Urteil des VG Köln vom 17.02.2004
VG Köln: verkehr mit betäubungsmitteln, körperliche unversehrtheit, cannabis, marihuana, schutz der gesundheit, öffentliches interesse, verschlechterung des gesundheitszustandes, bevölkerung, anbau
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 36/02
Datum:
17.02.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 36/02
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwen- den, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leis- tet.
Die Berufung wird hinsichtlich des Klageantrages zu I. zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Am 13. April 2000 beantragte die Klägerin beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM), ihr gemäß § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG)
die Erlaubnis zu erteilen, Cannabis anzubauen und, ohne damit Handel zu treiben,
Cannabis (Marihuana) und Hanfsamen einzuführen, zu erwerben und zu be- sitzen,
ohne die Auflagen des § 5 BtMG erfüllen zu müssen, hilfsweise unter Erfül- lung der
Auflagen des § 5 BtMG. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Sie sei an HIV
und Hepatitis C erkrankt und leide insbesondere unter Appetitlosigkeit, Durchfall,
innerer Unruhe und Nervenentzündungen. Cannabisprodukte übten bei ihrer
Erkrankung sehr gute therapeutische Wirkungen aus. Die Verordnung von Can-
nabis/Marihuana sei für sie medizinisch indiziert. Dies folge aus einer ärztlichen Emp-
fehlung des Dr. N. vom 1. Dezember 1999 sowie aus einem Gutachten von Dr. H. vom 6.
Dezember 1999.
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Durch Bescheid vom 19. Juli 2000 lehnte das BfArM die Erteilung der Erlaubnis ab und
trug zur Begründung unter anderem vor: Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG
seien nicht erfüllt, da die Erlaubnis weder zu wissenschaftlichen noch zu ande- ren im
öffentlichen Interesse liegenden Zwecken begehrt werde. Der von der Kläge- rin
genannte Zweck, sich selbst zu therapieren, sei kein wissenschaftlicher. Es fehle schon
das zu einem wissenschaftlichen Versuch erforderlich Produkt mit definierter Qualität.
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Es würden auch keine anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecke erfüllt. Zwar
könne auch die notwendige medizinische Versorgung eines einzelnen Patienten einen
öffentlichen Zweck darstellen; die beantragte Erlaubnis sei nach dem derzeitigen Stand
der Wissenschaft aber nicht erforderlich, da die Anwendung des verschreibungsfähigen
Arzneimittels Dronabinol, das den Hauptwirkstoff von Canna- bis Sativa, Delta-9-THC,
enthalte, ausreiche. Nach den dem BfArM vorliegenden Studien sei nicht davon
auszugehen, dass Dronabinol weniger Effekte zeige als ge- rauchtes Marihuana. Im
Übrigen sei die Erlaubnis auch gemäß § 5 Nr. 6 BtMG zu versagen, weil der Missbrauch
des Betäubungsmittels nicht hinreichend sicher aus- geschlossen sei. Schließlich sei
die Erlaubnis nach pflichtgemäßen Ermessen auch gemäß § 5 Abs. 2 BtMG in
Verbindung mit Art. 30 Abs. 2 b des Einheitsübereinkom- mens von 1961 über
Suchtstoffe (Einheitsübereinkommen) zu versagen. Weiterhin erhob das BfArM für den
Ablehnungsbescheid eine Gebühr von 100 DM gemäß § 7 Abs. 2
Betäubungsmittelkostenverordnung.
Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin am 10. August 2000 Widerspruch
und beantragte, ihr gemäß § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubnis zu erteilen,
Cannabis/Marihuana zum Zwecke der Selbstmedikation und zum Zwecke der
Verwendung als stimmungsaufhellendes und entspannendes
Nahrungsergänzungsmittel zur Gesundheitssorge bzw. zur Gesundheitsprophylaxe
anzubauen, einzuführen, zu erwerben, sich auf sonstige Weise zu verschaffen und zu
besitzen sowie Hanfsamen in einem angemessenen Umfang zum Zwecke des zu
genehmigenden Anbaus zu erwerben, einzuführen oder sich in sonstiger Weise zu
verschaffen. Weiterhin stellte sie eine Reihe von Hilfsanträgen. Zur Begründung des
Hauptantrages führte die Klägerin im Wesentlichen ergänzend aus: Die Antragstellerin
benötige Cannabis /Marihuana zur Anwendung gegen Anorexie und Kachexie. Die
Feststellung, ob die Indikationsstellung der Verwendung von Cannabis/Marihuana dem
Stand der medizinischen Forschung entspreche, unterliege nicht der Beurteilung der
Beklagten, sondern den ärztlichen Berufsverbän- den und den Aufsichtsbehörden des
Bundeslandes des behandelnden Arztes. Die beantragte Erlaubnis liege im öffentlichen
Interesse, da sie ein Präjudiz und eine Präzedenzentscheidung sei. Ein Heilversuch
liege auch im wissenschaftlichen In- teresse, da die Antragstellerin bereit sei, ihren
Heilversuch zu dokumentieren oder dokumentieren zu lassen. Der Antragstellerin sei
nicht zuzumuten, andere Arzneimittel auszuprobieren, da sie schon positive
Erfahrungen mit der Verwendung von Cannabis/Marihuana gemacht habe.
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Durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001, zugestellt am 5. Dezember
2001, wies das BfArM den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies es hinsicht-
lich des Hauptantrages der Klägerin auf den Ausgangsbescheid. Bezüglich der Hilfs-
anträge führte es aus, diese seien zum Teil unzulässig, zum Teil unbegründet.
