Urteil des VG Köln vom 04.10.2010
VG Köln (treu und glauben, gebot der rechtssicherheit, behörde, gegen die guten sitten, rücknahme, verwaltungsakt, rechtsgrund, rechtswidrigkeit, bundesverfassungsgericht, stillschweigende annahme)
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 8443/09
Datum:
04.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 8443/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Die Klägerin betreibt eine Geflügelschlachterei. Als solche unterlag sie der
Beitragspflicht nach dem Absatzfondsgesetz. Die gesetzlichen Grundlagen für die
Beitragserhebung wurden vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 3. Februar
2009 - 2 BvL 54/06 - für den Zeitraum ab 1. Juli 2002 für nichtig erklärt.
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Die Veranlagung der Klägerin zu den Beiträgen für den Absatzfonds erfolgte im Wege
der so genannten "Absatzfonds-Beitragsmitteilungen". In diesen gab die Klägerin auf
einem von der Beklagten vorgegebenen Formular jeweils für die Zeiträume Januar bis
Juni und Juli bis Dezember eines jeden Jahres die Menge des geschlachteten
Geflügels an, errechnete daraus den Beitrag und sandte diese Mitteilung, versehen mit
der Unterschrift des dazu gesellschaftsintern Ermächtigten und dem Datum der
Erstellung, an die Beklagte. Dies erfolgte auch für die hier streitigen Beitragszeiträume
von Januar 2002 bis Dezember 2004 mit den Beitragsmitteilungen Nrn. 035 bis 040. Im
Adressfeld war jeweils die Beklagte aufgeführt, als Absender wiesen die
Beitragsmitteilungen die Klägerin aus. Die Beitragsmitteilungen enthielten jeweils den
Passus
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"Diese Beitragsmitteilung gilt als Bescheid, wenn der Beitragsbetrag darin zutreffend
angegeben wird. Ist dies nicht der Fall, so erteilt die Bundesanstalt einen
Beitragsbescheid."
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Die Beitragsmitteilungen gingen jeweils im Januar bzw. Juli nach Ablauf des
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vorangegangenen Erhebungszeitraums bei der Beklagten ein und die Beiträge wurden
von der Klägerin entrichtet. Gesonderte Beitragsbescheide der Beklagten ergingen
nicht. Die Klägerin leistete für den Zeitraum von Januar 2002 bis Dezember 2004
Beiträge in Höhe von insgesamt 285.370,18 Euro.
Nachdem die Klägerin nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fe-
bruar 2009 zunächst nur die Rückzahlung der für die nachfolgenden Zeiträume
geleisteten Beitragszahlungen begehrt hatte - insoweit ist das Klageverfahren unter dem
weiteren Aktenzeichen 13 K 8681/09 anhängig - beantragte sie unter dem 23.
September 2009 bei der Beklagten die Erstattung der für die Zeit von Januar 2002 bis
Dezember 2004 aufgrund der Beitragsmitteilungen Nrn. 035 bis 040 geleisteten
Zahlungen in Höhe von 285.370,18 Euro nebst 6 % Zinsen seit den jeweiligen
Zahlungszeitpunkten und legte zugleich vorsorglich Widerspruch gegen dieses
Beitragsmitteilungen ein.
6
Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 16. November 2009 zurück,
weil der Widerspruch unzulässig - da verfristet - sei. Die letzte Beitragsmitteilung
stamme aus dem Januar 2005, während der Widerspruch erst im September 2009
eingegangen sei.
