Urteil des VG Köln vom 13.01.2006

VG Köln: öffentliches interesse, aufschiebende wirkung, privates interesse, snb, vollziehung, bekanntgabe, rechtswidrigkeit, interessenabwägung, aufwand, infrastruktur

Verwaltungsgericht Köln, 18 L 49/06
Datum:
13.01.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 L 49/06
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragstellerin.
2. Der Streitwert wird auf 100.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin und einer eventuell
nachfolgenden Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 bis 3 sowie -soweit sie auf Ziffer 2
bezogen ist -, Ziffer 6 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23.12.2005 (
Geschäftszeichen 00 00 000-00 ) anzuordnen,
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ist zulässig, aber unbegründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschieben- de
Wirkung eines Widerspruches gegen den von der Antragstellerin angefochtenen
Bescheid anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin am vorläufigen Aufschub
der Vollziehung das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Voll-
ziehung des Bescheides überwiegt. Dies ist der Fall, wenn sich der Bescheid bei der im
Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prü- fung
als rechtswidrig erweist, da an der sofortigen Vollziehung rechtswidriger Be- scheide ein
öffentliches Interesse nicht bestehen kann. Die Frage der Rechtmäßig- keit des
angegriffenen Verwaltungsaktes ist jedoch regelmäßig nur insoweit zu be-
rücksichtigen, als sie schon bei summarischer Überprüfung überschaubar ist. Eine
abschließende Überprüfung des angefochtenen Bescheides ist nicht gefordert.
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Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen ( OVG NRW ),
Beschluss vom 25.8.2000 -20 B 959/00 - m.w. N.
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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die Erfolgsaussichten einer ggf.
anzustrengenden Hauptsache derzeit offen sind und ein überwiegendes privates
Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung nicht besteht.
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Angesichts der Komplexität der sich bei Anwendung des Allgemeinen Eisen-
bahngesetzes (AEG) und der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung (EIBV)
ergebenden Rechtsfragen lassen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei
summarischer Prüfung nicht klären. Sämtliche von der Antragstellerin erhobenen Monita
gegen die Punkte, in denen die Antragsgegnerin den Bestimmungen der
Schienenbenutzungsbedingungen ( SBN ) und der Allgemeinen Nutzungsbedingun-
gen ( ABN ) widersprochen hat, bedürften einer eingehenden Prüfung in dem Wider-
spruchsverfahren bzw. in einem ggf. anzustrengenden Hauptsacheverfahren. Dies
betrifft etwa die Frage, welche Reichweite das Gebot des diskriminierungsfreien Zu-
gangs von Wettbewerbern bezogen auf konkrete Ausgestaltungen in den SBN und den
ABN hat. Gleiches gilt für die Frage, ob die „Bemühensklauseln", die die Antrag-
stellerin nicht zur Sicherstellung bestimmter Zugangsmöglichkeiten, sondern lediglich
zu diesbezüglichen Anstrengungen verpflichten, unter Diskriminierungsgesichtspunk-
ten bedenklich sind. Auch ergeben sich Fragen hinsichtlich der Bedeutung des von der
Antragsgegnerin postulierten Transparenzgebots für einen diskrimierungsfreien
Schienenzugang.
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Vgl. dazu auch Beschluss der bis zum 31.12.2006 zuständigen 11. Kammer des
Verwaltungsgerichts Köln vom 21.12.2005 - 11 L 1795/05 -.
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Nach der hier nur gebotenen summarischen Überprüfung lässt keines der von der
Antragstellerin vorgebrachten rechtlichen Argumente gegen die Rechtmäßigkeit des
angefochtenen Bescheides dessen offensichtliche Rechtswidrigkeit in einem
bestimmten Punkt erkennen. Es mag zwar zutreffen, dass manche der Bean-
standungen der Antragsgegnerin nach einer Prüfung im Hauptsacheverfahren keinen
Bestand haben werden; eine Offensichtlichkeit lässt sich jedoch zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht feststellen.
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Dies gilt etwa auch die Frage, ob der angefochtene Bescheid - entsprechend dem
Vorbringen der Antragstellerin - schon deshalb rechtswidrig ist, weil er nicht in- nerhalb
der Frist des § 14 e Abs. 1 Nr. 4 AEG den Verfahrensbevollmächtigen zuge- stellt wurde.
Dabei ist zunächst zu beachten, dass die Antragsgegnerin nicht gemäß § 1 Abs. 3
VwZG gehalten war, den Bescheid vom 23.12.2005 förmlich zuzustellen. Denn weder
schreibt das AEG eine Zustellung vor noch hat die Antragsgegnerin eine Zustellung
durch behördliche Anordnung bestimmt. Mit Rücksicht darauf bleibt es bei dem
allgemeinen Erfordernis der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheides. Dass eine
die Frist des § 14 e Abs. 1 Nr. 4 AEG wahrende Bekanntgabe gegenüber der
Antragstellerin selbst nicht möglich gewesen wäre, lässt sich nicht mit der Sicherheit
erkennen, die für die Feststellung einer daraus folgenden offensichtlichen Rechtswid-
rigkeit des angefochtenen Bescheides notwendig wäre.
