Urteil des VG Köln vom 20.11.2008
VG Köln: daten, behandlung, berufliche tätigkeit, wiederholungsgefahr, internet, missbrauch, zugang, herunterladen, verfügung, disposition
Verwaltungsgericht Köln, 20 K 3088/08
Datum:
20.11.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 3088/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn
nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand Der am 00.00.1965 geborene Kläger wendet sich gegen die Anordnung
einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
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Gegen ihn war bei der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Aktenzeichen 122 Js 718/07
ein Verfahren anhängig, in welchem ihm der Besitz kinderpornografischer Darstellungen
(§ 184 b Abs. 4 Satz 1 StGB) vorgeworfen wurde.
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Anlässlich der sogenannten Aktion „Mikado" der Staatsanwaltschaft Halle wurde
festgestellt, dass sich der Kläger im März 2006 durch Zahlung eines Betrages in Höhe
von 79,99 $ per Kreditkarte den Zugang zum Mitgliederbereich des Anbieters „X. „, in
dem über 3 GB kinderpornografische Bilder und Videos angeboten wurden, verschafft
hatte.
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Bei einer daraufhin eingeleiteten Durchsuchung des Haupt- und Nebenwohnsitzes des
Klägers wurden am 06.03.2007 dessen Computer, Laptop und diverse Speichermedien
beschlagnahmt.
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Durchsucht wurde zunächst die Wohnung des Klägers in Dissen (Niedersachsen), wo
der Kläger vor seinem Umzug nach Köln mit seiner Lebenspartnerin wohnte. Auf der
dort vorgefundenen externen Festplatte sowie dem Laptop wurden nach dem
Auswertebericht vom 25.04.2007 keine kinderpornografischen Darstellungen
vorgefunden, sondern „normal" - pornografische Darstellungen, Bondage, BDSM,
Fetisch und Posingbilder junger Mädchen/Frauen. Des Weiteren waren einige wenige,
strafrechtlich nicht relevante Posingbilder von Kindern gespeichert.
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Bezüglich der am gemeldeten Hauptwohnsitz Köln beschlagnahmten Computer und
Speichermedien wurde festgestellt, dass auf zwei USB-Festplatten 742.795 bzw.
268.931 Bilddateien nahezu ausschließlich pornografischen Inhalts gespeichert waren,
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wobei eine sehr hohe Anzahl der gespeicherten Bilder gewaltpornografische
Darstellungen betraf. Daneben befanden sich auf den Festplatten 641 Bilddateien mit
kinderpornografischem Inhalt. Weitere 372 Bilddateien mit kinderpornografischem Inhalt
waren auf sechs CD-ROM gespeichert. Überdies wurden auf dem PC des Klägers 771
kinderpornographische Bilder und Videos gefunden, welche im Zeitraum vom
05.01.2006 bis 02.02.2007 erstellt worden waren.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von
3.000 EUR nach § 153 a Abs. 1 StPO eingestellt.
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Anlässlich der Aushändigung der sichergestellten Gegenstände wurde dem Kläger am
08.04.2008 die Bestätigung einer Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung
ausgehändigt. In der Verfügung wurde der Kläger zugleich zu der beabsichtigten
Maßnahme angehört.
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Mit Stellungnahme vom 15.04.2008 machte der Kläger durch seinen
Prozessbevollmächtigten geltend, die Voraussetzungen für erkennungsdienstliche
Maßnahmen lägen nicht vor. Insbesondere sei die vom Beklagten in Bezug genommene
„kriminalistische Erfahrung" nicht bekannt, wonach das Ansehen von Kinderpornos die
Vorstufe zu einem tatsächlichen sexuellen Missbrauch in der Zukunft sein könne.
Unzutreffend sei des Weiteren die Annahme, dass der Kläger über pädophile
Neigungen und Veranlagungen verfüge. Ursächlich für das Herunterladen der
kinderpornografischen Bilder sei ein besonderer, sich alsbald nicht wiederholender
Stress gewesen.
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Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers wurde telefonisch am 16.04.2008 mitgeteilt,
dass auch in Ansehung seines Vorbringens vom 15.04.2008 an der Verfügung
festgehalten werde.