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Den Rückzahlungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. November 2009 im
wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die
Erstattung dieser Beiträge habe. Die zugrundeliegenden Beitragsbescheide seien
weder nichtig noch aufzuheben noch sei das abgeschlossene Verwaltungsverfahren
wiederaufzugreifen. Trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit litten die
Beitragsbescheide nicht an einem besonders schweren zur Nichtigkeit führenden
Fehler, weil ein Verwaltungsakt ohne Rechtsgrundlage nicht nichtig sei. Die die
Beitragsbescheide betreffenden Verwaltungsverfahren seien auch nicht
wiederaufzugreifen, weil es insoweit an einem Wiederaufgreifensgrund fehle und der
entsprechende Antrag zudem erst nach Ablauf der maßgeblichen Dreimonatsfrist und
damit verspätet gestellt worden sei. Im Ermessenswege seien die Bescheide nicht
zurückzunehmen, weil bei der gebotenen Abwägung zwischen der materiellen
Gerechtigkeit und dem Rechtsfrieden der Einzelfallgerechtigkeit nicht eindeutig der
Vorrang zukomme.
8
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 3. Dezember 2009 Widerspruch ein, über
den noch nicht entschieden ist.
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Am 15. Dezember 2009 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie die Aufhebung der
Beitragsbescheide Nrn. 035 bis 040 und die Erstattung der aufgrund dieser Mitteilungen
geleisteten Beiträge begehrt. Zur Begründung macht sie im wesentlichen geltend, dass
es sich bei den Beitragsmitteilungen schon nicht um Verwaltungsakte handele, diese
aber nichtig, jedenfalls aber nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz und der hier
entsprechend anwendbaren Abgabenordnung als rechtswidrig aufzuheben seien.
Mangels Existenz von bestandskräftigen Beitragsbescheiden und aufgrund der
Feststellung der Nichtigkeit der Rechtsgrundlagen des Absatzfondsgesetzes habe die
Beklagte die Beitragszahlungen ohne Rechtsgrund erhalten und sei daher zur
Rückzahlung und Verzinsung verpflichtet
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Die Klägerin beantragt,
11
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. November 2009 - soweit darin
das Rückzahlungsbegehren abgelehnt worden ist - zu verurteilen, die auf die
Beitragsmitteilungen Nrn. 035 bis 040 entrichteten Beiträge nach dem
Absatzfondsgesetz in Höhe von 285.370,18 Euro nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem jeweiligen Zahlungszeitpunkt an die Klägerin zurückzuzahlen,
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hilfsweise, die Beitragsbescheide der Beklagten mit den Nrn. 035 bis 040 über Beiträge
nach dem Absatzfondsgesetz in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 16.
November 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die auf diese
Beitragsmitteilungen entrichteten Beiträge in Höhe von 285.370,18 Euro nebst 5 %
Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem jeweiligen Zahlungszeitpunkt an die
Klägerin zurückzuzahlen,
13
weiter hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. November
2009 zu verpflichten, das Verfahren hinsichtlich der Beitragsmitteilungen mit den Nrn.
035 bis 040 wiederaufzugreifen und an die Klägerin 285.370,18 Euro nebst 5 % Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem jeweiligen Zahlungszeitpunkt an die
Klägerin zurückzuzahlen.
14
Die Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie vor, durch die stillschweigende Annahme der "Absatzfonds-
Beitragsmitteilungen" seitens der Beklagten lägen nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts jeweils Verwaltungsakte vor. Gleichzeitig sei darin auch ein
konkludenter Akt der Bekanntgabe zu sehen. Die Widersprüche seien verfristet; die
danach bestandkräftigen Bescheide seien auch nicht aufzuheben. Die Vorschriften der
Abgabenordnung seien weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden, da es sich
bei den Beiträgen an den Absatzfonds nicht um Steuern gehandelt habe und im Übrigen
auch keine planwidrige Lücke vorhanden sei. Der Erstattungsanspruch sei im Übrigen
analog den Regelungen der Abgabenordnung verjährt, eine Anfechtung der
Beitragserhebung sei der Klägerin seit dem Vorlagebeschluss des erkennenden
Gerichts zumutbar gewesen.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den
Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und der weiteren Verfahren der
Klägerin betreffend den Schlachtbetrieb I. mit den Aktenzeichen 13 K 8409/09 und
8681/09 und die in diesen Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge der
Beklagten Bezug genommen.