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Mit ihrer am 3. Januar 2002 erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Verpflichtung der
Beklagten, ihr gemäß § 3 Abs. 2 BtMG die Erlaubnis zu erteilen, jederzeit
Cannabis/Marihuana zum Zwecke der Selbstmedikation bis zu einem Wirkstoffgehalt
von 7,5 Gramm THC zu besitzen und ihren Antrag, den Anbau, die Einfuhr sowie den
Erwerb von Cannabis/Marihuana sowie von Hanfsamen zu genehmigen, erneut zu
bescheiden. Weiterhin begehrt die Klägerin festzustellen, dass sie berechtigt ist, sich im
Rahmen eines ärztlichen Behandlungsverhältnisses Cannabis/Marihuana verschreiben,
verordnen, verabreichen und anwenden zu lassen oder zum Gebrauch überlassen zu
erhalten. Zur Begründung trägt ihr Prozessbevollmächtigter im Wesentlichen vor: Die
Klägerin habe einen Individualanspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis zur
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arzneilichen Ver- wendung von Cannabis/Marihuana. Die von ihr vorgelegte ärztliche
Empfehlung, Cannabis /Marihuana zu therapeutischen Zwecken zu verwenden,
entspreche dem Stand der medizinischen Forschung. Zum öffentlichen Interesse im
Sinne des § 3 BtMG sei auch die Wahrung grundgesetzlich geschützter
Individualansprüche zu rechnen. Es liege daher im öffentlichen Interesse, die
körperliche Unversehrtheit des Einzelnen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG) sowie
dessen Therapiefreiheit (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2
Satz 1 GG) zu wahren. Es sei Gegenstand des Kerns des Persönlichkeitsrechts des
Einzelnen, selbst zu entscheiden, welche Maßnahmen er zur Heilung und Linderung
von Krankheiten ergreife. Weiterhin verstoße das BtMG auch gegen das Zitiergebot des
Art. 19 Abs. 1 Satz 2 BtMG. Abgesehen davon bestehe hinsichtlich des Anbaus von
Cannabis/Marihuana in der eigenen Wohnung keine Regelungskompetenz des Bundes,
weil der Betäubungsmittelverkehr dadurch nicht tangiert sei. Dies folge aus der
Frischzellenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Weiterhin sei Hanfsamen
kein Betäubungsmittel, so dass auch durch die Aufnahme von Hanfsamen in die Anlage
I zum Betäubungsmittelgesetz die Regelungskompetenz des Bundes überschritten sei.
Im Übrigen bestehe auch ein wissenschaftliches Interesse an der Erlaubniserteilung. Zu
den wissenschaftlichen Methoden gehörten auch Einzelfallstudien. Die Klägerin sei
bereit, Erfolge und Misserfolge der Behandlungsmethode zu dokumentieren oder
dokumentieren zu lassen. Weiterhin trage die Erlaubnis dazu bei, die notwendige
medizinische Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen. Eine Erlaubnis für den
Kläger habe zur Folge, dass auch das Angebot von Cannabis/Marihuana erlaubnisfähig
sei. Dies wiederum diene der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten sei auch ermessensfehlerhaft, da sie
verkenne, dass § 3 BtMG in verfassungskonformer Auslegung einen Individualanspruch
aufgrund eines individuellen Interesses gebe. Die hilfsweisen Ermessenserwägungen
der Beklagten seien auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil eine ordnungsgemäße
Abwägung zwischen dem Interesse an der Erteilung der Erlaubnis und dem
Mißbrauchsrisiko nicht vorgenommen worden sei. Abgesehen davon könne das
Mißbrauchsrisiko auch durch Auflagen minimiert werden. Die Klägerin könne auch
deshalb nicht auf Dronabinol verwiesen werden, weil dies in die Therapiefreiheit von
Arzt und Patient eingreife und es nahe liege, dass ein Gemisch von einer Vielzahl von
Wirkstoffen anders wirke als ein einzelner Wirkstoff. Auch die Erwägungen der
Beklagten zu § 5 Abs. 6 BtMG seien ermessensfehlerhaft, da die Beklagte nicht geprüft
habe, ob im Einzelfall den Gründen, die für die Erteilung der Erlaubnis sprächen, ein
größeres Gewicht zukomme. Ermessensfehlerhaft sei auch, dass die Beklagte nicht
geprüft habe, ob die Empfehlung durch den behandelnden Arzt oder den
Privatgutachter, Cannabis/Marihuana arzneilich zu verwenden, nicht gleichbedeutend
mit einer "medical prescription" im Sinne des Art. 30 des Einheitsübereinkommens sei.
Es sei davon auszugehen, dass es sich dabei um einen anderen Begriff als in § 13 Abs.
1 Satz 3 BtMG handele. Hinsichtlich der Einfuhr sei eine von den niederländischen
Behörden geduldete Be- schaffung bei der Institution " Stichting of Medical Marijana"
beabsichtigt. Der Erwerb solle in erster Linie bei Personen und Institutionen erfolgen,
die eine Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG hätten oder gemäß § 4 BtMG einer solchen
Erlaubnis nicht bedürften. Der Antrag, sich Marihuana auf sonstige Weise zu
verschaffen, ziele darauf ab, sich Cannabis/Marihuana im Wege der ärztlichen
Anwendung zu verschaffen. Dies sei im Wege der Auslegung des § 13 BtMG möglich.
Die mit der Feststellungsklage begehrte Feststellung solle es der Klägerin ermöglichen,
darauf hinzuwirken, dass ein Arzt einen korrespondierenden Erlaubnisantrag beim
BfArM stellen könne. Falls das Gericht davon ausgehe, dass die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG nicht erfüllt seien, werde angeregt,
dem Bundesverfassungsgericht die Sache zur Entscheidung vorzulegen, da dann die
Aufnahme von Cannabis/Marihuana in die Anlage I zum BtMG verfassungswidrig sei.
Die Gebührenerhebung sei rechtswidrig, da die Klägerin nicht über eine Betriebsstätte
im Sinne der Gebührenregelung verfüge.
Die Klägerin beantragt,
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I. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. November 2001 zu verpflichten,
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1. der Klägerin die Erlaubnis zu erteilen, jederzeit Cannabis/Marihuana zum Zwecke der
Selbstmedikation in der Menge bis zu einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC zu
besitzen,
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2. den Antrag der Klägerin, ihr die Erlaubnis zu erteilen,
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Cannabis/Marihuana zum Zwecke der Selbstmedikation
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a) anbauen, b) einführen, c) erwerben, d) sich auf sonstige Weise zu verschaffen zu
dürfen
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sowie Hanfsamen in angemessenem Umfang zum Zwecke des zu genehmigenden
Anbaus erwerben, einführen oder sich auf sonstige Weise verschaffen zu dürfen,
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unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,
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II. festzustellen, dass sie berechtigt ist, sich im Rahmen eines ärztlichen
Behandlungsverhältnisses Cannabis/Marihuana verschreiben, verordnen, verabreichen
und anwenden zu lassen oder zum unmittelbaren oder mittelbaren Gebrauch
überlassen zu erhalten,
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III. die Gebührenfestsetzung im Bescheid vom 19. Juli 2000 sowie im
Widerspruchsbescheid vom 30. November 2001 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den
angefochtenen Bescheiden und führt ergänzend aus, das öffentliche Interesse im Sinne
des § 3 Abs. 2 BtMG sei nicht gegeben, weil eine Ausstrahlungswirkung auf die
medizinische Versorgung der Bevölkerung durch die beantragte Erlaubnis nicht
gegeben sei, wenn es um die Therapie einer Einzelperson gehen. Dem stehe auch
nicht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2001 entgegen, da
das Bundesverfassungsgericht konkludent davon ausgehe, die medizinische
Versorgung der Bevölkerung sei nur dann betroffen, wenn die Therapie einer
individualisierbaren Gruppe von Betroffenen zu Gute komme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg.
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Sie ist hinsichtlich der Klageanträge zu I. und zu III. unbegründet. Der Bescheid der
Beklagten vom 19. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.
November 2001 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 5 VwGO.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis zum Besitz von
Cannabis/Marihuana bzw. auf Neubescheidung ihres Antrages auf Erteilung der
Erlaubnis, Cannabis oder Hanfsamen anzubauen, einzuführen, zu erwerben oder sich
in sonstiger Weise zu verschaffen. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 3 Abs. 2 in
Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln
(Betäubungsmittelgesetz - BtMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. März
1994 (BGBl. I, 358), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26.06.2002 (BGBl. I 2261) in
Betracht. Danach bedarf einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM), wer Betäubungsmittel anbauen oder, ohne mit ihnen Handel
zu treiben, einführen oder erwerben will, § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Eine Erlaubnis für die in
Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das BfArM nur ausnahmsweise zu
wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen,
§ 3 Abs. 2 BtMG. Da Pflanzen und Pflanzenteile von Cannabis/Marihuana sowie deren
Samen, sofern er zu unerlaubtem Anbau bestimmt ist, in der Anlage I (zu § 1 Abs. 1
BtMG) als Betäubungsmittel aufgeführt sind, kann die Erlaubnis nur ausnahmsweise bei
Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BtMG gewährt werden.
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Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der von der Klägerin erstrebte Anbau oder
Erwerb von Cannabis zum Zweck der Selbstmedikation erfüllt weder einen
wissenschaftlichen noch einen anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck.
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Ein wissenschaftlicher Zweck ist gegeben, wenn die Verwendung des
Betäubungsmittels im Rahmen eines nach Inhalt und Form ernsthaften, planmäßigen
Versuchs zur Ermittlung von Erkenntnissen erfolgen soll,
26
vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Aufl. 2001, § 3 Rn. 37;
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 29.05.1973 - 1 BvR 424/71 -
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 35, 79, 113.
27
Die Annahme eines wissenschaftlichen Versuchs setzt demnach im Einzelnen voraus,
das dieser von fachkompetenten, wissenschaftlich erfahrenen Personen mit einer
bestimmten wissenschaftlichen Fragestellung nach einem bestimmten Plan und unter
Verwendung wissenschaftlich anerkannter Methoden durchgeführt, dokumentiert,
kontrolliert, ausgewertet und vermittelt wird,
28
vgl. Körner Betäubungsmittelgesetz, a.a.O., § 3 Rn. 40 ff.
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Ein Selbstversuch der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Die Beklagte hat
zutreffend darauf hingewiesen, dass die von der Klägerin eingesetzten
Cannabispflanzen kein Produkt von definierter pharmazeutischer Qualität sind und dass
es an einem wissenschaftlichen Versuchsaufbau fehlt, die Ergebnisse also nicht
reproduzierbar sind und folglich keinen wissenschaftlichen Nutzen haben. Schließlich
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fehlt auch die gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erforderliche
Sachkenntnis bzw. wissenschaftliche Qualifikation der Klägerin.
Es ist auch nicht ausreichend, dass die Klägerin sich für wissenschaftliche Forschung
zur Verfügung stellt. Denn die Erlaubnis kann nur für ein bereits konzipiertes
Forschungsprojekt, das einer Prüfung unterzogen werden kann, erteilt werden, vgl. § 7
Nr. 8 BtMG. In diesem Fall stünde die Antragsbefugnis auch nicht der Klägerin als
Teilnehmerin des Versuchs, sondern dem Träger des Forschungsprojektes zu.
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Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzung des Cannabis zum Zweck der
Selbsttherapie ihrer Krankheit erfüllt auch keinen anderen im öffentlichen Interesse
liegenden Zweck. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Zweck, der ausschließlich
dem individuellen Interesse der Klägerin dient.
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Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss, mit dem eine
Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde, darauf
hingewiesen, dass auch die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung, die
als Gesetzeszweck in der Regelung der Versagungsgründe unter § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG
genannt wird, ein öffentlicher Zweck ist, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis
gemäß § 3 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann,
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vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.01.2000 - 2 BvR 2382-2389/99 - , NJW 2000, 3126.
