Urteil des VG Köln vom 22.11.2005
VG Köln: ablauf der frist, überwiegendes öffentliches interesse, unterrichtung, aufschiebende wirkung, angemessener zeitraum, vollziehung, verfügung, absicht, drucksache, datum
Verwaltungsgericht Köln, 11 L 1860/05
Datum:
22.11.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 1860/05
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 25.000,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung
eines Widerspruchs gegen den von der Antragstellerin angefochtenen Bescheid
anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub der
Vollziehung das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung
des Bescheides überwiegt. Dies ist der Fall, wenn sich der Bescheid bei der im Rahmen
des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung als
rechtswidrig erweist, da an der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Bescheide ein
überwiegendes öffentliches Interesse nicht bestehen kann.
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der angegriffene Bescheid erweist sich
vielmehr als rechtmäßig. Die Antragsgegnerin verlangt zu Recht von der Antragstellerin,
dass eine Unterrichtung der Regulierungsbehörde über die beabsichtigte Neufassung
oder Änderung ihrer Nutzungsbedingungen zu erfolgen hat, nachdem die einmonatige
Stellungnahmefrist des § 10 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 2 EIBV sowie ein
angemessener Zeitraum, den die Bescheidadressatin für die Sichtung und ggf.
Umsetzung eingegangener Stellungnahmen benötigt, abgelaufen sind. Zur Begründung
wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 3.
November 2005 Bezug genommen. Lediglich ergänzend ist Folgendes auszuführen:
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Rechtsgrundlage für die geforderte Unterrichtung ist § 14 d Satz 1 Nr. 6 des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Nach dieser Vorschrift haben die öffentlichen
Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Regulierungsbehörde über die beabsichtigte
Neufassung oder Änderung von Schienennetz- Benutzungsbedingungen und von
Nutzungsbedingungen für Serviceeinrichtungen einschließlich der jeweils
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vorgesehenen Entgeltgrundsätze und Entgelthöhen zu unterrichten.
Die Auslegung dieser Norm ergibt, dass eine Unterrichtung über eine beabsichtigte
Neufassung oder Änderung von Nutzungsbedingungen im Sinne des § 14 d Satz 1 Nr. 6
AEG erst dann abschließend erfolgt ist, wenn der maßgebliche Entscheidungsprozess
bei dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen abgeschlossen ist. Einen ersten
Anhaltspunkt für diese Auslegung bietet der Wortlaut des § 14 d Satz 1 Nr. 6 AEG. Der
Begriff der „beabsichtigten Neufassung oder Änderung" lässt bereits darauf schließen,
dass nicht jeder vage Entschluss, eine Änderung oder Neufassung herbeizuführen, die
Unterrichtungspflicht herbeiführt. Erforderlich ist vielmehr eine konkrete Absicht, eine
bestimmte Neufassung oder Änderung herbeizuführen. Dies setzt jedoch voraus, dass
auf Seiten der Antragstellerin die erforderliche endgültige Entscheidung - die die
Durchführung des gemäß § 4 Abs. 4 EIBV erforderlichen Verfahrens voraussetzt -
getroffen worden ist, da erst dann von einer hinreichen- den Konkretisierung der
Änderungsabsicht auszugehen ist. Selbst wenn daher das
Eisenbahninfrastrukturunternehmen bereits in einem früheren Stadium - etwa mit der
Veröffentlichung gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 EIBV - der Regulierungsbehörde eine erste
Mitteilung macht, so steht die Absicht einer Neufassung oder Änderung jedoch erst dann
endgültig fest und erfordert dementsprechend eine erneute Unterrichtung der
Regulierungsbehörde, wenn das Eisenbahninfrastrukturunternehmen seinen normativ
vorgegebenen Entscheidungsfindungsprozess durchlaufen hat. Dies setzt wiederum
gemäß § 4 Abs. 4 EIBV den Abschluss des Anhörungsverfahrens und damit inzident
auch eine Entscheidung über die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der im
Rahmen dieses Verfahrens vorgebrachten Stellungnahmen voraus. Dass die
Antragstellerin zwar nicht gezwungen ist, den Stellungnahmen zu folgen, diese aber
zumindest zur Kenntnis nehmen muss, hat die Antragsgegnerin im angegriffenen
Bescheid bereits zutreffend ausgeführt.