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Der Kläger hat am 06.05.2008 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
Zwar habe sich auf seinem Rechner eine Vielzahl von kinderpornografischen Daten
befunden. Gemessen an der Zahl pauschal aus dem Internet herunter geladener Daten
mache dies aber nur einen Bruchteil im Promillebereich aus. Die Zahl der vorhandenen
pornografischen Dateien spreche eher für einen Sammeltrieb, denn für eine bestimmte
sexuelle Veranlagung. So seien die Geschehnisse eher auf ein Versehen durch
argloses Surfen und Herunterladen, als auf eine abnorme Neigung zurück zu führen.
Insbesondere tritt der Kläger den Darlegungen des Beklagten zur Wiederholungsgefahr
aufgrund kriminalistischer Erkenntnisse entgegen. Aus dem bisher vorliegenden
Material sei nicht der geringste Anlass ableitbar, dass es in Zukunft zu
schwerwiegenden Sexualstraftaten kommen könne. Die Maßnahme sei überdies
unverhältnismäßig, weil tausenden Polizeibeamten der Zugriff auf diese Daten eröffnet
sei, so dass die Information über den Vorwurf auch in sein persönliches soziales Umfeld
gelangen könne.
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Der Kläger beantragt,
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die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung vom 08.04.2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hält die Vorraussetzungen für die Maßnahme für gegeben. Nach kriminalpolizeilicher
Erfahrung könne es nicht ausgeschlossen werden, dass der Personenkreis, der in
besonderem Maß an kinderpornografischen Darstellungen interessiert sei, künftig durch
strafbaren persönlichen Kontakt mit Kindern auffällig werde.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den
Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die Akte der Staatsanwaltschaft Köln 122 Js
718/07 Bezug genommen. Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 08.04.2008 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage für die angefochtene Maßnahme ist § 81 b 2. Alt. StPO. Danach dürfen
Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen
aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen
werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden
erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b 2. Alt. StPO nicht für Zwecke eines
gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens
erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in
kriminalpolizeilichen Sammlungen dient der vorsorgenden Bereitstellung von
sächlichen Hilfsmitteln für die sachgerechte Wahrnehmung der Aufgaben, die der
Kriminalpolizei hinsichtlich der Erforschung und Aufklärung von Straftaten zugewiesen
sind,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1982, - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192, Beschluss vom
12.07.1989, - 1 B 85.89 -, DÖV 1990, 117 und zuletzt Urteil vom 23.11.2005 - 6 C 2.05 -,
NJW 2006, 1225.
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Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des
Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der erkennungsdienstlichen Behandlung nach
§ 81 b 2. Alt. StPO muss demnach nicht bestehen. Dass eine erkennungsdienstliche
Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden
darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung
nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen
kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten
geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen
dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen
Behandlung herleiten muss. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge
der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch
lässt daher die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen unberührt,
23
BVerwG, Urteil vom 19.10.1982, - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192, Beschluss vom
06.07.1988, - 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81 b StPO Nr. 1 sowie Urteil vom 23.11.2005,
- 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225.
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Ausgehend hiervon steht der Umstand, dass das Anlassverfahren - StA Köln 122 Js
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718/07 - nach § 153 a Abs. 1 StPO gegen Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von
3.000 EUR eingestellt worden ist, der angeordneten Maßnahme nicht entgegen. Die
Maßnahme ist auch in hinreichendem Zusammenhang mit dem Anlassverfahren,
nämlich bei Aushändigung der beschlagnahmten Gegenstände angeordnet worden.
Die Notwendigkeit der Anfertigung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich
danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder
Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts
aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und
Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner
Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er
strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme
bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis
potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und
dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen
fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten. Ferner muss sich
die Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung jedenfalls auch aus den
Ergebnissen dieses Verfahrens herleiten,
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vgl. ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. BVerwG 19.10.1982 - 1 C 114/79, NJW
83, S. 1338 und zuletzt Urteil vom 23. 11. 2005, - 6 C 2.05 -, NJW 2006, 1225.
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Maßgeblich ist demnach, ob der Kläger vorliegend mit guten Gründen als Verdächtiger
in den Kreis potentieller Beteiligter an noch aufzuklärenden Handlungen dieser oder
ähnlicher Art einzubeziehen ist.