34
Daraus folgt jedoch nicht, dass eine therapeutische Anwendung des Betäubungsmittels
bei einer einzelnen Person bereits der medizinischen Versorgung der Bevölkerung
dient. Ein öffentliches Interesse ist gegeben, wenn das Vorhaben zumindest auch einem
gegenwärtigen Anliegen der Allgemeinheit entspricht,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - NJW
2001, 1365 . Die Therapie einer einzelnen Person dient nur der Gesundheit des
jeweiligen An- tragstellers und damit einem individuellen, aber keinem öffentlichen
Anliegen. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass die Klägerin sich
möglicherweise auf den Schutz ihrer Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2
Abs. 2 Grundgesetz (GG) und auf freie Wahl ihrer Behandlungsmethode im Rahmen der
allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann. Ansonsten läge die
Erfüllung der grundrechtlich geschützten Interessen eines Einzelnen immer gleichzeitig
im öffentlichen Interesse und die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten
Interessen wäre weitgehend obsolet.
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Dieses Ergebnis wird durch die in § 13 Abs. 1 BtMG getroffene Regelung bestätigt.
Diese Vorschrift regelt die Möglichkeiten der Behandlung eines einzelnen Patienten mit
Betäubungsmitteln durch den Arzt und verbietet eine Behandlung mit Betäubungsmitteln
der Anlage I und II. Eine Ausnahme ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Eine Erlaubnis
nach § 3 Abs. 2 BtMG zum Einsatz von Betäubungsmitteln zu therapeutischen Zwecken
erscheint daher nach der Systematik des Gesetzes nur möglich, wenn der Antragsteller
eine vom Regelungszweck des § 13 Abs. 1 BtMG nicht erfasste Besonderheit, also ein
über das private Behandlungsinteresse hinausgehendes, allgemeines und damit
öffentliches Interesse geltend machen kann.
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Sähe man dies wegen der möglichen Heilwirkung von Cannabis anders, würde die
Konzeption des Betäubungsmittelgesetzes unterlaufen, nach dem die Betäubungsmittel
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nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit unter die verschiedenen Anlagen eingestuft sind und
dementsprechend entweder nicht verkehrs- und nicht verschreibungsfähig (Anlage I),
verkehrsfähig, aber nicht verschreibungsfähig (Anlage II) oder verkehrsfähig und
verschreibungsfähig (Anlage III) sind. Der Einzelne könnte allein zum Zweck seiner
Behandlung ein Betäubungsmittel, für welches ein absolutes Verschreibungsverbot
besteht, durch Erlaubnis des BfArM erhalten. Er würde damit nicht der Verschreibungs-
und Überwachungspflicht des Arztes unterliegen, welche der Gesetzgeber für
Betäubungsmittel mit einem wesentlich geringeren Gefährdungspotential, nämlich für
die in Anlage III aufgenommenen Mittel, in § 13 BtMG vorgesehen und strengen
Prüfungsan- forderungen unterworfen hat. Die zum Schutz der Allgemeinheit wie des
Einzelnen vorgesehenen Kontrollfunktionen würden so umgangen.
Ein über das private Behandlungsinteresse der Klägerin hinausgehendes Anliegen der
Allgemeinheit ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere kann eine mögliche Vorbildwirkung
der Erlaubnis für andere Patienten, die Cannabis ebenfalls zu Therapiezwecken
einsetzen wollen, nicht zu der Annahme führen, dass die medizinische Versorgung der
Bevölkerung tangiert sei und die Erteilung der Erlaubnis rechtfertige.
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Vielmehr zeigt die Bedeutung der begehrten Erlaubnis für eine unbegrenzte Anzahl von
kranken Menschen, dass eine Zulassung von Cannabis als Heilmittel nicht im Wege
einer Ausnahmeentscheidung nach § 3 Abs. 2 getroffen werden kann, sondern eine
allgemeine Regelung durch Umstufung des Betäubungsmittels aus der Anlage I in die
Anlage III erfordert. Da die Verwendung von Cannabis/Marihuana zur Behandlung der
Symptome einer Reihe von Erkrankungen diskutiert und erforscht wird (z. B. HIV,
Multiple Sklerose, Krebserkrankungen, verschiedene Schmerzzustände), käme eine
Vielzahl von Erkrankten für eine Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 2 BtMG in
Betracht. Dies ist mit dem Ausnahmecharakter des § 3 Abs. 2 BtMG nicht zu
vereinbaren, und zwar auch deshalb, weil in jedem Einzelfall geprüft werden müsste, ob
die Anwendung von Cannabis im Einzelfall einen hinreichenden Heilungserfolg
verspricht, keine nicht tolerierbaren Nebenwirkungen besitzt und nicht durch ein
anderes Medikament ersetzt werden kann, dass nicht unter die Anlage I zum BtMG fällt.
Für eine derartige individuelle medizinische Prüfung in einer Vielzahl von Fällen ist das
BfArM weder eingerichtet noch vom Gesetzgeber vorgesehen.
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Der Auffassung, dass § 3 Abs. 2 BtMG die Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis zum
Zweck einer Einzelfalltherapie nicht vorsieht, steht die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. Januar 2000 - 2 BvR 2382/99 - nicht entgegen. Das
Bundesverfassungsgericht hat lediglich entschieden, dass die Beschwerdeführer den
Rechtsweg noch nicht erschöpft hatten, weil unter anderem die Erteilung einer Erlaubnis
nach § 3 Abs. 2 BtMG zu therapeutischen Zwecken nicht von vornherein ausscheide.
Die Frage, ob nach der zunächst den Fachgerichten obliegenden Prüfung und
Beurteilung der einfach-rechtlichen Fragen unter Zugrundelegung eines konkreten
Erlaubnisantrags die angegebenen therapeutischen Zwecke zugleich im öffentlichen
Interesse liegende Zwecke sind, war nicht Gegenstand der verfassungsgerichtlichen
Entscheidung,
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vgl. auch Wagner, PharmR 2004, 17 ff.
