Urteil des VG Köln vom 28.05.2010
VG Köln (antragsteller, überwiegendes öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, entlassung, öffentliches interesse, widerruf, interesse, ausbildung, vollziehung, beamtenverhältnis)
Verwaltungsgericht Köln, 19 L 1996/09
Datum:
28.05.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 L 1996/09
Tenor:
1. Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
2. Der Streitwert wird auf 3.608,25 Euro festgesetzt.
Gründe Der Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seiner Klage 19 K 8933/09 gegen die
Entlassungsverfügung der Bezirksregierung Köln vom 26. November 2009
wiederherzustellen,
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hat keinen Erfolg.
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Die Begründung der in dem angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Anordnung der
sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) der Entlassung des Antragstellers aus
dem Beamtenverhältnis auf Widerruf genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs.
3 Satz 1 VwGO. Sie lässt eindeutig erkennen, auf welche, dem konkreten Fall
Rechnung tragenden Gründe die Anordnung der sofortigen Vollziehung gestützt werden
soll. Ob diese Gründe durchgreifen, ist im Rahmen der Begründetheit zu prüfen.
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Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt
vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das individuelle
Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib im Beamtenverhältnis auf
Widerruf. Die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme begegnet bei der im
Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen
Überprüfung der Sach- und Rechtslage keinen durchgreifenden Bedenken und ihre
sofortige Vollziehung erscheint im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit aus den
vom Antragsgegner zur Begründung der Vollziehungsanordnung genannten Gründen
geboten.
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Die Entlassungsverfügung der Bezirksregierung Köln vom 26. November 2009 ist
formell nicht zu beanstanden. Die Bezirksregierung Köln konnte gemäß § 28 Abs. 2
VwVfG NRW von der vorherigen Anhörung absehen, weil diese nach den Umständen
des Einzelfalles nicht geboten war. Die Bezirksregierung hatte eine bereits am 14. Mai
2009 erlassene Entlassungsverfügung mit Bescheid vom 16. Juli 2009 wegen
Verfahrensfehlern aufgehoben und zugleich darauf hingewiesen, dass bei fehlender
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gesundheitlicher Eignung für die Ausbildung an einem Berufskolleg das Verfahren zur
Entlassung erneut eingeleitet werden müsse. Nachdem die Bezirksregierung mit
Schreiben vom 02. Oktober 2009 dem Antragsteller als letztes Angebot zur Vermeidung
der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf eine stufenweise
Wiedereingliederung angeboten hatte und der Antragsteller dieses Angebot mit
Schreiben vom 11. Oktober 2009 unter Angabe von Gründen abgelehnt hatte, musste
der Antragsteller mit dem erneuten Erlass einer Entlassungsverfügung rechnen. Dies
hatte er auch, denn er hatte in seinem Schreiben vom 11. Oktober 2009 seinen
Rechtsstandpunkt dargelegt- also gewissermaßen die Anhörung vorweg genommen -
und ausdrücklich darum gebeten, die "zweite Entlassungsverfügung sachlich und fair zu
formulieren". Sowohl der Personalrat als auch die Schwerbehindertenvertretung haben
der Entlassung am 29. bzw. 27. Oktober 2009 zugestimmt.
Die Entlassungsverfügung ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Sie findet ihre
Rechtsgrundlage in § 23 Abs. 4 BeamtStG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können
Beamtinnen und Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. Dieses Ermessen ist
jedoch nach Satz 2 dieser Vorschrift insoweit eingeschränkt, als ihnen Gelegenheit zur
Beendigung des Vorbereitungsdienstes und zur Ablegung der Prüfung gegeben werden
soll. Eine Entlassung ist danach nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Im
Hinblick darauf, dass der Vorbereitungsdienst (zugleich) Ausbildungsstätte im Sinne
des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ist, muss auch weniger qualifizierten Beamten auf Widerruf
grundsätzlich die Beendigung des Vorbereitungsdienstes durch Ablegung der Prüfung
ermöglicht werden (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. November 2006 - 6 B 2195/06 -
, NRWE, Rdnr. 6-12 mit weiteren Nachweisen, und vom 06. Mai 2009 - 6 B 320/09 -,
NRWE, Rdnr. 8, jeweils zur inhaltsgleichen "Vorgängervorschrift" des § 35 LBG NRW a.
F.). Ein solcher Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn für den Beamten das Ziel des
Vorbereitungsdienstes - also die erfolgreiche Ablegung der Prüfung - trotz einer
etwaigen Verlängerung nicht erreichbar scheint. Gründe für eine derartige Prognose, an
die strenge Anforderungen zu stellen sind, können beispielsweise unzureichende
fachliche Leistungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen des Beamten sein (vgl.
