Urteil des VG Köln vom 31.05.2002

VG Köln: öffentliche sicherheit, aufschiebende wirkung, unmittelbare gefahr, veranstaltung, verfügung, gefährdung, kundgebung, demonstration, veranstalter, vollziehung

Verwaltungsgericht Köln, 20 L 1300/02
Datum:
31.05.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 L 1300/02
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers ge-
gen die Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 27.05.2002 wird mit
folgenden Maßgaben wiederhergestellt:
a) Herr S. darf nicht als Redner auftreten. Er darf nicht mit organisatori-
schen Aufgaben betraut werden.
b) Die beiden Aufkleber "Wir müssen draußen bleiben" und "Gerhardt
Lauck - und wir haben ein Idol..." dürfen nicht verwendet bzw. verteilt
werden.
c) Untersagt ist bei dem Aufzug und der Kundgebung die Benutzung von
Fahnen und Transparenten strafbaren Inhalts, die Verwendung von
Kennzeichen verfas- sungswidriger Organisationen sowie das Tragen
von Uniformen, Uniformteilen oder gleichartigen Kleidungstücken als
Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesin- nung.
d) Untersagt sind alle Transparente, Flugblätter und Redebeiträge, die
nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit dem angemeldeten Thema
stehen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller zu 1/4, der
Antragsgegner zu 3/4. 2. Der Streitwert wird auf 4.000,00 EUR
festgesetzt.
G r ü n d e
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Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die
Verbotsverfügung des Antragsgegners vom 27.05.2002 wiederherzustel- len,
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ist unter Berücksichtigung der im Tenor angeordneten Maßgaben begründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht nach Anordnung der sofortigen Vollziehung
eines belastenden Verwaltungsaktes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung der auf- schiebenden
Wirkung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers am Auf- schub der
Durchsetzung der angegriffenen Verfügung das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen
Vollziehung überwiegt. Vorliegend spricht vieles für die Rechtswidrig- keit des
angegriffenen Versammlungsverbotes, so dass die anzustellende Interes-
senabwägung angesichts der hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in das
Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stellen sind, zu Lasten des Antragsgegners
ausfällt.
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Bei dieser Entscheidung orientiert sich die Kammer an den Grundsätzen, die das
Bundesverfassungsgericht zur Inanspruchnahme des Grundrechts der Versamm-
lungsfreiheit und zur Auslegung des § 15 VersG im einzelnen ausgeführt hat,
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vgl. BVerfGE, 69, 315 ff.; Beschlüsse vom 21.04.1998, NVwZ 1998, 834 ff., vom
21.04.2000 - 1 BvQ 10/00, vom 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00, vom 18.08.2000, NJW
2000, 3053 ff., vom 24.03.2001, NJW 2001, 2069 ff., vom 07.04.2001, NJW 2001, 2072
ff., vom 12.04.2001, NJW 2001, 2075 f., Be- schlüsse vom 01.05.2001, NJW 2001, 2076
ff. und 2078 f. sowie Beschluss vom 11.04.2002 - 1 BvQ 12/02.
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Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbie- ten
oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses
der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ord- nung bei
Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Aus der Bedeutung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) folgt, dass
nicht jede Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ein Verbot oder eine
Auflösung der Versammlung rechtfertigt. Unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit hat vielmehr eine Güterabwägung stattzufinden mit der Folge, dass
ein Verbot nur zulässig ist, wenn es zum Schutz anderer, dem Versammlungs- recht
gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist,
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vgl. BVerfG, aaO..
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Zur Annahme einer unmittelbaren Gefährdung i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG genügt nicht eine
abstrakte Gefahr, die Gefährdung muss vielmehr nach dem gewöhnlichen Ablauf der
Dinge unmittelbar bevorstehen, der Eintritt der Störung mit hoher Wahr- scheinlichkeit in
aller Kürze zu erwarten sein. Die Prognose muss dabei auf "erkenn- baren Umständen"
beruhen, also auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstigen Er- kenntnissen; bloßer
Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen,
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vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.04.1998, a.a.O..
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Das Verbot einer Versammlung ist im übrigen nach dem verfassungsrechtlichen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur dann zulässig, wenn durch minderschwere
Maßnahmen wie Auflagen gegenüber dem Veranstalter oder durch ein Vorgehen gegen
Störer der Gefährdung nicht wirksam begegnet werden kann.
