Urteil des VG Köln vom 27.02.2007
VG Köln: härte, anspruchsberechtigte person, soziale gerechtigkeit, eltern, ausbildung, belastung, unterhaltspflicht, behörde, gegenleistung, deckung
Verwaltungsgericht Köln, 22 K 4148/05
Datum:
27.02.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
22. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
22 K 4148/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
T a t b e s t a n d:
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Die Klägerin begehrt Förderleistungen für den Bewilligungszeitraum April 2005 bis März
2006 unter Berücksichtigung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG bei der
Berechnung des Einkommens ihrer Mutter in Höhe von monatlich 613,55 Euro.
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Die im Jahre 1981 geborene Klägerin erlangte im Mai 2001 die Allgemeine
Hochschulreife und nahm im Wintersemester 2001/02 an der Universität Köln das
Studium der Heilpädagogik (Diplom) auf. Sie beantragte in der Folgezeit mehrfach
Förderleistungen, die ihr jeweils bewilligt wurden. Am 13. Januar 2005 beantragte sie
erneut Förderleistungen. Mit Bescheid vom 30. März 2005 bewilligte der Beklagte
daraufhin Förderleistungen für den Bewilligungszeitraum April 2005 bis März 2006 in
Höhe von monatlich 212,00 Euro. Am 12. April 2005 beantragte die Klägerin die
Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen für ihre Mutter nach § 25 Abs. 6
BAföG aufgrund einer Schwerbehinderung sowie einer Sonderbelastung durch
Zahlungen ihrer Mutter an ihre Großmutter in Höhe von monatlich 613,55 Euro. Sie legte
hierzu einen Vertrag vom 09. November 1977 vor, der damals zwischen ihrer
Großmutter und deren Sohn (demVater der Klägerin) geschlossen worden war.
Hiernach verkaufte die verwitwete Großmutter der Klägerin ihren Gesellschaftsanteil an
dem gemeinsamen Malergeschäft an ihren Sohn zum 31. Dezember 1977. Als
Gegenleistung sollte dieser ein Drittel des erwirtschafteten Gewinnes aus dem Betrieb
an die Großmutter abführen und als Abschlagzahlung hierauf einen Betrag von
monatlich 1 200,00 DM leisten. Es sollte sich hierbei um den monatlichen Mindestbetrag
für den Unterhalt der Großmutter handeln. Die endgültige Abrechnung des
Gewinnanteils sollte jeweils nach Erstellung der Jahresbilanz erfolgen. Zu den
Einnahmen des Gewerbebetriebes sollte das Gehalt gerechnet werden, das der Sohn
der Großmutter an seine Ehefrau (die Mutter der Klägerin) erbringen wollte. Mit
Bescheid vom 28. April 2005 bewilligte der Beklagte unter Berücksichtigung der
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Schwerbehinderung der Mutter der Klägerin daraufhin Förderleistungen für den
streitbefangenen Bewilligungszeitraum in Höhe von monatlich 225,00 Euro. Mit
Schreiben vom 19. April 2005 hatte die Klägerin gegen den Bescheid vom 30. März
2005 Widerspruch eingelegt, den sie auch nach einem Hinweisschreiben des Beklagten
vom 10. Mai 2005 aufrecht erhielt. Der Beklagte hatte in diesem Schreiben darauf
hingewiesen, dass es sich bei der Zahlungsverpflichtung der Mutter der Klägerin
steuerrechtlich um Sonderausgaben, jedoch nicht um außergewöhnliche Belastungen
im Sinne der § 33 bis 33 c EStG handele. Denn die Zahlungsverpflichtung beruhe auf
dem Vertrag zur Übertragung des Betriebes der Großeltern der Klägerin auf die Eltern
der Klägerin. Nach § 25 Abs. 6 BAföG könnten jedoch Belastungen des Vermögens
grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. Mit Bescheid vom 01. Juli 2005 wies die
Bezirksregierung Köln den Widerspruch als unbegründet zurück. Eine
außergewöhnliche Härte nach § 25 Abs. 6 BAföG liege bereits deshalb nicht vor, weil
die Mutter der Klägerin für die Zahlung der Rente an die Großmutter einen
Vermögenswert als Gegenwert erhalten habe.
