Urteil des VG Köln vom 23.02.2010
VG Köln (kommission, zulassung, kopfschmerzen, arteriosklerose, arzneimittel, behörde, verlängerung, wirksamkeit, abgrenzung zu, asthma bronchiale)
Verwaltungsgericht Köln, 7 K 336/08
Datum:
23.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 336/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens
zu tragen. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 vom Hundert des Vollstreckungsbetrages vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand: Die Rechtsvorgängerin der Klägerin zeigte im Juni 1978 das
streitgegenständliche Arzneimittel unter der Bezeichnung C. -Tropfen mit den
Anwendungsgebieten Arteriosklerose, Durchblutungsstörungen an.
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Die Klägerin als neue Zulassungsinhaberin stellte am 01.12.1989 den sog. Kurzantrag
und gab hierin entsprechend ihrer Änderungsanzeige vom 11.11.1988 nur noch drei der
zunächst elf arzneilich wirksamen Bestandteile des Arzneimittels an:
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Gingko biloba Ø (Vorschrift 3a, HAB) 1,3 g, HAB 1, Viscum album Ø (Vorschrift 2a,
HAB), 2,7 g HAB 1, Crataegus Ø (Vorschrift 2 a, HAB) 7,5 g, HAB 1".
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Die Anwendungsgebiete des Arzneimittels wurden beibehalten.
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Die Klägerin reichte mit Schreiben vom 20.02.1992 den sog. Langantrag ein mit den
bisherigen Anwendungsgebieten Durchblutungsstörungen, Arteriosklerose.
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Mit Schreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom
22.03.1993 wurde der Klägerin Gelegenheit gegeben, den in den beigefügten
fachlichen Stellungnahmen aufgeführten Mängeln innerhalb einer Frist von drei Jahren
abzuhelfen. In der medizinischen Stellungnahme heißt es u. a., aus den Monographien
zu Viscum album, Ginkgo biloba und Crataegus, die Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnis über die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Einzelsubstanzen
darstellten, könne bei den beanspruchten Indikationen keine Wirksamkeit des
beantragten Kombinationsarzneimittels abgeleitet werden. Die
Kombinationsbegründung gemäß § 22 Abs. 3 a) AMG sei unzureichend. Aus dem mit
dem Antrag auf Verlängerung der Zulassung eingereichten zusätzlichen
Erkenntnismaterial könne nicht auf die Wirksamkeit des Arzneimittels in der beantragten
Dosierung bei den beanspruchten Indikationen geschlossen werden. Ein Beitrag aller
arzneilich wirksamen Bestandteile zur positiven Beurteilung des Arzneimittels könne auf
der Basis der Monographien der Kommission D allenfalls für folgende Indikationen
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abgeleitet werden: "Die Anwendungsgebiete entsprechen den homöopathischen
Arzneimittelbildern. Dazu gehören Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit
Kopfschmerzen."
Am 05.07.1995 legte die Klägerin einen Anwendungsbeobachtungsplan mit dem Titel
"Erkenntnissammlung mit D. (r) (Tropfen) zur Wirksamkeit und Verträglichkeit bei
Patienten mit zerebralen Durchblutungsstörungen" vor.
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Mit einem am 21.03.1996 eingegangenen Schreiben nahm die Klägerin zu den
angezeigten Mängeln Stellung und legte den Aufsatz von Q. M. , Therapie zerebraler
Durchblutungsstörungen, 1993, betreffend eine multizentrische Beobachtungsstudie,
sowie den biometrischen Bericht zur Anwendungsbeobachtung D. (r) vom März 1996
vor. In ihrer Stellungnahme zur Medizin führte die Klägerin aus, die
Kombinationsbegründung sei neu formuliert worden. Den Vorgaben der Beklagten
entsprechend seien die Anwendungsgebiete umformuliert worden: "Die
Anwendungsgebiete entsprechen den homöopathischen Arzneimittelbildern. Dazu
gehören: Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen". Auf die Indikation
"Arteriosklerose" werde verzichtet.
