Urteil des VG Köln vom 11.01.2008
VG Köln: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, vollziehung, rechtskräftiges urteil, gesetzlicher vertreter, verdeckte gewinnausschüttung, bindungswirkung, sicherheitsleistung, hauptsache
Verwaltungsgericht Köln, 23 L 1788/07
Datum:
11.01.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
23 L 1788/07
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 23 K 547/06 gegen den
Haftungsbescheid des Antragsgegners vom 24. März 2004 in der Gestalt
des Änderungsbescheides vom 24. Oktober 2007 wird angeordnet. Der
Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. 2. Der Streitwert wird auf
28.636,55 Euro festgesetzt.
Gründe
1
I. Die Kammer legt das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers dahin aus,
dass er bei verständiger Betrachtung die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
seiner Klage 23 K 547/06 gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners vom 24.
März 2004 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 24. Oktober 2007 begehrt.
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Nach § 122 Abs. 1 i.V.m. § 88 VwGO darf das Gericht über das Antragsbegehren nicht
hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Der Antragsteller hat
hier in seinem Schriftsatz vom 07. Dezember 2007 wörtlich beantragt, „gemäß § 123
VwGO die Vollziehung des Haftungsbescheides des Antragsgegners vom 24. März
2004 ohne Sicherheitsleistung auszusetzen". Gegenstand seines Begehrens ist damit,
wie auch aus der weiteren Begründung der Antragsschrift deutlich wird, die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners vom
24. März 2004 in seiner aktuellen Gestalt. Insoweit ist namentlich die Bestimmung des §
123 Abs. 5 VwGO zu beachten. Danach gelten die Vorschriften von § 123 Abs. 1 - 3
nicht für die Fälle der §§ 80 und 80 a VwGO. Diese haben mit anderen Worten
prozessual Vorrang. Ein Fall des § 80 VwGO liegt hier jedoch vor. Der angegriffene
Haftungsbescheid in seiner geänderten Gestalt ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Er
unterfällt der Bestimmung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO,
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vgl. nur Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 80 Rn 59; Schoch in
Schoch/Schmidt - Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 (Stand: 1998) Rn 121;
Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2007, Rn 688 jeweils mit weiteren Nachweisen aus
der Rechtsprechung.
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In der Hauptsache begehrt der Antragsteller richtigerweise die Aufhebung dieses ihn
5
belastenden Verwaltungsakts im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO.
Der Umstand, dass der Antragsgegner sich hier mit Schreiben vom 22. November 2007
bereit erklärt hat, die Vollziehung dieses Haftungsbescheides vorbehaltlich
jederzeitigen Widerrufs bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens 20
K 547/06 auszusetzen, falls bis zum 31. Dezember 2007 eine Sicherheit in Höhe der
ausgesetzten Beträge erbracht wird, ändert am Vorrang eines vorläufigen
Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO nichts. Die Befugnis, eine derartige
Sicherheitsleistung vom Adressaten eines Verwaltungsakts zu verlangen, folgt für die
Ausgangsbehörde verfahrensmäßig aus § 80 Abs. 4 Satz 2 VwGO. Gegen eine
derartige behördliche Entscheidung ist vorläu- figer Rechtsschutz im Wege eines
Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft,
vgl. nur Puttler, a.a.O., § 80 Rn 110; Schoch, a.a.O., § 80 Rn 216 jeweils mit weiteren
Nachweisen.
