Urteil des VG Köln vom 01.09.2003
VG Köln: treu und glauben, aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, verwirkung, amtshandlung, beendigung, festsetzungsverjährung, vollziehung, erfüllung, verwaltungsakt
Verwaltungsgericht Köln, 2 L 1955/03
Datum:
01.09.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 1955/03
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 223,24 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der sinngemäße Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 31.07.2003 gegen den
Gebührenbescheid des Antragsgegners Nr. 00000000 vom 11.07.2003 anzuordnen,
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ist zulässig, aber nicht begründet.
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Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des
Widerspruchs anordnen, wenn der Widerspruch - wie hier im Falle der Anforderung
öffentlicher Abgaben und Kosten - wegen § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes
ausnahmsweise (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO) keine aufschiebende Wirkung hat. Die
Entscheidung wägt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
angefochtenen Verwaltungsaktes und das Interesse des Betroffenen, bis zur
Entscheidung in der Hauptsache dem Verwaltungsakt nicht nachkommen zu müssen,
gegeneinander ab. In der Abwägung berücksichtigt das Gericht in summarischer
Prüfung die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich
rechtswidrig, besteht in aller Regel kein öffentliches Interesse an seiner sofortigen
Vollziehung. Ist er offensichtlich rechtmäßig, kommt dem öffentlichen Interesse ein
stärkeres Gewicht zu. Bei Verwaltungsakten, mit denen öffentliche Abgaben und Kosten
angefordert werden, soll nach § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, bei Vorliegen ernstlicher
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes dessen Vollziehung ausgesetzt
werden.
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Ob der von dem Antragsgegner geltend gemachte Zahlungsanspruch (noch) besteht, ist
offen. Allerdings ist die geltend gemachte Forderung nach summarischer Prüfung dem
Grunde und der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner und der ÖbVI
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Rückewold sind bzw. waren als Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure - ÖbVI -
beliehene Unternehmer. Als solcher darf der Antragsgegner öffentlich-rechtlich tätig
werden und nach der Berufsordnung für die Öffentlich bestellten
Vermessungsingenieure in Nordrhein-Westfalen für seine Tätigkeit eine durch
Kostenbescheid (Verwaltungsakt) geltend zu machende Vergütung nach der
Kostenordnung für die Öffentlich bestellten Vermessungsingenieure - ÖbVermIngKO
NRW - erheben.
OVG NRW, Urteil vom 15.03.1979 - IX A 1962/76 - und Urteil vom 25.02.1981 - 2 A
2723/79 -, OVGE 35, 203.
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Die Höhe der Kosten richtet sich nach der ÖbVermIngKO NRW in Verbindung mit dem
Gebührenverzeichnis zur Gebührenordnung für die Vermessungs- und
Katasterbehörden NRW - GebV NRW - (hier in den Fassungen, die 1995 gegolten
haben).
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Der Antragsgegner hat aufgrund eines schriftlichen Auftrags der Antragsteller vom
20.09.1995 die Gebäudeeinmessung auf dem Grundstück der Antragsteller Gemarkung
O. , Flur 0, Flurstück 000, M. 00 in X. , vorgenom- men. Dies wird durch den
Fortführungsriss vom 10.10.1996 in dem Verwaltungsvorgang des Antragsgegners
belegt. Bei dem Katasteramt eingereicht wurde die Gebäudeeinmessung seinerzeit
noch nicht, wie die vom Antragsgegner im Schreiben vom 08.05.2003 zitierte
Aufforderung des Katasteramtes belegt.
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Einwendungen gegen die Höhe der Forderung des Antragsgegners werden von den
Antragstellerin nicht erhoben. Sie sind auch bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich.
Insbesondere hat der Antragsgegner die zum Zeitpunkt der Antragstellung 1995
geltende Gebührentabelle der Kostenberechnung zugrundegelegt.
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Offen ist das Ergebnis des Verfahrens in der Hauptsache, weil die Antragsteller für die
von ihnen vorgetragene und vom Antragsgegner bestrittene Behauptung, die Kosten
seien bereits beglichen, bisher einen Beleg nicht haben vorlegen können. Im
Hauptsacheverfahren wird daher über diese Frage, für die die Antragsteller
beweispflichtig sind, Beweis zu erheben sein. Aus den Verwaltungsvorgängen des
Antragsgegners ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Kosten beglichen sind oder dass
in der Vergangenheit auch nur eine Kostenrechnung über die Gebäudeeinmessung an
die Antragsteller versandt worden ist. Eine offensichtliche Härte der sofortigen
Vollziehung der Gebührenforderung für die Antragsteller liegt angesichts der Höhe des
streitigen Betrages nicht vor. Jedenfalls haben die Antragsteller nichts diesbezügliches
vorgetragen.
