Urteil des VG Köln vom 30.06.2005
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Verwaltungsgericht Köln, 4 L 824/05
Datum:
30.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 824/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Antragsteller,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer rechtskräftigen
Entscheidung über die Zulässigkeit des von ihnen vertretenen Bürgerbegehrens "Pro
Panoramapark - den Charakter des Bad Godesberger Rheinufers wahren", zu
untersagen, über die in ihrem Eigentum stehenden Grundstücke Gemarkung S. , Flur 0,
Flurstü- cke 000 und 000/0 zu verfügen,
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hat keinen Erfolg.
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Es kann dahinstehen, ob der Antrag bereits wegen fehlender Antragsbefugnis der
Antragsteller gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog unzulässig ist. Jedenfalls ist er
unbegründet, weil es an einem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO fehlt.
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Die Antragsteller haben keinen Anspruch, dass die Antragsgegnerin bis zur
rechtskräftigen Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens eine Verfü-
gung über ihre oben bezeichneten Grundstücke unterlässt.
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Dies folgt zunächst bereits daraus, dass die Antragsteller mit dem Antrag etwas
begehren, was ihnen selbst bei einem positiven Ausgang des Bürgerbegehrens und
gegebenenfalls eines Bürgerentscheids nicht zustände.
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Mit dem Bürgerbegehren wird angestrebt, die Bezirksvertretung Bad Godesberg zu einer
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dem Begehren - Einbeziehung der oben genannten Grundstücke in den Pa- noramapark
- entsprechenden Entscheidung zu veranlassen oder - wenn sie dies ablehnt - eine
entsprechende Entscheidung der Bezirksvertretung durch einen Bürgerentscheid zu
ersetzen. In Rede stehen daher ausschließlich Entscheidungen, die den Wirkungskreis
der Bezirksvertretung betreffen.
Mit dem nunmehrigen Antrag wird indes keine Entscheidung begehrt, welche auch die
Bezirksvertretung treffen könnte. Denn die Entscheidung, Grundstücke zu veräußern
oder - wie hier angestrebt - zumindest zeitweise nicht zu veräußern, ist nach der
innergemeindlichen Kompetenzverteilung allein dem Rat der Antragsgegne- rin
zugewiesen.
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Die Bezirksvertretung ist gemäß § 37 Abs. 1 GO NRW - abgesehen von den oh- ne dies
dem Rat zugewiesenen Zuständigkeiten - nur in solchen Angelegenheiten zuständig,
deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht. Dies ist hier indes
nicht der Fall.
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Bei der Veräußerung der beiden insgesamt 900 m² großen städtischen Grundstücke
handelt es sich nicht um eine bloß bezirkliche Angelegenheit. Die Grundstücke sind
zusammen mit dem im Eigentum des Bundes stehenden etwa 10.000 m² großen
angrenzenden Areal in der Vergangenheit als Dienstsitz des Wehrbeauftragten der
Bundeswehr genutzt worden und sind seit mehreren Jahren Verhandlungsgegenstand
eines größeren Investorenkonzepts zur Errichtung von Stadtvillen und Wohnhäusern mit
Parkambiente. Schon wegen der Einbettung in die- ses Projekt und der finanziellen,
standortpolitischen und städteplanerischen gesamt- städtischen Bedeutung der
Verkaufsentscheidung handelt es sich nicht um eine rein bezirkliche Angelegenheit.
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Eine hier zur vorläufigen Sicherung eventueller Ansprüche der Antragsgegnerin von der
Kammer ausgesprochene einstweilige Anordnung würde damit über das hi- nausgehen,
was den Antragstellern rechtlich zustehen würde, wenn das Bürgerbe- gehren zulässig
wäre und der Bürgerentscheid im Sinne des Bürgerbegehrens Erfolg hätte. Auch in
diesem Falle könnten die Antragsteller nämlich nicht verlangen, dass eine Veräußerung
der Grundstücke unterbleibt. Vielmehr wäre die Antragsgegnerin nicht gehindert, die ihr
gehörenden Grundstücke trotzdem zu veräußern und damit einer dem Bürgerbegehren
entsprechenden Entscheidung der Bezirksvertretung o- der einem entsprechenden
positiven Bürgerentscheid die Grundlage zu entziehen. Mit einer Sicherungsmaßnahme
kann aber nicht mehr an Rechten begehrt werden, als den Antragstellern letztlich bei
einem Erfolg des zugrunde liegenden Begehrens zustehen kann. Schon deshalb kann
der Antrag keinen Erfolg haben.
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Ein Anspruch der Antragsteller, die Veräußerung der Grundstücke vorläufig zu
unterlassen, wäre danach allenfalls dann in Betracht gekommen, wenn ein
gesamtstädtisches Bürgerbegehren mit dem Ziel der Verhinderung der
Grundstücksveräußerung die Grundlage des vorliegenden Verfahrens bilden würde. Auf
diese Zusammenhänge hat die Antragsgegnerin - wie sich aus den beigezogenen
Verwaltungsvorgängen ergibt - die Antragsteller im Vorfeld des Bürgerbegehrens auch
hingewiesen. Die Antragsteller haben sich in Kenntnis dieser Tatsache - wohl nicht
zuletzt wegen der damit verbundenen geringeren Zahl erforderlicher Unterzeichner nach
§ 26 Abs. 4 GO NRW - dennoch für die Durchführung eines bezirklichen
Bürgerbegehrens in Bad Godesberg und nicht eines gesamtstädtischen
Bürgerbegehrens mit dem Ziele der Verhinderung der Grundstücksveräußerung
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entschieden. Hiermit kann indes eine Veräußerung der Grundstücke nicht verhindert
werden.
Darüber hinaus hat der gestellte Anordnungsantrag auch deshalb keinen Erfolg, weil
nach den Regelungen der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO
NRW) kein Anspruch darauf besteht, dass während eines Rechtsmittelverfahrens über
die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens die Organe der Gemeinde die ihnen
zustehenden Befugnisse in Bezug auf den Gegenstand des Bürgerbegehrens nicht
mehr ausüben. Ein Bürgerbegehren bewirkt keine "Entscheidungssperre".
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Hierzu ausführlich VG Köln, Beschluss vom 26. Februar 2002 - 4 L 53/02 -, sowie
ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW), z.B.: Beschluss vom 19. März 2004 - 15 B 522/04 -, NVwZ-RR
2004, 519; Beschluss vom 15. Juli 1997 - 15 B 1138/97 -, NVwZ - RR 1999, 140 f. und
Beschluss vom 2. November 1998 - 15 B 2329/98 -.
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Nach § 26 Abs. 8 GO NRW hat ein erfolgreicher Bürgerentscheid die Wirkung eines
Ratsbeschlusses und kann vor Ablauf von zwei Jahren nur durch einen neuen
Bürgerentscheid abgeändert werden. Weitergehende Regelungen über eine
Sperrwirkung im Vorfeld eines Bürgerentscheids, insbesondere im Verfahren des
Bürgerbegehrens, enthält die GO NRW nicht. Die Nichtaufnahme einer entsprechenden
gesetzlichen Regelung muss nach Auffassung der Kammer als sog. beredtes
Schweigen des Normgebers angesehen werden.
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Vgl. dazu Beschluss der erkennenden Kammer vom 09.08.1995 - 4 L 1479/95 -; ebenso
ausdrücklich Klenke, Rechtsfragen zum Bürgerbegehren nach dem nordrhein-
westfälischen Kommunalverfassungsrecht, NWVBl. 2002, S. 45 ff (S. 49).
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Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Einführung von Bürgerbegehren und
Bürgerentscheid als Elemente der unmittelbaren Demokratie das repräsentativ
demokratische System lediglich ergänzt, nicht aber überlagert hat. Die beiden
Entscheidungsformen stehen gleichrangig nebeneinander, sodass ein
Sicherungsanspruch zu Gunsten des Bürgerbegehrens selbst dann nicht besteht, wenn
im Einzelfall eine Entscheidung des Rates dadurch einen faktischen Vorrang erhält,
dass diese Entscheidung wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens zur Herbeiführung
eines Bürgerentscheids schon vor dessen Abschluss in die Tat umgesetzt werden kann.
Denn der Sinn der repräsentativen Demokratie besteht gerade darin, eine
organisatorisch und zeitlich handhabbare Form demokratischer Willensbildung für
mitgliederstarke Körperschaften bereitzustellen.
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OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2004 - 15 B 522/04 -, a. a. O.
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Ob darüber hinaus ausnahmsweise dann eine Sperrwirkung angenommen werden
kann, wenn ein Ratsbeschluss nicht aus sachlichen Gründen, sondern allein mit dem
Ziel erfolgt, einem möglichen Bürgerentscheid zuvorzukommen, kann im vorliegenden
Fall dahinstehen. Denn für eine solche Zielsetzung ist angesichts der seit vielen Jahren
andauernden Verhandlungen mit dem Investor nichts ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG. Wegen der
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Vorläufigkeit der Entscheidung wurde die Hälfte des Auffangstreitwertes angesetzt.