Am 13. Juli 2005 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist weiterhin der Ansicht, dass die
Zahlungsverpflichtung ihrer Mutter als außergewöhnliche Härte nach § 25 Abs. 6 BAföG
zu berücksichtigen sei. Hierbei sei zu bedenken, dass der Vater der Klägerin bereits im
Jahre 1991 verstorben sei und der Betrieb keinen Gewinn mehr abwerfe. Aus diesen
Gründen sei ihre Mutter wirtschaftlich gezwungen, seit 2002 einer Berufstätigkeit
nachzugehen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 28. April 2005 und unter
Aufhebung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 01. Juli 2005
zu verpflichten, der Klägerin Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum April
2005 bis März 2006 zu bewilligen und dabei einen weiteren Betrag von 613,55 Euro
monatlich nach § 25 Abs. 6 BAföG anrechnungsfrei zu lassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Ergänzend weist er darauf hin, dass nach der Rechtsprechung lediglich Aufwendungen
für Unterhaltsleistungen Berücksichtigung finden könnten, die aufgrund besonderer
individueller Umstände geleistet würden und wesentlich höher als die Pauschbeträge
nach § 25 BAföG seien. Vorliegend bestehe jedoch keine gesetzliche oder sittliche
Unterhaltspflicht, da die Zahlungen an die Großmutter rechtlich und wirtschaftlich als
Gegenleistungen für die Betriebsübergabe anzusehen seien. Deshalb handele es sich
bei diesen Zahlungen auch nicht um eine unbillige Härte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Beklagte ist nicht verpflichtet, einen weiteren Anteil des Einkommens der Mutter der
Klägerin nach § 25 Abs. 6 BAföG wegen Vorliegens einer unbilligen Härte
anrechnungsfrei zu lassen. Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2005 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 01. Juli 2005 ist
deshalb rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5
VwGO.
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Bei der Belastung der Mutter der Klägerin durch die streitbefangenen Zahlungen an die
Großmutter der Klägerin handelt es sich nicht um eine unbillige Härte nach § 25 Abs. 6
BAföG. § 25 Abs. 6 BAföG dient der Berücksichtigung atypischer Umstände, bei deren
Vorliegen die Pauschbeträge der Abs. 1 und 3 zur Deckung des Unterhaltsbedarfs der
Eltern und des Auszubildenden nicht ausreichen. Der Gesetzgeber hat den Wortlaut eng
gewählt, um die Zahl der Fälle gering zu halten, in denen der Einkommensfreibetrag
nicht aufgrund der gesetzlichen Pauschalen ermittelt wird, sondern individuell berechnet
werden muss. Die Belastung der Verwaltung durch die individuelle Festsetzung eines
weiteren Freibetrages soll nur dann in Kauf genommen werden, soweit die soziale
Gerechtigkeit dies im Einzelfall dringend gebietet. Hierbei ist das Vorliegen einer
unbilligen Härte grundsätzlich nach dem Grad der Gefährdung der Ausbildung zu
beurteilen. Ist trotz einer außergewöhnlichen Belastung der Eltern zu erwarten, dass sie
den angerechneten Einkommensbetrag dem Auszubildenden in zumutbarer Weise zur
Verfügung stellen können und werden, so ist eine Härtesituation im Sinne dieser
Vorschrift nicht gegeben.
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Vgl. Rothe/Blanke, BAföG, § 26 Rn. 42.1 (Stand April 2002)m.w.N.
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§ 26 Abs. 6 Satz 1 enthält auf der Tatbestandsseite der Norm den unbestimmten
Rechtsbegriff „ unbillige Härte", der vom Gericht voll überprüfbar ist, sowie auf der
Rechtsfolgeseite der Norm die Befugnis der Behörde zu einer Ermessensentscheidung.
Nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts prägt der Begriff der
unbilligen Härte hierbei den Zweck der Ermessensermächtigung entscheidend und
bestimmt maßgeblich das Steuerungsprogramm für die Ausübung des Ermessens.
Neben diesem Zweck, unbillige Härten zu vermeiden, sind andere für die Einräumung
eines Freibetrages bedeutsame Ermessensgesichtspunkte nicht ersichtlich. So lassen
sich keine Gründe finden, die es rechtfertigen können, gegen den Ermächtigungszweck
einen weiteren Teil des Einkommens trotz sonst eintretender unbilliger Härte nicht
anrechnungsfrei zu lassen. Einerseits gibt § 25 Abs. 6 BAföG nur dann, wenn und
soweit eine Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte
führen würde, die Ermessensdirektive vor, einen weiteren Teil des Einkommens
anrechnungsfrei zu lassen. Anderseits soll aber immer dann, wenn und soweit eine
Einkommensanrechnung ohne Härtefreibetrag zu einer unbilligen Härte führen würde,
ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei gelassen werden. Damit ist die
Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriff der unbilligen Härte nach § 25 Abs. 6
BAföG unmittelbar mit dem Ermessensbereich und der Ermessensausübung nach
dieser Vorschrift verbunden.