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Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
GG, der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive
Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwägung
zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend
dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potentieller
Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder
angezeigt worden ist,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.06.1991 - 5 A 1257/90 - und vom 29.11.1994 - 5 A
2234/93 -.
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In Anwendung dieser Maßstäbe stellt sich die angefochtene Verfügung als rechtmäßig
dar, denn die hieraus abzuleitenden Voraussetzungen Restverdacht,
Wiederholungsgefahr und Verhältnismäßigkeit sind erfüllt.
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Zunächst ist trotz der Einstellung des Anlassverfahrens ein Restverdacht gegen den
Kläger gegeben.
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Es bestehen nach Auswertung der strafrechtlichen Ermittlungsakte für das Gericht keine
Zweifel daran, dass sich der Kläger bewusst und gewollt kinderpornografisches Material
aus dem Internet heruntergeladen hat. Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass der
Zugang zu der maßgeblichen Seite konspirativ ausgelegt war. Um für 20 Tage den
Zugang zum Mitgliederbereich zu erlangen, musste ein Betrag in Höhe von 79,99 $
entrichtet werden, welcher ausschließlich per Kreditkarte gezahlt werden konnte.
Sodann erhielt der Nutzer ein Passwort, mit welchem er Zugang zu
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kinderpornografischen Darstellungen hatte. Aus einer E-Mail an die Nutzer ergibt sich,
dass die Seite illegal ist und deswegen vorübergehend gesperrt sein kann. Ferner
werden ausdrückliche Verhaltensregeln mitgeteilt, so etwa, dass der Nutzer im Falle
polizeilicher Nachfragen erklären solle, seine Kreditkartendaten seien gestohlen
worden. Außerdem wurde dringend empfohlen, die Daten verschlüsselt zu speichern.
Vor diesem Hintergrund vermag die Darstellung des Klägers, die Geschehnisse seien
eher auf ein Versehen durch argloses Surfen und Herunterladen und Nachlässigkeit
zurückzuführen, nicht zu überzeugen. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang
ferner, dass der Kläger nicht nur einmal kinderpornografisches Material aus dem Internet
heruntergeladen hat, sondern die Erstellungsdaten der Bilder und Videos betreffen nach
dem Auswertebericht vom 27.07.2007 (BA 1, Bl. 80) einen Zeitraum vom 05.01.2006 bis
zum 02.02.2007. Ferner ergibt sich aus dem Verwaltungsvorgang, dass der Kläger auch
schon in ähnlicher Sache im Rahmen der EK Data aufgefallen sei. Von einer
Durchsuchung sei abgesehen worden, da die Tatzeiten durch die Durchsuchung im
Rahmen des Verfahrens EK Mikado abgedeckt gewesen seien.
Überdies besteht nach Auffassung des Gerichts auch die Gefahr, dass der Kläger
künftig erneut als Verdächtiger in den Kreis potentieller Täter einer noch aufzuklärenden
strafbaren Handlung dieser oder ähnlicher Art einbezogen werden könnte und dass die
erkennungsdienstlichen Unterlagen dann ermittlungsfördernd sein könnten. Die
Prognose einer derartigen Wiederholungsgefahr resultiert zunächst aus dem Charakter
von Sexualstraftaten als Neigungsdelikte,
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vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23.20.2007 - 5 B 1284/07 -.
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Überdies sprechen auch kriminalistische Anhaltspunkte dafür, dass ein Zusammenhang
zwischen dem Besitz kinderpornografischer Darstellungen und späteren möglichen
Übergriffen auf Opfer besteht: In einer Rede der Justizministerin Zypries am 04.06.2007
anlässlich der Eröffnung des Europäischen Forums für die Rechte des Kindes,
veröffentlicht unter www.bmj.bund.de, wird für den Bereich der virtuellen Internet-
Pornografie ausgeführt, diese stelle manchmal nur eine Vorstufe für einen tatsächlichen
sexuellen Missbrauch dar. Experten gingen davon aus, dass mindestens 10 % von
Tätern in der virtuellen Welt sexuellen Missbrauch auch in der realen Welt begingen.
