Urteil des VG Köln vom 30.03.2009
VG Köln: arzneimittel, auflage, haarausfall, hauptsache, stoff, streichung, therapie, gestaltung, medizin, behandlung
Verwaltungsgericht Köln, 24 K 4533/08
Datum:
30.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 4533/08
Tenor:
Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben, wird es eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu ¾ und die Beklagte zu
¼.
T a t b e s t a n d
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Mit Bescheid vom 5. Juli 2007 erteilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) der Klägerin die Verlängerung der Zulassung gemäß § 105
i.V.m. § 109a AMG für das Fertigarzneimittel „Q. N" in der Darreichungsform
„Hartkapsel" und den Wirkstoffen: „Thiaminnitrat 60,00 mg Calciumpantothenat 60,00
mg Cystin 20,00 mg Keratin-Hydrolysat 20,00 mg Trockenhefe aus Saccharomyces
cerevisae Y 702, inaktiviert 100,00 mg"
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Die Anwendungsgebiete wurden wie folgt formuliert:
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„Traditionell angewendet als mild wirkendes Arzneimittel bei diffusem Haarausfall und
brüchigen Fingernägeln."
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Dem Bescheid waren „Auflagen zur Formalpharmazie" und „Auflagen aufgrund der
medizinischen Beurteilung" beigefügt, die u.a. wie folgt lauteten:
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„M.1 Unter „Stoff- und Indikationsgruppe oder Wirkungsweise" in der Fachinformation
und im Abschnitt „Was ist /.../ und wofür wird es angewendet?" der
Gebrauchsinformation ist wie folgt zu formulieren:
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„Traditionelles Arzneimittel"
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Begründung: Die Bezeichnung „Haar- und Nageltherapeutikum" ist zur
Charakterisierung eines traditionellen Arzneimittels nicht vorgesehen, da die
durchgeführten Untersuchungen allenfalls einen gewissen Anhalt dafür bieten, dass
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diffuser Haarausfall unbekannter Ursache, Brüchigkeit der Haare und Brüchigkeit und
Splittern der Nägel günstig beeinflusst werden können. Es fehlen kontrollierte
Langzeituntersuchungen die zeigen, dass der therapeutische Effekt nicht nur
vorübergehender Natur ist. Die beauflagte Formulierung gibt den wissenschaftlichen
Erkenntnisstand wieder und dient darüber hinaus auch der Transparenz
unterschiedlicher Zulassungsverfahren.
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M.5 Die Angaben im Abschnitt „Pharmakologische Eigenschaften" unter den
Überschriften „Pharmakodynamische Eigenschaften", „Pharmakokinetische
Eigenschaften" und „präklinische Daten zur Sicherheit" in der Fachinformation sind
insgesamt zu streichen und wie folgt zu relativieren:
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„Die bisher durchgeführten Untersuchungen sprechen insgesamt dafür, dass das
Haarwachstum positiv beeinflusst wird. Der klinische Eindruck zusammen mit den
Angaben der Patienten in Korrelation mit der Bestimmung des Quellungsfaktors des
Nagels (Ausmaß der Quellung in Relation zum Ausgangswert) kann als eine
Verbesserung der Nagelqualität interpretiert werden. Kontrollierte Langzeitstudien an
einer ausreichenden Patientenzahl, die belegen, dass das Haarwachstum bzw. die
Nagelqualität positiv beeinflusst wird, liegen jedoch nicht vor. Zur Unbedenklichkeit von
Q. bei Langzeitanwendung liegen keine Untersuchungen vor."
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Begründung: Die Angaben im Textentwurf der Fachinformation sind so formuliert, dass
der Eindruck einer belegten Wirksamkeit entsteht. Die aufgeführten Untersuchungen
zeigen eine Tendenz, die zwar insgesamt dafür spricht, dass das Haarwachstum unter
Verumgabe in beantragter Dosierung, d.h. bei Tagesdosen von 3 Hartkapseln (frühere
Bezeichnung Dragee) positiv beeinflusst wird, sind aber insgesamt nicht ausreichend
und geeignet, die Wirksamkeit des Präparates zu belegen."
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Die Klägerin hat am 13. August 2007 gegen die zitierten und weitere Auflagen die Klage
24 K 3292/07 erhoben. Im Erörterungstermin vom 7. Juli 2008 haben die Beteiligten das
Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit es sich nicht auf die Auflagen
M.1 und M.5 bezieht. Insoweit hat das Gericht das Verfahren abgetrennt und unter dem
vorliegenden Aktenzeichen fortgeführt.