42
Diese Auslegung des § 3 Abs. 2 BtMG i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG, die die Erteilung einer
Erlaubnis des BfArM zur Verwendung von Cannabis zu Therapiezwecken für
Einzelpersonen ausschließt, steht im Einklang mit der Verfassung, insbesondere mit
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den Grundrechten der Klägerin. Durch die Versagung der Erlaubnis wird die Klägerin
weder in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz
- GG - noch in ihrem Recht auf Wahl ihrer Behandlungsmethoden, das als Bestandteil
der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, verletzt.
Art. 2 Abs. 2 GG schützt den einzelnen vor hoheitlichen Eingriffen in sein Leben und
seine körperliche Unversehrtheit. Außerdem ist der Staat verpflichtet, sich schützend
und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen, sie insbesondere vor den Angriffen Dritter
zu bewahren. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Abwehr eines Eingriffs des
Staates oder eines Dritten in die Gesundheit der Klägerin. Die Gesundheit ist bereits
durch die chronische und nicht heilbare Krankheit der Klägerin beeinträchtigt. Vielmehr
handelt es sich um eine Einwirkung auf die von der Klägerin gewünschte Therapie, weil
ihr durch das ausnahmslose Behandlungs- und Verschreibungsverbot in § 13 Abs. 1
BtMG ein bestimmtes Therapiemittel entzogen wird.
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Ein unmittelbarer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit liegt in dieser Beschränkung
nicht, da das Betäubungsmittelgesetz mit der Einordnung von Cannabis in die Anlage I
gerade den Schutz des Einzelnen vor den schädlichen Nebenwirkungen dieses
psychoaktiven Mittels bezweckt. Die Untersagung der Verwendung zu
Therapiezwecken könnte allenfalls ein mittelbarer - nicht beabsichtigter - Eingriff in das
Grundrecht sein, wenn durch den Entzug des Mittels eine erhebliche Verschlechterung
des Gesundheitszustandes eintreten würde oder wenn der Klägerin hierdurch eine
objektiv begründete Aussicht auf Besserung ihres Zustandes oder Linderung ihrer
Beschwerden genommen würde.
45
Eine derartige schädliche Einwirkung auf den Gesundheitszustand der Klägerin setzt
jedoch voraus, dass Cannabis überhaupt Wirksamkeit im Hinblick auf die Krankheit
oder die Krankheitssymptome der Klägerin entfaltet, der Klägerin kein gleich wirksames
erlaubtes Mittel zur Verfügung steht und auszuschließen ist, dass die bei einem
Dauergebrauch von Cannabis eintretenden schädlichen Nebenwirkungen die positiven
Wirkungen überwiegen .
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Es kann dahinstehen, ob die Wirksamkeit von Cannabis bei den Erkrankungen der
Klägerin ausreichend nachgewiesen ist, denn es sind keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass der Klägerin kein gleich
wirksames erlaubtes Arzneimittel zur Verfügung steht. Dies ergibt sich bereits daraus,
dass die Klägerin keinen ernsthaften Therapieversuch mit dem nach Anlage III des
BtMG verschreibungsfähigen Wirkstoff Dronabinol unternommen hat und keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die von der Klägerin erwünschte und
der Cannabispflanze zugeschriebene günstige Wirkung auf ihre Erkrankung nicht auch
mit Dronabinol erzielt werden könnte. Dronabinol ist der Freiname für den Wirkstoff
Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dem pharmakologisch wichtigsten Inhaltsstoff der
Hanfpflanze. Nach Auffassung des Dr. H. machen die THC-Effekte den weitaus größten
Teil der Gesamtwirkung aus, wenn auch die Cannabiswirkung nicht allein durch die
THC-Effekte erklärt werden kann (Gutachten, S. 3). Dass THC die von der Klägerin
beobachteten Cannabiswirkungen hervorrufen kann, wird gerade durch die Studien
belegt, die zur Begründung der Anwendung von Cannabis bei Übelkeit und Erbrechen
sowie bei Appetitlosigkeit und Abmagerung herangezogen werden. Denn diese Studien
sind zum größten Teil nicht mit einem Cannabisganzpflanzenextrakt, sondern mit
isoliertem THC durchgeführt worden (vgl. Gutachten H. vom 6. 12. 1999 S. 6,7). Der
Klägerin ist ein Therapieversuch mit Dronabinol auch zuzumuten, da die von der
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Klägerin angeführten positiven eigenen Erfahrungen mit Cannabis nicht den Schluss
zulassen, dass die Behandlung ihrer Krankheitssymptome mit Dronabinol zu deutlich
schlechteren Ergebnissen führen würde. Im Übrigen ist der Beklagten zuzustimmen,
dass die Klägerin mit der Einnahme eines einzigen, genau dosierbaren Stoffes (THC)
ein geringeres Risiko eingeht als bei Anwendung von Cannabis. Denn Canna-
bis/Marihuana ist nicht von gleichbleibender Qualität, sondern weicht in
Zusammensetzung und Menge der wirksamen Bestandteile je nach Pflanze erheblich
voneinander ab (vgl. Gutachten H. , S. 2 u. 3). Die Wirkungen bzw. Nebenwirkungen
sind daher wesentlich schlechter kalkulierbar. Dronabinol kann auch als alternatives
Mittel eingesetzt werden. Es ist zwar in Deutschland nicht als Fertigarzneimittel
zugelassen. Es kann jedoch als Marinol gemäß § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz aus den
USA importiert werden oder als Rezepturarzneimittel in darauf spezialisierten
Apotheken ohne Erlaubnis erworben werden, vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 b BtMG. Gegen die
Verfügbarkeit als alternatives Heilmittel kann auch nicht eingewandt werden, dass die
erheblichen Kosten von Dronabinol weder von der Klägerin aufgebracht noch von der
Krankenkasse erstattet werden können. Wenn Dronabinol im Fall der Klägerin das
einzige erlaubte Heilmittel wäre, das eine Linderung ihrer Beschwerden bewirken kann,
so müsste die Krankenkasse der Klägerin, notfalls im Rechtswege, zum Ersatz der
Kosten verpflichtet werden, um einen möglichen Grundrechtseingriff abzuwehren. Der
Grundrechtseingriff läge in diesem Fall in der Verweigerung der Kostenerstattung für ein
verschreibungsfähiges Betäubungsmittel und nicht in der Verweigerung der arzneilichen
Verwendung eines verbotenen Betäubungsmittels. Er müsste daher in dem Verfahren
vor den Sozialgerichten gerügt werden.