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Die Kammer verkennt bei dieser Auslegung des Antragsbegehrens nicht, dass
vorläufiger Rechtsschutz nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des OVG NRW,
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vgl. nur Beschlüsse vom 22. Januar 1996 - 22 B 133/96 und vom 26. November 1996 -
22 B 2682/96 -,
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im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
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vgl. dessen Beschluss vom 27. November 1981 - 8 B 184/81 -, NVwZ 1982, 193, 194,
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im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu
verfolgen ist, wenn das Finanzamt die Vollziehung eines Grundlagenbe- scheides (etwa
eines Gewerbesteuermessbescheides) ausgesetzt hat und die Betei- ligten
ausschließlich um die Frage streiten, ob die hebeberechtigte Gemeinde die Vollziehung
des von ihr in der Folge erlassenen Gewerbesteuerbescheides ohne
Sicherheitsleistung aussetzen muss. Diese Rechtsprechung erhellt sich vor dem Hin-
tergrund, dass die Gemeinde die Vollziehung eines bereits erlassenen Folgebe-
scheides nach § 361 Abs. 3 Satz 1 AO auszusetzen hat, soweit das Finanzamt die
Vollziehung des Grundlagenbescheides aussetzt. In einer solchen Fallkonstellation hat
der vorläufige Rechtsschutzantrag ein Verpflichtungsbegehren gegen die Ge- meinde
zum Inhalt, welches von dieser ein neues Tätigwerden, nämlich den Erlass eines
entsprechenden Verwaltungsakts erfordert. Diesem Begehren entspricht für die
Hauptsache der Anspruch auf Aufhebung oder Änderung des - auch bestandskräftigen -
Folgebescheids für den Fall, dass der Grundlagenbe- scheid aufgehoben oder geändert
wird (vgl. § 175 AO). Dieser Anspruch ist damit auf Erlass eines Verwaltungsakts
gerichtet und in der Hauptsache im Wege der Ver- pflichtungsklage zu verfolgen,
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vgl. insoweit nur BVerwG, Beschluss vom 27. November 1981, a.a.O.
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Eine derartige Fallkonstellation liegt im vorliegenden Fall allerdings nicht vor.
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Die Kammer hat schon erhebliche Zweifel, ob hier ein wirksamer Grundlagenbescheid
im Sinne von § 171 Abs. 10 AO existent ist. Manches spricht nämlich dafür, dass der
vom Finanzamt Köln-Nord für das Jahr 1998 erlassene Bescheid (ohne Datum) über
den Gewerbesteuermessbetrag in Höhe von 46.245,00 EUR (Blatt 1 des
Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners) bereits rechtsunwirksam ist. Dieser
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Bescheid ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der W.
erlassen und mit Rechtsbehelfsbelehrung an die Insolvenzverwalterin adressiert
worden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines
Steuerschuldners darf ein Gewerbesteuermessbescheid jedoch nicht mehr ergehen.
Das Steuerfestsetzungsverfahren ist vielmehr analog § 240 ZPO unterbrochen, der
festgestellte Messbetrag muss von der Finanzbehörde zur Insolvenztabelle angemeldet
werden. Ein dennoch erlassener Steuerbescheid ist nicht nur rechtswidrig, sondern
sogar unwirksam,
vgl. nur BFH, Urteil vom 2. Juli 1997 - I R 11/97 -, NJW 1998, 630, 631 (Änderung der
Rechtsprechung); Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, §
251 Rn 42 ff.; Brockmeyer in Klein, Abgabenordnung, 9. Auflage 2006, § 251 Rn 29;
Selder in Glanegger/Güroff, GewStG, 6. Auflage 2006, § 14 Rn 5 jeweils m.w.N.
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Im Übrigen würde der Messbescheid des Finanzamtes Köln-Nord - so er rechtswirksam
wäre - jedenfalls keine Bindungswirkung zum Nachteil des Antragstellers als
Haftungsschuldner entfalten. Ein Grundlagenbescheid mit den entsprechenden
rechtlichen Bindungswirkungen (vgl. § 171 Abs. 10 AO) liegt nur vor, wenn die
Bindungswirkung des Bescheides für die Festsetzung einer Steuer ausdrücklich
gesetzlich angeordnet ist,
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vgl. Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 171 Rn 90; Rüsken in Klein, a.a.O., § 171 Rn. 102
jeweils mit weiteren Nachweisen aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung.
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Nach § 184 Abs. 1 i.V.m. § 182 Abs. 1 AO sind die im Steuermessbescheid des
Finanzamtes getroffenen Feststellungen allerdings allein für den
Gewerbesteuerbescheid der Kommune bindend. Eine Bindungswirkung des
Messbescheides für einen Haftungsbescheid ist hingegen gesetzlich nicht angeordnet.