18
Entscheidungsgründe
19
Die Klage hat weder mit ihrem Hauptantrag (I.) noch mit den Hilfsanträgen (II. und III.)
Erfolg; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der für den Absatzfonds
geleisteten Beiträge. Mangels Rückzahlungspflicht besteht auch keine
Verzinsungspflicht.
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I. Rechtsgrundlage des mit dem Hauptantrag im Wege der allgemeinen Leistungsklage
geltend gemachten Rückzahlungsbegehrens ist der allgemeine, gewohnheitsrechtlich
anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dabei handelt es sich um ein aus
21
den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des
öffentlichen Rechts, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit sie
nicht spezialgesetzlich (vgl. etwa § 37 Abs. 2 AO) geregelt sind, denen des
zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen. Der öffentlich-rechtliche
Erstattungsanspruch ist darauf gerichtet, eine ohne Rechtsgrund eingetretene
Vermögensverschiebung auszugleichen. Leistungen ohne Rechtsgrund und sonstige
rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen müssen rückgängig gemacht werden,
vgl. nur Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. September 2007 - 2 C
15.06 -, juris Rn. 15 m. w. Nachw.; zuletzt etwa Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 9 B
24.09 -, juris Rn. 5 m. w. Nachw.; stRspr.
22
Der Anspruch ist im hier maßgeblichen Verhältnis von Bürger zu öffentlicher Hand
gegeben, wenn der Bürger Leistungen ohne Rechtsgrund aufgrund öffentlich-rechtlicher
Verpflichtung an den Bereicherungsschuldner erbracht hat. Hier sind die Beiträge für
den Absatzfonds als erbrachte Leistungen an die Beklagte jedoch jeweils mit
Rechtsgrund, nämlich aufgrund der als Beitragsbescheide geltenden
Beitragsmitteilungen erfolgt.
23
Die Erhebung von Beiträgen zum Absatzfonds für Geflügelschlachtereien beruhte
zuletzt auf § 10 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 8 des Gesetzes über die Errichtung eines
zentralen Fonds zur Absatzförderung der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft in
der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 1993 (BGBl. I S. 998 - Absatzfondsgesetz
S. 2342). Danach wurden Beiträge von den Betrieben der Land- und
Ernährungswirtschaft erhoben, die für Geflügelschlachtereien, deren monatliche
Schlachtkapazität mindestens 500 Tiere betrug, 0,36 Euro je 100 Kilogramm
Lebendgewicht des geschlachteten, zur Vermarktung bestimmten Mastgeflügels
ausmachte.
24
Das Verfahren der Beitragserhebung war durch Rechtsverordnung geregelt. Nach § 10
Abs. 8 AbsFondsG war das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (§ 2 Abs. 4 Satz 2 AbsFondsG) ermächtigt, im Einvernehmen mit
dem Bundesministerium der Finanzen und mit Zustimmung des Bundesrates die
Zuständigkeit und das Verfahren bei der Erhebung, die Beitreibung und die Fälligkeit
der Beiträge durch Rechtsverordnung zu regeln. In Ausfüllung dieser
Verordnungsermächtigung war die Verordnung über die Beiträge nach dem
Absatzfondsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Juli 1994 (BGBl. I S.