Im Übrigen ist zweifelhaft, ob der Entzug von Cannabis als Heilmittel wegen der mit der
Anwendung von Cannabis verbundenen Nebenwirkungen als Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit der Klägerin angesehen werden kann (zu den Nebenwirkungen vgl. H. ,
S. 4 des Gutachtens). Dem braucht aber nicht weiter nachgegangen werden, da aus den
oben dargelegten Gründen ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vorliegt.
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Das Betäubungsmittelgesetz verstößt auch nicht gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs.
1 Satz 2 GG. Danach muss ein Grundrecht, das durch Gesetz oder aufgrund eines
Gesetzes eingeschränkt werden darf, in dem Gesetz unter Angabe seines Artikels
benannt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt das
Zitiergebot nach Sinn und Zweck nur für Gesetze, die darauf abzielen, ein Grundrecht
über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken. Daraus folgt, dass
mittelbare Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht unter das Zitiergebot fallen, da sie keine
zielgerichteten Eingriffe sind,
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vgl. Krebs, in von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage 2000, Art. 19, Rn.
16.
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Das Betäubungsmittelgesetz zielt, soweit es eine Verwendung von Cannabis zu
Therapiezwecken ausschließt, nicht auf einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 GG
geschützte körperliche Unversehrtheit ab. Es ist im Gegenteil zum Schutz der
Gesundheit des Einzelnen und der Bevölkerung vor den nachteiligen Wirkungen von
Cannabis bestimmt und könnte allenfalls eine mittelbare und unbeabsichtigte
Grundrechtsbeeinträchtigung durch den Entzug eines notwendigen Heilmittels
bewirken. Unabhängig davon wurde bereits ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2
Abs. 2 GG verneint, sodass ein Verstoß gegen das Zitiergebot insoweit nicht vorliegt.
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Das Verbot verstößt auch nicht gegen das Grundrecht der allgemeinen
Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz. Dessen Schutzbereich umfasst jede
Form menschlichen Verhaltens,
52
vgl. Kunig, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, 5. Auflage 2000, Art. 2 Rn. 12 mit
weiteren Nachweisen
53
und damit auch das Selbstbestimmungsrecht des kranken Menschen, welche
Maßnahmen er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit oder Linderung seiner Leiden
ergreift. Das Verbot der Verwendung von Cannabis als Heilmittel greift in dieses
Selbstbestimmungsrecht ein.
54
Dieser Eingriff ist jedoch aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt und stellt
daher keine Verletzung des Grundrechts dar. Das Recht der allgemeinen
Handlungsfreiheit wird nur in den Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung
gewährleistet. Nur ein Kernbereich privater Lebensgestaltung ist absolut geschützt. Dies
trifft für den Umgang mit Drogen wegen der vielfältigen sozialen Aus- und
Wechselwirkungen nicht zu,
55
BVerfG, Beschluss vom 09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - , NJW 1994, 1577, 1578.
56
Die verfassungsmäßige Rechtsordnung umfasst alle Rechtsvorschriften, die formell und
materiell im Einklang mit der Verfassung stehen, insbesondere dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit entsprechen. § 3 Abs. 2 BtMG i.V.m. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BtMG
ist, soweit er den Anbau und Erwerb von Cannabis zum Zweck der Selbstbehandlung
ohne Ausnahme verbietet, formell und materiell verfassungsgemäß.
57
Insbesondere war der Bundesgesetzgeber zum Erlass dieser Vorschrift nach Art. 74
Abs. 1 Nr. 19 GG zuständig. Danach ist dem Bund die Kompetenz zur Regelung des
Verkehrs mit Betäubungsmitteln eingeräumt. Entgegen der Auffassung des Klägers fällt
unter den Verkehr mit Betäubungsmitteln auch der Anbau von Betäubungsmitteln, selbst
wenn dieser in der Absicht erfolgt, das Betäubungsmittel ausschließlich für den
Eigengebrauch zu verwenden und nicht an Dritte abzugeben, d. h. nicht in den Verkehr
zu bringen.
58
Der Verkehr mit Betäubungsmitteln und Giften im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG
umfasst den gesamten Umgang mit diesen Stoffen, von der Herstellung über den
Handel und sonstigen Vertrieb bis zum Verbrauch.
59
vgl. Kunig, in: von Münch, Grundgesetzkommentar, Bd. 3, 3. Aufl., Art. 74 Rdnr. 95; von
Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, 4. Aufl., Art. 74 Rdnr. 174.
60
Dieser Auslegung steht die sog. "Frischzellenentscheidung" des
Bundesverfassungsgerichts,
61
vgl. BVerfG, Urteil vom 16.02.2000 - 1 BvR 420/97 - NJW 2000, 857,
62
nach Auffassung der Kammer nicht entgegen. In dieser Entscheidung hat das
Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Herstellungsverbot in § 1 Abs. 1 der
Frischzellenverordnung nichtig sei, weil es auch die Herstellung von Arzneimitteln
umfasse, die durch den Arzt zum Zweck der Anwendung bei Patienten erfolge. Hierfür
63
bestehe keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, weil diese sich nach Art. 74 Abs.
1 Nr. 19 GG nur auf die Herstellung solcher Arzneimittel erstrecke, die dazu bestimmt
seien, über Apotheken und sonstige Verkaufsstellen in den Verkehr gebracht zu
werden. Dieses Ergebnis leitet das Bundesverfassungsgericht insbesondere aus der
historischen Entwicklung der Herstellung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln
sowie aus der beschränkten Regelungskompetenz des Bundes im Arztrecht her. Diese
Überlegungen können auf den Begriff des Verkehrs mit Betäubungsmitteln nicht
übertragen werden.