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Mit Schriftsatz vom 22. März 2009 hat die Beklagte die Auflage M.1 abgeändert und wie
folgt neu formuliert:
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„M.1 Unter „Stoff- und Indikationsgruppe oder Wirkungsweise" in der Fachinformation
und im Abschnitt „Was ist /.../ und wofür wird es angewendet?" der
Gebrauchsinformation ist wie folgt zu formulieren:
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„Traditionelles Arzneimittel zur Anwendung bei diffusem Haarausfall und brüchigen
Fingernägeln."
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Die Beteiligten haben das Verfahren daraufhin insoweit in der Hauptsache für erledigt
erklärt.
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Zur Begründung der gegen die Auflage M.5 gerichteten Klage trägt die Klägerin vor: Die
Auflage sei fachlich nicht gerechtfertigt und unverhältnismäßig. Sie - die Klägerin - habe
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im Nachzulassungsverfahren u.a. eine Studie zur Steigerung der Anagenrate
eingereicht, die ein statistisch signifikantes Ergebnis zeige. Belege für die Wirksamkeit
des Arzneimittels lägen daher vor. Dass sich vorgelegtes Erkenntnismaterial auf ein
anders zusammengesetztes Arzneimittel bezogen habe, könne dem nicht entgegen
gehalten werden. Denn bei dem aktuellen Präparat handele es sich um eine sog. Minus-
Variante, die den von der Beklagten selbst als wirkungslos bezeichneten Stoff
Paraminobenzoesäure nicht mehr enthalte. Der Wirkstoff Trockenhefe sei lediglich
hinsichtlich seiner Qualitätsmerkmale aktualisiert worden.
Die Klägerin beantragt,
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die im Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 5. Juli
2007 enthaltene Auflage M.5 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt.
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Die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich auf den Zulassungsstatus des Arzneimittels, der weiter gehende
Angaben nicht zulasse. Zudem hätten die im Nachzulassungsverfahren vorgelegten
Studien keinen hinreichenden Wirksamkeitsbeleg erbringen können. Sie bezögen sich
zudem auf ein anders zusammengesetztes Präparat. Grund für die Entfernung der
Paraminobenzoesäure sei deren hohes allergenes Potential gewesen. Der Wirkstoff
Medizinalhefe sei durch Trockenhefe ersetzt worden. Hierbei handele es sich um
unterschiedliche arzneilich wirksame Bestandteile. Für beide Stoffe existierten getrennte
Monographien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte des vorliegenden und des Verfahrens 24 K 3292/07 sowie auf die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Soweit die Beteiligten das Verfahren hinsichtlich der Auflage M.1 übereinstimmend in
der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es in entsprechender Anwendung des § 92
Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist die Klage nicht begründet.
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Die im Bescheid vom 5. Juli 2007 enthaltene Auflage M.5 ist rechtmäßig und verletzt die
Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Gemäß § 105 Abs. 5a Sätze 1 und 2 AMG kann die zuständige Bun- desoberbehörde
die Entscheidung über die Verlängerung der Zulassung (Nachzulassung) mit Auflagen
zur Sicherstellung der in § 28 Abs. 2 AMG angesprochenen Anforderungen verbinden.
Hierzu zählen namentlich Vorgaben zur Gestaltung der Fachinformation gemäß § 28
Abs. 2 Nrn. 2a und 3 AMG, welche den für die Zulassung eingereichten Unterlagen
ebenso entsprechen muss wie den Anforderungen des § 11a AMG. Hierbei stellt § 11a
Abs. 1 Satz 2 in der Fassung des 14. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
vom 29. August 2005 (BGBl. I S. 2569) ausdrücklich klar, dass sich die Angaben der
Fachinformation in Übereinstimmung mit der im Rahmen der Zulassung genehmigten
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Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels bewegen müssen. Damit hat der
Gesetzgeber einen bindenden Zusammenhang zwischen der Zulassungsentscheidung
und dem Inhalt der Informationstexte hergestellt. Dies schließt nicht nur werbende,
unsachliche oder gar irreführende Textgestaltungen, sondern auch solche Angaben
aus, die über die Grenzen des zugelassenen Anwendungsgebietes hinausgehen.