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Gemessen an diesen hohen Anforderungen sind der Verbotsverfügung des An-
tragsgegners und den von ihm vorgelegten Unterlagen bzw. Erkenntnissen keine
hinreichend konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen, dass bei der vorgesehenen
Veranstaltung ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit (oder die öffentliche Ord-
nung) unmittelbar droht, dem nicht mit der Anordnung von Auflagen begegnet wer- den
kann.
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Der Antragsgegner hat in der angegriffenen Verfügung zwar eine Reihe von kon- kreten,
personen- und organisationsbezogenen Indizien aufgeführt, die dahin deuten, dass der
Anmelder und das politische Spektrum, dem er angehört (z.B. die "Bürger- aktion gegen
Gewalt und Intoleranz", die zu der angemeldeten Demonstration mit einem Flugblatt
aufgerufen hat), verfassungsfeindliche Auffassungen, d.h. neonazis- tisches bzw. den
Nationalsozialismus bejahendes Gedankengut vertreten und auch dafür eintreten. Für
den Antragsteller sowie Herrn S. sind auch Straftaten u.a. nach § 86a StGB festgestellt,
weiterhin laufende Ermittlungsverfahren wegen Volks- verhetzung.
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Soweit indes der Antragsgegner vor diesem Hintergrund die erlassene
Verbotsverfügung maßgeblich mit einer Tarnabsicht des Antragstellers dahingehend
begründet hat, dass tatsächlich die Veranstaltung in Händen des Herrn S. liege und zum
Anderen auch nicht glaubhaft sei, dass einziges Ziel der Versammlung sei, für die
Erinnerung an den 60. Jahrestag des "ersten 1000-Bomber Angriffs auf Köln" zu
demonstrieren, genügt dies nicht den Anforderungen, die das BVerfG,
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s. Beschluss vom 11.04.2002 - 1 BvQ 12/02,
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für die Annahme einer Tarnveranstaltung stellt. Für die Folgenbeurteilung ist
entscheidend, ob nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Täuschung über den
geplanten Inhalt bestehen. Dabei ist - wovon auch der Antragsgegner zutreffend
ausgeht - zunächst vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt
der Veranstaltung auszugehen. Dessen Angaben scheiden als Grundlage für die
vorzunehmende Gefahrenprognose allerdings aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte
darauf hindeuten, dass dieser in Wahrheit eine Veranstaltung anderen Inhalts plant, die
eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit (oder Ordnung) bewirkt. Gibt es
neben solchen Anhaltspunkten auch Gegenindizien, so hat sich die Behörde auch mit
diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise
auseinanderzusetzen. Diese - engen - Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
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Dass der Antragsteller lediglich als Strohmann für Herrn S. fungiere, kann nicht mit der
erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Es ist weder vom Antragsgegner
ausgeführt noch sonst ersichtlich, dass Herr S. seinerseits überhaupt in der
Vergangenheit als Anmelder von Veranstaltungen bzw. als Veranstalter aufgetreten
wäre; der Antragsteller selbst ist in der Vergangenheit - wie gerichtsbekannt ist -
durchaus des öfteren als Anmelder und auch Verantwortlicher von/für Versammlungen
hervorgetreten. Insofern wäre es im Übrigen auch gegenüber dem ausgesprochenen
Versammlungsverbot das erforderliche mildere Mittel gewesen, Herrn S. im Wege einer
Auflage zu untersagen, bei der Veranstaltung in verantwortlicher Weise aufzutreten.
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Es gibt außerdem keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller - und hierauf kommt
es maßgeblich an - in jüngster Zeit selbst Veranstaltungen durchgeführt hat, die sich im
nachhinein als Tarnveranstaltungen herausgestellt haben. Dies darzulegen ist Aufgabe
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der Versammlungsbehörde. Hierauf ist der Antragsgegner indes in seiner
Verbotsverfügung überhaupt nicht eingegangen.