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Gleiches gilt auch für den von der Antragstellerin gerügten Ermessensgebrauch bzw.
Ermessensnichtgebrauch der Antragsgegnerin. Es trifft zwar zu, dass die
Formulierungen zur Ermessensausübung ( vgl. S. 71 des Bescheides ) Anlass zu einer
weitergehenden Prüfung geben. Zur Überzeugung der beschließenden Kammer führt
jedoch auch dies nicht zu einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides.
Dabei versteht die Kammer im Rahmen der hier durchzuführenden summarischen
Überprüfung das Entscheidungsprogramm der §§ 14 e, 14 f AEG so, dass die
Antragsgegnerin die Wahl hat, entweder eine Vorabprüfung der
Schienennutzungsbedingungen nach § 14 e AEG durchzuführen oder aber deren
nachträgliche Prüfung nach § 14 f AEG zu veranlassen. Im letztgenannten Fall hat sie
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die Wahl, nach § 14 f Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AEG mit Wirkung für die Zukunft das
Eisenbahninfrastrukturunternehmen zu einer Änderung zu verpflichten oder aber die
Bedingungen nach § 14 f Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AEG für ungültig zu erklären.
Führt die Antragsgegnerin eine Vorabüberprüfung nach § 14 e AEG durch und stellt
dabei Widersprüche zu Bestimmungen des Eisenbahnrechts über den Zugang zur
Infrastruktur fest, so dürfte - jedenfalls im Regelfall - das Ermessen dahin auszuüben
sein, dass ein Widerspruch erfolgt. Das Ermessen der Antragsgegnerin dürfte sich
deshalb in erster Linie auf die Frage beziehen, welche Form der Überprüfung - nämlich
nach § 14 e AEG oder nach § 14 f AEG - gewählt wird.
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Angesichts dieser vom Gesetzgeber intendierten Ermessensausübung für den Regelfall
lässt sich in dem hier zu entscheidenden Fall - jedenfalls im Rahmen einer
summarischen Überprüfung - eine offensichtliche Rechtswidrigkeit wegen
Ermessensausfalls nicht feststellen.
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Da die Erfolgsaussichten somit nach dem derzeitigen Verfahrensstand offen sind,
überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin nicht bereits aus diesem
Grund das durch § 37 AEG vorgesehene öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung.
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Die von der Antragstellerin geltend gemachten Nachteile überwiegen auch im Übrigen
nicht das öffentliche Interesse an dem Sofortvollzug des angefochtenen Bescheides.
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Soweit die Antragsstellerin geltend macht, im Falle einer sofortigen Vollziehung
entstünde ein Zustand großer Rechtsunsicherheit und es müsste eine ungeheuer große
Zahl von Verträgen unter Einbeziehung von Einzelbedingungen abge- schlossen
werden, vermag dieses Argument dem Antrag angesichts des tatsäch- lichen
Geschehensablaufs im Ergebnis nicht zum Erfolg zu verhelfen. Da die Antragstellerin
die maßgeblichen ABN und SNB erst am 29.11.2005 vorgelegt und es sich bei der
Bekanntgabe vom 7.10.2005 nicht um eine ordnungsgemäße Un- terrichtung der
Antragsgegnerin nach § 14 d AEG gehandelt hat,
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vgl. dazu VG Köln, Beschluss vom 22.11.2005 - 11L 1860/05 -
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und da die Antragsgegnerin den Widerspruch gegen die Benutzungsbedingungen
innerhalb der Frist § 14 e Abs. 1 Nr. 4 AEG bekannt gegeben hat, kann sich die
Antragstellerin im Rahmen der Interessenabwägung nicht mit Erfolg darauf berufen, die
SNB und ABN könnten im Falle des Widerspruchs seitens der Antragsgegnerin nicht
mehr fristgerecht für die nächste Fahrplanperiode in Kraft treten. Das Risiko, das sich
aus der späten Einreichung der Unterlagen seitens der Antragstellerin ergibt, hat diese
zu tragen. Denn sie hat es in der Hand, durch eine rechtzeitigere Einreichung für
weitergehende Gestaltungsmöglichkeiten zu sorgen. Trifft der Vortrag der Antragstellerin
zu, dass die Frist des § 4 Abs. 5 Satz 1 EIBV für die Bekanntgabe der SNB und ABN
bereits seit dem 10.12.2005 abgelaufen war, so war die Einreichung des Entwurfs des
entsprechenden um- fangreichen Regelungswerks bei der Antragsgegnerin am
29.11.2005 nicht geeignet, dieser im Angesicht der Fülle der erfolgten Neuregelungen
eine ausreichende Prüfungsmöglichkeit einzuräumen. Dieses Verhalten der
Antragstellerin muss in die Interessenabwägung Eingang finden. Denn anderenfalls
hätte die Antragstellerin die Möglichkeit, die Antragstellerin durch eine möglichst späte
Einreichung der SNB und ABN vor vollendete Tatsachen zu stellen und deren
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Inkrafttreten gleichsam zu erzwingen.
