Urteil des VG Köln vom 09.06.2009

VG Köln: bundesamt für migration, staatsangehörigkeit, china, anerkennung, gefahr, gerichtsakte, rücknahme, abschiebung, adresse, stadt

Verwaltungsgericht Köln, 14 K 1954/07.A
Datum:
09.06.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 K 1954/07.A
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
30.04.2007 (Gesch.-Z.: 5230 187 - 434) wird zu Ziffern 1 und 2
aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
T a t b e s t a n d: Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben
Staatsangehöriger der Demokratischen Volksrepublik Korea. Er reiste am 15.03.1996 in
die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als
Asylberechtigter.
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Mit Bescheid vom 21.05.1996 lehnte das (damalige) Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag ab, stellte aber gleichzeitig fest, dass die
Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der
Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) vorliegen. Das Vorliegen sonstiger
Abschiebungshindernisse wurde verneint, dem Kläger wurde die Abschiebung nach
Südkorea angedroht. Eine gegen die für den Kläger negativen Bestandteile des
Bescheides gerichtete Klage wurde rechtskräftig abgewiesen (VG Stuttgart, Az.: A 15 K
12664/96).
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Nachdem die zuständige Ausländerbehörde dem Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bundesamt) auf telefonische Anfrage mitgeteilt hatte, dass der Kläger
ausweislich der Ein- und Ausreisestempel und entsprechender Visa in seinem
Reiseausweis zweimal in China gewesen sei und außerdem nach Aktenlage einen
Bruder mit völlig anderem Namen habe, leitete das Bundesamt ein
Rücknahmeverfahren ein. Im Rahmen seiner Anhörung machte der Kläger geltend, er
befürchte für den Fall seiner Rückkehr nach Nordkorea getötet oder in ein Lager
gesteckt zu werden, da es dort kein rechtsstaatliches System gebe. Er habe keine
falschen Angaben gegenüber Behörden gemacht, müsse aber die Angaben in dem im
Anerkennungsverfahren gefertigten Anhörungsprotokoll dahingend korrigieren, dass er
niemanden „zu Tode geprügelt" habe. Es habe lediglich eine Prügelei mit einem
Nachbarn gegeben.
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Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.04.2007 - zugestellt am 05.05.2007 - wurden
unter den Ziffern 1) und 2) die in dem Bescheid vom 21.05.1996 getroffenen
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Feststellungen über das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4
AuslG zurückgenommen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen
des § 60 Abs. 1 AufenthG (Ziffer 3) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG (Ziffer 4) nicht vorliegen.
Zur Begründung der Entscheidungen wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der
Kläger im Rahmen des Anerkennungsverfahrens falsche Angaben zu seiner
Staatsangehörigekeit gemacht habe. Aufgrund neuester Erkenntnisse stehe nämlich
fest, dass der Kläger zwar koreanischer Volkszugehörigkeit, jedoch chinesischer
Staatsangehöriger sei. Nur so sei es zu erklären, dass er es gewagt habe, zweimal nach
China zu reisen, obwohl er dort nach eigener Einschätzung in höchster Gefahr einer
Abschiebung nach Nordkorea sei.
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Am 18.05.2007 hat der Kläger Klage erhoben.
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Er trägt vor, die Annahme des Bundesamtes über seine chinesische
Staatsangehörigkeit sei unzutreffend und durch nichts belegt. Vielmehr sei er
entsprechend seinen Angaben im Anerkennungsverfahren Staatsangehöriger
Nordkoreas. Für die Reisen nach China habe es dringende Notwendigkeiten gegeben,
für die er das Risiko eingegangen sei. Unzutreffend sei auch die in dem
Rücknahmebescheid aufgestellte Behauptung, er habe bei einem Bruder gelebt.
Tatsächlich lebe er nach wie vor mit einer Lebensgefährtin zusammen.
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Der Kläger beantragt,
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1. den Rücknahmebescheid des Bundesamtes vom 30.04.2007 zu Ziffer 1.) und 2.)
aufzuheben, 2. hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
AufenthG vorliegen sowie 3. äußerst hilfsweise festzustellen, dass
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt das Bundesamt im Wesentlichen vor, der Kläger habe bisher
keine Nachweise über seine Identität und Staatsangehörigkeit vorgelegt. Zudem seien
die erheblichen Zweifel an der nordkoreanischen Staatsangehörigkeit nicht nur durch
die unbetrittenen Reisen nach China begründet. Durch eine Kopie eines Schreibens
aus den Akten der Ausländerbehörde sei belegt, dass der Kläger mit einem Bruder
zusammen gelebt habe; die gegenteilige Behauptung in der Klagebegründung könne
daher nicht zutreffen. Es bleibe daher weiterhin bei der ungeklärten
Namensverschiedenheit der Brüder. Schließlich spreche auch die objektiv gegebene
Gefährdungslage für Nordkoreaner in China gegen die norkoreanische
Staatsangehörigkeit des Klägers. Nordkoreanische Flüchtlinge würden nämlich
aufgrund bilateraler Verpflichtungen von China in ihr Heimatland abgeschoben und
würden von beiden Staaten als Kriminelle und Verräter eingestuft. Außerdem bestehe
die Gefahr, in China durch sog. Kopfgeldjäger entdeckt zu werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der
Ausländerbehörde Bezug genommen. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Klage ist zulässig und mit dem Hauptantrag auch begründet.
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Die in den Ziffern 1) und 2) des angegriffenen Bescheides verfügte Rücknahme der in
dem Bescheid des Bundesamtes vom 21.05.1996 getroffenen Feststellung über das
Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 Abs. 4 AuslG ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Nach § 73 Abs. 2 AsylVfG, der von dem Bundesamt als alleinige Rechtsgrundlage für
die verfügte Rücknahme herangezogen worden ist, ist die Anerkennung als
Asylberechtigter zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge
Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch nicht
aus anderen Gründen anerkannt werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies
auch für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Die Voraussetzungen dieser Norm liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor.
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Das Bundesamt stützt seine Entscheidung allein auf die Behauptung, der Kläger sei
nicht nordkoreansicher, sondern chinesischer Staatsangehöriger. Die dazu getroffenen
Feststellungen tragen diese Behauptung indes nicht.
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Soweit das Bundesamt seine Auffassung auf die zweimalige Reise des Klägers nach
China stützt, werden dadurch zwar Zweifel an der nordkoreanischen
Staatsangehörigkeit begründet, zwingend ist diese Schlussfolgerung indes nicht. Sie
beruht auf der Annahme, nur weil der Kläger Chinese sei, habe er es wagen können, in
sein - vermeintliches - Heimatland zu reisen. Dabei wird jedoch außer acht gelassen,
dass der Kläger mit einem deutschen Reisedokument eingereist ist, das gerade nicht
auf die chinesische, sondern auf die koreanische Staatsangehörigkeit schließen lässt.
Das Reisedokument gilt nämlich für alle Länder außer Korea und enthält zudem den
eindeutigen Hinweis auf den Flüchtlingsstatus des Klägers. Für einen sachkundigen
chinesischen Grenzbeamten legt dies zumindest die Vermutung nahe, dass der mit
diesem Dokument Einreisende zumindest nicht chinesischer Staatsangehöriger ist.
Gleichwohl hatte der Kläger bei beiden Einreisen und während seines Aufenthaltes in
China dort keinerlei Probleme mit den chinesischen Behörden, so dass schon die
Grundvoraussetzung für die Schlussfolgerungen des Bundesamtes erschüttert ist.
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Zudem äußert das Bundesamt im Klageverfahren selbst nur noch „erhebliche Zweifel"
an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu seiner Identität. Diese bestanden indes
schon im Ausgangsverfahren (das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte bereits vergeblich
versucht, die Staatsangehörigkeit aufzuklären) und reichen im Übrigen für die Erfüllung
des Tatbestandes des § 73 Abs. 2 AsylVfG nicht aus.
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Ferner irrt das Bundesamt schon vom Ansatz her, wenn es aus vermeintlich
unterschiedlichen Namen des Klägers und seines „Bruders" seine Zweifel bestätigt
sieht: Schon eine einfache Recherche im Internet hätte dem Bundesamt offenbart, dass
es sich bei dem Namen „Mi-Sook" um einen weiblichen Vornamen handelt. Das Gericht
hat durch eine telefonische Auskunft des Ausländeramtes der Stadt Köln (siehe den in
der mündlichen Verhandlung bekannt gegebenen Vermerk Bl. 56 R der Gerichtsakte)
zudem ermittelt, dass Frau Mi-Sook Lee nach wie vor unter ihrer aktenkundigen Adresse
lebt, im Jahre 1979 nach Deutschland eingereist und seit 1983 im Besitz eines
Aufenthaltstitels ist. Außerdem wird sie von der zuständigen Behörde mit koreanischer
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Staatsangehörigkeit geführt, was zumindest ein starkes Indiz dafür ist, dass auch der
Kläger als ihr Bruder die gleiche Staatsangehörigkeit besitzt. Dass - verheiratete -
Frauen einen anderen Familiennamen haben als ihre Brüder ist im Übrigen zumindest
nicht so selten !
Da das Bundesamt sich für seine Auffassung allein auf Indizien stützt, die zudem noch
Anlass zu erheblichen Zweifeln geben, kann das Gericht das Vorliegen der
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG nicht feststellen.
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Da das Gericht ferner keine Möglichkeiten sieht, die Staatsangehörigekeit des Klägers
mit der erforderlichen Sicherheit weiter aufzuklären und zudem das Bundesamt die
materielle Beweislast für das Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen trifft,
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vgl. Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Auflage 2009, § 73 Rdn. 159 m. w.
Nachweis,
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kann die Rücknahmeentscheidung keinen Bestand haben und ist daher aufzuheben.
Einer Entscheidung über die Hilfsanträge bedarf es nicht, da die Klage schon mit dem
Hauptantrag Erfolg hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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