Der Umgang mit Betäubungsmitteln erfordert es, diese wegen ihrer besonders
gefährlichen und schwerwiegenden Auswirkungen auf Gesundheit, Psyche und
Verhalten der Konsumenten einer besonderen staatlichen Überwachung durch eine
einheitliche und damit besonders wirksame Regelung des Bundes zu unterziehen. Im
Umgang mit Betäubungsmitteln verlangt der beabsichtigte präventive
Gesundheitsschutz, dass eine einheitliche staatliche Kontrolle so früh wie möglich
einsetzt, nämlich sobald die Gefahr eines Missbrauchs oder der Entstehung einer
Abhängigkeit besteht. Diese besteht aber bereits dann, wenn nicht befugte
Privatpersonen tatsächlich auf das Betäubungsmittel zugreifen können und es zum
Eigengebrauch verwenden können.
64
Der Verkehr mit Betäubungsmitteln im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG umfasst daher
unter Berücksichtigung des Regelungszwecks nicht nur die Abgabe an Dritte oder den
Erwerb von Dritten, sondern bereits den Umgang mit Betäubungsmitteln durch hierzu
nicht befugte Personen. Der unerlaubte Anbau fällt damit unter die Reglungskompetenz
des Bundesgesetzgebers.
65
Dies gilt ebenfalls für die Aufnahme von Hanfsamen in die Anlage 1 zu BtMG.
Hanfsamen enthält zwar selbst keine psychoaktiven Stoffe. Gleichwohl kann er wegen
der möglichst frühzeitig einsetzenden Prävention als Betäubungsmittel im Sinne des
Gesetzes definiert werden, sobald er zum unerlaubten Anbau bestimmt ist. Denn in
diesem Fall besteht die Gefahr, dass mit Hilfe der Hanfsamen Betäubungsmittel erzeugt
werden, die missbräuchlich verwendet werden können.
66
Die Beschränkung der Erlaubnis zur Beschaffung von Cannabis zu wissenschaftlichen
und anderen öffentlichen Zwecken durch § 3 Abs. 2 BtMG ist auch materiell mit Art. 2
Abs. 1 GG vereinbar. Sie entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und
schränkt daher das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in zulässiger Weise ein.
67
Die grundsätzliche Einordnung von Cannabis als nicht verkehrs- und nicht
verschreibungsfähiges Betäubungsmittel ist ein geeignetes und erforderliches Mittel
zum Schutz der Gesundheit einzelner und der Bevölkerung vor Missbrauch und
Abhängigkeit mit den gravierenden sozialen Folgen für jeden einzelnen und die
Volksgemeinschaft. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom
09.03.1994 - 2 BvL 43/92 - , a.a.O., betreffend die Verfassungsmäßigkeit der
Strafvorschrift des § 29 BtMG auf der Grundlage des damaligen Erkenntnisstandes zu
den nicht unbeträchtlichen Gefahren und Risiken des Cannabiskonsums entschieden.
Es hat sich insbesondere auf die kaum bestrittene Möglichkeit der psychischen
Abhängigkeit gestützt und auf die Folgen des Dauerkonsums in Form von
Verhaltensstörungen, Lethargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust und
Depressionen hingewiesen, die insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung von
Jugendlichen nachhaltig zu stören vermöge.
68
Diese Einschätzung wurde durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts,
69
vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , NJW 2001, 1365,
70
zur Rechtmäßigkeit der Versagung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG
zum Zweck des religiösen Gebrauchs von Marihuana bestätigt. In der Begründung
wurde ausgeführt, dass auch die nach dem Ergehen der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts erzielten Forschungsergebnisse bisher nicht den Beweis
einer generellen Unbedenklichkeit von Cannabis erbracht hätten.
71
Die Angaben zu den schädlichen Nebenwirkungen von Marihuana im Gutachten des
Dr. H. vom 6. 12. 1999 geben keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzuweichen.
H. hat darauf hingewiesen, dass vor allem das Ausmaß der möglichen langfristigen
Schädigungen von Psyche, Kognition, Immunsystem, Frucht- barkeit und
Schwangerschaft in der wissenschaftlichen Diskussion umstritten sei (Gutachten, S. 4).
72
Dass die Missbrauchsgefahr und die Gefahr von schädlichen Nebenwirkungen bei dem
von der Klägerin beabsichtigten Gebrauch von Cannabis in geringer Dosierung im
vorliegenden Einzelfall gering sein mag, spielt bei der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit des Cannabisverbotes nur eine untergeordnete Rolle. Denn die
Frage, ob die Einschränkung des Rechtes des Patienten auf freie Wahl des Heilmittels
durch den Schutzzweck des Gesetzes gerechtfertigt ist, ist eine normative Frage, bei der
vom Einzelfall abweichende abstrahierende Erwägungen zulässig und geboten sind,
73
vgl. BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 - 3 C 20/00 - , a.a.O.
74
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin erstrebte
Ausnahmeerlaubnis zu Therapiezwecken nicht auf ihren Fall beschränkt bleiben
könnte. Sie müsste auch in vergleichbaren Fällen aus Gründen der Gleichbehandlung
erteilt werden und würde angesichts der Vielzahl von Indikationen, die für Cannabis
diskutiert werden, zu einer beträchtlichen Verbreitung in der Bevölkerung führen. Dies
würde die Gefahr eines Missbrauchs deutlich erhöhen.
75
Schließlich ist der Ausschluss von Cannabis zu Heilzwecken auch bei einer Abwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs auf der Seite des betroffenen Grundrechtsträgers
einerseits und der Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe andererseits angemessen.
Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bedeutet, dass eine
gesetzliche Maßnahme den Adressaten unter Berücksichtigung ihres Zwecks nicht
übermäßig belasten darf. Das Übermaßverbot wäre verletzt, wenn den mit dem
Cannabisverbot verfolgten wichtigen Gemeinschaftsbelangen ein überwiegendes oder
zumindest gleichwertiges Interesse des Betroffenen an der therapeutischen Nutzung
des Betäubungsmittels gegenüberstünde.