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Im Hinblick auf eine neue Risikobewertung von Ginkgo-Säuren und die Prüfung, ob evtl.
ein Stufenplan der Stufe 1 für homöopathische Ginkgo-Zubereitungen erforderlich sei,
wurde zunächst über die Nachzulassung des streitgegenständlichen Arzneimittels in
Phase 2 nicht entschieden.
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Die Klägerin gab am 27.06.2006 eine aktualisierte Stellungnahme zum Mängelbescheid
vom 22.03.1993 ab. Hierin heißt es, eine Kombinationsbegründung gemäß § 22 Abs. 3
a) AMG sei durch die externe Sachverständige neu formuliert worden. Entsprechend
den Vorgaben des BfArM seien die Anwendungsgebiete umformuliert worden: "Die
Anwendungsgebiete entsprechen den homöopathischen Arzneimittelbildern. Dazu
gehören: Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen". Auf die Indikation
"Arteriosklerose" werde verzichtet.
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In ihrer Sitzung vom 20.11.2007 nahm die Kommission D zur geplanten Versagung des
streitgegenständlichen Arzneimittels Stellung und votierte einstimmig für die Versagung
der Verlängerung der Zulassung.
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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) versagte mit Bescheid
vom 13.12.2007, zugestellt am 15.12.2007, den Antrag auf Verlängerung der Zulassung
des streitgegenständlichen Arzneimittels mit der Begründung, die Klägerin habe mit der
78iger Anzeige die Anwendungsgebiete "Arteriosklerose, Durchblutungsstörungen"
beantragt und mit der Nachlieferung vom 15.03.1996 und der Zwischenlieferung vom
26.06.2006 das Anwendungsgebiet "Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit
Kopfschmerzen". Dieses nunmehr beantragte Anwendungsgebiet liege nicht mehr
innerhalb des Anwendungsbereichs der 78iger Anzeige. Es handele sich hier um
unterschiedliche Krankheiten. Bei dem beantragten Teilanwendungsgebiet
"Blutdruckstörungen" handele es sich außerdem um eine potentiell schwerwiegende
Erkrankung. Die Klägerin könne sich daher zum Beleg der Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit nicht allein auf die Monographien der Kommission D berufen. Das von
der Klägerin vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnismaterial "Sieglaff 1991; D. ,
Biometrischer Bericht und statistische Auswertung von Erfahrungsberichten vom
Februar 1992; M. , Therapie zerebraler Durchblutungsstörungen, 1993, und die
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Anwendungsbeobachtung D. vom März 1996 - liefere keinen Beleg für das
beanspruchte Teilanwendungsgebiet "Blutdruckstörungen", da es sich jeweils um die
Indikation der zerebralen Durchblutungsstörungen handele. Das Präparat sei gem. § 25
Abs. 7 AMG der Kommission D am 21.11.2007 vorgelegt worden. Die Kommission D
habe für die Versagung der Verlängerung der Zulassung votiert.
Die Klägerin hat am 14.01.2008 Klage erhoben. Sie trägt zur Begründung ihrer Klage
vor: Durch ihre Angaben im Mängelbescheid habe sich die Behörde gebunden. Von
Gesetzes wegen sei der Behörde vorgegeben, "lediglich" Mängel mitzuteilen. Mache sie
jedoch weitergehende Ausführungen in Form eines vollständig vorformulierten
Anwendungsgebietes, dann sei sie hieran gebunden. Es bestehe für die Beklagte
hiernach keine Möglichkeit, eine vermeintlich unzulässige Änderung des
Anwendungsgebietes als Rechtsgrund für die Versagung der Verlängerung der
Zulassung anzugeben insbesondere dann, wenn nicht zuvor dem pharmazeutischen
Unternehmen noch einmal die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt werde. Dass
die Bundesbehörde an ihren Formulierungsvorschlag aus dem Mängelbescheid
gebunden sei, ergebe sich auch aus einem Vergleich mit der Rechtslage, die bestehe,
sofern ein pharmazeutischer Unternehmer Änderungen nach § 105 Abs. 3 a) Satz 2 Nr.
