Urteil des VG Köln vom 23.10.2006
VG Köln: aufschiebende wirkung, kollokation, anfechtungsklage, post, zugang, billigkeit, markt, genehmigung, chancengleichheit, unterliegen
Verwaltungsgericht Köln, 1 L 1549/06
Datum:
23.10.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 1549/06
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragstellerin. 2. Der Streitwert wird auf 250.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
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I.
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Mit Beschluss vom 30. August 2006 (00 00-00-000/0) entschied die Bundesnetzagentur
für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur -
BNetzA) zum einen, dass - aufgrund der Festlegung durch ihre Präsidentenkammer - die
als "Betroffene" bezeichnete Antragstellerin auf dem bundesweiten (Großkunden-)Markt
für Anrufzustellungen in ihr Mobiltelefonnetz über beträchtliche Marktmacht verfüge.
Zum anderen beschloss die BNetzA:
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" I.
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R e g u l i e r u n g s v e r f ü g u n g
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1. Die Betroffene wird dazu verpflichtet, Betreibern von öffentlichen Telefonnetzen
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1.1 die Zusammenschaltung mit ihrem öffentlichen Mobiltelefonnetz am
Vermittlungsstandort der Betroffenen zu ermöglichen,
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1.2 über die Zusammenschaltung Verbindungen in ihr Netz zu terminieren
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und
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1.3 zum Zwecke des Zugangs gemäß Ziffern 1.1 und 1.2 Kollokation sowie im Rahmen
dessen Nachfragern bzw. deren Beauftragten jederzeit Zutritt zu diesen Einrichtungen
zu gewähren.
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2. Die Betroffene wird dazu verpflichtet, dass Vereinbarungen über Zugänge nach Ziffer
1 auf objektiven Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sind, einen gleichwertigen
Zugang gewähren und den Geboten der Chancengleichheit und Billigkeit genügen.
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3. Die Entgelte für die Gewährung des Zugangs und der Kollokation gemäß Ziffer 1
unterliegen der Genehmigung nach Maßgabe des § 31 TKG.
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II.
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Der Betroffenen wird auferlegt, ein Standardangebot für Zugangsleistungen, zu deren
Angebot sie durch die in dieser Entscheidung ergangene(n) Regulierungsverfügung
verpflichtet worden ist und für die eine allgemeine Nachfrage besteht, innerhalb von drei
Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu veröffentlichen.
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Die Angaben zu den Standorten des Zugangs bzw. der Kollokation müssen nicht
veröffentlicht werden, sie müssen nur auf Nachfrage interessierten Unternehmen
zugänglich gemacht werden."
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Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 27. September 2006
Anfechtungsklage erhoben (1 K 4314/06 VG Köln).
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Im am Folgetag anhängig gemachten vorliegenden Verfahren beantragt die
Antragstellerin sinngemäß,
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1. die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 4314/06 - VG Köln - gegen die
Regulierungsverfügung der Bundesnetzagentur vom 30. August 2006 (Gz.: 00 00-00-
0000) anzuordnen;
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2.
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3. hilfsweise,
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die aufschiebende Wirkung der Klage - 1 K 4314/06 - VG Köln - gegen vorgenannten
Bescheid insoweit anzuordnen, als die Bundesnetzagentur
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a) unter Ziff. 2 des Tenors der Regulierungsverfügung die Antragstellerin dazu
verpflichtet hat, dass Vereinbarungen über Zugänge nach Ziff. 1 auf objektiven
Maßstäben beruhen, nachvollziehbar sind, einen gleichwertigen Zugang gewähren und
den Geboten der Chancengleichheit und Billigkeit genügen;
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b) in Ziff. 3 des Beschlusstenors festgestellt hat, dass die Entgelte für die Gewährung
des Zugangs und der Kollokation gemäß Ziff. 1 der Genehmigung nach Maßgabe des §
31 TKG unterliegen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der Verfahrensakte 1 K 4314/06 verwiesen.
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II.
27
Die Anträge bleiben ohne Erfolg.
