Urteil des VG Köln vom 29.05.2008
VG Köln: aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, beschlagnahme, verfügung, räumung, unterbringung, gefahr, wohnung, zumutbarkeit, eigentum
Verwaltungsgericht Köln, 20 L 595/08
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 L 595/08
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers
vom 24.04.2008 (20 K 2868/08) gegen die Ordnungsverfügung des
Antragsgegners vom 27.03.2008 wird wiederhergestellt. Der
Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Anfechtungsklage vom 24.04.2008 gegen die
Beschlagnahmeverfügung des Antragsgegners vom 27.03.2008 wiederherzustellen,
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ist zulässig und begründet.
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Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vom Gericht
vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragsgegners aus, weil sich
die angegriffene Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung als offensichtlich
rechtswidrig erweist.
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Der Antragsgegner hat mit Ordnungsverfügung vom 27.03.2008 eine im Eigentum des
Antragstellers stehende Dachgeschosswohnung in der I.----straße 000, 00000 Köln
beschlagnahmt, um die Beigeladene als Bewohnerin dieser Wohnung zur Vermeidung
von deren Obdachlosigkeit befristet bis zum 30.06.2008 wiedereinzuweisen.
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Dieser Beschlagnahmeverfügung ist Folgendes vorausgegangen:
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Der Antragsteller hat ein zivilrechtliches Räumungsverfahren gegen die unter einer
chronischen Schizophrenie leidende Beigeladene wegen mietwidrigen Verhaltens
(tätliche Angriffe gegen den Antragsteller) geführt. Dieses endete mit Anerkenntnisurteil
des Amtsgerichts Köln vom 13.11.2007 (201 C 409/07), wobei der Beigeladenen eine
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Räumungsfrist bis zum 31.01.2008 eingeräumt wurde. Nachdem diese verstrichen war,
betrieb der Antragsteller die Zwangsvollstreckung. Der Räumungstermin war auf den
31.03.2008 bestimmt. Ein Gesuch der Beigeladenen auf Gewährung von
Räumungsschutz wurde mit Beschluss des Amtsgerichtes Köln vom 17.03.2008 (288 M
0388-08) zurückgewiesen. Gegenstand des zivilgerichtlichen Verfahrens war unter
anderem die Erkrankung der Antragstellerin. Wegen der Einzelheiten der Erkrankung
wird auf die im Verwaltungsvorgang befindlichen ärztlichen Bescheinigungen vom
02.07.2007, 16.11.2007, 01.02.2008 und 18.03.2008 (Blatt 19, 41, 48 und 80 der Beiakte
1) Bezug genommen.
Während des Laufes des zivilrechtlichen Räumungsverfahrens stand die Betreuerin der
Beigeladenen mit dem Antragsgegner in Kontakt. So ist in einem Aktenvermerk des
Antragsgegners vom 03.03.2008 über ein mit der Betreuerin geführtes Telefonat
festgehalten, eine neue Wohnung sei offensichtlich in Aussicht. Auch hatte die
Betreuerin unter dem 19.03.2008 schriftlich mitgeteilt, eine passende Wohnform werde
innerhalb der nächsten sechs Wochen gefunden und bezogen sein.
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Dem Ansinnen des Antragstellers, im Hinblick auf diese Erklärung die Beschlagnahme
bis zum 30.04.2008 zu befristen, kam der Antragsgegner nicht nach. Die
Beschlagnahme wurde vielmehr für drei Monate, d.h. bis zum 30.06.2008 angeordnet.
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Die Würdigung dieses Sachverhaltes führt dazu, dass die angefochtene
Beschlagnahmeverfügung als offensichtlich rechtswidrig anzusehen ist.