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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juli 1998 - 5 C 14.97- FamRZ 1998, 1630.
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In Anwendung dieser Grundsätze liegt im Fall der Klägerin eine unbillige Härte nach §
25 Abs. 6 BAföG nicht vor. Denn die Zahlungsverpflichtung der Mutter der Klägerin
beruht nicht auf einer gesetzlichen oder sittlichen Unterhaltspflicht gegenüber der
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Großmutter der Klägerin, sondern auf dem Vertrag vom 09. November 1977 zur
Übertragung der Gesellschaftsanteile des Gewerbebetriebes an den Vater der Klägerin.
Es handelt sich hierbei nicht um atypische Umstände, bei deren Vorliegen die
Pauschbeträge des § 25 BaföG zur Deckung des Unterhaltsbedarfs der Eltern des
Auszubildenden nicht ausreichen und deshalb eine Lücke zwischen den gesetzlichen
Pauschbeträgen und der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht im Einzelfall besteht (etwa bei
atypisch hohen Vorsorgeaufwendungen, besondere Unterhaltsleistungen für
getrenntlebende Ehegatten, Unterhaltsleistungen für Behinderte ohne eine gesetzliche
Unterhaltsverpflichtung, Unterhaltsleistungen an Kinder des Ehegatten aufgrund
besonderer Umstände).
Vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 4. Auflage 2005, § 25 Rn. 29 ff.
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Die streitbefangenen Zahlungen der Mutter der Klägerin stellen vielmehr wirtschaftlich
und rechtlich die Gegenleistung für die Übertragung der Gesellschaftsanteile an den
Vater der Klägerin dar. Statt der Zahlung eines (einmaligen) Kaufpreises wurden
vorliegend rentenähnliche Leistungen vereinbart, die den Unterhalt der Großmutter der
Klägerin zu ihren Lebzeiten absichern sollten. Zwar sind in der Folgezeit durch den Tod
des Vaters der Klägerin, den Rückgang der Einnahmen aus dem Betrieb sowie dem
hohen Lebensalter der Großmutter der Klägerin besondere Umstände entstanden, die in
ihrem Zusammenwirken zu einer besonderen Belastung der Mutter der Klägerin durch
die streitbefangenen Zahlungen geführt und diese zu der Aufnahme einer Berufstätigkeit
veranlasst haben. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine atypische unbillige
Härte, sondern um typische Risiken, die mit dem Abschluss derartiger Verträge
regelmäßig verbunden sind. Wenn sich die Vertragsparteien bei Abschluss eines
derartigen Vertrages nicht auf die Zahlung eines einmaligen Entgeltes verständigen,
sondern die Vereinbarung einer rentenähnlichen Zahlung vereinbaren, so gehen sie
hiermit die genannten Risiken ein. Diesen Risiken stehen (neben dem Erwerb des
Gesellschaftsanteils) regelmäßig Gewinneinnahmen aus dem Betrieb und
wirtschaftliche Chancen gegenüber, wenn etwa aus dem Betrieb besondere Gewinne
erwirtschaftet werden können oder die anspruchsberechtigte Person frühzeitig verstirbt.
Es handelt sich hiernach nicht um atypische Umstände, sondern um Entwicklungen, die
mit dem Abschluss derartiger Verträge regelmäßig einhergehen und deshalb nicht als
unbillige Härte angesehen werden können.
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Im übrigen weist das Gericht darauf hin, dass in den Fällen der Gefährdung der
Ausbildung (infolge der Nichtleistung von angerechneten Unterhaltsbeträgen) der
Auszubildende Vorausleistungen nach § 36 BAföG beantragen kann. Dies setzt
allerdings voraus, dass sich der Auszubildende im Bewilligungszeitraum an die
zuständige Behörde wendet und glaubhaft macht, dass durch die Nichtzahlung des
angerechneten Unterhaltsbetrages seine Ausbildung gefährdet wird. Entgegen der
Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist es nicht Sache der Behörde, ohne
besonderen Anlass von Amts wegen derartige Nachforschungen zu betreiben.
Angesichts der hohen Anzahl von Auszubildenden und Förderanträgen sind die
Förderämter hierzu tatsächlich nicht in der Lage und gesetzlich auch nicht verpflichtet.
Es ist vielmehr die Obliegenheit des Auszubildenden, sich in diesen Fällen umgehend
an die zuständigen Förderämter zu wenden, um die Durchführung seiner Ausbildung
sicherzustellen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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