OVG NRW, Beschluss vom 06. Mai 2009, a.a.O., Rdnr. 9).
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Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Der Antragsteller ist nach Einschätzung der
Bezirksregierung Köln dauernd dienstunfähig mit der Folge, dass er trotz erfolgter
Verlängerung seines Vorbereitungsdienstes diesen nicht in absehbarer Zeit wird
erfolgreich durch Absolvierung der erforderlichen Ausbildung und Bestehen der Großen
Agrarwissenschaftlichen Staatsprüfung (vgl. § 7 Abs. 1 der Verordnung über die
Ausbildung und Prüfung für die Laufbahn des höheren agrarwirtschaftlichen Dienstes
und des Lehramtes an Berufskollegs der agrarwissenschaftlichen Fachrichtung im Land
Nordrhein Westfalen (VAPhagrD) vom 18. März 1986 in der Fassung der
Änderungsverordnung vom 06. August 2007 (SGV. NRW. 203013)) beenden können.
Diese Einschätzung der Bezirksregierung Köln ist nicht zu beanstanden. Der zum 01.
Oktober 2006 begonnene Vorbereitungsdienst wurde seit 27. Februar 2007 durch
krankheitsbedingte Fehlzeiten unterbrochen, darunter durch zusammenhängende
Zeiträume vom 20. November 2007 bis zum 15. März 2008 und ab 21. April 2008
durchgängig bis zu der zum 30. November 2009 verfügten Entlassung. Der Antragsteller
leidet ausweislich des amtsärztlichen Gutachtens vom 15. Juli 2008 und des im
Verwaltungsverfahren vorgelegten fachärztlichen Attests des Arztes für Psychiatrie und
Psychotherapie Dr. G. vom 06. Oktober 2009 an Angst- und Depressionssymptomen,
die ihn daran hindern, seine Referendarstätigkeit in der Berufsschule ordnungsgemäß
zu absolvieren. Deshalb war bereits der Ausbildungsabschnitt II (Schulpraktische
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Ausbildung), der sich an die Ausbildungsabschnitte III (Recht und Verwaltung) [der bei
Ausbildungsbeginn zum 01. Oktober gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 VaPhagrD als erster zu
durchlaufen war] und den Abschnitt I (pädagogischen Grundlagen) anschloss, bereits
um sechs Monate bis einschließlich September 2008 verlängert worden. Zwar hat die
Amtsärztin, die den Antragsteller im Zeitpunkt der Begutachtung für nicht in der Lage
hielt, uneingeschränkt Dienst zu verrichten, sich prognostisch dahin geäußert, dass mit
der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit des Antragstellers innerhalb der nächsten
sechs Monate zu rechnen sei und eine schrittweise Wiedereingliederung empfohlen,
sodass er nach den Herbstferien seine Unterrichtstätigkeit im Berufskolleg
wiederaufnehmen könne. Diese Prognose hat sich jedoch als unzutreffend erwiesen.
Denn der Antragsteller ist ab 24. Juli 2008 weiterhin durchgängig wegen seiner
psychischen Beschwerden krank geschrieben worden. Die Bezirksregierung durfte
daher ohne erneutes amtsärztliches Gutachten unter Verwertung der Angaben des
Antragstellers in dessen Schreiben vom 11. Oktober 2009, mit denen er die Ablehnung
des Eingliederungsangebots der Bezirksregierung vom 02. Oktober 2009 begründet
hatte, sowie des Attests des Facharztes Dr. G. vom 06. Oktober 2009 zu der Prognose
gelangen, dass der Antragsteller aufgrund seiner psychischen Beschwerden auf
absehbare Zeit außerstande sei, den begonnenen Ausbildungsabschnitt II fortzusetzen
und durch Bestehen der pädagogischen Fachprüfung (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 3
VAPhagrD) abzuschließen. Da das Bestehen der pädagogischen Fachprüfung gemäß §
8 Abs. 3 Satz 3 VAPhagrD Voraussetzung für die Fortsetzung des
Vorbereitungsdienstes und die Zulassung zur agrarwirtschaftlichen Fachprüfung ist,
kann der erfolgreiche Abschluss des Vorbereitungsdienstes - das Bestehen der Großen
Agrarwirtschaftliche Staatsprüfung, die die Laufbahnbefähigung für den höheren
agrarwirtschaftlichen Dienst und das Lehramt an Berufskollegs vermittelt (vgl. §§ 16 III,
20, 25 VAPhagrD) - nicht erreicht werden.