Gleiches gilt auch für die von der Antragstellerin geltend gemachte fehlende Möglichkeit
des Abschlusses von Rahmenverträgen für die nächste Fahrplanperiode. Im Übrigen
hat die Antragstellerin hier nicht konkret dargetan, wie groß die Anzahl von
Individualverträgen ist, die sie abzuschließen hat. Soweit sie geltend macht, sie
konstruiere pro Fahrplanjahr ca. 48.000 Trassen im Netzfahrplan, wobei 800.000
Trassen im Gelegenheitsverkehr sowie ca. 150.000 Trassenabbestellungen hinzu
kämen, hat sie nicht verdeutlichtlicht, wie viele dieser Trassen tatsächlich an
Eisenbahnunternehmen vergeben werden, die nicht der DB angehören. Konkrete
Angaben zu der Anzahl der pro Fahrplanjahr jeweils abzuschließenden Verträge hat die
Antragstellerin ebenfalls nicht gemacht. Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer
nicht festzustellen, dass der Antragstellerin ein schlechterdings unzumutbarer Aufwand
droht, wenn sie Einzelverträge ohne die Möglichkeit der Einbeziehung der SNB und
ABN abschließen muss.
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Gleiches gilt, soweit die Antragstellerin geltend macht, es entstünde ihr ein er- heblicher
zusätzlicher Aufwand in Gestalt von Personal- und Sachmitteln, wenn die SNB und
ABN nicht in der von ihr geänderten Fassung in Kraft träten. Denn auch hier hätte es die
Antragstellerin in der Hand gehabt, durch eine frühzeitigere Einreichung der Unterlagen,
die ggf. auch noch die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erlaubt hätte,
diesen Aufwand zu vermeiden.
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Soweit die Antragstellerin ferner vorträgt, es komme zu einer akuten Gefährdung
öffentlicher Sicherheitsbelange, wenn die ABN und SNB in der von der Antrags-
gegnerin in dem angefochtenen Bescheid vorgesehenen Form in Kraft träten, kann
unentschieden bleiben, ob sich die Antragstellerin im Rahmen der Interessenabwägung
auf diese öffentlichen Belange berufen kann. Denn jedenfalls vermag die Kammer nicht
zu erkennen, weshalb die von der Antragsgegnerin gefor- derte Veröffentlichung der
Unterlagen ein erhebliches zusätzliches Sicherheitsrisiko - etwa bezogen auf
beabsichtigte terroristische Anschläge - mit sich bringen sollte. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass sich die Unterlagen zum großen Teil auf allgemeine Tatsachen
beziehen, die entweder in der Örtlichkeit zu sehen oder etwa auch Kursbüchern zu
entnehmen sind. Dass die darüber hinaus geforderten Unterlagen etwa für Terroristen
oder sonstige Kriminelle einen entscheidenden zusätzlichen Erkenntnisgewinn mit sich
brächten, erscheint angesichts der auch ansonsten zur Verfügung stehenden
Erkenntnismittel jedenfalls nicht ohne weiteres einleuchtend.
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Schließlich vermag auch der Einwand, dass die Antragstellerin mit einem erheb- lichen
zusätzlichen Kostenaufwand zu rechnen hätte, wenn die Bestimmungen zur Haftung
und zu der Verpflichtung zum 24-stündigen Betrieb der Infrastruktur in Geltung bliebe,
kein anderes Ergebnis herbeizuführen. Lässt sich die offensichtliche Rechtswidrigkeit
des diesbezüglichen Widerspruchs der Antragsgegnerin nicht feststellen, so ist es die
gesetzgeberische Wertung des § 37 AEG, dass die Rechtslage vorerst entsprechend
dem Widerspruch gestaltet sein soll. Die sich daraus ergebenden unmittelbaren Folgen
für die Kostenstruktur stellen sich nicht als zusätzliche Erschwernis, sondern als
schlichte Folge dieser gesetzgeberischen Wertung dar.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Bei der Streitwertfestsetzung hat die Kammer das wirtschaftliche Interesse der
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Antragstellerin mit mindestens 200.000.-Euro bewertet und diesen Betrag im vor-
liegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte reduziert ( §§ 53
Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG ).