Urteil des VG Köln vom 01.07.2009

VG Köln: betroffene person, zahl, arbeitsunfähigkeit, unterrichtung, verfügung, gespräch, einwilligung, personalakte, datenverarbeitung, erlass

Verwaltungsgericht Köln, 34 K 4172/08.PVL
Datum:
01.07.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
34. Landespersonalvertretungskammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
34 K 4172/08.PVL
Tenor:
Der Antrag zu 1. wird abgelehnt.
Im übrigen wird der Beteiligte verpflichtet, dem Antragsteller in
regelmäßigen Abständen, mindestens halbjährlich, in anonymisierter
Form Listen über die Zahl der BEM-pflichtigen Verfahren, die Zahl der
angebotenen Gespräche, die Zahl der abgelehnten Gespräche und die
Zahl der durchgeführten Gespräche mit Handlungsbedarf/ohne
Handlungsbedarf zur Verfügung zu stellen.
G r ü n d e
1
I
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Die Beteiligten streiten über den Umfang der Informations- und Beteiligungsrechte des
Antragstellers im Zusammenhang mit der Durchführung des betrieblichen
Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX.
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Im Zuge der Novellierung des SGB IX wurde der Begriff des „Betrieblichen
Eingliederungsmanagements" neu eingeführt. Es ist durchzuführen, wenn der
Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig ist. § 84 Abs. 2 SGB IX hat folgenden Wortlaut:
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„Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung
im Sinne des § 93 (Anmerkung: Personalvertretung), bei schwer-behinderten Menschen
außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der
betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden
werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt
und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).
Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten
Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen.
Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden
Verpflichtungen erfüllt."
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Für den Bereich der Finanzverwaltung sind die Modalitäten, wie mit diesem
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betrieblichen Eingliederungsmanagement umzugehen ist, durch Erlass vom 06.11.2006
näher geregelt. Zum Verfahren bestimmt dieser Erlass, dass die Dienststellenleitung
zunächst festzustellen hat, ob eine Arbeits- oder Dienstunfähigkeit von mehr als 6
Wochen innerhalb von 12 Monaten vorliegt. Sobald dies der Fall ist, hat der
Dienststellenleiter mit der betroffenen Person Kontakt aufzunehmen und ihr ein
Widereingliederungsgespräch anzubieten. Dabei ist auf die Ziele der Bestimmung
sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.
Sodann ist dem Beschäftigten eine Frist von mindestens 2 Wochen einzuräumen, um zu
entscheiden, ob er von dem Gesprächsangebot Gebrauch machen möchte. Für den
Zustimmungsfall ist ihm die Option eingeräumt, eine oder mehrere Personen seines
Vertrauens hinzuzuziehen.
Mit Schreiben vom 21.05.2008 wandte sich der Antragsteller wie folgt an den
Beteiligten: Bereits im Vierteljahresgespräch am 10.01.2008 sei die Handhabung des
BEM erörtert worden. Dabei sei von der Personal- und Schwerbehindertenvertretung auf
die Vorschrift des § 84 Abs. 2 SGB IX hingewiesen worden, wonach diese Vertretungen
darüber wachen, ob der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden
Verpflichtungen erfüllt. Dies sei nur möglich, wenn den Vertretungen die
entsprechenden Informationen bekannt gegeben würden. Die Vertretungen seien vor
der Aufforderung an die Beschäftigten, ob sie einem BEM zustimmen, zu beteiligen.
Dies sei leider bis heute nicht geschehen. Man bitte nunmehr, der Personalvertretung
die erforderlichen Unterlagen aus der Vergangenheit zur Verfügung zu stellen und
künftig die Beteiligung sicherzustellen.
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Mit Schreiben vom 04.06.2008 antwortete der Beteiligte: Der Aufforderung des
Antragstellers, den Personalrat bereits vor dem Beginn von Maßnahmen zu beteiligen,
könne man nicht entsprechen. Im Verfahren zur betrieblichen Eingliederung könne der
Betroffene jederzeit die Unterstützung der betrieblichen Interessenvertretung begehren.
Er könne auch jederzeit darauf bestehen, dass die Interessenvertretung - aus welchen
Gründen auch immer - gerade nicht informiert werden solle. Um sicherzustellen, dass
der Betroffene dieses höchst persönliche Wahlrecht unbeeinflusst und ohne durch eine
Vorabinformation der Personalvertretung vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu
sein auch ausüben könne, halte man eine Information der Personalvertretung vor der
Einladung zum Gespräch und vor der Durchführung des ersten Gesprächs, in dem man
über den Umfang der Rechte und Möglichkeiten informieren könne, für unzulässig.
Sofern der Betroffene - wie in der Vergangenheit mehrfach praktiziert - Wert auf eine
frühzeitige Einschaltung der Personalvertretung aus eigener Veranlassung lege, könne
er dies ungehindert in diesem frühen Stadium durch eigenes aktives Beteiligen tun. Die
frühzeitige Information der Personalvertretung ohne die bewusste Ausübung einer
Entscheidung durch den Betroffenen habe unstreitig die Bekanntgabe höchst sensibler
persönlicher Daten zur Folge. Diese Daten seien durch das Datenschutzgesetz des
Landes NRW besonders geschützt. Diese Schutzrechte habe man zu beachten. Eine
Verletzung sei nur mit Einwilligung des Betroffenen und damit erst nach dem ersten
Gespräch möglich. Auch aus dem Wortlaut von § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX („zuvor")
ergebe sich, dass vor der Klärung von Maßnahmen zwischen Arbeitgeber und
Interessenvertretung die betroffene Person auf die Ziele des betrieblichen
Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und
verwendeten Daten hinzuweisen sei. Eine frühzeitige Information vor diesem Gespräch
sei daher schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ausgeschlossen. Eine Weitergabe der
Daten sei auch nach Auffassung der Landesdatenschutzbeauftragten nicht zulässig. An
diese Auffassung sei man gebunden, bis sie entweder aufgegeben oder durch eine
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gerichtliche Entscheidung aufgehoben werde. Auf Beschwerde eines Betroffenen
müsste die Oberfinanzdirektion den Beteiligten rügen und eine künftige Handhabung
untersagen, wenn eine Information über die Krankheitsentwicklung frühzeitig an die
Personalvertretung gegeben worden sei. Die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte
Berlin und Hamburg seien im Land Nordrhein-Westfalen angesichts der feststehenden
anderweitigen Auffassung der Landesdatenschutzbeauftragten nicht anwendbar.
Daraufhin hat der Antragsteller am 21.06.2008 das vorliegende Verfahren anhängig
gemacht, zu dessen Begründung seine Prozessbevollmächtigten vortragen:
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Die Rechte des Personalrats beschränkten sich nicht auf die förmlichen
Beteiligungsrechte sowie die allgemeinen Aufgaben, die im LPVG NRW geregelt seien.
Der Personalrat habe darüber hinaus Aufgaben und Beteiligungsrechte aufgrund
sondergesetzlicher Normen, hier des § 84 Abs. 2 SGB IX. Das gesamte Verfahren des
betrieblichen Eingliederungsmanagements - beginnend mit der Erfassung des in
Betracht kommenden Personenkreises über die Unterrichtung desselben über die
gegebenen Möglichkeiten, die Auswertung der Rückantworten, bejahendenfalls das
Angebot und die Durchführung der Wiedereingliederungsgespräche und, falls der
entsprechende Wunsch durch den Mitarbeiter geäußert werde, die Beteiligung der
Interessenvertretung und/oder der Schwerbehindertenvertretung - sei nach § 84 Abs. 2
Satz 7 SGB IX von dem Personalrat zu überwachen. Der Beteiligte, differenziere nicht
exakt zwischen den einzelnen Schritten des Verfahrens, wie sie § 84 Abs. 2 SGB IX
vorschreibe. Die Überwachungsaufgabe der Interessenvertretung aus § 84 Abs. 2 Satz
7 SGB IX beziehe sich auf das Verfahren insgesamt. Der Personalrat habe daher zu
überwachen, ob der Dienstherr das Fehlzeitenquorum des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX
zutreffend und vollständig erfasse und überwache, ob er jeden hiernach in Betracht
kommenden Beschäftigten ordnungsgemäß und unter korrektem Hinweis auf die
gegebenen Möglichkeiten unterrichte, ob er die jeweilige Rückmeldung des
Beschäftigten zutreffend erfasse und umsetze und ob er den Wunsch des Beschäftigten,
die Interessenvertretung zu dem alsdann zu führenden Wiedereingliederungsgespräch
zuzuziehen, ordnungsgemäß respektiert umsetze. Er habe darüber hinaus, wenn ein
solcher Wunsch von den Beschäftigten positiv geäußert worden sei, das Recht, an den
zu führenden Gesprächen teilzunehmen. Die gleichen Rechte und Aufgaben habe im
Übrigen die Schwerbehindertenvertretung, wenn ein Behinderter betroffen sei. Die von