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Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem
öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der sich aus § 137 Abs. 1 TKG
ergebenden sofortigen Vollziehbarkeit des angegriffenen Beschlusses und dem
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Diese Abwägung beruht allerdings nicht auf einer Einschätzung der Prozessaus-
sichten im Hauptsacheverfahren. Darüber lässt sich nach dem derzeitigen Verfah- rens-
und Erkenntnisstand nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsurteil abgeben. Die
Anfechtungsklage hängt von mehreren höchstrichterlich nicht geklärten schwierigen
Rechtsfragen ab, die sich nicht im vorläufigen Rechtsschutzverfahren aufgrund einer
summarischen Prüfung in der einen oder anderen Richtung mit überwiegender
Richtigkeitsgewissheit beantworten lassen. Das betrifft u.a. die Marktanalyse, die
beträchtliche Marktmacht, das Konsultations- und Konsolidierungsverfahren, die
Auslegung und Anwendung der §§ 27 Abs. 2, 35 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2 TKG, die
Auferlegung einer Zusammenschaltungs-, Terminierungs-, Kollokations- und
Gleichbehandlungsverpflichtung sowie die Verpflichtung zur Veröffentlichung eines
Standardangebotes. Zu allen Auslegungs- und Anwendungsfragen liegen
unterschiedliche Auffassungen von fachlichem Gewicht vor, deren Bewertung im
vorliegenden summarischen Verfahren nicht vorgenommen werden kann, sodass der
Prozessausgang als offen angesehen werden muss. Deshalb sind die widerstreitenden
Interessen unabhängig vom voraussichtlichen Ergebnis des Hauptsacheverfahrens
gegeneinander abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dem
Vollzugsinteresse erhebliches Gewicht beimisst, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass
er in § 137 Abs. 1 TKG die sofortige Vollziehbarkeit von Regulierungsentscheidungen
generell angeordnet hat. Trotz dieser Wertung erübrigt sich jedoch nicht die
Interessenabwägung, die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bei offenem
Prozessausgang vorzunehmen ist; diese ist zwar gesetzlich vorstrukturiert, aber nicht
präjudiziert,
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vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 -, NVwZ 2005, 689
(690).
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Würde dem Aussetzungsantrag stattgegeben, jedoch später im Hauptsacheverfahren
die Anfechtungsklage abgewiesen, so unterlägen die von der Antragstellerin erhobenen
Terminierungsentgelte vorerst keinerlei Regulierung. Die Terminierungsentgelte wären
dann mangels konkreter Anordnung nicht einmal nach § 38 Abs. 2 bis 4 TKG ex-post zu
kontrollieren. Zum Schutze der auf den Zugang zum Netz der Antragstellerin
angewiesenen konkurrierenden Betreiber wäre dann nur das allgemeine
Wettbewerbsrecht anwendbar. Dazu wird in den zusammen mit der
Regulierungsverfügung ergangenen Festlegungen zum Markt Nr. 16 (S. 45) ausgeführt:
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"Auf den Märkten für Anrufzustellung in einzelnen Mobilfunknetzen sind die Regeln des
allgemeinen Wettbewerbsrechts nicht ausreichend. Die alleinige Anwendung des
allgemeinen Wettbewerbsrechts würde nämlich nur ein punktuelles Eingreifen in
einzelnen Verfahren ermöglichen. Erforderlich sind wesentlich detailliertere Befugnisse
zur Vornahme positiver Regelungen, z.B. fortlaufende Überwachung und häufiges
Einschreiten."
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Gegen diese offenbar von den nationalen Regulierungsbehörden der anderen
Mitgliedsstaaten und der Kommission im Verfahren nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 TKG
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geteilte Einschätzung, die zumindest im vorliegenden summarischen Verfahren das
Gericht überzeugt, hat die Antragstellerin keine substantiierten Einwendungen erhoben.
Würde demgegenüber der Aussetzungsantrag abgelehnt und wäre die Klage in der
Hauptsache später ganz oder teilweise erfolgreich, so wären die Konsequenzen für die
Antragstellerin nicht besonders gravierend. Zur Gewährung von Zugangs-, Kollokations-
und Terminierungsleistungen ist sie ohnehin - wie schon in der Vergangenheit - bereit.
Neu und belastend wäre für sie lediglich, dass sie ihre Terminierungsentgelte vor
Erhebung von der BNetzA genehmigen lassen und in diesem Zusammenhang gemäß §
33 TKG umfangreiche Kostenunterlagen vorlegen müsste. Die Erstellung prüffähiger
Kostenunterlagen mag zwar aufwändig sein, jedoch wäre der Aufwand nach einem
Obsiegen der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren nicht nutzlos. Denn auch im
Rahmen der dann als Alternativmaßnahme zu erwartenden und von der Antragstellerin
bislang befürworteten ex-post Regulierung in der Form von § 38 Abs. 2 bis 4 TKG kann
unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 2 Satz 3 TKG eine Kostenprüfung anhand
von Kostenunterlagen in Betracht kommen.
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Im Übrigen erscheinen die Nachteile, die der Antragstellerin durch die Versagung
vorläufigen Rechtsschutzes entstehen, auch deshalb weniger schwerwiegend, weil die
Kammer beabsichtigt, das Hauptsacheverfahren im ersten Quartal 2007 zu entscheiden.
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Unter diesen Umständen sind die für die sofortige Vollziehbarkeit sprechenden
öffentlichen Belange von höherem Gewicht als die dagegen sprechenden Interessen
der Antragstellerin.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG.
39
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 137 Abs. 3 Satz 1 TKG.
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