1-5 AMG vornehme. Bei einer Änderungsanzeige erhalte der pharmazeutische
Unternehmer nämlich stets eine Eingangsbestätigung mit dem Hinweis, dass hiermit
keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Änderung erfolgt sei. Ein
Vertrauensschutz sei aufgrund dessen ausgeschlossen. Etwas anderes gelte jedoch
dann, wenn die Bundesoberbehörde konkret Stellung genommen und nicht nur
geschwiegen habe. Zudem sei der Hinweis im Mängelschreiben vorbehaltlos erfolgt.
Die Beklagte habe es nämlich unterlassen darauf hinzuweisen, dass durch ihren
Vorschlag keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Änderung erfolgt sei.
Gerade dies verdeutliche, dass mit dem Hinweis auch eine Beurteilung der
Rechtmäßigkeit erfolgt sei. Durch dieses Vorgehen habe die Beklagte der Klägerin die
Möglichkeit der Mängelbeseitigung genommen. Hätte die Bundesoberbehörde die
Klägerin seinerzeit im Rahmen des Mängelbeseitigungsverfahrens ordnungsgemäß
unterrichtet, hätte diese selbstredend weiteres Erkenntnismaterial im Hinblick auf die
Indikation übermittelt. Dies sei aufgrund der unkorrekten Mitteilung im
Mängelbeseitigungsverfahren unterblieben. Es liege hier ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1
VwVfG vor, da die Klägerin zu den entscheidungserheblichen Tatsachen nicht angehört
worden sei.
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Entgegen der inzwischen diametral entgegengesetzten Auffassung der beklagten
Behörde liege das nunmehrige Anwendungsgebiet "Blutdruck- und Kreislaufstörungen
mit Kopfschmerzen" innerhalb des Anwendungsbereichs der Anzeige von 1978. Es
handele sich keineswegs um unterschiedliche Krankheiten, so dass mit dem nunmehr
angezeigten Anwendungsgebiet der ursprüngliche Anwendungsbereich nicht verlassen
worden sei. Beide Anwendungsgebiete knüpften an das kardio-vaskuläre System an.
Blutdruckstörungen, Kreislaufstörungen, Kopfschmerzen und Durchblutungsstörungen
stünden oft in direktem Zusammenhang zueinander. So könne z. B. Bluthochdruck
sowohl Kopfschmerzen als auch Durchblutungsstörungen hervorrufen. Umgekehrt
könnten Durchblutungsstörungen auch Blutdruckstörungen verursachen. Das
nunmehrige Anwendungsgebiet bringe folglich keine Änderung des Patientenkreises
mit sich. Dass die beiden Anwendungsgebiete nicht ohne weiteres verschiedenen
Anwendungsbereichen zugeordnet werden könnten, bewiesen auch die Ergebnisse
einer im April 2008 beendeten Anwendungsbeobachtung mit "D. (r)", bei der der Effekt
des streitgegenständlichen Arzneimittels auf verschiedene Symptome der
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Durchblutungsstörung untersucht und bewertet worden sei. Werde auf der Basis der
Ergebnisse dieser Anwendungsbeobachtung nochmals eine Bewertung des
Erkenntnismaterials zur klinischen Indikation durchgeführt, so könne eine Indikation des
Grades II nach den Kriterien für Erkenntnismaterial zu klinischen Indikationen in der
Homöopathie der Kommission D beansprucht werden.