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Die Ansprüche des Antragsgegners sind nicht verjährt. Die Verjährung öffentlich-
rechtlicher Gebühren des ÖbVI richtet sich nach Landesgebührenrecht. § 196 Abs. 1 Nr.
15 BGB ist nicht anwendbar.
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Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.02.1981 - 2 A 2723/79 -, a. a. O. und Urteil vom
13.05.1986 - 12 A 343/85 -.
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Seit dem 28.01.2003 kennt das Gebührengesetz NRW - entsprechend den Vorschriften
der Abgabenordnung und im Gegensatz zur vorher geltenden Rechtslage nach dem
Gebührengesetz NRW - auch eine Festsetzungsverjährung. Diese beginnt nach § 20
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Abs. 1 S. 2 GebG NRW mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Kostenanspruch
entstanden ist. Es ist jedoch fraglich, wie die neue Vorschrift auf alte Sachverhalte
anzuwenden ist, ob nämlich die Möglichkeit der Verjährung für Gebührenforderungen,
die der Vorschrift entsprechen, sofort eintritt, oder ob die vierjährige Verjährungsfrist für
die Festsetzung erst mit dem Ablauf des Jahres 2003 beginnt. Denn die neue Regelung
ist ohne Übergangsvorschrift in Kraft getreten.
Selbst wenn zu Gunsten der Antragsteller davon ausgegangen würde, dass
Verjährungsfristen für die Festsetzung von Gebührenforderungen bereits vor
Inkrafttreten der Neuregelung beginnen und ggf. sogar rückwirkend enden konnten,
wäre diese Verjährung zu Gunsten der Antragsteller hier noch nicht eingetreten. Denn
die Festsetzung beginnt - wie dargestellt - mit der Entstehung der Kosten- schuld. Nach
§ 11 Abs. 1 GebG NRW entsteht die Kostenschuld dem Grunde nach mit dem Eingang
des notwendigen Antrags bei der zuständigen Behörde, der Höhe nach mit Beendigung
der gebührenpflichtigen Amtshandlung. Wann die Amtshandlung der
Gebäudeeinmessung gebührenrechtlich beendet ist, ist soweit ersichtlich
obergerichtlich noch nicht entschieden. Der maßgebliche Zeitpunkt könnte mit der
Erfüllung der Gebäudeeinmessungspflicht zusammenfallen, d. h. der Eintragung des
Vermessungsergebnisses in das Liegenschaftskataster.
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Vgl. Kummer/Möllering, Vermessungs- und Katasterrecht Sachsen-Anhalt, Wiesbaden
1998, § 14 Anm. 4.4.5 m. w. N.
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Der Zeitpunkt könnte aber auch vorher liegen, so wie (nach Auffassung des OVG NRW)
bei der Teilungsvermessung nicht die Übernahme der Vermessung in das Lie-
genschaftskataster, sondern die Aufnahme der Grenzniederschrift, also die Beendi-
gung der örtlichen Vermessungsarbeiten, als Beendigung der Amtshandlung angese-
hen wird.
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Vgl. OVG NRW, Beschluß vom 06.05.2002 - 9 A 251/99 - .
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Die Kammer neigt der Auffassung zu, nicht die Beendigung der örtlichen Vermes-
sungsarbeiten als Beendigung die Amtshandlung der Gebäudeeinmessung anzusehen,
sondern dies erst bei der Einreichung der vollständigen, übernahmefähigen
Vermessungsunterlagen anzunehmen. Denn der ÖbVI schuldet dem Eigentümer als
Amtshandlung nicht nur die technische Einmessung des Gebäudes, sondern auch alle
weiteren Handlungen, die dazu erforderlich sind, um den Eigentümer von der Pflicht
nach § 14 Abs. 2 VermKatG NRW zu befreien. Im übrigen hinge andernfalls der Beginn
der Verjährung davon ab, ob der ÖbVI den Auftrag zur Gebäudeeinmessung
unbearbeitet liegen lässt, bevor oder nachdem er die örtlichen Vermessungsarbeiten
durchgeführt hat.
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Aber selbst dann, wenn - wiederum zu Gunsten der Antragsteller unterstellt - die
Beendigung der örtlichen Vermessungsarbeiten für den Beginn der Verjährung
maßgeblich wären, wäre die Festsetzungsverjährung hier noch nicht einmal angelaufen.