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Da der Antragsteller die in der Obdachlosigkeit der Beigeladenen liegende Gefahr für
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht verursacht hat, handelt es sich bei der
Beschlagnahme der in seinem Eigentum stehenden Wohnung um die Inanspruchnahme
eines Nichtstörers. Eine solche ist gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 3 Ordnungsbehördengesetz
(OBG) nur zulässig, wenn die Gefahr von der Ordnungsbehörde (mit eigenen Mitteln)
oder durch Beauftragte nicht abgewehrt werden kann.
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Nach der Rechtsprechung des OVG NRW, der das erkennende Gericht folgt, lassen
sich aus der gesetzlichen Regelung folgende Maßstäbe ableiten:
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Die Inanspruchnahme eines Nichtstörers darf nicht erfolgen, wenn die
Ordnungsbehörde eine obdachlosenrechtlichen Maßstäben genügende Unterkunft
beschaffen und dem Räumungsschuldner zuweisen könnte. Dabei hat die
Ordnungsbehörde im Rahmen ihrer eigenen Bemühungen nicht für eine
wohnungsmäßige Voll- und Dauerversorgung, sondern lediglich für ein obdachmäßige
Unterbringung zu sorgen. Von daher ist es ausreichend, wenn eine Unterkunft bereit
gestellt wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum
für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt. Demgemäß erweist sich die
Verwaltungspraxis einer Stadt, bei bevorstehender Zwangsräumung und drohender
Obdachlosigkeit lediglich eine wohnungsmäßige Unterbringung des
Räumungsschuldners zu prüfen und ihn bei fehlender Verfügbarkeit städtischer oder
städtischem Einfluss zugänglicher Wohnungen in die bisherige wiedereinzuweisen, als
rechtswidrig.
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.02.1999 - 9 B 3847/89 - und Beschluss vom
26.06.1999, - 9 B 1707/90-, beide veröffentlicht in Juris.
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Aus diesen Grundsätzen ergibt sich des Weiteren, dass der Antragsgegner bei seiner
Sach- und Rechtsprüfung nicht in die Bewertung einzustellen hat, inwieweit die
Räumung der bisherigen Wohnung dem Räumungsschuldner zumutbar ist. Die Frage
der Zumutbarkeit einer Räumung ist Gegenstand des zivilrechtlichen Verfahrens, wobei
gerade das Räumungsschutzverfahren nach § 765 a ZPO Raum für die Prüfung von
besonderen Härten - etwa aufgrund der gesundheitlichen Situation des
Räumungsschuldners - bietet. Für eine über diese gesetzliche Zuweisung zu den
Zivilgerichten hinausgehende Prüfung der Zumutbarkeit einer Räumung durch die
Ordnungsbehörde ist kein Raum. Vielmehr obliegt gerade einer Verwaltungsbehörde
die besondere Verpflichtung, einem Richterspruch die gebührende Achtung zu
verschaffen.
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Ferner ergibt sich aus den oben aufgeführten Maßstäben, dass die Ordnungsbehörde
sich bei ihren Bemühungen um Beschaffung einer neuen Unterkunft nicht auf ihr zur
Verfügung stehende Räumlichkeiten oder ihrem Einfluss zugängliche Wohnungen
beschränken darf. Sie ist vielmehr gehalten, gegebenenfalls Räumlichkeiten
anzumieten.
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In Anwendung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für
eine Beschlagnahme und die damit verbundene Inanspruchnahme eines Nichtstörers
offenkundig nicht erfüllt.
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So zielt die Argumentation des Antragsgegners zur (fehlenden) Zumutbarkeit eines
Wohnungswechsels aufgrund der Erkrankung der Beigeladenen ersichtlich nicht allein
auf die Beseitigung der in deren Obdachlosigkeit begründeten Gefahr, sondern der
Antragsgegner ist bemüht, der sozialstaatlichen Aufgabe der Fürsorge für die
offenkundig hilfsbedürftige Beigeladene nachzukommen. Dieser Ansatz des
Antragsgegners, über die Beseitigung der Obdachlosigkeit eine den mittel- und
längerfristigen Bedürfnissen entsprechende Voll- und Dauerversorgung anzustreben, ist
grundsätzlich anerkennenswert. Der Antragsgegner verkennt jedoch, dass er die
Aufgabe der Gewährung angemessener sozialer Fürsorge, die grundsätzlich der
Allgemeinheit obliegt, nicht im Wege der obdachlosenrechtliche
Wohnungsbeschlagnahme auf eine Privatperson abwälzen darf. Die Heranziehung
eines Nichtstörers stellt nur das letzte Mittel dar, um eine ansonsten nicht abwendbare
Gefahr zu beseitigen.
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In diesem Zusammenhang ist - wie oben dargelegt - für die vom Antragsgegner
aufgeworfene Frage, wie sich eine Räumung auf die psychische Situation der
Beigeladenen auswirken würde, im vorliegenden Verfahren kein Raum.
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Des Weiteren geht der Antragsgegner fehl, wenn er die Auffassung vertritt, eine
Beschlagnahme sei bereits dann zulässig, wenn ihm eine geeignete Unterkunft
(Einzelzimmer im Hotel) nicht zur Verfügung stehe. Der Antragsgegner ist vielmehr
gehalten, beispielsweise ein angemietetes Doppelzimmer in einem Hotel mit einer
Einzelperson zu belegen oder ansonsten eine geeignete Unterkunftsmöglichkeit
anzumieten, auch wenn diese Lösung im Verhältnis zur Beschlagnahme und Zahlung
einer Nutzungsentschädigung kostenintensiv sein mag.
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Das Gericht vermag auch der Argumentation des Antragsgegners nicht zu folgen,
wonach die in besonderem Maße fehlende Sozialfähigkeit der Beigeladenen einer
Unterbringung in einer (Mehrbett)Obdachlosenunterkunft entgegenstehe. Diese
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Argumentation lässt gänzlich das private Interesse des von tätlichen Übergriffen der
Beigeladenen nicht verschont gebliebenen Antragstellers (und weiterer Bewohner des
Hauses I.----straße 000 in Köln) unberücksichtigt. Warum dem Antragsteller und seinen
übrigen Mietern infolge der fehlenden Sozialfähigkeit der Beigeladenen weitere
Übergriffe zumutbar sein sollen, wenn andererseits zu erwartende Übergriffe als
Ausschlussgrund für die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft ins Feld geführt
werden, erschließt sich nicht. Der Sachverhalt wirft insofern vielmehr die Frage nach der
geeigneten Wohnform für die Beigeladene auf.
Des Weiteren ist die Verfügung offensichtlich rechtswidrig, weil der Antragsgegner keine
eigenen Bemühungen zur Unterbringung der Beigeladenen ergriffen hat. Derartige
Bemühungen sind weder im Verwaltungsvorgang dokumentiert noch sonst ersichtlich.
Der Antragsgegner verhält sich vielmehr in diesem Zusammenhang widersprüchlich: So
führt er in der Antragserwiderung auf der einen Seite aus, es habe sich für ihn kein
konkreter Handlungsbedarf ergeben, da diverse E-Mails und Schreiben der Betreuerin
der Beigeladenen den Schluss zugelassen hätten, dass pünktlich zum Räumungstermin
alternativer Wohnraum zur Verfügung stehen könnte. Auf der anderen Seite legt der
Antragsgegner in Bezug auf die Dauer der Beschlagnahme jedoch dar, dass die
Zusicherung der Betreuerin, eine passende Wohnform werde innerhalb der nächsten
sechs Wochen gefunden sein, „völlig unsubstantiiert" (vgl. Bl. 4 der Antragserwiderung)
gewesen sei, so dass eine Beschlagnahme auch über den 30.04.2008 hinaus geboten
gewesen sei.
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Nach alledem stellt sich die Beschlagnahmeverfügung als offensichtlich rechtswidrig
dar, so dass hier das private Aufschubinteresse des Antragstellers das
Vollzugsinteresse des Antragsgegners und der Beigeladenen überwiegt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
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