dem Beteiligten angesprochene und erforderliche Zustimmung des Betroffenen beziehe
sich erst und allein auf das letztgenannte Element, nämlich das
Wiedereingliederungsgespräch und die sich hieraus womöglich ergebenden
Maßnahmen. Werde die Zustimmung nicht erteilt, bleibe aber die
Überwachungsaufgabe des Personalrats, zu kontrollieren, ob der Dienstherr das
Wiedereingliederungsgespräch tatsächlich anbiete und die danach in Betracht
kommenden Maßnahmen ergreife und umsetze. Die Überwachungsaufgabe sei
unbeschränkt und beziehe sich auf das gesamte Verfahren des betrieblichen
Wiedereingliederungsmanagements. Sie sei nicht von der Zustimmung der jeweils
betroffenen Person abhängig. Der Personalrat könne die ihm zugedachte
Überwachungsaufgabe jedoch nur dann erfüllen, wenn er zuverlässig über jeden Fall,
der den Tatbestand des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erfülle, unterrichtet werde sowie
darüber, welche Schritte der Dienstherr in Konsequenz aus solcher Feststellung
ergriffen habe. Der Personalrat sei daher im Rahmen seiner Aufgabenstellung darauf
angewiesen, dass er vollständig und lückenlos über jeden einzelnen der von § 84 Abs.
2 SGB IX vorgezeichneten Schritte unterrichtet werde. Die von der Dienststelle
angeführten datenschutzrechtlichen Erwägungen stünden dem nicht entgegen.
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Abgesehen davon, dass die den Beteiligte bindenden Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB
IX bundesrechtlichen Ursprungs seien und damit gegenüber landesrechtlichen
Bestimmungen vorrangig seien, bleibe jedenfalls zu konstatieren, dass hier dem
Personalrat ausdrücklich Aufgaben zugewiesen seien, die nicht erfüllt werden könnten,
wenn nicht insoweit die für die Überwachung notwendigen Informationen ohne Ansehen
der betroffenen Person erteilt würden. Entsprechende Fragestellungen seien bereits
mehrfach Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen in anderen
Bundesländern geworden. Der Antragsteller stütze sich insoweit auf die bekannt
gewordenen Entscheidungen des VG Berlin vom 04.04.2007 und des VG Hamburg vom
11.11.2006. Die genannten Entscheidungen bestätigten den Rechtsstandpunkt des
Antragstellers voll und ganz.
Der Antragsteller beantragt,
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1. festzustellen, dass die Beteiligte verpflichtet ist, dem Antragsteller auch ohne
Zustimmung der jeweils betroffenen Beschäftigten
12
2.
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- zeitnah mitzuteilen, welche Beschäftigten der Dienststelle innerhalb eines Jahres
länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren
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- ihm eine Kopie des Anschreibens an den Betroffenen oder seine Vertreter, mit dem
dieser über die Möglichkeiten eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, das
dabei einzuleitende Verfahren und die Rechte des Betroffenen informiert wird, zur
Verfügung zu stellen
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- sowie ihm die daraufhin ergehende Antwort des Beschäftigten, mit dem dieser das
Angebot annimmt oder ablehnt, insoweit zur Verfügung zu stellen, als dies zur
Ausübung der Überwachungsfunktion des Personalrates nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB
IX erforderliche ist,
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3. den Beteiligten zu verpflichten, dem Personalrat im Zusammenhang mit dem
betrieblichen Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX
zeitabschnittsbezogen folgende Informationen zukommen zu lassen:
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4.
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- Zahl der BEM-pflichtigen Verfahren
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- Zahl der angebotenen Gespräche
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- Zahl der abgelehnten Gespräche
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- Zahl der durchgeführten Gespräche mit Handlungsbedarf/ohne Handlungsbedarf.