Denn die letzten örtlichen Vermessungsarbeiten sind erst im März dieses Jahres
ausgeführt worden, als ein Mitarbeiter des Antragsgegners ein fehlendes
Sicherungsmaß in der Örtlichkeit aufgenommen hat. Dies ist im Fortführungsriss
dokumentiert und hat zu Folge, dass die Verjährung erst mit dem Ablauf des Jahres
2003 beginnt.
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Ob die fünfjährige Zahlungsverjährung eingetreten ist, die es im Gebührengesetz schon
immer gab, ist ebenfalls offen. Dies hängt von der streitigen Frage ab, ob und ggf. wann
die Kläger bereits 1996 von dem ÖbVI Rückewold eine Kostenrechnung für die
Gebäudeeinmessung erhalten haben. Denn nach § 20 Abs. 2 S. 1 GebG NRW beginnt
die Zahlungsverjährung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch fällig
geworden ist. Fällig werden Kosten gemäß § 17 GebG NRW aber erst mit der
Bekanntgabe der Kostenentscheidung an den Kostenschuldner. Diese Frage muss -
wie die Behauptung der Befriedigung der Forderung - ebenfalls im
Hauptsacheverfahren durch Beweiserhebung geklärt werden.
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Die Antragsteller berufen sich zusätzlich auf Verwirkung. Dieses für den Fall, dass ihnen
der Beweis der Verjährungsvoraussetzungen bzw. der Erfüllung nicht gelingt, zu
prüfende Rechtsinstitut greift hier nicht ein. Ob überhaupt bei besonders langen Fristen
zwischen der Amtshandlung und der Festsetzung der für sie zu zahlenden Gebühren
nach Treu und Glauben eine der Festsetzungsverjährung ähnliche Verwirkung des
Rechts auf die Gebühren eintreten kann,
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.07.1991 -2 A 1950/89 - ,
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braucht auch hier nicht entschieden zu werden. Denn für eine derartige Institution
besteht nach der gesetzlichen Einführung der Festsetzungsverjährung kein Bedarf
mehr. Im übrigen liegen die Voraussetzungen für eine Verwirkung nicht vor. Verwirkung
als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung
bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit
der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten,
die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen
lassen. Dabei kommt es für die Verwirkung eines materiellen Rechts darauf an, ob der
Berechtigte während eines längeren Zeitraums ein ihm zustehendes Recht nicht geltend
macht, obwohl er hierfür Anlaß hat, und ob ein solches Verhalten geeignet ist, bei dem
Verpflichteten den Eindruck zu erwecken, der Berechtigte werde sein Recht nicht (mehr)
ausüben. Die Verwirkung setzt mithin außer der Untätigkeit des Berechtigten während
eines längeren Zeitraumes voraus, dass besondere Umstände hinzutreten, welche die
verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten
Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so
langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete
ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde
(Vertrauenstatbestand) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und
Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Das Verhal- ten des Berechtigten
muss beim Verpflichteten also nicht nur die Vorstellung begründet haben, dass das
Recht nicht mehr geltend gemacht werde; der Verpflichtete muss sich hierauf auch
tatsächlich eingerichtet haben. Für eine Vertrauensbetätigung der Antragsteller fehlen
hier jegliche Anhaltspunkte, so dass es nicht darauf ankommt, ob die anderen
Voraussetzungen der Verwirkung erfüllt sind.
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Im Rahmen des Ermessens, das dem Gericht in § 80 Abs. 5 VwGO für den Fall
eingeräumt ist, dass die Erfolgsaussichten (hier wegen der streitigen Tatsachen der
früheren Rechnungstellung und Erfüllung) offen sind, hält die Kammer es für
angemessen, dass die Antragsteller die Kostenforderung des Antragsgegners
zumindest vorläufig begleichen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde. Das
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Gesetz räumt erstens in § 80 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 S. 2 VwGO der Vollziehbarkeit von
Verwaltungsakten, die öffentliche Abgaben betreffen, eine stärkere Priorität ein als
sonstigen Verwaltungsakten. Zweitens entspricht es der Beweislastverteilung, wenn der
Umstand, dass die Antragsteller die behauptete Erfüllung (noch) nicht beweisen
konnten, zu ihren Lasten geht. Drittens aber spricht auch Überwiegendes dafür, den
Zeitpunkt der Übernahme in das Liegenschaftskataster als maßgeblich für die
Beendigung der Amtshandlung der Gebäudeeinmessung anzusehen, so dass die
Festsetzungsverjährung erst mit Ablauf des Jahres 2003 beginnt, weil die
Vermessungsunterlagen von dem Antragsgegner erst vor kurzem bei dem Katasteramt
zur Übernahme eingereicht worden sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert beträgt 1/4 des
streitigen Betrages (§§ 20 Abs. 3, 13. Abs. 1 S. 1 GKG).
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