Urteil des VG Köln vom 17.01.2002
VG Köln: eltern, besondere härte, persönliche daten, ausreise, jugend, gerichtsakte, vollstreckbarkeit, amt, abstammung, anhörung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
1
2
Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Köln, 26B K 7085/97
17.01.2002
Verwaltungsgericht Köln
26b. Kammer
Urteil
26B K 7085/97
Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kläger zu 2) die Klage zurück-
genommen hat.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des
Bundesverwaltungsam- tes vom 28. Februar 1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 1997 verpflichtet, die Klägerin zu
1) in den ihren Eltern Wiktor X. und Marija X. unter dem 13. Juni 1995
erteilten Aufnahmebescheid (Az.: W. /SU-0000000/0) ein- zubeziehen.
Soweit der Kläger zu 2) die Klage zurückgenommen hat, trägt er die
Kosten des Verfahrens. Die übrigen Kosten des Verfahrens trägt die
Beklagte. Die außergericht- lichen Kosten des beigeladenen
Bundeslandes sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der von der Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig
voll- streckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinter- legung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1) zuvor Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
Unter dem 25. März 1995 beantragten die Kläger ihre Aufnahme als Spätaus- siedler; der
Antrag ist am 24. April 1995 bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland
eingegangen. Die am 10. November 1965 in B. , Gebiet L. , in Kasachstan geborene
Klägerin zu 1) gab an, deutsche Volkszugehörige zu sein. Sie sei die Tochter des am 14.
April 1938 in U. , L. , geborenen deutschen Volkszugehörigen Viktor X. und der am 17. Juni
1937 in O. , L. , gebore- nen deutschen Volkszugehörigen Maria X. , geborene G. . Der
Vater habe e- benfalls einen Aufnahmeantrag gestellt, über den noch nicht entschieden sei.
Der am 19. Februar 1963 geborene Kläger zu 2) ist russischer Volkszugehöriger. Er ist seit
dem 30. August 1986 mit der Klägerin zu 1) verheiratet. Die Ehe ist mit Wirkung vom 4.
September 2001 geschieden worden. Dem Antrag waren Unterlagen zu den ver-
wandtschaftlichen Verhältnissen beigefügt.
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Den Eltern der Klägerin zu 1) wurde am 13. Juni 1995 ein Aufnahmebescheid erteilt. Sie
reisten am 6. Dezember 1995 in das Bundesgebiet ein und wurden am 11. Dezember 1995
als Spätaussiedler registriert.
Das Bundesverwaltungsamt stellte in der Folgezeit Ermittlungen zu dem Sprach- vermögen
der Klägerin zu 1) an. Mit Bescheid vom 28. Februar 1996 lehnte das
Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag der Kläger ab. Zur Begründung führte es im
Wesentlichen aus, der Klägerin zu 1) sei das bestätigende Merkmal der deut- schen
Sprache nicht ausreichend vermittelt worden, da die Klägerin zu 1) angegeben habe,
lediglich "wenig" Deutsch zu verstehen und "nur einzelne Wörter" Deutsch zu sprechen.
Die Kläger legten am 25. März 1996 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im
Wesentlichen vortrugen, die Klägerin zu 1) habe von Kindheit an Deutsch gespro- chen.
Die deutsche Sprache habe sie von ihren Eltern und von der Großmutter er- lernt. Zuhause
spreche sie selten Deutsch, weil ihr Ehegatte russischer Volkszugehö- riger sei. Doch
verstehe und spreche sie Deutsch ganz gut. Um die Sprache noch besser zu erlernen,
besuche sie Deutschkurse. Sie lese eine deutsche Zeitung, höre deutschsprachige
Sendungen, bereite deutsche Speisen, feiere deutsche Festtage und interessiere sich für
das Leben in der BRD.
Die Klägerin zu 1) wurde daraufhin am Konsularsprechtagsstandort L. am 27. März 1997
persönlich angehört. Der die Anhörung durchführende Mitarbeiter kam zu dem Ergebnis,
die Klägerin zu 1) verstehe nur wenig und spreche nur einzelne Wörter Deutsch; ein Dialekt
sei nicht feststellbar gewesen. Das Bundesverwaltungs- amt wies daraufhin den
Widerspruch unter Bezugnahme auf das Ergebnis des Sprachtests mit
Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 1997 zurück.
Am 6. August 1997 haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung tragen sie
ergänzend vor, das Erlernen der deutschen Sprache sei der Klägerin zu 1) aufgrund der
Lebensumstände in ihrer Kindheit und Jugend nicht zumutbar gewesen. Im Übri- gen
könne die Klägerin zu 1) in den Aufnahmebescheid der Eltern nachträglich ein- bezogen
werden. Zur Ausreise hätten die Eltern sich im Jahre 1995 kurzfristig ent- schlossen, weil
bei der miteinreisenden Tochter Tatjana eine Risikoschwangerschaft bestanden habe, die
in Deutschland ordnungsgemäß versorgt werden sollte. Den Eltern habe damals auch
niemand erklärt, dass eine Einbeziehung der Klägerin zu 1) im Herkunftsland abgewartet
werden müsse.
Der Kläger zu 2) hat die Klage am 22. November 2001 zurückgenommen.