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Nach Auffassung des Gerichtes sind keine Gründe ersichtlich, warum die für virtuelle
Kinderpornografie dargestellte Situation bezüglich realer Kinderpornografie im Internet
anders zu bewerten sein sollte. Denn es ist davon auszugehen, dass Kindesmissbrauch
im Internet die Hemmschwelle für realen Missbrauch absenkt, indem das Mitleid mit den
Opfern sinkt. Außerdem entsteht eine Rechtfertigungsstrategie (und damit eine
Verminderung des Unrechtsbewusstseins) dahingehend, dass die
kinderpornografischen Darstellungen und ihre Verfügbarkeit als scheinbar weite
Verbreitung sexueller Interessen an Kindern interpretiert werden, vgl. Dr. Claudia
Bundschuh, Konsum und Wirkung von Erotika und Pornographie mit Kindern, BPjS-
Aktuell 4/2001, S. 11. Diese, in einem Vortrag auf der Jahrestagung 2000 der
Bundesprüfstelle für jungendgefährdende Schriften geäußerten Auffassungen von Frau
Dr. Bundschuh hält das Gericht für zutreffend.
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Ein weiterer Aspekt, warum Kinderpornografie zu einer Gefährdung von Kindern und
Jugendlichen führen kann, besteht darin, dass die Opfer mit entsprechenden
Darstellungen auf einen realen Missbrauch eingestimmt werden, indem ihnen suggeriert
werden soll, der sexuelle Kontakt von Kindern mit Erwachsenen sei normal und sozial
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akzeptiert. Den Kindern wird vermittelt, dass auch Kinder lustvoll Sexualität mit
Erwachsenen oder untereinander ausleben. Dieser Aspekt war bereits im
Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes -
Kinderpornographie vom 03.07.1992 thematisiert worden (BT-Drucksache 12/3001, S.
6). Dieser Gedanke ist im Zusammenhang mit dem Entwurf zu § 15 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG
vom 13.05.2002 (BT-Drucksache 14/9013) erneut in den Fokus geraten. Nach dieser
Norm werden Trägermedien, die Kinder oder Jugendliche in unnatürlicher,
geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen, als schwer jugendgefährdend eingestuft
und unterliegen somit Einschränkungen bezüglich ihrer Verbreitung. In der Erläuterung
zu der genannten Regelung wird ausgeführt, der Inhalt solcher Bilder richte an Kinder
und Jugendliche die Botschaft, für sich selbst in bestimmten Situationen eine Rolle als
Anschauungsobjekt zu akzeptieren und auf die unbedingte Unverletzlichkeit der
eigenen Menschenwürde zu verzichten. Die mit diesen Bildern verbundene, subtile
Vermittlung der Normalität des sexuellen Umgangs von Erwachsenen mit
Minderjährigen - unter gleichzeitiger Betonung der Genitalbereiche - machten sich nach
kriminalpolizeilichen Erkenntnissen erwachsene Kindesmissbraucher zu Nutze. Bei
einem hohen Prozentsatz von überführten und rechtskräftig verurteilten
Kindesmissbrauchern seien bei Hausdurchsuchungen derartige Bilder gefunden
worden.
Diese Darlegungen, die sich auf Bilder beziehen, welche noch nicht die Schwelle des §
184 b StGB erreicht haben, beanspruchen erst recht Gültigkeit für die von der Strafnorm
erfassten kinderpornografischen Darstellungen.
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Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr spricht ein weiterer Gesichtspunkt,
welchen der VGH Baden - Württemberg,
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Urteil vom 29.05.2008, - 1 S 1503/07-, NJW 2008, S. 3082 - 3084
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aus der gesetzgeberischen Zielsetzung zu § 184 b StGB herausgearbeitet hat:
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Unter Berufung auf die Gesetzesmotive zum Schutzzweck des § 184 b StGB (vgl. BT-
Drs. 12/3001 S. 5) wird dargelegt, dass es sich bei dieser Norm um ein Risikodelikt
handele. Das Gesetz gehe von der Hypothese aus, jedenfalls nach derzeitigem
Erkenntnisstand sei nicht auszuschließen, dass der Betrachter kinderpornografischer
Darstellungen zum Kindesmissbrauch angeregt werde. Entschließe sich der
Gesetzgeber angesichts der Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts und der
besonderen Schwierigkeit, in diesem Bereich das Dunkelfeld auszuleuchten, in
zulässiger Weise zur strafrechtlichen Sanktionierung eines mit weiteren Risiken
verbundenen Verhaltens, könne dies für die von § 81 b 2. Alt. StPO bezweckte
Strafverfolgungsvorsorge nicht ohne Folgen bleiben. Die gesetzgeberische
Risikoeinschätzung müsse dann auch in die hier anzustellende Negativprognose
einfließen. Sie sei jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn viel für eine pädosexuelle
Disposition des Betroffenen spreche.