1456) ergangen, zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 25. Juni 2001
(BGBl. I S. 1215 - AbsFondsGBeitrV). Unter anderem für Geflügelschlachtereien
bestimmte deren § 4, dass der Beitrag halbjährlich erhoben werde (Abs. 1). Nach § 4
Abs. 2 AbsFondsGBeitrV war der Betriebsinhaber verpflichtet, der Beklagten die für die
halbjährliche Beitragsschuld maßgeblichen Mengen oder Werte innerhalb eines Monats
nach Ablauf des Kalenderhalbjahres zusammen mit einer Errechnung des geschuldeten
Beitrages auf einem von der Beklagten im Bundesanzeiger zu veröffentlichenden
Muster mitzuteilen. Diese Beitragsmitteilung galt nach § 4 Abs. 3 AbsFondsGBeitrV als
Beitragsbescheid, wenn der Beitragsbetrag darin zutreffend angegeben worden war
(Satz 1). War dies nicht der Fall oder war die Mitteilung nach Absatz 2 bis zum
vorgeschriebenen Zeitpunkt unterblieben, so konnte die Beklagte auf Grund eigener
Ermittlung oder Schätzung der für die Beitragsschuld maßgeblichen Mengen oder Werte
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einen Beitragsbescheid erteilen (Satz 2). Auf die Rechtsfolge des Satzes 1 wurde auf
dem allgemein und auch hier jeweils von der Klägerin verwendeten Muster
hingewiesen. Nach § 4 Abs. 4 AbsFondsGBeitrV wurde der aufgrund der
Beitragsmitteilungen geschuldete Beitrag sechs Wochen nach Ablauf des
Kalenderhalbjahres fällig und war an die Beklagte zu zahlen. Sofern die Beklagte einen
Beitragsbescheid erließ, wurde der Beitrag zwei Wochen nach Zugang des Bescheides
fällig. Schließlich enthielten die Beitragsmitteilungen noch den Hinweis, dass gegen sie
Widerspruch eingelegt werden konnte.
Die von der Klägerin für den Erstattungszeitraum Januar 2002 bis Dezember 2004
abgegebenen Beitragsmitteilungen stellen - nicht nichtige - Verwaltungsakte dar, auf
deren Grundlage die Zahlungen erfolgten. Allerdings ist Aussteller der
Beitragsmitteilung der Beitragsschuldner selbst; daher handelt es sich schon nicht im
Sinne der Definition des Verwaltungsakts in § 35 Satz 1 des
Verwaltungsverfahrensgesetzes um die "Maßnahme einer Behörde". Jedoch gelten die
Beitragsmitteilungen als Beitragsbescheide.
26
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV gilt die Beitragsmitteilung als
Beitragsbescheid, wenn der Beitragsbetrag darin zutreffend angegeben wird. Diese
Regelung war wirksam. Anders als das Bundesverwaltungsgericht meint,
27
vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1995 - 3 C 9.95 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
- Rechtsprechungsreport (NVwZ-RR) 1996, 107, für die auf identischer gesetzlicher
Grundlage erfolgende Beitragsleistung zum Deutschen Weinfonds,
28
hatte der Verordnungsgeber der AbsFondsGBeitrV die "Rechtsmacht", auch eine von §
35 Satz 1 VwVfG abweichende Regelung zu treffen: Die Ermächtigung in § 10 Abs. 8
AbsFondsG räumte dem Verordnungsgeber die Befugnis ein, Regelungen über die
Zuständigkeit "und das Verfahren bei der Erhebung der Beiträge" zu erlassen. In
diesem, den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG an Inhalt, Zweck und Ausmaß
der Verordnungsermächtigung genügenden Rahmen
29
zu den Anforderungen vgl. jüngst Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 2. Kammer des
Zweiten Senats, Beschluss vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04 und 2 BvR 414/08 -, juris
Rn. 38,
30
hält sich die Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV.
31
"Verfahren", zu verstehen als Verwaltungsverfahren, ist nach der Legaldefinition des § 9
VwVfG "die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der
Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf
den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass
des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein".
Dabei können in speziellen Verfahrensregelungen auch vom Regelungsvorbild des
Verwaltungsverfahrensgesetzes abweichende Regelungen getroffen werden. Dies folgt
schon aus der Subsidiaritätsklausel des § 1 Abs. 1 VwVfG, wonach das allgemeine
Verwaltungsverfahrensgesetz nur Anwendung findet, soweit nicht "Rechtsvorschriften" -
wie hier eine Verordnung -,
32
vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl. 2010, § 1 Rn. 30,
33
des Bundes inhaltsgleiche "oder entgegenstehende Bestimmungen" treffen. Diese
Bestimmung ist auch daher nicht mehr am Maßstab des
Verwaltungsverfahrensgesetzes - hier des § 35 Satz 1 VwVfG - zu messen.
34
Auch hat der Verordnungsgeber mit § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV nicht ein völlig
neues, dem Gesetzgeber des Verwaltungsverfahrensgesetzes unbekanntes
Rechtsinstitut geschaffen, das sich außerhalb der denkbaren "entgegenstehenden
Bestimmungen" des § 1 Abs. 1 VwVfG bewegen würde. Denn das Institut des aufgrund
einer Selbsterrechnungserklärung oder einer Steueranmeldung zustande kommenden
Abgabenbescheides war dem Gesetzgeber der Reichsabgabenordnung ebenso
bekannt wie dem der Abgabenordnung und des ehemaligen § 26 Abs. 1 GewStG,
35
vgl. dazu die ständige Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, Urteil vom 26. Juni 1964 -
VII C 6.64 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 19, 68 (69);
Urteil vom 16. Oktober 1964 - VII C 100.63 -, BVerwGE 19, 323 (325); Urteil vom 18.
September 1970 - VII C 68.68 -, Kommunale Steuerzeitschrift (KStZ) 1971, 10 (11);
Urteil vom 18. August 1972 - VII C 55.70 -, Verwaltungsrechtsprechung (VerwRspr.) 24
Nr. 171; durchgängig Buchholz 410.5 § 26 GewStG Nr. 2 ff.,
36
und daher ist § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV auch nicht durch das Inkrafttreten des
Verwaltungsverfahrensgesetzes im Jahre 1977 als späterem Gesetz gegenstandslos
geworden, zumal der Gesetzgeber die AbsFondsGBeitrV im Jahre 1994 vollständig neu
bekannt gemacht hat.
37
Überdies handelt es sich bei § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV um die Regelung
einer Fiktion, weswegen eine "gesetzeskonforme Auslegung" - wie das
Bundesverwaltungsgericht in der angeführten Entscheidung zum Deutschen Weinfonds
meint - nicht notwendig ist. Einer Fiktion eines Verwaltungsakts ist notwendig
wesenseigen, dass es an einzelnen Merkmalen des Verwaltungsaktsbegriffs - wie hier
der Maßnahme einer Behörde - fehlt. Wären alle Begriffsmerkmale gegeben, handelte
es sich um einen Verwaltungsakt nach der gesetzlichen Definition des § 35 Satz 1
VwVfG,
38
so zutreffend Caspar, Der fiktive Verwaltungsakt, Archiv des öffentlichen Rechts, Band
125 (2000), S. 131 (138).
39
Diese Regelungsidee liegt auch den an anderer Stelle im Rechtssystem auf
Bundesebene geregelten Fiktionen von Verwaltungsakten zugrunde: Nach § 15 Abs. 1
BlmSchG sind Änderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen vor der Vornahme der
Änderung anzuzeigen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 hat die zuständige Behörde
unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Eingang der Anzeige, zu prüfen,
ob die Änderung einer Genehmigung bedarf. Äußert sich die Behörde nicht innerhalb
der Monatsfrist, so darf der Träger des Vorhabens die Änderung vornehmen, § 15 Abs. 2
Satz 2 BlmSchG. Die Genehmigung von Tierversuchen gilt als erteilt, wenn die Behörde
nicht innerhalb der in § 8 Abs. 5a TierSchG genannten Frist schriftlich entscheidet.
Vergleichbares gilt nach der Regelung des § 12 Abs. 5 Satz 2 GenTechG, auch hier gilt
eine Entscheidung der Behörde als ergangen, wenn die Behörde nicht innerhalb einer
bestimmten Frist reagiert. Nichts anderes gilt für die jüngst eingefügte allgemeine
Regelung in § 42 a VwVfG. Den genannten Beispielsfällen ist ebenso wie § 4 Abs. 3
Satz 1 AbsFondsGBeitrV gemeinsam, dass es an einer nach außen wahrnehmbaren
"Maßnahme einer Behörde", verstanden als Willensäußerung, fehlt. Der Konstruktion
40
einer konkludenten Willensäußerung durch die widerspruchslose Entgegennahme
bedarf es daher nicht.