Auf das negative Votum der Kommission D könne sich die beklagte Behörde nicht
stützen. Die Kommission sei über die Hintergründe der Änderung des
Anwendungsgebietes nicht informiert worden. Der maßgebliche Anlass, der zu der
Indikation "Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen" geführt habe, sei
nicht mitgeteilt worden. Die Vorlage der Bundesoberbehörde sei damit fehlerhaft
gewesen, da sich bei vollständiger Information das Abstimmungsverhalten anders
gezeigt hätte. Hinzu komme, dass die Frage des Anwendungsgebietes in der
Kommission überhaupt nicht diskutiert worden sei.
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Die Beklagte könne sich nicht auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts zur
Zusicherung im Arzneimittelrecht stützen, da wegen der Besonderheiten der dortigen
Fälle eine Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Zulassungsverfahren nicht gegeben
sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.12.2007 zu verpflichten, den
Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Zulassung für das Fertigarzneimittel "D. "
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor: Die Auffassung der Klägerin, die Beklagte habe sich im
Mängelbeseitigungsverfahren verbindlich zur Zulassung des Arzneimittels in der
nunmehr beantragten Indikation verpflichtet, sei unzutreffend. Schon das Wort allenfalls
in der Formulierung "Ein Beitrag aller arzneilich wirksamen Bestandteile zur positiven
Beurteilung des Arzneimittels kann auf der Basis der Monographien der Kommission D
allenfalls für folgende Indikationen abgeleitet werden: ..." schließe die Annahme eines
verbindlichen Vorschlags aus. In diesem Zusammenhang bedeute es nämlich, dass
auch für die folgenden Indikationen ein Beitrag der arzneilich wirksamen Bestandteile
nicht sicher sei. Selbst wenn man in der Formulierung im Mängelbescheid eine Art
Vorschlag sehen sollte, ändere dies nichts daran, dass die Beklagte keine
rechtsverbindliche Aussage habe tätigen wollen. Die Beklagte könne nur antragsgemäß
erkennen, also die Nachzulassung erteilen oder versagen. Sie könne jedoch im
Rahmen des Mängelbeseitigungsverfahrens nicht prüfen, ob eine Änderung der
Indikation die Mängel beseitigen werde oder einer Nachzulassung andere
Rechtsgründe entgegenstünden. Soweit die Klägerin darauf abstelle, dass es in dem
Mängelbescheid auch an einem Hinweis entsprechend demjenigen, der normalerweise
mit der Eingangsbestätigung bei einer Änderungsanzeige erfolge, fehle, verkenne die
Klägerin die grundlegenden Unterschiede zwischen Mängelbescheid und
Eingangsbestätigung. Der Mängelbescheid gebe die festgestellten Mängel wieder, die
Eingangsbestätigung bestätige den Erhalt des Schreibens, in diesem Fall der
Änderungsanzeige. Anders als bei der Eingangsbestätigung stehe beim
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Mängelbescheid die Mitteilung von Mängeln der Beurteilung des Vorgangs als
rechtmäßig gerade entgegen. Daher müsse die beklagte Behörde auch keinen Hinweis
dahingehend geben, dass der Hinweis auf die mögliche Indikation unter Vorbehalt
erfolge. Dies werde sowohl aus der Formulierung "allenfalls" als auch aus dem Wesen
des Mängelbescheides deutlich. Da keine bindende Entscheidung ergangen sei, sei ein
Rechtmäßigkeitsvorbehalt schon deshalb nicht nötig.
Im Übrigen sei auf die einschlägige oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu
verweisen, die sich mit Fragen des Wirksamkeitsnachweises für homöopathische
Arzneimittel insbesondere mit der Frage einer Selbstbindung der Verwaltung unter dem
Gesichtspunkt der Zusicherung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG in vergleichbaren Fällen
befasse. Das OVG NRW sei in den von ihm zu beurteilenden Fällen jeweils zu der
Auffassung gelangt, dass die Mitteilung in den Mängelschreiben (nur) die Darstellung
der aktuellen Rechtsauffassung der Beklagten darstellte. Dies sei vorliegend aufgrund
des Wortlauts des entsprechenden Mängelschreibens ebenso zu bewerten.