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Diesen Erwägungen schließt sich das erkennende Gericht an. Der Kläger kann sich in
diesem Zusammenhang auch nicht erfolgreich darauf berufen, eine pädosexuelle
Disposition liege bei ihm nicht vor, was sich unter anderem aus der großen Menge
anderen pornografischen Materials ergebe, welches er gesammelt habe.
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Das Gericht hält es nicht für entscheidend, ob der Kläger eine ausschließlich auf Kinder
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gerichtete sexuelle Neigung hat oder nicht. Angesichts der Vielzahl und Vielfältigkeit der
auf seinen Computern vorgefundenen Daten (Posingbilder von Kindern sowie
Mädchen/Frauen, Bondage, BDSM, Fetisch, „einfache" pornografische Bilder,
gewaltpornografische Darstellungen, Kinderpornografie) spricht einiges dafür, dass der
Kläger nicht ausschließlich sexuell auf Kinder ausgerichtet ist. Dabei legt die Zahl der
gespeicherten Daten im Millionenhöhe nahe, dass sich der Kläger suchtartig sexuelle
Darstellung verschiedenster Arten beschafft hat. Die Vielfältigkeit der Darstellungen
über Posingbilder und „einfach" pornografische Darstellungen bis hin zu
gewaltpornografischen Darstellungen und - hier relevant - kinderpornografischen
Darstellungen lässt vermuten, dass der Kläger immer stärkere Anreize gebraucht hat. In
dieses Bild fügt sich auch der Umstand, dass der Kläger kinderpornografische
Darstellungen ausschließlich auf Speichermedien an seinem Hauptwohnsitz Köln hatte,
nicht aber in Dissen, wo er ursprünglich mit seiner damaligen Lebenspartnerin lebte.
Der Umstand, dass der Kläger über 1.700 kinderpornografische Bilder heruntergeladen
hat, ist nach Auffassung des Gerichts ein Beleg dafür, dass er durch die Bilder
zumindest sexuell ansprechbar ist und über eine - wenn auch nicht ausschließliche -
pädosexuelle Disposition verfügt. Nicht beizutreten vermag das Gericht in diesem
Zusammenhang der Argumentation des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der
mündlichen Verhandlung, wonach das Sammeln pornografischer Darstellungen keinen
Bezug zur sexuellen Ausrichtung habe, sondern wie eine sonstige Sammeltätigkeit zu
bewerten sei, wobei das Beschaffen und Speichern der kinderpornografischen
Darstellungen der Vervollständigung der Sammlung gedient habe.
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Für das Gericht ist auch nicht ersichtlich, dass aus sonstigen, auf den Einzelfall
bezogenen Gründen eine Wiederholungsgefahr im Sinne einer Gefahr eines möglichen
künftigen Übergriffs nicht gegeben sein sollte. Der Kläger hat sich im Strafverfahren
dahingehend eingelassen, das Herunterladen und Speichern der Dateien sei auf ein
hohes Maß an Nachlässigkeit verbunden mit einem nicht anderweitig zu
kompensierenden beruflichen und persönlichen Stress zurückzuführen. Der Kläger sei
gerade in der jüngeren Vergangenheit durch seine berufliche Tätigkeit derart
ausgelastet gewesen, dass er weder Zeit noch Kraft zu weiteren sozialen Kontakten
oder Hobbys aufgebracht hat. Die Beziehung zu seiner Lebensgefährten sei zu einer
Wochenendbeziehung degeneriert, die nunmehr endgültig in die Brüche gegangen sei.