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Auch die Eintragung der von der Insolvenzverwalterin festgestellten
Gewerbesteuerforderung des Antragsgegners gegen die W. in die Insolvenztabelle am
30. August 2005 durch das Amtsgericht Köln steht keinem Grundlagenbescheid gleich.
Diese Eintragung entfaltet für den hier streitgegenständlichen Haftungsbescheid keine
rechtliche Bindungswirkung. Nach § 178 Abs. 3 InsO wirkt die Eintragung in die Tabelle
für die festgestellte Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein
rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern.
Sie wirkt hingegen nicht gegenüber einem potentiellen Haftungsschuldner wie dem
Antragsteller,
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zur Rechtskraftwirkung der Eintragung in die Insolvenztabelle nach § 178 Abs. 3 InsO
vgl. nur Leithaus in Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, 2006, § 178 Rn 8 m.w.N. .
20
II. Das nach allem nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu beurteilende
Rechtsschutzbegehren ist zulässig. Insbesondere hat der Antragsteller vor Anrufung des
Gerichts am 8. Dezember 2007 die Regelung des § 80 Abs. 6 VwGO beachtet. Die
Kammer lässt offen, ob insoweit schon der Aussetzungsantrag des Antragstellers in
seiner Widerspruchsbegründung vom 29. April 2004 ausgereicht hat. Der Antragsteller
hat jedenfalls mit Schriftsatz vom 16. November 2007, welcher beim Antragsgegner am
19. November 2007 eingegangen ist, beantragt, die Vollziehung des streitigen
Haftungsbescheides bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Klageverfahrens
auszusetzen. Dieses unbedingte Aussetzungsbegehren hat der Antragsgegner vor
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Anrufung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO teilweise
abgelehnt. Denn er hat dem Antragsteller mit Schriftsatz vom 22. November 2007
mitgeteilt, er setze die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 24. März 2004 in Höhe
von 114.546,19 EUR bis zum Abschluss des Verfahrens 20 K 547/06 nur aus, falls bis
zum 31. Dezember 2007 eine Sicherheit in Höhe des ausgesetzten Betrages erbracht
werde. Der Antragsteller hat auch aktuell ein konkretes Rechtsschutzbedürfnis für sein
Antragsbegehren. Er hat den Termin am 31. Dezember 2007 verstreichen lassen, ohne
die geforderte Sicherheitsleistung beizubringen, so dass die behördliche
Vollziehungsaussetzung vom 22. November 2007 heute keinerlei Rechtswirkungen
mehr entfaltet.
III. Der Antrag des Antragstellers ist auch begründet.
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Im Falle der Erhebung von öffentlichen Abgaben i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO
kann das Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende
Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Dies setzt in entsprechender
Anwendung des in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO verankerten Prüfungsmaßstabs voraus,
dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Abgabenbescheides
bestehen oder dass die Vollziehung für den Abgabenschuldner eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte,
23
einhellige Meinung, vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 17. März 1994 - 15 B 3022/93 -,
NVwZ - RR 1994, 617; Puttler a.a.O., § 80 Rn 141; Finkelnburg/Dombert/Külpmann,
a.a.O., Rn 980; Kopp/Schenke VwGO, 15. Auflage 2007, § 80 Rn 157 jeweils m.w.N..
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Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Abgabenbescheides
bestehen nur, wenn auf Grund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ein
Erfolg des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren wahrscheinlicher ist als ein
Misserfolg. Die Intensität der gerichtlichen Prüfung des Streitstoffes richtet sich dabei
nach den Gegebenheiten des vorläufigen Rechtsschutzes. Es sind vornehmlich solche
Einwände zu berücksichtigen, die der Rechtsschutzsuchende selbst gegen die
Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides geltend macht, es sei denn, dass sich
sonstige Mängel bei summarischer Prüfung als offensichtlich darstellen. Ferner können
weder aufwendige Tatsachenfeststellungen getroffen werden, noch sind schwierige
Rechtsfragen abschließend zu klären.
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vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 17. März 1994, a.a.O. ; Puttler, a.a.O., § 80 Rn 143;
Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Randziffer 829 jeweils m.w.N..