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Was den Antrag zu 2 anbelange, so knüpfe der Personalrat an die Regelungen des
Erlasses des Finanzministeriums vom 06.11.2006 an. Unter Ziffer 5 sei dort
angesprochen, dass im Interesse eines Erfahrungsaustausches die dort
angesprochenen Daten erhoben werden sollten. Sie würden demgemäss in Erfüllung
der Vorgaben der vorgesetzten Behörden ohnehin gesammelt und bei der Dienststelle
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vorliegen. Der Antragsteller begehre insoweit nichts anderes, als diese Daten ebenfalls
zu erhalten. Er erachte auch den besagten statistischen Überblick für sachgerecht und
geboten, wenn es darum gehe, der Überwachungsaufgabe aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB
IX nachzukommen.
Der Beteiligte beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Zur Begründung führt der Beteiligte aus: Der Antragsteller habe auf die geforderten
Informationen keinen Anspruch. Insbesondere folge eine gesetzliche Befugnis zur
Datenweitergabe nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX. Die Weitergabe von
krankheitsbedingten Abwesenheitszeiten Beschäftigter, für die ggf. Maßnahmen des
BEM in Frage kämen, an den Antragsteller würde eine Verarbeitung
personenbezogener Daten darstellen, die nur unter den Voraussetzungen des § 4 Abs.
1 DSG NRW zulässig wäre. Jeder Umgang öffentlicher Stellen mit personenbezogenen
Daten, also auch eine Datenverarbeitung in Form der Weitergabe der in Rede
stehenden Daten der Beschäftigten an den Antragsteller ohne Einwilligung der
Betroffenen bedürfe als Eingriff in ihr aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
hergeleitetes Recht auf informationelle Selbstbestimmung wie auch in ihr Grundrecht
auf Datenschutz nach Art. 4 Abs. 2 der Landesverfassung einer bereichsspezifischen
gesetzlichen Grundlage. Der Schutz der personenbezogenen Daten sei zwar nicht
schrankenlos gewährleistet. Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen seien aber nur
in überwiegendem Interesse der Allgemeinheit aufgrund eines Gesetzes zulässig. Sie
bedürften nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer
verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, die hinreichend klar formuliert sei, aus
der sich die Voraussetzungen und der Umfang des Eingriffs für die Betroffenen
erkennbar bestimmen lasse und die damit den rechtsstaatlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit wahrten. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX erhalte keine
bereichsspezifische Befugnisregelung zur Weitergabe der Daten von Beschäftigten, die
innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt
arbeitsunfähig gewesen seien, an den Antragsteller. Dessen Funktion, darüber zu
wachen, dass der Beteiligte die ihm obliegenden Verpflichtungen erfülle, könne nach
dem Regelungskontext der Norm, die den Arbeitgeber zur datenschutzkonformen
Ausgestaltung des BEM-Verfahrens verpflichte, allenfalls zu einer Beteiligung im
jeweiligen Einzelfall führen. Der von dem Antragsteller vertretenen Ansicht, er habe das
gesamte Verfahren zu überwachen, könne nicht gefolgt werden. In der von dem
Antragsteller begehrten Ausprägung der Information würde dies z.B. bei einem
Betroffenen, der das BEM-Gespräch mit dem Arbeitgeber ohne Beteiligung der
Personalvertretung führen wolle, zu dem widersinnigen Ergebnis führen, dass der
Antragsteller sogar gegen den ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen unter
Umständen detaillierte Informationen über ihn erhalte. Der Gesetzgeber wolle das BEM
gemäß § 84 SGB IX maßgeblich von einem einvernehmlichen vertrauensvollen
Zusammenwirkung mit den betroffenen Beschäftigten getragen sehen, die der
Maßnahme zustimmen und sich an jedem Verfahrensschritt freiwillig beteiligen sollen.
Sinn und Zweck der gesetzlichen Zielrichtung liefe es zuwider, die in Rede stehenden
Daten aller in Frage kommenden Beschäftigten zuvor ohne ihre Zustimmung dem
Antragsteller mitzuteilen. Abgesehen davon, dass für eine solche Datenverarbeitung die
erforderliche bereichsspezifische normenklare Gesetzesgrundlage fehle, sei sie darüber
hinaus nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig. So sei kein Raum für die
Annahme, dass etwa ein Personalrat die in Rede stehenden Informationen über alle
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Beschäftigten benötigen solle, um bei Vorliegen der Voraussetzungen für ein BEM ein
solches anzustoßen. Diese Verpflichtung obliege dem an Recht und Gesetz
gebundenen Arbeitgeber, der das BEM den betroffenen Beschäftigten vorzustellen und
anzubieten habe. Allein ihm gegenüber wäre die Zustimmung zu erklären, an dem BEM
teilzunehmen. Folglich könne auch nur der Arbeitgeber beurteilen, ob - neben den in §
84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX genannten Arbeitsunfähigkeitszeiten - die sonstigen
Voraussetzungen für eine Teilnahme an Maßnahmen im Rahmen des BEM vorlägen.
Eine Befugnis zur Weitergabe der in Rede stehenden Daten lasse sich auch nicht unter
dem Gesichtspunkt begründen, sie beträfen allenfalls den Randbereich der
Persönlichkeitssphäre. Der den Beschäftigtendatenschutzvorschriften verpflichtete
Arbeitgeber sei nicht befugt, durch internen Aushang von Arbeitsplänen darin enthaltene
Fehlzeiten von Mitarbeitern dienststellen- oder betriebsintern allen Beschäftigten
bekannt zu geben, sondern allenfalls dazu, diese Daten weiterzugeben, soweit es die
Aufgabenerfüllung (etwa zur Unterrichtung von Fachvorgesetzten oder
Vertretungskräften) erfordere. Bereits deshalb könne nicht überzeugen, dass eine dem
offenbar entgegenstehende (möglicherweise nur geduldete) Praxis, wie sie der von dem
Antragsteller zitierten Entscheidung des VG Hamburg zugrundegelegen habe, zu der
beschäftigungsdatenschuztrechtlich zweifelhaften Bewertung führen solle, intern
ohnehin bekannte Fehlzeiten von Beschäftigten seien - in Folge eines unwidersprochen
gebliebenen Vortrags in der mündlichen Verhandlung - minder schutzwürdig. Im
weiteren hat sich der Beteiligte auf die Ausführungen des VG Düsseldorf im Beschluss
vom 20.10.2008 - 34 K 3001/08.PVL - gestützt, den er zur Grundlage seiner
Rechtsansicht macht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag hat nur in dem tenorierten Umfang Erfolg.
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Der Antrag zu 1. ist nicht begründet.
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Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass ihm ohne Zustimmung der
Betroffenen die Namen der Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als 6
Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, die an diese
Beschäftigten gerichteten Anschreiben und deren Antworten mitgeteilt werden.
Dahingehende Informationsansprüche kann der Antragsteller weder auf § 65 Abs. 1
LPVG NRW noch auf § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX stützen. Die Kammer folgt insoweit
dem VG Düsseldorf,
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vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 20.10.2008 - 34 K 3001/08.PVL -,
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das überzeugend ausgeführt hat:
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„1. Informationsansprüche einer Personalvertretung des Landes gegen die Dienststelle
des Landes können sich allein aus dem Landespersonalvertretungsgesetz ergeben.
Rechtsgrundlage ist § 65 Abs. 1 LPVG. Die Vorschrift beinhalte ein Unterrichtungsrecht,
soweit es zur Durchführung der Aufgaben der Personalvertretung erforderlich ist.
Begrenzt wird die Unterrichtung, soweit es um personalaktenfähige Tatsachen geht. Sie
dürfen nur mit Zustimmung des Beschäftigten und nur von den von ihm bestimmten
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Mitgliedern des Personalrats eingesehen werden (§ 65 Abs. 3 LPVG). Darüber hinaus
kann einem uneingeschränkten Unterrichtungsrecht das persönliche Recht eines
Beschäftigten auf Verfügung über die seine Person betreffenden Daten (Art. 2 Abs.
1GG) entgegen stehen.
Die Unterrichtung erfolgt in Zusammenhang mit den Beteiligungsrechten, aber auch zur
Wahrnehmung der allgemeinen Aufgaben der Personalvertretung, hier insbesondere
der Pflicht, darüber zu wachen, dass die zu Gunsten der Beschäftigten geltenden
Gesetze durchgeführt werden (§ 64 Nr. 2, 1. Fall LPVG).
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2. Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller der mit den Anträgen zu 1. und 2.
bezeichneten Informationen bedarf, um der ihm gesetzlich nach § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB
IX obliegende Überwachungspflicht zu genügen. Ein unbeschränkter, also von der
Zustimmung der betroffenen Beschäftigten unabhängiger Anspruch auf Mitteilung von
Langzeiterkrankten scheitert jedenfalls an den Persönlichkeitsrechten der Beschäftigten.
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2.1 Die uneingeschränkte Unterrichtung des Antragstellers über diejenigen namentlich
zu benennenden Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen
ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, verstößt gegen § 65 Abs. 3 Satz
1 LPVG. Die Dokumentation der Arbeitsunfähigkeit und ihrer Dauer ist materiell Teil der
Personalakten. Der auch im Personalvertretungsrecht geltende materielle
Personalaktenbegriff (vgl. Cecior, Dietz, Vallendar, Lechtermann, Klein, Das
Personalvertretungsrecht in Nordrhein- Westfalen, Band I, § 65 Rdn. 24) erfasst alle
Personaldaten, die inhaltlich in die Personalakte aufgenommen werden müssen. Das
sind alle den Beschäftigten betreffenden Vorgänge, die mit seinem Dienst- oder
Arbeitsverhältnis in einem inneren Zusammenhang stehen (BVerwG, Beschluss vom
20. Februar 1989, 2 B 129/88, NJW 1989, 1942). Dazu gehören die Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit und erst recht der Umstand einer langfristigen oder wiederholten
Arbeitsunfähigkeit, die geeignet ist, ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach
§ 84 Abs. 2 SGB 9 auszulösen. Die Mitteilung einer längerfristigen Arbeitsunfähigkeit
unter namentlicher Benennung des betroffenen Beschäftigten verschafft dem
Antragsteller Einsicht in die Personalakte, was ohne Zustimmung des Beschäftigten
verboten ist.
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2.2 Das uneingeschränkte Informationsrecht der Personalvertretung wird zudem durch
das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beschäftigten ausgeschlossen. Die
Unterrichtung des Personalrates ist im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1 LPVG nicht
erforderlich, wenn sie unverhältnismäßig in die Rechte der Beschäftigten eingreift
(Cecior u.a., a.a.O., § 65 Rdn. 9). Der Umstand einer länger andauernden
Arbeitsunfähigkeit, der besondere Maßnahmen zur Wiedereingliederung in das
Arbeitsleben und vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung künftiger erneuter
Arbeitsunfähigkeit auslösen kann, zählt zu den persönlichen Daten und
Lebenssachverhalten, die ohne Zustimmung der Betroffenen Dritten nicht bekannt
gegeben werden dürfen. Das vorrangige Interesse der Beschäftigten hat seinen
Niederschlag in § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB 9 gefunden, der das
Eingliederungsmanagement selbst (und damit die Einbeziehung auch der
Personalvertretung in das Verfahren) von der Zustimmung und Beteiligung der
betroffenen Person abhängig macht. Für die Information der Personalvertretung im
Vorfeld und im Nachhinein gilt das Zustimmungserfordernis erst Recht. Das
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfordert es, es allein ihm zu überlassen, sich den
Angeboten des § 84 SGB 9 vollkommen zu verschließen, die Folgen der
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Langzeiterkrankung im unmittelbaren Kollegen- und Vorgesetztenkreis zu regeln und
jede innerdienstliche Ausweitung über das unvermeidbare Bekanntwerden hinaus zu
verhindern, um unter keinen Umständen und niemandem erklären oder gar rechtfertigen
zu müssen, warum das Eingliederungsmanagement nicht in Anspruch genommen
worden ist.
3. Aus § 84 Abs. 2 SGB 9 ergibt sich nicht anderes. Zum einen enthält diese Vorschrift
keine eigenen Regelungen über die Unterrichtung des Personalrates. Ihr kommt
lediglich klarstellende Funktion in Ergänzung zu § 64 LPVG zu, der die
Personalvertretung ohnehin verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen
zu Gunsten der Beschäftigten, hier § 84 Abs. 2 Satz1 SGB 9, zu überwachen. Ein
systematischer Bezug zu § 65 LPVG, der die Unterrichtungsansprüche der
Personalvertretung für die Durchführung aller seiner Aufgaben enthält, lässt sich nicht
herstellen. Zudem ist der Bund kompetenzrechtlich gehindert, Informationsansprüche
nach dem Landespersonalvertretungsgesetz innerhalb von Landesbehörden zu regeln.