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Die Klägerin habe mit dem nunmehr beantragten Anwendungsgebiet "Blutdruck- und
Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen" das 1978 angezeigte Anwendungsgebiet
"Arteriosklerose, Durchblutungsstörungen" verlassen. Während mit dem
Anwendungsgebiet von 1978 ältere Menschen mit entsprechenden Erkrankungen
beschrieben worden seien, kämen mit Kopfschmerz verbundene Kreislaufstörungen
häufig bei Jugendlichen mit erniedrigtem Blutdruck vor. Hochdruckassoziierte
Kopfschmerzen kämen auch bei älteren Patienten vor, seien aber nicht notwendig mit
einer Arteriosklerose verbunden.
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Für die beantragte Indikation Blutdruck sowie Kopfschmerzen sei das vorgelegte
Erkenntnismaterial zum Beleg der Wirksamkeit nach den zugrunde zu legenden
Richtlinien der Beklagten nicht ausreichend, da es nach den Kriterien für
Erkenntnismaterial zu klinischen Indikationen in der Homöopathie der Kommission D
nicht nach Grad I sondern nach Grad II bzw. Grad III zu bewerten sei. Die vorgelegten
Anwendungsbeobachtungen lieferten keinen Beitrag zum Beleg der Wirksamkeit des
streitgegenständlichen Arzneimittels bei "Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit
Kopfschmerzen", da in ihnen Patientinnen und Patienten mit zerebralen und teilweise
mit peripheren Durchblutungsstörungen untersucht worden seien.
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Das Votum der Kommission D sei fehlerfrei erfolgt. Für das Votum der Kommission D
sei es ohne Belang, ob zuvor seitens der beklagten Behörde ein Hinweis gegenüber der
Klägerin bezüglich der Indikation erfolgt sei oder nicht, da die Kommission den
Sachverhalt und die Tatsachen unabhängig beurteile. Zudem sei die Beklagte an das
Votum der Kommission nicht gebunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte, den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang und die
Dokumentationsunterlagen sowie die von der Klägerin eingereichten Unterlagen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des BfArM vom 13.12.2007 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Die
Klägerin hat daher keinen Anspruch auf eine Neubescheidung ihres Antrages auf
Verlängerung der Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel.
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Gemäß § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG ist eine fiktive Arzneimittelzulassung nach § 105 Abs.
1 AMG auf Antrag zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG
vorliegt. Voraussetzung für die Verlängerung der Zulassung ist also, dass hinsichtlich
der streitgegenständlichen Arzneimittel eine fiktive Zulassung nach § 105 Abs. 1 AMG
entstanden ist und im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung noch fortbesteht. Diese
Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Zwar ist durch die fristgemäße
Anzeige der streitgegenständlichen Arzneimittel am 29.06.1978 eine fiktive Zulassung
gemäß § 105 Abs. 2 AMG entstanden. Diese fiktive Zulassung bezog sich auf die
Anwendungsgebiete Durchblutungsstörungen, Arteriosklerose. Das Arzneimittel ist
jedoch später mit dem Mängelbeseitigungsschreiben in Bezug auf die
Anwendungsgebiete unzulässig geändert worden. Die Einreichung einer
Änderungsanzeige auf dem vom BfArM herausgegebenen Formblatt war dabei zur
Änderung des Arzneimittels nicht erforderlich, da § 29 AMG die Einhaltung von
Formvorschriften nicht vorschreibt, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 03.04.2009 - 13 A
3057/07 - ; VG Köln, Urteil vom 24.04.2007 - 7 K 7200/03 - .
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Ob eine Änderung eines Arzneimittels vorliegt, ist durch Auslegung der Anträge und
Erklärungen des Antragstellers aus der Sicht eines objektiven Empfängers zu ermitteln.
