Urteil des VG Köln vom 26.05.2008

VG Köln: verschlechterung des gesundheitszustandes, libanon, bundesamt für migration, ärztliche behandlung, gefahr, psychotherapeutische behandlung, konfrontation, familie, ausländer, trennung

Verwaltungsgericht Köln, 20 K 3042/07.A
Datum:
26.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 3042/07.A
Tenor:
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das
Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Beklagte unter teilweiser
Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheides vom 18.07.2007 verpflichtet
festzustellen, dass in der Person der Klägerin zu 1) ein
Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt. Die
Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 3/5 und die Beklagte zu 2/5.
Tatbestand Die am oo.oo.oooo geborene Klägerin zu 1 sowie ihre minderjährigen
Kinder (Kläger zu 2 und 3) sind libanesische Staatsangehörige. Die Kläger reisten am
05.04.2007 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 25.04.2007 einen
Asylantrag. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 03.05.2007 gab die Klägerin zu 1 als
Ausreisegrund im Wesentlichen an, die Situation im Libanon habe sich immer mehr
zugespitzt, weil die Hisbollah auf ihre Familie Druck ausgeübt habe, um ihren Mann
sowie ihren ältesten Sohn zur Mitwirkung zu bewegen. Mit Bescheid vom 18.07.2007
lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab, weil das Asylvorbringen nicht für eine
Anerkennung ausreiche. Das Bundesamt stellte ferner fest, die Voraussetzungen des §
60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) und Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG lägen nicht vor. Zugleich forderte es die Kläger auf, das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, und drohte ihnen die Abschiebung in den
Libanon an. Die Kläger haben am 30.07.2007 Klage erhoben. Zur Begründung hat sich
die Klägerin zu 1 auch für ihre Kinder auf die Angaben im Rahmen der Vorprüfung vor
dem Bundesamt bezogen. Ferner hat die Klägerin ein Attest nebst deutscher
Übersetzung aus dem Libanon vorgelegt. Darin wird bescheinigt, dass die Klägerin zu 1
während des Krieges in einem Notfall im Krankenhaus untersucht worden sei. Als
Erkrankungen wurden eine Neurose, Angstzustände und schnelles Herzklopfen
diagnostiziert. In der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2007 hat die Klägerin zu 1
zudem geltend gemacht, seit dem Krieg im Libanon psychisch zu leiden. Sie hat ihre
Furcht geäußert, „plötzlich" könne die Situation „eskalieren". Aus diesem Grunde habe
sich ihr Ehemann Sorgen um sie gemacht und sie zunächst mit den beiden (jüngeren)
Kindern außer Landes geschickt. Aufgrund des Eindruckes, den das Gericht von der
erkennbar angeschlagenen gesundheitlichen Situation der Klägerin zu 1 gewonnen hat,
hat die Kammer mit Beweisbeschluss vom 18.10.2007 die Einholung eines
psychologischen Sachverständigengutachtens über die Klägerin zu 1 beschlossen.
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Bezüglich der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten von Frau Dipl.-
Psych. D. X. -S. , U. vom 31.01.2008, Bezug genommen. In der Folgezeit haben die
Kläger die Klage weitgehend zurückgenommen. Begehrt wird alleine noch die
Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60
Abs. 7 AufenthG in der Person der Klägerin zu 1. Zur Begründung wird ausgeführt, im
Gutachten sei das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Bezug auf
die Klägerin zu 1 diagnostiziert worden, welche eine traumazentrierte
psychotherapeutische Behandlung erforderlich mache. Diese Behandlung könne wegen
der Gefahr einer Retraumatisierung im Libanon nicht durchgeführt werden.
Die Klägerin zu 1 beantragt, die Beklagte unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides
vom 18.07.2007 zu verpflichten, festzustellen, dass in Bezug auf ihre Person ein
Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.