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Gemessen daran hat die Kammer hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Haftungsbescheides vom 24. März 2004 in der Gestalt, die dieser durch
den Änderungsbescheid des Antragsgegners vom 24. Oktober 2007 erhalten hat. Es
spricht viel dafür, dass diese Bescheide sowie der Widerspruchsbescheid des
Antragsgegners vom 19. Dezember 2005 rechtswidrig sind, den Antragsteller in seinen
Rechten verletzen und deshalb in der Hauptsache nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO
aufzuheben sind. Nach derzeitiger Einschätzung der Kammer spricht nämlich
Überwiegendes dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass eines
Haftungsbescheides in dieser Höhe gegen den Antragsteller nicht gegeben sind.
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Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen
werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Zu klären ist
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danach zunächst, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftungsvorschrift
gegeben sind.
§ 69 AO sieht die sog. Vertreterhaftung vor. Nach Satz 1 dieser Bestimmung haften die
in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der
ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit
infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund
gezahlt werden. Der Antragsteller unterfällt als damaliger alleiniger Geschäftsführer der
W. zwar dem in § 34 Abs. 1 AO bezeichneten Personenkreis, er war gesetzlicher
Vertreter der GmbH (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Der Antragsteller dürfte auch die in § 34 Abs.
1 AO genannten Pflichten verletzt haben. Zu den steuerlichen Pflichten der vertretenen
GmbH als Gewerbetreibender gehörte insbesondere die Steuererklärungspflicht nach §
14 a GewStG. Eine derartige Steuererklärung ist für die W. für den
Veranlagungszeitraum 1998, der hier streitgegenständlich ist, nicht abgegeben worden.
Dies bestreitet auch der Antragsteller nicht.
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Es spricht weiterhin viel dafür, dass der Antragsteller die ihm auferlegten Pflichten
jedenfalls grob fahrlässig i.S.v. § 69 Satz 1 AO verletzt hat. Die fristgerechte Abgabe von
Steuererklärungen gehört zu den Kernpflichten steuerlicher Art. Als alleiniger
Geschäftsführer der GmbH musste der Antragsteller darauf achten, dass eine derart
zentrale Pflicht erfüllt wird. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller dazu nach
seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage war. Er durfte die
Aufgabe des Geschäftsführers einer GmbH nur übernehmen, wenn er auch die dafür
erforderlichen steuerrechtlichen Kenntnisse besaß; weiterhin musste er sich mit den
handels- und steuerrechtlichen Erfordernissen seines Amtes vertraut machen,
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vgl. nur Rüsken, a.a.O., § 69 Rn 96 m.w.N.
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Hat er dies unterlassen und nicht für die rechtzeitige Abgabe der Steuererklärung der
von ihm vertretenen GmbH Sorge getragen, so ist dieses Verhalten als grob fahrlässig
zu bezeichnen. Denn der Antragsteller hat dann die gebotene und ihm mögliche Sorgfalt
in ungewöhnlich hohem Maße verletzt.
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Das Gericht kann allerdings nicht feststellen, dass diese schuldhafte Pflichtverletzung
des Antragstellers ursächlich auch zu einem Haftungsschaden i.S.v. § 69 Satz 1 AO in
der vom Antragsgegner bezeichneten Höhe geführt hat. Die Haftung nach § 69 AO setzt
einen Schaden voraus. Dieser Schaden besteht darin, dass Ansprüche aus dem
Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind.
Die steuerlichen Ansprüche gegen den Erstschuldner müssen dem Grunde und der
Höhe nach feststehen. Dabei ist allerdings nicht Voraussetzung, dass die Steuer, für die
gehaftet wird, schon festgesetzt ist oder die Festsetzung gegen den Erstschuldner sogar
unanfechtbar geworden ist. Umgekehrt hindert die bestandskräftige Festsetzung der
Steuerforderung den Haftungsschuldner nicht, Einwendungen gegen das Bestehen der
Steuerschuld zu erheben, es sei denn, er wäre in der Lage gewesen, den gegen den
Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft
eigenen Rechts anzufechten (§ 166 AO),
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zum Ganzen vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. November 1996 - 2 BvR 1157/93 -,
NJW 1997, 726, 727, BFH, Urteil vom 18. März 1987 - II R 35/86 -, BFHE 149, 267;
Loose in Tipke/Kruse, aaO, § 69 Rn 13, 14; Rüsken, a.a.O., § 191 Rn 11 ff. jeweils mit
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weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung.