Die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf ist nicht deshalb
unverhältnismäßig, weil die Bezirksregierung Köln nach Meinung des Antragstellers
durch Veränderung der Reihenfolge der Ausbildungsabschnitte zur Verbesserung
seines Gesundheitszustandes und damit zur Vermeidung seiner Entlassung hätte
beitragen können. Das vom Antragsteller gewünschte und von seinem behandelnden
Facharzt Dr. G. befürwortete Durchlaufen des Ausbildungsabschnitts IV (Wahlbereich)
vor dem Ausbildungsabschnitt II ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen. Gemäß § 8
Abs. 3 Satz 1 VAPhagrD sind die Ausbildungsabschnitte in der vorgeschriebenen
Reihenfolge I, II, III und IV zu durchlaufen. Als einzige Ausnahme ist die Reihenfolge der
Abschnitte III, I, II und IV für die Referendare zugelassen, die ihre Ausbildung jeweils im
Oktober beginnen (§ 8 Abs. 3 VAPhagrD). Vor dem Ende des Ausbildungsabschnitts II
muss die pädagogische Fachprüfung abgeschlossen sein, ohne deren Bestehen der
Referendar den nächstfolgenden Ausbildungsabschnitt nicht ableisten darf (vgl. §§ 17
Abs. 2 Satz 2, 8 Abs. 3 Satz 3 VAPhagrD). Diese zwingende Regelung ist rechtlich nicht
zu beanstanden, weil sie das sachgerechte Ziel verfolgt, nicht zum Erfolg führende
Ausbildungszeiten zu vermeiden, die freiwerdenden Ausbildungskapazitäten für andere
geeignete Bewerber freizuhalten und damit dem Gebot der sparsamen Verwaltung
öffentlicher Mittel Rechnung zu tragen. Die Einhaltung des vorgeschriebenen
Ausbildungsablaufs dient zugleich dem vom Dienstherrn der Referendare zu
beachtenden Grundsatz der Chancengleichheit.
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Abgesehen davon, dass der Antragsteller eine rechtlich unzulässige
Ausnahmeregelung begehrt, ist auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der
Antragsteller bei Absolvierung des Ausbildungsabschnitts IV (Wahlbereich) vor
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erneutem Durchlaufen des Ausbildungsabschnitts II (Schulpraktische Ausbildung)
letzeren wird erfolgreich abschließen können. Immerhin hat der Antragsteller die ihm
angebotene Eingliederung, um Selbstsicherheit für die auszuübende Unterrichtstätigkeit
am Berufskolleg zu finden, nicht genutzt, sondern sich weiter krankschreiben lassen.
Angesichts der langen Dauer der psychischen Störung lässt sich keine hinreichend
sichere Prognose dazu abgeben, dass die Tätigkeit im Ausbildungsabschnitt
Wahlbereich dem Antragsteller soviel Selbstvertrauen gebracht hätte, dass ihn nicht
(weiterhin) Depressions- und Angstsymptome am erfolgreichen Durchlaufen des
Ausbildungsabschnitts II und dem Bestehen der pädagogischen Fachprüfung gehindert
hätten. Selbst das Attest des Facharztes Dr. G. vom 06. Oktober 2009 beinhaltet keine
derartige Prognose.
Die Bezirksregierung Köln hat auch frei von Ermessensfehlern dargelegt, aus welchen
Gründen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der
Entlassungsverfügung gegeben ist. So liegt es im berechtigten öffentlichen Interesse,
dass die für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zur Verfügung gestellten
Planstellen mit geeigneten, einsatz- und leistungsfähigen Beamten besetzt werden, die
u. a. auch den Unterrichtsbedarf an Berufskollegs/Berufsschulen sicherstellen. Für das
Verbleiben eines dienstunfähigen Widerrufsbeamten im Dienst unter Fortzahlung der
Bezüge ist grundsätzlich kein Raum (vgl. § 7 Abs. 6 VAPhagrD). Auch die weiteren
angeführten fiskalischen Gründe sind so gewichtig, dass das Interesse des
Antragstellers am Verbleiben im Beamtenverhältnis auf Widerruf und am weiteren Erhalt
von Anwärterbezügen zurücktreten muss.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§
53 Abs. 3, Nr. 2, 52 Abs. 1 und 5 Satz 1 Nr. 2 GKG, wobei wegen der Vorläufigkeit der
begehrten Entscheidung nur der hälftige Wert zugrunde gelegt worden ist.
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