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Vgl. zur Auslegung vom Empfängerhorizont: OVG NRW, Urteil vom 12.08.2009 - 13 A
2147/06 - . Die Klägerin hat im Mängelbeseitigungsschreiben vom 15.03.1996 und den
eingereichten Unterlagen sowie in der aktualisierten Stellungnahme vom 27.06.2006
zum Mängelbescheid das Anwendungsgebiet gegenüber dem BfArM angegeben mit
"Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen". Mit dieser vorgenommenen
Änderung des Anwendungsgebietes hat die Klägerin den ursprünglich für das
Arzneimittel angezeigten Anwendungsbereich erweitert. Das streitgegenständliche
Arzneimittel wird aufgrund dessen von der ursprünglich entstandenen fiktiven Zulassung
nicht mehr erfasst und bedarf der Neuzulassung. Für die Beurteilung der Zulässigkeit
einer Änderung eines Arzneimittels ist auf das zum Zeitpunkt der Änderung geltende
Arzneimittelrecht abzustellen, vgl. BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 3 C 14.07 - ,
PharmaR 2008, 490, 492; OVG NRW, Beschlüsse vom 27.08.2008 - 13 A 4034/05 - und
vom 15.07.2008 - 13 A 1707/05 - . Zum Zeitpunkt des Eingangs des
Mängelbeseitigungsschreibens vom 15.03.1996 war § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG in der
Fassung vom 19.10.1994, BGBl. I. S. 2082 anwendbar. Danach war bei einer
"Erweiterung der Anwendungsgebiete" eine neue Zulassung zu beantragen. Eine
Erweiterung der Anwendungsgebiete liegt jedenfalls dann vor, wenn der
Anwendungsbereich i. S. d. § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG in der Fassung des 8.
Änderungsgesetzes zum AMG verlassen wird. Der Begriff "Anwendungsbereich" in der
genannten Vorschrift ist vom Begriff des "Anwendungsgebiets" zu trennen, wie sich aus
§ 36 Abs. 11 Satz 2 AMG ergibt. Der Begriff des "Anwendungsbereichs" ist eng zu
verstehen, weil der Gesetzgeber ihn in einer Vorschrift verwendet, die ausnahmsweise
von einer nach § 29 Abs. 3 AMG für notwendig erachteten neuen Zulassung entbindet.
Das gebietet ein Verständnis des Begriffs in der Weise, dass er zwar auch, aber eben
nur, diejenigen Fälle erfasst, in denen die Anwendungsgebiete sich nicht wesentlich
unterscheiden, zumindest aber nahe verwandt sind. Dies ist dann der Fall, wenn die
gewählten Indikationsangaben mit den bisherigen Indikationsangaben nahe verwandt
sind und das Arzneimittel im Wesentlichen der Behandlung der gleichen
Grunderkrankung dient, so dass gewissermaßen der gleiche Patient behandelt wird.
Vgl. OVG NRW Beschluss vom 03.04.2009 - 13 A 3057/07 -, m. w. Nw. Die Klägerin hat
mit dem 1996 geänderten Anwendungsgebiet den Anwendungsbereich erweitert. Das
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ursprünglich angezeigte Anwendungsgebiet der "Durchblutungsstörungen" bezeichnet
eine verminderte Versorgung von verschiedenen Organen und Körperteilen mit
sauerstoff- und nährstoffreichem Blut, meist infolge von Verengungen oder
Verstopfungen in den dafür verantwortlichen Blutgefäßen (Arterien). Unter der daneben
angezeigten "Arteriosklerose" versteht man eine Systemerkrankung der Schlagadern,
die zu Ablagerungen von Blutfetten, Thromben, Bindegewebe und in geringen Mengen
auch Kalk in den Gefäßwänden führt. Der von diesen Indikationen betroffene
Patientenkreis ist ein anderer als der von der 1996 und 2006 angezeigten Indikation
"Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit Kopfschmerzen". Unter "Kreislaufstörungen" wird
ein geschwächter Kreislauf verstanden, der mit einem Blutdruckabfall zu tun hat. Die
Ursachen hierfür können sehr unterschiedlich sein, etwa auf Infektionskrankheiten,
Verletzungen mit starkem Blutverlust, Drogenmissbrauch, Funktionsstörungen des
Stoffwechsels (Durchfall, Nierenerkrankungen) Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche,
Herzinfarkt, Asthma bronchiale oder Lungenembolie beruhen und von einer
vorübergehenden Störung bis hin zu einer ernsthaften Erkrankung reichen. Der von
Kreislaufstörungen betroffene Personenkreis ist demnach ersichtlich ein anderer als der
von Durchblutungsstörungen oder Arteriosklerose betroffene Personenkreis.