Das Gericht folgt daher insoweit im Ergebnis der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts,
41
vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1995 - 3 C 9.95 -, a.a.O., NVwZ-RR 1996, 107,
42
wonach die aufgrund der Beitragsmitteilungen entrichteten Zahlungen auf der
Grundlage eines Verwaltungsakts im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG erfolgt sind. Dieser
Verwaltungsakt kommt allerdings aufgrund der Fiktionsregelung in § 4 Abs. 3 Satz 1
AbsFondsGBeitrV zustande. Es bedarf nicht des Rückgriffs auf eine konkludente, in der
stillschweigenden widerspruchslosen Annahme der seitens der Klägerin als einer
Privatperson erstellten Beitragsmitteilung durch die Beklagte zu sehenden "hoheitlichen
Maßnahme einer Behörde" als konstitutives Merkmal des Verwaltungsakts im Sinne von
§ 35 Satz 1 VwVfG,
43
so aber das BVerwG in st. Rspr. zu § 26 Gewerbesteuergesetz a. F., vgl. Urteil vom 26.
Juni 1964 - VII C 6.64 -, BVerwGE 19, 68 (69); Urteil vom 16. Oktober 1964 - VII C
100.63 -, BVerwGE 19, 323 (325); Urteil vom 18. September 1970 - VII C 68.68 -, KStZ
1971, 10 (11); Urteil vom 18. August 1972 - VII C 55.70 -, VerwRspr. 24 Nr. 171 sowie
BVerwG, Urteil vom 27. April 1995 - 3 C 9.95 -, a.a.O.
44
Der Funktion der Beitragsmitteilungen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV als
fiktiven Verwaltungsakten und mithin Rechtsgrund für die entrichteten Beiträge steht
auch nicht entgegen, dass sie nicht formlos oder förmlich bekannt gegeben worden sind.
Die Bekanntgabe(pflicht) nach § 41 VwVfG ist selbst kein Element des Verwaltungsakts,
sondern Voraussetzung seiner Wirksamkeit, § 43 Abs. 1 VwVfG. Wird ein
Verwaltungsakt wie hier nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV oder in den
beispielsweise angeführten Bereichen nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BlmSchG, § 8 Abs. 5a
TierSchG oder § 12 Abs. 5 Satz 2 GenTechG fingiert, so erfasst die Fiktion des
Zustandekommens eines Verwaltungsakts notwendigerweise auch die Fiktion der
Bekanntgabe. Denn die - in den Beispielsfällen den Bürger begünstigende -
Fiktionsregelung liefe faktisch leer, wenn es trotz der fiktiv erteilten Genehmigung
nunmehr doch wieder eines willensgetragenen, nach außen in Erscheinung tretenden
Verhaltens der Behörde bedürfte, um von der Genehmigung Gebrauch machen zu
dürfen. Deswegen umfasst die Fiktion nicht nur das Vorliegen eines Verwaltungsakts
selbst, sondern das Vorliegen eines in einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren
zustande gekommenen, dem Adressaten bekannt gegebenen Verwaltungsakts,
45
vgl. nur U. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 67 m. w.
Nachw. in Fn. 276.
46
Der Klägerin als Beitragspflichtiger, die gemäß der Verpflichtung in der Verordnung die
Beitragsmitteilung abgegeben hat, ist dieser Heranziehungsakt bekannt,
47
so BVerwG, Urteil vom 18. August 1972, a.a.O., zu § 26 GewStG.