Mit diesen gesetzlichen Vorgaben sind die von der Klägerin im
Nachzulassungsverfahren vorgelegten Textentwürfe zu Nr. 5 der Fachinformation
„Pharmakologische Eigenschaften" nicht vereinbar. Diese messen dem Arzneimittel mit
der Angabe „Haar- und Nageltherapeutikum" und der durchgehend positiven Bewertung
vorgelegter Studien eine mit den Mitteln des § 22 Abs. 2 Satz 1 AMG belegte
Wirksamkeit bei, die ihm gerade nicht zukommt. Insbesondere Wendungen wie
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„Q. reduziert den Haarausfall", „Q. fördert die Neubildung der Nägel und erhöht deren
Festigkeit", „Q. wurde gegenüber dem Calciumpanthothenat- und Cystin-haltigen
Therapeutikum und dem Placebo als wirksamer eingestuft.", „Nach drei bis sechs
Monaten Behandlung zeigten sich bei allen Diagnosen deutliche Erfolge. Diese
Ergebnisse sind statistisch gesichert.", „Die Therapie mit Q. führte zu einer statistisch
signifikanten Erhöhung des Quellfaktors."
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oder
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„Es konnte nachgewiesen werden, dass Q. sich zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit
des Haares gegenüber exogenen Noxen und zur Therapie strukturgeschädigten Haares
eignet."
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sind mit dem Zulassungsstatus des Präparats nicht zu vereinbaren.
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Denn das Anwendungsgebiet „Traditionell angewendet als mild wirkendes Arzneimittel
bei diffusem Haarausfall und brüchigen Fingernägeln" ist in dem Sinne eingeschränkt,
dass die Anforderungen an die Wirksamkeit bereits dann erfüllt sind, wenn das Präparat
den Voraussetzungen der Aufstellung der Anwendungsgebiete für Stoffe und
Stoffkombinationen nach § 109a Abs. 3 AMG (sog. Traditionsliste) entspricht. Zwar ist
mit der Bezugnahme auf die Listenposition der Beleg der Wirksamkeit in Bezug auf das
traditionelle Anwendungsgebiet erbracht,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 - 3 C 36.06 -,
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doch gründet sich die Listenposition nicht auf der Auswertung klinischer Studien gemäß
§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG im Sinne evidenzbasierter Medizin, sondern auf einer
tradierten Wirkannahme. Die hierdurch vorgegebenen Grenzen sind auch bei der
Gestaltung der dem Arzneimittel beigegebenen Texte einzuhalten. Indem die Klägerin
aber in der Fachinformation die im Zulassungsverfahren vorgelegten Studien
eigenständig bewertet, vermittelt sie den Eindruck einer entsprechenden objektiven
Prüfung. Diese hat aber im Fall des § 109a Abs. 3 AMG gerade nicht stattgefunden.
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Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob die in den Textentwürfen der Klägerin
dargestellten Ergebnisse zutreffen oder nicht. Denn maßgeblich ist nach der gesetzlich
vorgegebenen Beziehung zwischen Zulassungsstatus und Textgestaltung allein, dass
sie nicht über das im Zulassungsverfahren Geprüfte hinausgehen und den Eindruck
einer über den traditionellen Rahmen hinausgehenden Wirksamkeit vermitteln.
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Nicht zu beanstanden ist schließlich, dass die Beklagte die Streichung des gesamten
Textes und seine Ersetzung durch eine vorgegebene Formulierung angeordnet hat. Es
ist nichts dafür ersichtlich, dass durch die Streichung nur einzelner Wendungen im
Sinne einer „geltungserhaltenden Reduktion" ein gesetzeskonformes Ergebnis zu
erzielen gewesen wäre. Denn der verbleibende Rest wäre dann sinnentstellt und kaum
nachvollziehbar gewesen. Auch hat die Klägerin im Verlauf des Verfahrens keine
alternative Formulierung angeboten, die geeignet gewesen wäre, den gesetzlichen
Vorgaben in zumindest gleicher Weise zu genügen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Hierbei
entspricht es billigem Ermessen, die auf die Auflage M.1 entfallenden Kosten zwischen
den Beteiligten hälftig aufzuteilen, da die Erledigung der Hauptsache auf einem
gegenseitigen Nachgeben der Beteiligten beruht und offen bleiben muss, ob die
Formulierung „Traditionelles Arzneimittel" unter „Stoff- und Indikationsgruppe"
rechtmäßig ist.
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