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Auch die Gesetzessystematik spricht dafür, dass der Entscheidungsprozess bei der
Antragstellerin abgeschlossen sein muss, bevor eine abschließende Unterrichtung im
Sinne des § 14 d Satz 1 Nr. 6 AEG erfolgen kann. Dies ergibt sich insbesondere aus
dem in § 14 e AEG vorgesehenen „Widerspruchsrecht" der Antragsgegnerin. Gemäß §
14 e Abs. 1 Nr. 4 AEG kann die Regulierungsbehörde nach Eingang einer Mitteilung
nach § 14 d AEG innerhalb von vier Wochen der beabsichtigten Neufassung oder
Änderung widersprechen, soweit die beabsichtigten Entscheidungen nicht den
Vorschriften des Eisenbahnrechts über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur
entsprechen. Diese zeitlich eng begrenzte Frist von vier Wochen ergibt jedoch nur dann
einen Sinn, wenn der Antragsgegnerin bei Beginn des Fristlaufs bereits der endgültige
Entwurf der Nutzungsbedingungen vorliegt, nicht aber, wenn noch Stellungnahmen der
Zugangsberechtigten zu erwarten und daher Änderungen des Entwurfs nicht
auszuschließen sind. Ein Widerspruchsrecht kann sachgerecht frühestens nach
Kenntnis der beabsichtigten Endfassung der Nutzungsbedingungen ausgeübt werden.
Darüber hinaus liegt auch der Vorschrift des § 14 e Abs. 2 Nr. 2 AEG, nach der die
Nutzungsbedingungen vor Ablauf der Frist von vier Wochen nicht in Kraft treten dürfen,
die Vorstellung zugrunde, dass die Regulierungsbehörde abschließend in dem Stadium
unterrichtet wird, in dem alle Entscheidungsprozesse des
Eisenbahninfrastrukturunternehmens abgeschlossen sind und in dem die
Nutzungsbedingungen daher ohne Weiteres in Kraft treten könnten.
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Schließlich wird diese Auslegung auch durch Sinn und Zweck der Vorschrift, die sich
aus der Gesetzgebungsgeschichte ableiten lassen, bestätigt. Die hier im Vordergrund
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stehenden Vorschriften der §§ 14 d und e AEG sind im Gesetzgebungsverfahren erst im
Vermittlungsausschuss eingefügt worden (Deutscher Bundestag, Drucksache 15/5122);
Hintergrund hierfür war die Sicherstellung einer effektiven Kontrolle des
diskriminierungsfreien Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur sowie die Stärkung der
Regulierungsbehörde (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/4634, Anrufung des
Vermittlungsausschusses). Dieses Ziel einer effektiven Kontrolle kann im vorliegenden
Zusammenhang nur erreicht werden, wenn die für den Lauf der Frist des § 14 e Abs. 1
Nr. 4 AEG maßgebliche Unterrichtung erst dann als vollständig angesehen wird,
nachdem die Antragstellerin alle erforderlichen Verfahrensschritte abgeschlossen und
die abschließende Entscheidung über die Fassung der Nutzungsbedingungen getroffen
hat.
Auch aus der Verwendung derselben Formulierung in § 4 Abs. 4 EIBV und in § 14 d
Satz 1 Nr. 6 AEG lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass gegenüber der
Regulierungsbehörde eine Unterrichtung ausreicht, wie sie gegenüber den
Zugangsberechtigten zur Eisenbahninfrastruktur nach § 4 Abs. 4 Satz 2 EIBV zu
erfolgen hat. § 4 EIBV besitzt nämlich einen anderen Anwendungsbereich, da die
Vorschrift in erster Linie das Verfahren gegenüber den Zugangsberechtigten zur
Eisenbahninfrastruktur regelt; zu Recht weist deshalb die Antragstellerin selbst darauf
hin, dass sich an beide Vorschriften unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen. Daher kann
nicht angenommen werden, dass Gesetz- und Verordnungsgeber davon ausgingen,
dass die Zugangsberechtigten und die Regulierungsbehörde zeitgleich und im selben
Umfang zu informieren sind; im Gegenteil ergibt sich aus der Auslegung des AEG, dass
die Regulierungsbehörde in umfassenderem Maße zu unterrichten ist.
