochen, aber aus
Kostengründen nicht weiterverfolgt worden sei. Ein ergebnisloser Eigenversuch über
die Dauer von 5 Tagen, wie er in der Aussage von Prof. S. vor dem AG U. (Protokoll, S.
15) erwähnt wird, kann hierfür nicht genügen.
70
Es bestehen keine Hinderungsgründe für die Annahme, dass die von dem Kläger
erwünschte und der Cannabispflanze zugeschriebene günstige Wirkung auf seine
Krankheit auch mit Dronabinol erzielt werden könnte. Dronabinol ist der Freiname für
den Wirkstoff Delta 9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem pharmakologisch wichtigsten
Inhaltsstoff der Hanfpflanze. Nach Auffassung des Dr. H. machen die THC-Effekte den
weitaus größten Teil der Gesamtwirkung aus, wenn auch die Cannabiswirkung nicht
allein durch die THC-Effekte erklärt werden kann (Gutachten, S. 3). Dass THC die
beobachteten Cannabiswirkungen hervorrufen kann, wird gerade durch die Studien
belegt, die zur Begründung der krampflösenden und appetitsteigernden Eigenschaften
von Cannabis herangezogen werden. Denn diese Studien sind zum größten Teil nicht
mit einem Cannabisganzpflanzenextrakt, sondern mit isoliertem THC durchgeführt
worden (vgl. Gutachten S. , S. 10 und Gutachten H. , S. 6 - 8). Das gleiche gilt für die
Tierversuche, die Anhaltspunkte für eine entzündungshemmende Wirkung ergaben.
71
Dem Kläger ist ein Therapieversuch mit Dronabinol auch zumutbar. Er kann
72
insbesondere nicht geltend machen, in den USA sei Marinol (d.h. THC) nur für die
Indikationen Brechreiz und Übelkeit bei Krebspatienten sowie Appetitlosigkeit und
Gewichtsverlust bei Aids-Kranken zugelassen, sodass die Anwendung von THC für ihn
ein medizinisches Risiko darstelle. Denn er begehrt ja gerade die Behandlung mit allen
in der Pflanze enthaltenen Cannabiswirkstoffen auf eine Krankheit, Morbus Crohn, für
die Cannabiswirkstoffe bisher weltweit weder zugelassen noch klinisch getestet wurden,
nimmt also das Fehlen einer entsprechenden Indikation bewusst in Kauf. Im Übrigen ist
der Beklagten zuzustimmen, dass der Kläger mit der Einnahme eines einzigen, genau
dosierbaren Stoffes (THC) ein geringeres Risiko eingeht als bei Anwendung von
Cannabis. Denn diese sind nicht von gleichbleibender Qualität, sondern weichen in
Zusammensetzung und Menge der wirksamen Bestandteile je nach Pflanze erheblich
voneinander ab (vgl. Gutachten H. , S. 2 u. 3). Die Wirkungen bzw. Nebenwirkungen
sind daher wesentlich schlechter kalkulierbar.
Dronabinol kann auch als alternatives Mittel eingesetzt werden. Es ist zwar in
Deutschland nicht als Fertigarzneimittel zugelassen. Es kann jedoch als Marinol gemäß
§ 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz aus den USA importiert werden oder als
Rezepturarzneimittel in darauf spezialisierten Apotheken ohne Erlaubnis erworben
werden, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 b BtMG. Gegen die Verfügbarkeit als alternatives Heilmittel
kann auch nicht eingewandt werden, dass die erheblichen Kosten von Dronabinol
weder vom Kläger aufgebracht noch von der Krankenkasse erstattet werden können.
Wenn Dronabinol im Fall des Klägers das einzige erlaubte Heilmittel wäre, das eine
Linderung seiner Beschwerden bewirken kann, so müsste die Krankenkasse des
Klägers, notfalls im Rechtswege, zum Ersatz der Kosten verpflichtet werden, um einen
möglichen Grundrechtseingriff abzuwehren. Der Grundrechtseingriff läge in diesem Fall
in der Verweigerung der Kostenerstattung für ein verschreibungsfähiges
Betäubungsmittel und nicht in der Verweigerung der arzneilichen Verwendung eines
verbotenen Betäubungsmittels. Er müsste daher in dem Verfahren vor den
Sozialgerichten gerügt werden.
73
Der Kläger ist schließlich auch deshalb nicht auf eine Selbstmedikation mit Cannabis
angewiesen, weil die üblichen Behandlungsmöglichkeiten bei ihm noch nicht
ausgeschöpft worden sind.
74
Hierbei handelt es sich nach den Ausführungen von Prof. S. um eine Kombination aus
Korticosteroiden, Aminosalicylaten und Immunsuppressiva (Azathioprin, Infliximat).
Diese letzte Gruppe von Medikamenten ist beim Kläger bislang aus unbekannten
Gründen nicht eingesetzt worden. Mit Hilfe dieser Medikamentenkombination kann ein
akuter Schub bei 92 bis 98 % aller Patienten beherrscht werden (vgl. Gutachten S. , S.
16 ff., Protokoll, S. 16). Hiermit übereinstimmend erklärte Dr. H. vor dem AG U. , dass es
für alle Beschwerden bei Morbus Crohn alternative Medikamente gebe, die für die
meisten Kranken ausreichend seien.
75
Im übrigen ist zweifelhaft, ob der Entzug von Cannabis als Heilmittel wegen der mit der
Anwendung von Cannabis verbundenen Nebenwirkungen als Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit des Klägers angesehen werden kann (zu den Nebenwirkungen vgl. H. ,
S. 4 des Gutachtens). Dem braucht aber nicht weiter nachgegangen werden, da aus den
oben dargelegten Gründen ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vorliegt.
76
Das Betäubungsmittelgesetz verstößt auch nicht gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs.
1 Satz 2 GG. Danach muss ein Grundrecht, das durch Gesetz oder aufgrund eines
77
Gesetzes eingeschränkt werden darf, in dem Gesetz unter Angabe seines Artikels
benannt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt das
Zitiergebot nach Sinn und Zweck nur für Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht
über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken. Daraus folgt, dass
mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht unter das Zitiergebot fallen, da sie keine
zielgerichteten Eingriffe sind,
vgl. Krebs, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage 2000, Art. 19, Rn.
16.
78
Das Betäubungsmittelgesetz zielt, soweit es eine Verwendung von Cannabis zu
Therapiezwecken ausschließt, nicht auf einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 GG
geschützte körperliche Unversehrtheit ab. Es ist im Gegenteil zum Schutz der
Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung vor den nachteiligen Wirkungen von
Cannabis bestimmt und könnte allenfalls eine mittelbare und unbeabsichtigte
Grundrechtsbeeinträchtigung durch den Entzug eines notwendigen Heilmittels
bewirken. Unabhängig davon wurde bereits ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2
Abs. 2 GG verneint, sodass ein Verstoß gegen das Zitiergebot insoweit nicht vorliegt.
79
Das Verbot verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der allgemeinen
Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Dessen Schutzbereich umfasst jede
Form menschlichen Verhaltens,
80
vgl. Kunig, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage 2000, Art. 2 Rn. 12 mit
weiteren Nachweisen
81
und damit auch das Selbstbestimmungsrecht des kranken Menschen, welche
Maßnahmen er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit oder Linderung seiner Leiden
ergreift. Das Verbot der Verwendung von Cannabis als Heilmittel greift in dieses
Selbstbestimmungsrecht ein.
82
Dieser Eingriff ist jedoch aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt und stellt
daher keine Verletzung des Grundrechts dar. Das Recht der allgemeinen
Handlungsfreiheit wird nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung
gewährleistet. Nur ein Kernbereich privater Lebensgestaltung ist absolut geschützt. Dies
trifft für den Umgang mit Drogen wegen der vielfältigen sozialen Aus- und
Wechselwirkungen nicht zu,
83
BVerfG , Beschluss vom 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - , NJW 1994, 1577, 1578.
84
Die verfassungsmäßige Rechtsordnung umfasst alle Rechtsvorschriften, die formell und
materiell im Einklang mit der Verfassung stehen, insbesondere dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit entsprechen. § 3 Abs. 2 BtMG i.V.m. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BtMG
ist, soweit er den Anbau und Erwerb von Cannabis zum Zweck der Selbstbehandlung
ohne Ausnahme verbietet, formell und materiell verfassungsgemäß.
85
Insbesondere war der Bundesgesetzgeber zum Erlass dieser Vorschrift nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 19 GG zuständig. Danach ist dem Bund die Kompetenz zur Regelung des
Verkehrs mit Betäubungsmitteln eingeräumt. Entgegen der Auffassung des Klägers fällt
unter den Verkehr mit Betäubungsmitteln auch der Anbau von Betäubungsmitteln, selbst
wenn dieser in der Absicht erfolgt, das Betäubungsmittel ausschließlich für den
86
Eigengebrauch zu verwenden und nicht an Dritte abzugeben, d. h. nicht in den Verkehr
zu bringen.