Das Ansammeln der Dateien beruhe aus heutiger Sicht auf einer Flucht aus dieser
Problemwelt. In seiner Stellungnahme vom 15.04.2008 hat der Kläger ergänzend
dargelegt, ursächlich sei ein „besonderer und offensichtlich alsbald nicht zu
wiederholende(r) Stress" gewesen.
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Für das Gericht ist aufgrund dieses Vortrages nicht nachvollziehbar, dass der Kläger
nicht wieder in eine vergleichbare Krise geraten und dabei dieselben
Fluchtmechanismen anwenden kann. Es ist nicht erkennbar geworden, inwieweit der
Kläger über die „Bewusstwerdung" dieser „Prozesse" hinaus Ansätze einer
ursächlichen Lösung seiner Fluchttendenzen verfolgt hat bzw. verfolgt. Die Gelegenheit,
der Kammer in der mündlichen Verhandlung zu erläutern, warum in seinem konkreten
Fall eine Wiederholungsgefahr auszuschließen sein soll, hat der Kläger nicht
wahrgenommen.
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Schließlich sind die angeordneten erkennungsdienstlichen Unterlagen auch für künftige
Ermittlungen erforderlich. Die Fingerabdrücke sind geeignet, Rückschlüsse auf die
Benutzung einer bestimmten Tastatur zu geben bzw. einen evtl. Tausch von sonstigen
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Speichermedien durch den Kläger zu belegen oder auszuschließen. Die Lichtbilder sind
geeignet, im Falle eines tatsächlichen Übergriffs anhand einer Identifizierung eine
Tatbeteiligung zu be- oder widerlegen.
Der dem Kläger zugemutete Grundrechtseingriff ist schließlich im Hinblick auf das hohe
Schutzgut (Schutz insbesondere von Kindern gegen sexuelle Übergriffe)
verhältnismäßig im engeren Sinne. Die Folgen einer pornografischen Ausbeutung von
Kindern sind verhängnisvoll. Die dauerhaft fehlende Kontrolle über die Verbreitung der
die Menschenwürde der Opfer zutiefst verletzenden Bilder erschwert bzw. verhindert die
Verarbeitung der Gewalterfahrung. Entsprechend schwerwiegend sind die Folgen für
kindliche Missbrauchsopfer. Sie reichen weit über erlittene Körperverletzungen hinaus
und können zu lebenslangen psychischen und sozialen Beeinträchtigungen führen.
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Wegen des schwerwiegenden Charakters dieser Folgen reicht bereits eine relativ
geringe Gefahr eines erneuten Verstoßes gegen § 184 b StGB (bezogen auf die
Abnahme der Fingerabdrücke) und eines möglichen tatsächlichen sexuellen Übergriffs
(bezogen auf die Anfertigung von Lichtbildern) aus, um den Eingriff, den der Kläger
durch die Aufnahme und die befristete Speicherung seiner Daten erleidet, zu
rechtfertigen.
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Das Gericht vermag auch nicht der Auffassung des Klägers beizutreten, der Eingriff sei
bereits unverhältnismäßig, weil seine Daten tausenden von Polizeibeamten zur
Verfügung stünden und so die Information über die Vorgänge in sein berufliches und
soziales Umfeld gelangen könne. Der Kläger verkennt dabei die Zweckgebundenheit
der Daten, die gerade nicht dem beliebigen Zugriff eines jeden Polizeibeamten
unterliegen. Zudem unterfallen derartige dienstlich erlangte Erkenntnisse der
Verschwiegenheitspflicht. Vor allem aber würde die Argumentation des Klägers
bedeuten, dass die Erhebung und Speicherung von erkennungsdienstlichem Material in
diesem Deliktsbereich generell nur von solchen Personen möglich wäre, die nicht in ein
soziales und berufliches Umfeld eingebunden sind. Dass diese Auffassung vor dem
Hintergrund des präventiv- polizeilichen Ansatzes der Maßnahme und dem hohen
Schutzgut der sexuellen Integrität von Kindern und Jugendlichen nicht durchschlagen
kann, liegt auf der Hand.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 711 ZPO.
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