Dem Antragsteller kann danach nicht die Rüge abgeschnitten werden, dass eine
primäre Gewerbesteuerschuld der W. in Höhe von 114.546,19 EUR (einschließlich
Zinsen) dem Grunde nach nicht besteht. Ein Fall der Drittwirkung der Steuerfestsetzung
nach § 166 AO liegt hier nicht vor. Die Gewerbesteuerforderung des Antragsgegners ist
der W. gegenüber schon nicht unanfechtbar durch Steuerbescheid festgesetzt worden.
Wie oben ausgeführt entfaltet die Eintragung der von der Insolvenzverwalterin
festgestellten Gewerbesteuerforderung des Antragsgegners in die beim Amtsgericht
Köln geführte Insolvenztabelle dem Antragsteller gegenüber ebenfalls keine rechtliche
Bindungswirkung. Ob und in welcher Höhe eine primäre Gewerbesteuerschuld der W.
für den Veranlagungszeitraum 1998 tatsächlich bestand und dem Antragsgegner damit
ein Haftungsschaden entstanden ist, kann das Gericht aufgrund der ihm vorliegenden
Unterlagen nicht beurteilen. Der Antragsgegner hat diese entscheidungserhebliche
Frage im Vorverfahren nicht geprüft, obwohl sich aus der substantiierten
Widerspruchsbegründung des Antragstellers vom 29. April 2004 und den diesem
Schriftsatz beigefügten Anlagen genügend Anhaltspunkte ergeben haben, die es
geboten erschienen ließen, diesem Punkt weiter nachzugehen.
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Maßgeblich sind insoweit die Bestimmungen der §§ 6 ff. GewStG. Zu bestimmen ist
danach primär der Gewerbeertrag i.S.v. § 7 GewStG. Hier stellt sich die vom Finanzamt
Köln-Nord in seiner Einspruchsentscheidung vom 2. November 2001 aufgeworfene
Frage (vgl. Bl. 52 und 53 des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners), wie die der W.
in der Zeit von Mai bis Dezember 1998 von Dritten zur Verfügung gestellten
Darlehensbeträge in Höhe von insgesamt 1.144.007,18 DM zu qualifizieren sind, ob es
sich bei diesen Zahlungsflüssen tatsächlich um eine verdeckte Gewinnausschüttung
gehandelt hat. Der Antragsgegner kann insoweit nicht den
Gewerbesteuermessbescheid des Finanzamtes Köln-Nord für das Jahr 1998 zu seinen
Gunsten anführen. Nach den obigen Ausführungen spricht nämlich manches für dessen
Unwirksamkeit, jedenfalls entfaltet er keine Bindungswirkung im Verhältnis zum
Haftungsschuldner. Lässt sich ein Gewinn der W. in der bezeichneten Höhe tatsächlich
feststellen, ist dann weiter zu eruieren, ob dieser Gewinn im Jahr 1998 oder erst im
Veranlagungszeitraum 1999 in Ansatz zu bringen ist, (vgl. insoweit die
Aussetzungsentscheidung des Finanzamts Köln-Nord vom 9. April 2002, Bl. 66 ff. des
Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners). Ehe diese Prüfung nicht erfolgt ist, lässt
sich ein Haftungsschaden nicht verlässlich beurteilen. Der Antragsgegner, der insoweit
die Feststellungslast trägt,
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vgl. nur Rüsken, a.a.O., § 69 Rn 135 m.w.N.,
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wird diese Prüfung nachholen müssen, will er an seinem Haftungsbescheid gegen den
Antragsteller festhalten.
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Nach allem ist höchst zweifelhaft, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Haftungsvorschrift des § 69 Satz 1 AO hier zu Lasten des Antragstellers erfüllt sind.
Seine Klage 23 K 547/06 dürfte nach derzeitiger Einschätzung große Aussicht auf Erfolg
haben. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffende Abwägung zwischen dem
Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollziehungsinteresse des
Antragsgegners geht damit zugunsten des Antragstellers aus.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
40
ergibt sich aus § 53 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG. Es entspricht ständiger
Rechtssprechung, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein Viertel der streitigen
Abgabenforderung (hier: 114.546,19 EUR) anzusetzen.