Der Verkehr mit Betäubungsmitteln und Giften im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG
umfasst den gesamten Umgang mit diesen Stoffen, von der Herstellung über den
Handel und sonstigen Vertrieb bis zum Verbrauch,
87
vgl. Kunig, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 3, 3. Aufl., Art. 74 Rdnr. 95; von
Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 74 Rdnr. 174.
88
Dieser Auslegung steht die sog. "Frischzellenentscheidung" des
Bundesverfassungsgerichts,
89
vgl. BVerfG, Urteil vom 16.02.2000 - 1 BvR 420/97 - NJW 2000, 857,
90
nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. In dieser Entscheidung hat das
Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Herstellungsverbot in § 1 Abs. 1 der
Frischzellenverordnung nichtig sei, weil es auch die Herstellung von Arzneimitteln
umfasse, die durch den Arzt zum Zweck der Anwendung bei Patienten erfolge. Hierfür
bestehe keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, weil diese sich nach Art. 74 Abs.
1 Nr. 19 GG nur auf die Herstellung solcher Arzneimittel erstrecke, die dazu bestimmt
seien, über Apotheken und sonstige Verkaufsstellen in den Verkehr gebracht zu
werden. Dieses Ergebnis leitet das Bundesverfassungsgericht insbesondere aus der
historischen Entwicklung der Herstellung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln
sowie aus der beschränkten Regelungskompetenz des Bundes im Arztrecht her. Diese
Überlegungen können auf den Begriff des Verkehrs mit Betäubungsmitteln nicht
übertragen werden.
91
Der Umgang mit Betäubungsmitteln erfordert es, diese wegen ihrer besonders
gefährlichen und schwerwiegenden Auswirkungen auf Gesundheit, Psyche und
Verhalten der Konsumenten einer besonderen staatlichen Überwachung durch eine
einheitliche und damit besonders wirksame Regelung des Bundes zu unterziehen. Im
Umgang mit Betäubungsmitteln verlangt der beabsichtigte präventive
Gesundheitsschutz, dass eine einheitliche staatliche Kontrolle so früh wie möglich
einsetzt, nämlich sobald die Gefahr eines Missbrauchs oder der Entstehung einer
Abhängigkeit besteht. Diese besteht aber bereits dann, wenn nicht befugte
Privatpersonen tatsächlich auf das Betäubungsmittel zugreifen können und es zum
Eigengebrauch verwenden können.
92
Der Verkehr mit Betäubungsmitteln im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG umfasst daher
unter Berücksichtigung des Regelungszwecks nicht nur die Abgabe an Dritte oder den
Erwerb von Dritten, sondern bereits den Umgang mit Betäubungsmitteln durch hierzu
nicht befugte Personen. Der unerlaubte Anbau fällt damit unter die
Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers.
93
Dies gilt ebenfalls für die Aufnahme von Hanfsamen in die Anlage I zu BtMG.
Hanfsamen enthält zwar selbst keine psychoaktiven Stoffe. Gleichwohl kann er wegen
der möglichst frühzeitig einsetzenden Prävention als Betäubungsmittel im Sinne des
Gesetzes definiert werden, sobald er zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Denn in
diesem Fall besteht die Gefahr, dass mit Hilfe der Hanfsamen Betäubungsmittel erzeugt
werden, die missbräuchlich verwendet werden können.
94
Die Beschränkung der Erlaubnis zur Beschaffung von Cannabis zu wissenschaftlichen
und anderen öffentlichen Zwecken durch § 3 Abs. 2 BtMG ist auch materiell mit Art. 2
Abs. 1 GG vereinbar. Sie entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und
schränkt daher das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in zulässiger Weise ein.
95
Die grundsätzliche Einordnung von Cannabis als nicht verkehrs- und nicht
verschreibungsfähiges Betäubungsmittel ist ein geeignetes und erforderliches Mittel
zum Schutz der Gesundheit Einzelner und der Bevölkerung vor Missbrauch und
Abhängigkeit mit den gravierenden sozialen Folgen für jeden Einzelnen und die
Volksgemeinschaft. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom
09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - , a.a.O., betreffend die Verfassungsmäßigkeit der
Strafvorschrift des § 29 BtMG auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstandes zu
den nicht unbeträchtlichen Gefahren und Risiken des Cannabiskonsums entschieden.