Entsprechendes gilt für den von Blutdruckstörungen betroffenen Patientenkreis. Unter
dem 1996 und 2006 angezeigten Anwendungsgebiet "Blutdruckstörungen" dürfte die
arterielle Hypertonie, im allgemeinen Sprachgebrauch Bluthochdruck zu fassen sein,
welche eine Volkskrankheit darstellt, unter der fast jeder vierte Deutsche leidet. Der
Bluthochdruck ist ein Krankheitsbild, bei dem der Blutdruck des arteriellen
Gefäßsystems chronisch erhöht ist. Bei bis zu 95 % der Patienten kann keine Ursache
des erhöhten Blutdrucks ausgemacht werden. Diese primäre oder essenzielle
Hypertonie ist multifaktoriell bedingt und weiterhin nicht abschließend geklärt. Eine
genetische Komponente spielt dabei eine Rolle. Die sekundäre Hypertonie ist eine
Blutdruckerkrankung, deren Ursache andere Grundkrankheiten sind. Dies ist bei 5 - 15
% aller Hochdruck-Patienten der Fall. Die häufigsten Ursachen einer sekundären
Hypertonie sind Erkrankungen der Nieren, des endokrinen Systems sowie der Gefäße.
Vgl. wikipedia "arterielle Hypertonie" im Internet. Hieraus folgt, dass der Patientenkreis
bei Bluthochdruck nicht mit dem Patientenkreis bei Durchblutungsstörungen und
Arteriosklerose im Wesentlichen gleich ist, auch wenn Bluthochdruck einen Risikofaktor
für die Entwicklung der Arteriosklerose darstellt.
Wegen der unzulässigen Änderung des Anwendungsgebietes ist das Arzneimittel nicht
mehr von der fiktiven Zulassung erfasst und bedarf einer Neuzulassung. Entgegen der
Auffassung der Klägerin ist das Mängelschreiben der Beklagten vom 22.03.1993 nicht
als Zusicherung dahingehend auszulegen, nach Umformulierung der
Anwendungsgebiete erfolge die begehrte Verlängerung der (fiktiven) Zulassung. Nach §
38 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist unter der Zusicherung die verbindliche Selbstverpflichtung
der Behörde, künftig einen inhaltlich i.S.v. § 37 Abs. 1 VwVfG bereits hinreichend
bestimmten künftigen Verwaltungsakt zu erlassen bzw. nicht zu erlassen, zu sehen.
Wesentlich für die Zusicherung in Abgrenzung zu Auskünften, Erklärungen und
Hinweisen zu Rechtsfragen ist der für den Adressaten unter Berücksichtigung aller
Umstände erkennbare Regelungswille der Behörde. Der Wille der Behörde, sich für die
Zukunft zu binden und einen entsprechenden Anspruch des Begünstigten auf die
zugesagte Maßnahme zu begründen, muss eindeutig erkennbar sein. Neben dem
Wortlaut der Erklärung sind dabei auch die Begleitumstände, insbesondere der Zweck
der Erklärung, zu berücksichtigen. Wie vom OVG NRW in einem vergleichbaren Fall
festgestellt, zeigt das gesamte Verfahren der Nachzulassung, dass es entscheidend nur
auf den am Ende des Verfahrens ergehenden Zulassungsbescheid ankommt und dass
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dementsprechend allen vorangehenden Verfahrensschritten und damit nicht nur - wie
die Klägerin meint - der Eingangsbestätigung nach Änderungsanzeige, sondern auch
dem Mängelschreiben keine Verbindlichkeit im Hinblick auf die Zulassung zukommen
soll. Das Mängelschreiben des BfArM ist daher als solches nicht als verbindliche
Selbstverpflichtung der Behörde auszulegen. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom
03.04.2009 - 13 A 3057/07 - . Bei dem vorliegenden Mängelschreiben gilt nicht anderes.