Die Klägerin zu 1) beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 28.
Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 1997 zu
verpflichten, die Klägerin zu 1) in den ihren Eltern Wiktor X. und Marija X. unter dem 13.
Juni 1995 erteilten Aufnahmebescheid (Az.: W. /SU-000000/0) einzubeziehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die angefochtenen Bescheide.
Das beigeladene Bundesland stellt keinen Antrag.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des
Bundesverwaltungsamtes Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Soweit der Kläger zu 2) die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren nach § 92 Abs.
3 VwGO einzustellen.
Die zulässige Klage der Klägerin zu 1) ist begründet.
Die Klägerin zu 1) hat einen Anspruch auf Einbeziehung in den ihren Eltern Wiktor X. und
Marija X. unter dem 13. Juni 1995 erteilten Aufnahmebescheid. Der Bescheid des
Bundesverwaltungsamtes vom 28. Februar 1996 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 1997 ist insofern rechtswidrig und verletzt die
Klägerin zu 1) in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
Die Klägerin zu 1) hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung eines
Einbeziehungsbescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Wie sich aus dem Verweis auf
Satz 1 ergibt, setzt eine Einbeziehung nach dieser Vorschrift voraus, dass die
Bezugsperson ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet noch nicht aufgegeben hat. Die als
Bezugspersonen allein in Betracht kommenden Eltern haben das Aussiedlungsgebiet
jedoch bereits verlassen und halten sich seit Dezember 1995 in der Bundesrepublik
Deutschland auf.
Die Klägerin zu 1) kann jedoch beanspruchen, nach § 27 Abs. 2 BVFG in den ihren Eltern
erteilten Aufnahmebescheid vom 13. Juni 1995 nachträglich einbezogen zu werden, weil
die Versagung der Eintragung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG eine besondere Härte
bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
Im vorliegenden Fall ist eine verfahrensbedingte Härte
vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. April 2001 - 5 C 19.00 -
gegeben, weil die Klägerin zu 1), die ausweislich der vorgelegten Geburtsurkunde leibliche
Tochter der Eheleute Wiktor und Marija X. ist, bis zur Ausreise ihrer Eltern in deren
Aufnahmebescheid hätte einbezogen werden können. Die Klägerin zu 1) hatte unter
Benutzung des üblichen Formulars bereits im April 1995 ihre Aufnahme nach dem
Bundesvertriebenengesetz beantragt. Auch wenn dieser Antrag ausdrücklich nur auf eine
Aufnahme aus eigenem Recht gerichtet war, enthielt er zugleich für den Fall, dass die
Aufnahme aus eigenem Recht nicht gewährt wurde, hilfsweise als ein Weniger den Antrag
auf Einbeziehung. In dem Antrag sind Namen und persönliche Daten der Eltern der
Klägerin zu 1) genannt worden. Des Weiteren wird im Aufnahmeantrag ausdrücklich auf
das laufende Aufnahmeverfahren des Vaters hingewiesen. Auch waren die zum Nachweis
ihrer Abstammung erforderlichen Dokumente beigefügt. Ergab sich somit aus dem
Aufnahmeantrag eindeutig, dass neben den Eltern der Klägerin auch diese selbst einen
noch nicht beschiedenen Aufnahmeantrag gestellt hatte, wäre es in der gegebenen
Verfahrenssituation geboten gewesen, unmittelbar nach Erteilung des
Aufnahmebescheides an die Eltern oder jedenfalls nach vorheriger Rückfrage bei den
Klägern eine Einbeziehung vorzunehmen.
Es wäre dem Bundesverwaltungsamt daher in dem Zeitraum von der Erteilung des
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Aufnahmebescheides der Eltern an bis zu deren Ausreise im Dezember 1995 ohne
Weiteres möglich gewesen, die Klägerin zu 1) in diesen Aufnahmebescheid
einzubeziehen. Es kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob die für die Annahme einer
verfahrensbedingten Härte vorausgesetzte parallele Anhängigkeit der Aufnahmeverfahren
von einzubeziehender Person und Bezugsperson sich über eine gewisse Zeitspanne
erstrecken muss oder ob insofern auch ein geringfügiger Zeitraum der Überschneidung
genügt. Denn jedenfalls ein Zeitraum von ca. sechs Monaten, der deutlich über dem
Dreimonatszeitraum des § 75 VwGO liegt, muss für die Entscheidung über die
Einbeziehung als ausreichend angesehen werden.
Angesichts der vorliegend gegebenen verfahrensbedingten Härte, die bereits für sich
genommen eine nachträgliche Einbeziehung der Klägerin zu 1) rechtfertigt, kann
offenbleiben, ob im Jahre 1995 aufgrund einer Risikoschwangerschaft der mit den Eltern
einreisenden Schwester der Klägerin zu 1) weitere Härtegründe bei den Bezugspersonen
vorlagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 und Abs. 3, 159 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 100 ZPO, 162 Abs. 3 VwGO. Dabei waren die außergerichtlichen Kosten des
beigeladenen Landes nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil dieses einen Sachantrag
nicht gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 711 Satz
1, 708 Nr. 11 ZPO.
Das Gericht sieht keinen Anlass, die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO
zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO nicht
vorliegen.