Es hat sich insbesondere auf die kaum bestrittene Möglichkeit der psychischen
Abhängigkeit gestützt und auf die Folgen des Dauerkonsums in Form von
Verhaltensstörungen, Lethargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust und
Depressionen hingewiesen, die insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung von
Jugendlichen nachhaltig zu stören vermögen.
96
Diese Einschätzung wurde durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts,
97
vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365,
98
zur Rechtmäßigkeit der Versagung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG
zum Zweck des religiösen Gebrauchs von Marihuana bestätigt. In der Begründung
wurde ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis
einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten.
99
Die Angaben zu den schädlichen Nebenwirkungen von Marihuana im Gutachten des
Dr. H. vom 02.02.2001 sowie die Stellungnahme hierzu in dem Gutachten von S. vom
03.06.2003 geben keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzuweichen. H. hat
darauf hingewiesen, dass vor allem das Ausmaß der möglichen langfristigen
Schädigungen von Psyche, Kognition, Immunsystem, Fruchtbarkeit und
Schwangerschaft in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten sei (Gutachten, S. 4).
S. hat davor gewarnt, dass der diskutierte entzün- dungshemmende Effekt von Cannabis
eine größeres Risiko für Krebs und Infektionen hervorrufen könne (Gutachten, S. 11, 12).
100
Dass die Missbrauchsgefahr und die Gefahr von schädlichen Nebenwirkungen bei dem
vom Kläger beabsichtigten Gebrauch von Cannabis in geringer Dosierung im
vorliegenden Einzelfall gering sein mag, spielt bei der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des Cannabisverbotes nur eine untergeordnete Rolle. Denn die
Frage, ob die Einschränkung des Rechtes des Patienten auf freie Wahl des Heilmittels
durch den Schutzzweck des Gesetzes gerechtfertigt ist, ist eine normative Frage, bei der
vom Einzelfall abweichende abstrahierende Erwägungen zulässig und geboten sind,
101
vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , a.a.O.
102
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die vom Kläger erstrebte Ausnahmeerlaubnis
zu Therapiezwecken nicht auf seinen Fall beschränkt bleiben könnte. Sie müsste auch
103
in vergleichbaren Fällen aus Gründen der Gleichbehandlung erteilt werden und würde
angesichts der Vielzahl von Indikationen, die für Cannabis diskutiert werden, zu einer
beträchtlichen Verbreitung in der Bevölkerung führen. Dies würde die Gefahr eines
Missbrauchs deutlich erhöhen.
Schließlich ist der Ausschluss von Cannabis zu Heilzwecken auch bei einer Abwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs auf der Seite des betroffenen Grundrechtsträgers
einerseits und der Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe andererseits angemessen.
Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bedeutet, dass eine
gesetzliche Maßnahme den Adressaten unter Berücksichtigung ihres Zwecks nicht
übermäßig belasten darf. Das Übermaßverbot wäre verletzt, wenn den mit dem
Cannabisverbot verfolgten wichtigen Gemeinschaftsbelangen ein überwiegendes oder
zumindest gleichwertiges Interesse des Betroffenen an der therapeutischen Nutzung
des Betäubungsmittels gegenüberstünde.
104
Ein derartiges schutzwürdiges Interesse des Klägers kann jedoch im vorliegenden Fall
nicht festgestellt werden. Der Ausschluss von Cannabis als Heilmittel würde den Kläger
nur dann unzumutbar belasten, wenn die Verwendung dieses Mittels die einzige
Möglichkeit wäre, bestehende schwer belastende Leiden zu beheben oder zumindest in
nennenswerter Weise zu mildern. Hierfür könnte es bereits genügen, wenn die
Anwendung aufgrund objektiver Anhaltspunkte einen Behandlungserfolg verspricht,
ohne dass dieser bereits im Sinne eines wissenschaftlichen Nachweises feststehen
muss. Welche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolges zu
stellen sind, kann hier jedoch offen bleiben.
105
Denn dem Kläger verbleiben im vorliegenden Fall noch andere legale
Therapiealternativen, die er bisher nicht ernsthaft erprobt hat. Insoweit wird auf die
Ausführungen im Rahmen der Prüfung von Art. 2 Abs. 2 GG Bezug genommen.
106
Die Versagung des Anbaus bzw. des Erwerbs von Cannabis zum Zweck der
Eigentherapie des Klägers erweist sich daher auch unter verfassungsmäßigen
Gesichtspunkten als rechtmäßig.