48
Unabhängig davon ist der Klägerin der Einwand, dass ihr die fingierten
Beitragsbescheide nicht bekannt gegeben worden sind, nach Treu und Glauben
verwehrt. Die Bekanntgabe dient der Information des Betroffenen darüber, was die
49
Behörde als für ihn rechtens einseitig hoheitlich regelnd festgestellt hat,
vgl. nur U. Stelkens, a.a.O., § 41 Rn. 1.
50
Die Klägerin hat aber nicht nur den "Verwaltungsakt" selbst erstellt, kennt also mithin
den genauen Inhalt. Sie hat ihn darüber hinaus auch als ihr gegenüber wirksam (§ 43
Abs. 1 VwVfG) und damit bekannt gegeben akzeptiert, indem sie den Beitrag nach
Fälligkeit entrichtet hat. Zwar hat die Bekanntgabe auch die rechtsstaatlich nach Art. 19
Abs. 4 GG zu fordernde Funktion, den Beitragsschuldner über die
Rechtsschutzmöglichkeiten, zunächst also den Widerspruch, und die dafür
maßgeblichen Fristen in Kenntnis zu setzen. Dem ist aber durch die Rechtsprechung
des erkennenden Gerichts Rechnung getragen, dass die den Beitragsmitteilungen
beigegebene Rechtsbehelfsbelehrung mit der Verwendung des insoweit irreführenden,
ein Tätigwerden der Beklagten erwarten lassenden Begriffs der "Bekanntgabe"
fehlerhaft ist und daher die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gilt,
51
vgl. Verwaltungsgericht Köln, Urteile vom 30. April 2009, etwa im Verfahren - 13 K
4793/07 -, bestätigt durch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NRW), Beschluss vom 19. März 2010 - 20 A 1196/09 -.
52
Die Beitragsmitteilungen der Klägerin für den hier maßgeblichen Zeitraum gelten daher
nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV als Bescheide. Sie enthalten damit den
Rechtsgrund, weil der "Beitragsbetrag darin zutreffend angegeben worden ist". Denn die
Beklagte hat jeweils geprüft, ob der Beitragsbetrag zutreffend angegeben worden ist; die
zutreffende Ermittlung der Beitragshöhe wird auch von der Klägerin nicht in Abrede
gestellt. Da die Beitragsmitteilungen nach dieser Überprüfung jeweils "zutreffend" im
Sinne von § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV waren, sind keine Bescheide nach § 4
Abs. 3 Satz 2 AbsFondsGBeitrV ergangen.
53
Der damit bestehende Rechtsgrund für die entrichteten Beiträge ist auch nicht
nachträglich wieder entfallen. Die aufgrund der Fiktionsregelung in § 4 Abs. 3 Satz 1
AbsFondsGBeitrV als Beitragsbescheide geltenden Beitragsmitteilungen sind nicht
durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichtig geworden. Zwar hat
das Bundesverfassungsgericht auch die Verordnungsermächtigung in § 10 Abs. 8 Satz
1 AbsFondsG ab dem 1. Juli 2002 für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig
erklärt. Dies berührt jedoch nicht die Gültigkeit der darauf gestützten Verordnung, wenn
die Nichtigkeit der Rechtsgrundlage der Verordnung nicht von Anfang an bestanden hat,
54
vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 1988 - 1 BvR 482/84 und 1166/85 -,
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 78, 179 (198 f.); stRspr.
55
Auch lässt die Nichtigerklärung der maßgeblichen Regelungen des AbsFondsG die
darauf beruhenden Verwaltungsakte unberührt. Zwar sind die fingierten
Beitragsbescheide nach dem 1. Juli 2002 rechtswidrig geworden, weil das
Bundesverfassungsgericht die Rechtsgrundlagen ab diesem Zeitpunkt für mit dem
Grundgesetz unvereinbar und nichtig erachtet hat,
56
vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316.