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Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, auch unter
Berücksichtigung des eingeholten Gutachtens lägen die Voraussetzungen für die
Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Insbesondere sei nicht erkennbar, dass der Klägerin zu 1 im Falle ihrer Rückkehr in den
Libanon alsbald eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche
Gesundheitsverschlechterung drohe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte nebst Gutachten und zugezogenem Verwaltungsvorgang der Beklagten
sowie den beigezogenen Ausländerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, ist das
Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO). Im Übrigen ist die Klage zulässig und
begründet. Die Feststellung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes, wonach in der
Person der Klägerin zu 1 kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG
vorliegt, ist rechtswidrig. Die Klägerin zu 1 hat einen Anspruch auf die begehrte
Feststellung eines Abschiebungshindernisses. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll
von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden,
wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. Der Begriff der Gefahr i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entspricht
demjenigen des asylrechtlichen Prognosemaßstabes der „beachtlichen
Wahrscheinlichkeit". Darüber hinaus ergibt sich aus dem Element der „Konkretheit" der
Gefahr für „diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen,
individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation, vgl. BVerwG, Urteil vom
17.10.1995 - 9 C 9.95-, BVerwGE 99, 324 ff zur insoweit inhaltsgleichen Regelung des §
53 Abs. 6 AuslG; OVG NRW Urteil vom 18.01.2005 - 8 A 1242/03.A -, InfAuslR 2005,
281 ff. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung muss eine Prognose
ergeben, dass dem Ausländer bei einer Rückkehr in den Zielstaat der Abschiebung eine
erhebliche konkrete Gefahr droht. Eine Gesundheitsgefahr ist erheblich, wenn eine
Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist, namentlich
wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder gar lebensbedrohlich
verschlechtern würde. „Konkret" ist die Gefahr, wenn die prognostizierte
Verschlechterung „alsbald" nach der Rückkehr des Betreffenden in den Heimatstaat
einträte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass diese Voraussetzungen nicht nur im
Falle körperlicher Beschwerden, sondern auch bei einer schweren psychischen
Erkrankung vorliegen können, vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.01.2005, a.a.O.. Ein
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann in einer Krankheit begründet sein,
unter welcher der Ausländer bereits in der Bundesrepublik leidet, etwa wenn eine
notwendige ärztliche Behandlung oder Versorgung mit Arzneimitteln für die betreffende
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Krankheit in dem jeweiligen Staat wegen des dortigen (niedrigen)
Versorgungsstandards generell oder bezogen auf die individuellen Möglichkeiten des
Ausländers nicht zugänglich ist. Daneben kann eine Gesundheitsbeeinträchtigung auch
dann vorliegen, wenn dem Betroffenen die Inanspruchnahme des im Heimatland
vorhandenen und für ihn auch verfügbaren Gesundheitssystems aus neu hinzutretenden
gesundheitlichen Gründen - etwa wegen einer infolge der Einreise zu befürchtenden
schwerwiegenden Verschlimmerung psychischer Leiden, namentlich der Gefahr einer
zu irreparablen Gesundheitsschäden führenden (Re-)Traumatisierung - nicht zuzumuten
ist, vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.01.2005, a.a.O. m.w.N.. So liegt der Fall hier. Auf der
Grundlage der von Frau X. -S. durchgeführten Untersuchungen und ihrer Diagnose steht
zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Klägerin zu 1 eine posttraumatische
Belastungsstörung (PTBS) vorliegt. Die Gutachterin hat in ihrem Gutachten vom
13.01.2008 ihre Vorgehensweise, die Exploration, die Durchführung verschiedener
diagnostischer Verfahren und deren Bewertung im Einzelnen dargelegt und ist für das
Gericht nachvollziehbar zu ihrer Diagnose gelangt. Das Bestehen einer PTBS als
solcher ist vom Bundesamt auch nicht durchgreifend in Frage gestellt worden.
Allerdings hat das Bundesamt die Auffassung vertreten, aus der Diagnose allein
ergäben sich noch keine konkreten Gesundheitsgefahren; namentlich sei bei einer
PTBS-Erkrankung keine standardmäßige Festlegung nach ob, Art und Umfang der
drohenden Gesundheitsgefahr gegeben. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen.
Maßgeblich ist nicht, ob aus der posttraumatischen Belastungsstörung weitere
Erkrankungen erwachsen, sondern die PTBS ist die Erkrankung. Bei einer drohenden
Retraumatisierung ist die Erkrankung als solche geeignet, ein Abschiebungshindernis
zu begründen. Dessen ungeachtet hat Frau X. -S. an verschiedenen Stellen des
Gutachtens Aussagen darüber getroffen, welche Beschwerden aufgrund der
Traumatisierung bei der Klägerin zu 1 vorliegen. So leidet die Klägerin zu 1 unter
erheblichen Angstzuständen mit Angst-Vermeidungsverhalten und Gedankenkreisen
(Bl. 60, 61, 83) und - infolge der Trennung von ihrer Familie - unter Schuldgefühlen
insbesondere gegenüber dem im Libanon zurückgebliebenen Sohn (Bl. 60),
Kopfschmerzen (Bl. 62), Übererregung (Bl. 62, 83), Intrusionen/Alpträume (Bl. Bl. 59,
83); schließlich ist eine Somatisierungsneigung gegeben (Bl. 62). Des Weiteren steht
zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Klägerin zu 1 im Falle ihrer Rückkehr in
den Libanon eine wesentliche Gesundheitsverschlechterung droht: Im Gutachten ist
nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass sich die psychische Situation der
Klägerin zu 1 im Libanon stetig verschlechtert hat. Die Traumatisierung der Klägerin zu
1 ist auf eine Kumulation von belastenden Ereignissen mit traumatogenem Potenzial
bereits ab Kindesalter zurückzuführen. Nachdem sich die Beschwerden zunächst durch
einen Wegzug nach Kuwait stabilisiert hatten, kam es in der Folge durch mehrfache
Konfrontation mit dem „Ort des Geschehens" und der erneuten Konfrontation mit
traumatischen Ereignissen zu einer ständigen Reaktualisierung und Retraumatisierung
der Klägerin zu 1. Retrospektiv ist es dabei immer wieder zu einer Verschlimmerung der
vorhandenen bzw. Neuentwicklung weiterer psychischer Beschwerden gekommen.