76
Ein derartiges schutzwürdiges Interesse der Klägerin kann jedoch im vorliegenden Fall
nicht festgestellt werden. Der Ausschluss von Cannabis als Heilmittel würde die
Klägerin nur dann unzumutbar belasten, wenn die Verwendung dieses Mittels die
einzige Möglichkeit wäre, bestehende, schwer belastende Leiden zu beheben oder
zumindest in nennenswerter Weise zu mildern. Hierfür könnte es bereits genügen, wenn
die Anwendung aufgrund objektiver Anhaltspunkte einen Behandlungserfolg verspricht,
ohne dass dieser bereits im Sinne eines wissenschaftlichen Nachweises feststehen
77
muss. Welche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Behandlungserfolges zu
stellen sind, kann hier jedoch offen bleiben. Denn der Klägerin verbleibt im vorliegenden
Fall zumindest eine andere legale Therapiealternative, die sie bisher nicht ernsthaft
erprobt hat. Insoweit wird auf die Ausführungen im Rahmen der Prüfung von Art. 2 Abs.
2 GG Bezug ge- nommen.
Die Versagung des Anbaus bzw. des Erwerbs von Cannabis zum Zweck der
Eigentherapie der Klägerin erweist sich daher auch unter verfassungsmäßigen
Gesichtspunkten als rechtmäßig.
78
Der Klageantrag der Klägerin zu III. ist ebenfalls unbegründet. Die Gebührenfestset-
zungen im Bescheid vom 16.05.2001 und im Widerspruchsbescheid vom 20.08.2001
sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO.
79
Die Gebührenfestsetzung im Ausgangsbescheid in Höhe von 100,- DM beruht auf § 7
Abs. 2 Betäubungsmittelkostenverordnung (BtMKostV) vom 16.12.1981 (BGBl. I S.
1433), zuletzt geändert durch Verordnung vom 24.06.1994 (BGBl. I S. 1416). Danach
wird für die Versagung einer Erlaubnis eine Gebühr bis zur Höhe der für die Vornahme
festzusetzenden Gebühr erhoben. Gemäß § 2 Abs. 1 BtMKostV wird für die Erteilung
einer Erlaubnis nach § 3 des BtMG eine Gebühr erhoben, die sich nach Art und Umfang
der Teilnahme am Verkehr mit Betäubungsmitteln richtet. § 2 Abs. 4 BtMKostV bestimmt,
dass für jede der aufgezählten Verkehrsarten, darunter den Anbau (Nr. 1) sowie den
Erwerb (Nr. 3), je Betäubungsmittel und Betriebsstätte eine Gebühr von 100 DM
erhoben wird, soweit der Verkehr nur wissenschaftlichen oder analytischen Zwecken
dient oder ohne wirtschaftliche Zwecksetzung erfolgt.
80
Da die Klägerin eine Erlaubnis zum Zwecke des Anbaus oder des Erwerbs eines
Betäubungsmittels ohne wirtschaftliche Zielsetzung erstrebte, entspricht die
Gebührenfestsetzung in Höhe von 100,- DM den Voraussetzungen der §§ 7 Abs. 2 , 2
Abs. 1 und Abs. 4 BtMKostV. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, die
Gebührenerhebung knüpfe an eine Betriebsstätte an und könne daher bei der Klägerin
mangels Betriebsstätte nicht erfolgen. Vielmehr zeigt die Vorschrift des § 2 Abs. 4
BtMKostV, dass eine Betriebsstätte im Sinne des Gebührentatbestands auch vorliegt,
wenn die erlaubnispflichtige Verkehrsart nicht im Rahmen eines wirtschaftlichen
Betriebes erfolgt. Betriebsstätte ist demnach jeder Ort, an dem der erlaubnispflichtige
Umgang mit dem Betäubungsmittel erfolgen soll, im vorliegenden Fall die Wohnung der
Klägerin, da dort der Anbau erfolgen oder erworbene Cannabisprodukte aufbewahrt
werden sollen.
81
Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid in Höhe von 51,13 EUR ist
ebenfalls nicht zu beanstanden. Sie entspricht den Voraussetzungen des
Gebührentatbestandes in § 7 Abs. 3 BtMKostV. Danach wird für die Zurückweisung
eines Widerspruchs eine Gebühr bis zur Höhe der für die angefochtene Amtshandlung
festgesetzten Gebühr erhoben. Die Gebühr für den Erlass des Widerspruchsbescheids
durfte daher in gleicher Höhe wie für den Versagungsbescheid festgesetzt werden.
82
Die Klage zu II. auf Feststellung, dass der Klägerin Cannabis im Rahmen eines
ärztlichen Behandlungsverhältnisses verschrieben, verabreicht oder zum unmittelbaren
Verbrauch überlassen lassen darf, ist bereits unzulässig. Es fehlt insoweit an einem
konkreten Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO zwischen der Klägerin und
83
der Beklagten. Denn für die Beantwortung der Frage, ob die Verschreibung,
Verabreichung oder Überlassung von Cannabis an die Klägerin durch einen Arzt
zulässig ist, ist nicht das BfArM zuständig. Vielmehr obliegt die Überwachung des
Betäubungsmittelverkehrs bei Ärzten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 BtMG den zuständigen
Behörden der Länder. Im übrigen wäre die Klage nach dem bereits Ausgeführten auch
unbegründet, da eine Verschreibung von Cannabis durch den Arzt gemäß § 13 Abs. 1
Satz 3 BtMG untersagt ist, und die Klägerin durch dieses Verbot auch nicht in ihren
Grundrechten verletzt ist.
Die Klage bleibt damit insgesamt ohne Erfolg, so dass die Klägerin nach § 154 Abs. 1
VwGO die Kosten zu tragen hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2
VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
85
Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen, über den Einzelfall hinausgehenden
Bedeutung der Sache die Berufung hinsichtlich des Klageantrages zu I. zugelassen, §§
124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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