Weiterhin sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es sich bei der
nunmehr angemeldeten Versammlung um eine erstmalige Tarnveranstaltung handeln
könnte. Zwar ist dem Antragsgegner einzuräumen, dass der Antragsteller zu dem Ablauf
und auch zu dem Thema der geplanten Versammlung nur äußerst vage Angaben
gemacht hat, insbesondere auch zu den zu verwendenden Hilfsmitteln und zu den
vorgesehenen Rednern keine genauen Angaben machen konnte (oder wollte). Auch
sind bei der beim Antragsteller erfolgten Hausdurchsuchung keinerlei Unterlagen
betreffend die Organisation der Versammlung aufgefunden worden. Diese Umstände
reichen indes allein nicht aus, um angesichts des - wie es der Antragsgegner selbst
formuliert - "unverfänglichen" Themas der Versammlung das Vorliegen einer
Tarnveranstaltung anzunehmen. Das Thema selbst ist auch nicht etwa aus der Luft
gegriffen, sondern hat durchaus einen historischen Bezug. Die vom Antragsgegner
angeführten Ergebnisse der Hausdurchsuchung bei dem Antragsteller und Herrn S.
reichen ebenfalls erkennbar nicht dafür aus, um die Annahme zu begründen, dass etwa
in Wahrheit die vom Antragsgegner bereits mit Verfügung vom 07.08.2001 verbotene
Veranstaltung zur Unterstützung des Gerhardt Lauck nachgeholt werden soll. Dass
insbesondere in der Wohnung des Herrn S. eine große Anzahl von Lauck-Aufklebern
vorgefunden worden ist, ist vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller selbst in der
Vergangenheit noch nicht als Anmelder von Tarnveranstaltungen auffällig geworden ist,
nicht von aus- schlaggebender Bedeutung.
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Ein das Verbot rechtfertigender Grund kann auch nicht aus der vom Antragsgegner
vorgetragenen mangelnden "Kooperationsbereitschaft" hergeleitet werden. Dabei ist
zum einen darauf hinzuweisen, dass sich diese vom Verfassungsgericht aufgestellte
Anforderung zunächst an den Antragsgegner richtet, und fehlende
Kooperationsbereitschaft dem Antragsteller grundsätzlich erst dann zur Last gelegt
werden kann, wenn er damit die polizeilichen Schutzaufgaben für die Kundgebung
einerseits und die öffentliche Sicherheit und Ordnung andererseits ernsthaft gefährdet.
Hier steht fest, dass der Antragsteller zunächst durchaus Ziel und Rahmen der
Veranstaltung dargelegt und Fragen beantwortet hat und auch Kooperationsgespräche
stattgefunden haben. Hinzu kommt, dass es sich vorliegend um eine Demonstration
eher kleineren Rahmens handelt.
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Die Kammer verkennt nicht, dass der Antragsteller und sein Umfeld in besonders
eindeutigem Maße zum rechtsextremen Spektrum zählen und dass angesichts der
aktuellen öffentlichen Diskussion besondere Umsicht und Vorsicht zu obwalten hat. Der
Antragsteller hat insoweit erkannt, dass hierzu Veränderungen des Kundgebungsweges
und weitere Auflagen geboten sein können (siehe dazu die Antragsschrift).
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Angesichts der Kürze der nur noch zur Verfügung stehenden Zeit sieht sich die Kammer
ausnahmsweise veranlasst, soweit möglich die gebotenen Maßgaben zum Schutze der
durch das Versammlungsgesetz geschützten Rechtsgüter und zur Beseitigung der
erkennbaren Gefahren selbst - wie im Tenor beschrieben - festzulegen, um auf diese
Weise möglicherweise auftretenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu
begegnen. Was den Kundgebungsweg und den Zeitraum der Versammlung angeht, war
es der Kammer nicht mehr möglich, diese Fragen im Wege eines Erörterungstermins ab-
schließend zu klären oder von sich aus Auflagen auszusprechen, da sie dem
entstandenen Zeitdruck nicht mehr ausweichen konnte (die angefochtene
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Verbotsverfügung bezüglich der Mitte März angemeldeten Kundgebung ist dem
Antragsteller erst am späten Nachmittag des 27.05.2002 zugestellt worden und dann
dessen Antrag erst am Donnerstag, den 30.05.2002 - einem Feiertag - bei Gericht
eingegangen).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG.
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