Dies hat die Gutachterin auf Bl. 58 f ihres Gutachtens überzeugend dargestellt.
Ausgehend hiervon kann die Auffassung des Bundesamtes nicht geteilt werden,
wonach der Klägerin zu 1 eine Rückkehr in den Libanon zugemutet werden könne, weil
sie auch zuvor viele Jahre dort gelebt habe. Diese Auffassung verkennt, dass sich im
Zeitpunkt der Ausreise die psychische Situation der Klägerin zu 1 so verschlechtert
hatte, dass ihr ein weiterer Verbleib in ihrem Heimatland nicht zugemutet werden
konnte. In welchem Ausmaß die Klägerin zu 1 vor ihrer Ausreise im Libanon psychisch
belastet war, wird auch an nachfolgend dargestellter Konfliktsituation deutlich: Sowohl
in der mündlichen Verhandlung vom 18.10.2007 als auch der Gutachterin gegenüber
hat die Klägerin zu 1 deutlich gemacht, wie sehr sie unter der Trennung von ihrem
Ehemann und ihrem ältesten Sohn leidet. Frau X. -S. hat hierzu auf Blatt 60 ihres
Gutachtens ausgeführt, bei der Klägerin zu 1 hätten sich erhebliche Schuldgefühle
ihrem Sohn gegenüber eingestellt. Trotz des starken Leidensdrucks aufgrund der
Trennung von ihrer Familie überwiegen bei der Klägerin zu 1 gleichwohl die
erheblichen Ängste vor einer Wiederholung des traumatischen Geschehens (Blatt 61).
Wegen des Gewichtes dieser Ängste ist die Klägerin zu 1 sogar bereit, eine (endgültige)
Trennung von ihrer Familie in Kauf zu nehmen.
Das Gericht hält es des Weiteren für überzeugend, wenn die Gutachterin ausführt, bei
einer erneuten Konfrontation mit dem „Ort des Geschehens" (überflutende Konfrontation
mit ereignisspezifischen Triggern im Libanon) werde es bei der Klägerin zu 1 zu einer
massiven Reaktualisierung der traumatischen Erlebnisse und mithin zu einer
erheblichen Verschlimmerung der traumaspezifischen (Real-)Ängste kommen (vgl. Bl.
84 des Gutachtens). Die erhebliche Zunahme der taumaspezifischen (realen) Ängste
wird nach Auffassung der Gutachterin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
eintreten. Die prognostizierte Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin
zu 1 wird daher von der erkennenden Kammer als erheblich und im Hinblick auf die
sofortige Konfrontation mit ereignisspezifischen Triggern auch als konkret eingeschätzt.
Wegen der abzusehenden erneuten Konfrontation mit der von der Klägerin zu 1 als
traumatisierend erlebten Unsicherheitssituation (mehrfach erlebter Tod/schwere
Verletzung von nahestehenden Menschen) und der damit verbundenen
Retraumatisierung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erkrankung im
Libanon behandelt werden kann. Vielmehr folgt das Gericht der Bewertung von Frau X. -
S. , wonach eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch eine
wesentliche Zunahme der traumaspezifischen Ängste und intrusiven Symptomatik
sowie weitere Somatisierungen zu erwarten wären. Nach alledem liegt daher eine
erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben der Klägerin zu 1 im Sinne des § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. In
die Bewertung des jeweiligen Obsiegens/Unterliegens ist eingestellt, welche Kosten im
jeweiligen Verfahrensstadium angefallen sind. Während sich die Geschäftsgebühr auch
auf den zurückgenommenen Teil der Klage bezieht, war eine Terminsgebühr nur
bezüglich des zuletzt noch streitgegenständlichen Klagegegenstandes zu
berücksichtigen. Die Bewertung dieser verschiedenen Anteile an den insgesamt
entstandenen Kosten führt zu der vorgenommenen Kostenquotelung. Gerichtskosten
werden nicht erhoben, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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