Urteil des VG Köln vom 05.07.2002
VG Köln: aufschiebende wirkung, jugend und sport, vollziehung, beteiligter, verhinderung, kreis, ermittlungsverfahren, aufschub, verfügung, therapie
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 1504/02
Datum:
05.07.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 L 1504/02
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 24. Juni 2002
gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 20. Juni 2002 wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die
aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn
die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde an- geordnet
worden ist. Bei der Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der so- fortigen
Vollziehung und das Interesse des Antragstellers daran, von der Vollziehung der
Ordnungsverfügung vorerst verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
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Bei dieser Abwägung sind u.a. die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der
Hauptsache zu berücksichtigen. Bestehen an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen
Verwaltungsmaßnahme ernstliche Zweifel, so ist im allgemeinen das Individualinte-
resse des Antragstellers am Aufschub der Vollziehung als bedeutender zu gewich- ten.
Umgekehrt tritt das Individualinteresse am Aufschub der Vollziehung zurück, wenn
Widerspruch bzw. Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben werden, da die
angegriffene Verwaltungsmaßnahme voraussichtlich rechtmäßig ist.
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Vergl. Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, Rdnr. 158 ff. zu § 80; Schmidt, in:
Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, Rdnr. 73 ff.
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Hier spricht vieles dafür, dass die Verfügung des Antragsgegners rechtmäßig ist, so
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dass dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Vorrang gebührt.
Gem. § 81 b 2. Alternative StPO dürfen, soweit es für die Zwecke des
Erkennungsdienstes notwendig ist, Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten
auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an
ihm vorgenommen werden, soweit dies für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig
ist. Ob im Sinne von § 81 b 2. Alternative StPO die Notwendigkeit der Anfertigung
erkennungsdienstlicher Unterlagen besteht, bemißt sich danach, ob der anlässlich des
gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- und Strafverfahrens festgestellte
Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls
- insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen
zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung der
Frage, ob er strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die
Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit gutem Grund als Verdächtiger in den
Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte,
und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen
fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 6. Juni 1988 - 1 B 61.88 -, Buchholz
306, § 81 b StPO Nr. 1.
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Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.
1 GG, der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der prä- ventive
Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwä- gung des
öffentlichen Interesses an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten
gegenüber dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Men- schenbild des
Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potentieller Straftäter behan- delt zu werden,
weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 - I C 57.66 -, BVerwGE 26, 169 (170 f.).
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Vorliegend weist einiges darauf hin, dass der Antragsteller zu Recht als Beschuldigter in
ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einbezogen wurde. Der Antragsteller hat
eingeräumt, dass er am letzten Tatort anwesend gewesen ist und er ist Halter des KFZ,
das sich ausweislich der übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen vom letzten
Tatort entfernt hat. Weiter stimmt das Alter des Antragstellers mit dem Alter überein, das
die Zeuginnen als Alter des Täters angegeben haben. Schließlich haben die Zeuginnen
M. und D. im Rahmen ihrer ausführlichen und soweit ersichtlich sachgerecht geführten
Vernehmungen übereinstimmend angegeben, dass der Antragsteller zu ihnen
sinngemäß gesagt habe "Ich gehe gleich ins Schwimmbad, wo mir meine Freundin den
Schwanz länger macht" (und dabei eine onanierende Bewegung gemacht habe),
"Komm, gehn wir ficken", "Du hast einen geilen Arsch". Die Zeugin M. hat weiter
angegeben, dass der Antragsteller sie am Oberschenkel habe anfassen wollen. All dem
hat der Antragsteller nur die pauschale Behauptung entgegen gehalten, dass er kein
Kind angesprochen bzw. missbraucht habe.
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Angesichts der Tathergänge handelt es sich nicht um Bagatelldelikte, zumal in einem
Fall der Antragsteller sogar versucht hat, sich dem Opfer auch körperlich zu nähern. Es
spricht viel dafür, dass die dem Antragsteller vorgeworfenen Taten nach § 185 StGB
bzw. möglicherweise sogar nach § 176 Abs. 3 Nr. 3 3. Alt. StGB bzw. §§ 176 Abs. 4, 22
StGB (jedenfalls beim Versuch des Anfassens) strafbar sind; eine genaue Prüfung der
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Strafbarkeit muss dem strafrechtlichen Verfahren vorbehalten bleiben.
Obwohl der Antragsteller trotz seines Alters bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung
getreten ist, sind Anhaltspunkte für die Annahme gegeben, dass er künftig mit gutem
Grund als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung
einbezogen werden kann. Dies ergibt sich hier aus dem Umstand, dass er in kürzester
Zeit mehrfach auffällig wurde. Weiter werden dem Antragsteller pädophile Handlungen
vorgeworfen; die Wiederholungsgefahr bei derartigen Delikten - jedenfalls wenn keine
Therapie durchgeführt wird - ist aber besonders hoch.
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Siehe dazu z.B. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden- Württemberg (Hrsg.),
Sexueller Mißbrauch an Mädchen und Jungen, 1999, S. 14 f.
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Schließlich und endlich mag es sein, dass allein die Art der Tatbegehung - anonymes
Ansprechen - dazu geführt hat, dass mögliche Taten in der Vergangenheit nicht verfolgt
werden konnten.
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Es tritt hinzu, dass gerade in dem Deliktsbereich und von der Begehungsweise, der die
hier konkret in Rede stehenden Straftaten zuzurechnen sind, dem öffentlichen Interesse
an einer effektiven Verhinderung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten durch die
Polizei ganz erhebliche Bedeutung zukommt. Es handelt sich hier um Straftaten, die
dadurch gekennzeichnet sind, dass die Handelnden regelmäßig punktuell auftreten, den
potentiellen Geschädigten persönlich nicht bekannt sind und normalerweise erhebliche
Aufklärungsschwierigkeiten bestehen. Diese Aufklärungsschwierigkeiten können durch
die Anfertigung von Lichtbildern bzw. Fingerabdrücken in nicht unerheblichem Maße
behoben werden.
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Die - einschneidend betroffenen - Belange des Antragstellers stellen das damit
festgestellte öffentliche Interesse an einer Fertigung (und anschließenden Verwendung)
erkennungsdienstlicher Unterlagen nicht in Frage. Die bereits dargelegte Gefahr von
Wiederholungen sowie das besondere Aufklärungsbedürfnis rechtfertigen die
Anfertigung und Verwendung von erkennungsdienstlichen Unterlagen zum Schutz der
Allgemeinheit. Den berechtigten Belangen des Antragstellers ist dadurch Rechnung zu
tragen, dass gefertigte Unterlagen unverzüglich zu vernichten sind, falls seine
Täterschaft in dem gegen in geführte Ermittlungsverfahren nicht bewiesen werden sollte.
In diesem Fall würde ein "polizeilicher Restverdacht" im Prinzip nicht die weitere
Aufbewahrung von Unterla- gen rechtfertigen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
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