107
Der Klageantrag des Klägers zu III. ist ebenfalls unbegründet. Die Gebührenfestset-
zungen im Bescheid vom 16.05.2001 und im Widerspruchsbescheid vom 20.08.2001
sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO.
108
Die Gebührenfestsetzung im Ausgangsbescheid in Höhe von 100,- DM beruht auf § 7
Abs. 2 Betäubungsmittelkostenverordnung (BtMKostV) vom 16.12.1981 (BGBl. I S.
1433), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.06.1994 (BGBl. I S. 1416). Danach
wird für die Versagung einer Erlaubnis eine Gebühr bis zur Höhe der für die Vornahme
festzusetzenden Gebühr erhoben. Gemäß § 2 Abs. 1 BtMKostV wird für die Erteilung
einer Erlaubnis nach § 3 des BtMG eine Gebühr erhoben, die sich nach Art und Umfang
der Teilnahme am Verkehr mit Betäubungsmitteln richtet. § 2 Abs. 4 BtMKostV bestimmt,
dass für jede der aufgezählten Verkehrsarten, darunter den Anbau (Nr. 1) sowie den
Erwerb (Nr. 3), je Betäubungsmittel und Betriebsstätte eine Gebühr von 100 DM
erhoben wird, soweit der Verkehr nur wissenschaftlichen oder analytischen Zwecken
dient oder ohne wirtschaftliche Zwecksetzung erfolgt.
109
Da der Kläger eine Erlaubnis zum Zwecke des Anbaus oder des Erwerbs eines
110
Betäubungsmittels ohne wirtschaftliche Zielsetzung erstrebte, entspricht die
Gebührenfestsetzung in Höhe von 100,- DM den Voraussetzungen der §§ 7 Abs. 2 , 2
Abs. 1 und Abs. 4 BtMKostV. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, die
Gebührenerhebung knüpfe an eine Betriebsstätte an und könne daher beim Kläger
mangels Betriebsstätte nicht erfolgen. Vielmehr zeigt die Vorschrift des § 2 Abs. 4
BtMKostV, dass eine Betriebsstätte im Sinne des Gebührentatbestands auch vorliegt,
wenn die erlaubnispflichtige Verkehrsart nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen
Betriebes erfolgt. Betriebsstätte ist demnach jeder Ort, an dem der erlaubnispflichtige
Umgang mit dem Betäubungsmittel erfolgen soll, im vorliegenden Fall die Wohnung des
Klägers, da dort der Anbau erfolgen oder erworbene Cannabisprodukte aufbewahrt
werden sollen.
Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid in Höhe von 51,13 EUR ist
ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Voraussetzungen des
Gebührentatbestandes in § 7 Abs. 3 BtMKostV. Danach wird für die Zurückweisung
eines Widerspruchs eine Gebühr bis zur Höhe der für die angefochtene Amtshandlung
festgesetzten Gebühr erhoben. Die Gebühr für den Erlass des Widerspruchsbescheids
durfte daher in gleicher Höhe wie für den Versagungsbescheid festgesetzt werden.
111
Die Klage zu II. auf Feststellung, dass dem Kläger Cannabis im Rahmen eines
ärztlichen Behandlungsverhältnisses verschrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren
Verbrauch überlassen lassen darf, ist bereits unzulässig. Es fehlt insoweit an einem
konkreten Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO zwischen dem Kläger und
der Beklagten. Denn für die Beantwortung der Frage, ob die Verschreibung,
Verabreichung oder Überlassung von Cannabis an den Kläger durch einen Arzt
zulässig ist, ist nicht das BfArM zuständig. Vielmehr obliegt die Überwachung des
Betäubungsmittelverkehrs bei Ärzten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 BtMG den zuständigen
Behörden der Länder. Im Übrigen wäre die Klage nach dem bereits Ausgeführten auch
unbegründet, da eine Verschreibung von Cannabis durch den Arzt gemäß § 13 Abs. 1
Satz 3 BtMG untersagt ist und der Kläger durch dieses Verbot auch nicht in seinen
Grundrechten verletzt ist.
112
Die Klage bleibt damit insgesamt ohne Erfolg, so dass der Kläger nach § 154 Abs. 1
VwGO die Kosten zu tragen hat.
113
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2
VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
114
Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen, über den Einzelfall hinausgehenden
Bedeutung der Sache die Berufung hinsichtlich des Klageantrages zu I. zugelassen, §§
124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
115