Die Gesetzgebungskompetenz für den öffentlichen Dienst der Länder liegt bei den
Ländern (Art. 70 GG). Als personalvertretungsrechtliche Rahmenvorschrift nach Art. 75
Abs. 1 Nr. 1 GG a.F. mit unmittelbare Geltung in den Ländern ist § 84 SGB 9 nicht
erlassen worden. Die Rahmenkompetenz des Bundes ist zudem zum 31. August 2006
entfallen, Art. 75 GG ist aufgehoben worden. Was früher an Rahmenvorschriften des
Bundes für den Bereich der Länder erlassen worden war (vgl. § 107 ff. BPersVG) ist
mittlerweile mit Inkrafttreten der Neuregelung des Landespersonalvertretungsgesetzes
NRW am 17. Oktober 2007 gegenstandslos geworden (Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG). Die
von dem VG Hamburg in seiner Entscheidung vom 10. November 2006, 23 FB 17/06,
PersR 2007, 130-132 angenommene (zweifelhafte) Spezialität von § 84 Abs. 2 SGB 9
gegenüber § 68 Abs. 2 Satz 3 BPersVG (der bundesrechtlichen Bestimmung zur
Beschränkung des Informationsrechtes der Personalvertretung bei Personalaktendaten)
kann im Verhältnis zu einem landesrechtlichen Personalvertretungsgesetz nicht
bestehen."
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Im Ergebnis ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.11.2008 - 60 PV 9.07
-; VG Aachen, Beschluss vom 25.09.2008 - 16 K 836/08.PVL; VG München, Beschluss
vom 12.11.2008 - M 20 P 08.3530 -; andere Ansicht VG Hamburg, Beschluss vom
10.11.2006 - 23 FB 17/06 -; VG Berlin, Beschluss vom 04.04.2007 - 61 A 28.06 -;
vergleiche in diesem Zusammenhang auch LArbG Hamburg, Beschluss vom
21.05.2008 - H 3 TaBV 1/08 -.
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Dem Antragsteller steht aber ein Anspruch auf die mit dem Antrag zu 2. begehrten
Auskünfte in anonymisierter Form zu. Sein dahingehendes Begehren kann der
Antragsteller auf § 65 Abs. 1 LPVG NRW i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX stützen. Die
dem Antragsteller nach der letzteren Vorschrift zustehenden Überwachungsaufgaben
sind einerseits Ausprägung des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit im
Sinne des § 2 Abs. 1 LPVG NRW, andererseits besondere Ausformung der allgemeinen
Überwachungsaufgaben der Personalvertretung, wie sie in § 64 Abs. 1 Nr. 2 LPVG
NRW formuliert sind, wonach der Personalrat darüber zu wachen hat, dass die
zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge,
Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden. Damit die
zuständige Personalvertretung diese Aufgaben angemessen wahrnehmen kann, ist sie
rechtzeitig und umfassend zu unterrichten; ihr sind sämtliche zur Durchführung ihrer
Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, § 65 Abs. 1 LPVG NRW.
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Beteiligte dem Antragsteller nach
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Überzeugung der Kammer die mit dem Antrag zu 2. erstrebten Unterlagen zur
Verfügung stellen muss, damit dieser den ihm im Zusammenhang mit dem betrieblichen
Eingliederungsmanagement auferlegten Überwachungsaufgaben nachkommen kann,
vgl. in diesem Zusammenhang OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.11.2008 -
60 PV 9.07 -; VG München, Beschluss vom 12.11.2008 - M 20 P 08.3530 -.
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Dieses Ergebnis, dass der Antragsteller nach Auffassung der Kammer einerseits
Anspruch auf die mit dem Antrag zu 2. begehrten Informationen in anonymisierter Form
hat, während ihm andererseits kein Anspruch auf die mit dem Antrag zu 1. erstrebten
personenbezogenen Daten vor Zustimmung der Beschäftigten zusteht, ist das Ergebnis
der zu einem Ausgleich zu bringenden gegenläufigen Interessen der Beschäftigten, die
einem betrieblichen Eingliederungsmanagement unter Beteiligung der
Personalvertretung (noch) nicht zugestimmt haben, einerseits und den Interessen der
Personalvertretung an der Überwachung der (kollektiven) Maßnahme andererseits,
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vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.11.2008 - 60 PV 9.07- .
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Dass der Beteiligte die mit dem Antrag zu 2. begehrten Informationen nicht leisten kann,
ist weder - insbesondere in Ansehung von Ziff. 5 des Erlasses des Finanzministeriums
NRW vom 06.11.2006 - P 2023 - 1 - II A 3/P 1815 - 1 - II A 2 - ersichtlich noch hat der
Beteiligte dies dargetan.
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Für eine Kostenentscheidung ist im personalvertretungsrechtlichen
Mitbestimmungsverfahren kein Raum.
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