Nachdem die Beklagte nämlich dem pharmazeutischen Unternehmer im
Mängelschreiben aufgezeigt hat, aufgrund welcher Umstände die Wirksamkeit und die
Kombinationsbegründung des streitgegenständlichen Arzneimittels im beantragten
Anwendungsgebiet nicht belegt sind, hat sie der Klägerin - sozusagen als Resümee
ihrer Überlegungen - einen Vorschlag über ein - anderes - Anwendungsgebiet
unterbreitet und dies eingeleitet mit dem Satz "Ein Beitrag aller arzneilich wirksamen
Bestandteile zur positiven Beurteilung des Arzneimittels kann auf der Basis der
Monographien der Kommission D allenfalls für folgende Indikationen abgeleitet
werden." Da die Beklagte also nur auf einen Beitrag zur positiven Beurteilung hinweist
und die vage Möglichkeit des Beitrages aufgrund der Monographien durch das Wort
"allenfalls" auch noch unterstreicht, hat sie den Erlass eines Verlängerungsbescheides
für die vorgeschlagene Indikation "Blutdruck- und Kreislaufstörungen mit
Kopfschmerzen" keinesfalls verbindlich zugesagt. Dass die Beklagte der Klägerin nur
die Möglichkeit eines anderen Anwendungsgebietes aufzeigen wollte, ohne sich selbst
verbindlich zur positiven Bescheidung in diesem Anwendungsgebiet zu verpflichten,
wird auch deutlich durch Nr. 9 des Mängelschreibens, in dem es heißt: "Falls Sie die
Indikation "Arteriosklerose ausreichend belegen ...". Hiermit macht die Beklagte
ebenfalls deutlich, dass die Angaben zur Indikation weiterhin in der
Entscheidungsfreiheit des pharmazeutischen Unternehmers stehen und die Beklagte
sich deswegen auch nicht bezüglich der Indikation und dem Erlass eines künftigen
Bescheides, dessen Inhalt gerade noch nicht feststeht, bindet. Letztendlich sprechen die
Umstände dafür, dass die Klägerin die Erklärung der Beklagten im Mängelschreiben
auch nicht als Zusicherung verstanden und darauf vertraut hat, da sie, nachdem das
Mängelschreiben 1993 ergangen war, noch eine Anwendungsbeobachtung 1995 zu
Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patienten mit zerebralen Durchblutungsstörungen
durchführen ließ und im Rahmen der Mängelbeseitigung Unterlagen eingereicht hat, die
sich alle auf das zunächst beantragte Anwendungsgebiet bezogen haben.
Ein Verstoß gegen die Anhörung der Kommission D gem. § 25 Abs. 7 AMG liegt nicht
vor. Die Kommission ist vor der beabsichtigten Versagung des BfArM am 20.11.2007
angehört worden und hat sich einstimmig gegen die Verlängerung der (fiktiven)
Zulassung ausgesprochen. Dass ihr Unterlagen, die sie für ihre eigenständige
Entscheidung benötigt hat, vorenthalten wurden, ist nicht ersichtlich. Für das negative
Votum der Kommission waren, wie sich dem Protokoll entnehmen lässt, andere Gründe
als die Erweiterung des Anwendungsbereichs ausschlaggebend.
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Die Klage war daher mit der Rechtsfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 709 ZPO.
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