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Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung ergeben sich auch
nicht aus der Verwendung des Begriffs des „angemessenen Zeitraums", den die
Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Sichtung und ggf. Umsetzung
eingegangener Stellungnahmen einräumt. Durch die Zubilligung eines weiteren
Zeitraums bis zur Unterrichtung des Antragsgegners soll ersichtlich zugunsten der
Antragstellerin dem Umstand Rechnung getragen werden, dass eine
Auseinandersetzung mit den im Rahmen des § 4 Abs. 4 EIBV erfolgenden
Stellungnahmen einen nicht ohne Weiteres absehbaren Zeitraum benötigen kann. Im
Übrigen berühren evtl. in diesem Zusammenhang auftauchende Zweifelsfragen nicht
die Rechtmäßigkeit der insofern nur das Gesetz konkretisierenden Grundverfügung,
sondern die Frage der Durchsetzbarkeit der Verfügung durch Zwangsmittel im Fall einer
Zuwiderhandlung; sie sind daher ggf. in einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit einer
festgesetzten Zwangsmaßnahme zu klären und rechtfertigen jedenfalls nicht die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung im vorliegenden Verfahren. Lediglich
vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass es auch ohne Festsetzung eines
Zwangsgeldes im eigenen Interesse der Antragstellerin liegen dürfte, in Zukunft zügig
eine abschließende Unterrichtung der Antragsgegnerin durchzuführen, da sie nur so
den Lauf der Widerspruchsfrist gemäß § 14e Abs. 1 Nr. 4 AEG in Gang setzen und damit
ein Inkrafttreten der Nutzungsbedingungen gemäß § 14 e Abs. 2 Nr. 2 AEG bewirken
kann.
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Selbst wenn man der hier vertretenen Auffassung des Gerichts nicht folgen sollte, würde
unabhängig hiervon auch eine auf die Interessenabwägung beschränkte Überprüfung
zu Lasten der Antragstellerin ausgehen. Denn es ist nicht ersichtlich und von der
Antragstellerin auch nicht substantiiert vorgetragen worden, welche unzumutbaren
Folgen für sie eintreten würden, wenn sie - bis zur Klärung der Rechtsfrage im
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Hauptsacheverfahren - die Regulierungsbehörde vorläufig in der geforderten Art und
Weise unterrichten muss, mit der Folge, dass die beabsichtigten Änderungen ihrer
Nutzungsbedingungen möglicherweise erst ein Jahr später in Kraft treten können.
Im Übrigen weist die Kammer darauf hin, dass der Antragstellerin die Rechtsauffassung
der Antragsgegnerin spätestens seit deren Schreiben vom 12. Oktober 2005 bekannt ist.
Da sie die beabsichtigte Neufassung der Nutzungsbedingungen offenbar bereits am 30.
September 2005 veröffentlicht hat, wäre ihr nach Abschluss des einmonatigen
Anhörungsverfahrens noch ausreichend Zeit verblieben, die Antragsgegnerin zumindest
vorsorglich vom Ergebnis des Anhörungsverfahrens zu unterrichten und damit den Lauf
der vierwöchigen Widerspruchsfrist rechtzeitig vor dem 10. Dezember 2005 - dem nach
Angaben der Antragstellerin letztmöglichen Datum für die Veröffentlichtung der
endgültigen Neufassung der Nutzungsbedingungen - in Gang zu setzen. Dem Gericht
erscheint zudem der Hinweis angebracht, dass eine großzügige Handhabung der
vorherigen Unterrichtung der Antragsgegnerin kurzfristige, sofort vollziehbare
Verfügungen, die nur unter einem der Komplexität der Materie nicht angemessenen
Zeitdruck vom Gericht überprüft werden können, entbehrlich machen würde. Das Risiko,
das sich daraus ergibt, dass die Antragstellerin stattdessen auf ihrem Rechtsstandpunkt
beharrt hat, geht zu ihren Lasten.
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