57
Jedoch bleiben nach § 79 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
(BVerfGG), der nach § 82 Abs. 1 BVerfGG auch für die im Wege der konkreten
58
Normenkontrolle für verfassungswidrig und nichtig erachteten Normen des
Absatzfondsgesetzes Anwendung findet, die auf einer für nichtig erklärten Norm
beruhenden, nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unberührt. Zu den
"Entscheidungen" im Sinne der Vorschrift gehören sowohl die auf der Grundlage der
verfassungswidrigen und damit "ex tunc" nichtigen Norm ergangenen -
bestandskräftigen - Verwaltungsakte als auch die diese bestätigenden nicht mehr
anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen,
vgl. Bethge, in Maunz/Schmidt Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 79 Rn. 46 m. w.
Nachw. (Stand: Mai 2009).
59
Dies gilt entsprechend für die hier nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV fingierten
Beitragsbescheide, die von der Klägerin nicht mit Rechtsbehelfen angegriffen worden
sind.
60
Dahinstehen kann, ob dem geltend gemachten öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch nicht ohnehin nach Treu und Glauben der Einwand der Verwirkung
entgegenzuhalten ist. Für eine Verwirkung bedarf es sowohl eines nach den Umständen
des Einzelfalls zu bemessenden Zeitablaufs als auch eines so genannten
Umstandsmoments, wonach die Beklagte wegen des bisherigen Verhaltens der
Klägerin nach Treu und Glauben darauf vertrauen durfte, diese werde gegen die
Beitragsmitteilungen nicht mehr vorgehen, und die Beklagte dieses Vertrauen auch
betätigt hat,
61
vgl. nur BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2001 - 8 C 17.01 -, BVerwGE 115, 302 (310).
62
Für eine Verwirkung sprechen hier der - überwiegend deutlich die als Anhaltspunkt zu
nehmende Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO übersteigende - Zeitablauf seit Absendung
der jeweiligen Beitragsmitteilungen sowie der Umstand, dass die Klägerin keinen
Widerspruch eingelegt und die selbst errechneten Beiträge ausnahmslos ohne
Beanstandung bezahlt hat. Auch hat die Beklagte das Vertrauen auf den Bestand der
nach der Fiktion des § 4 Abs. 3 Satz 1 AbsFondsGBeitrV als Beitragsbescheide
geltenden Verwaltungsakte betätigt, indem sie die vereinnahmten Beträge an den
Absatzfonds weitergeleitet hat, damit dieser seine Ausgaben decken konnte. Dies muss
jedoch nicht abschließend entschieden werden.
63
II. Auch mit dem danach zur Entscheidung des Gerichts gestellten ersten Hilfsantrag hat
die Klage keinen Erfolg. Die mit diesem Hilfsantrag erhobene Anfechtungsklage gegen
die als Verwaltungsakte fingierten Beitragsmitteilungen ist unzulässig, weil die Klägerin
nicht rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist nach § 70 Abs. 1, § 58 Abs. 2 VwGO
64
vgl. Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 30. April 2009 - 13 K 4793/07 -, bestätigt durch
OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2010 - 20 A 1196/09 -,
65
Widerspruch eingelegt. Die letzte hier angegriffene Beitragsmitteilung für das zweite
Halbjahr 2004 ging der Beklagten im Januar 2005 zu; Widerspruch wurde dagegen erst
Jahre später im September 2009 eingelegt. Die Einhaltung der Widerspruchsfrist (wie
der Abschluss des Widerspruchsverfahrens durch einen Widerspruchsbescheid) ist
auch eine Zulässigkeitsvoraussetzung der späteren Klage; ihre Einhaltung ist von Amts
wegen zu prüfen,
66
vgl. nur BVerwG, Urteil vom 13. Februar 1987 - 8 C 128.84 -; Neue Zeitschrift für
Verwaltungsrecht (NVwZ) 1988, 63; OVG NRW, Urteil vom 26. September 1994 - 22 A
2426/94 -, NVwZ-RR 1995, 623 f.; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 70 Rn. 6 m.
w. N.
67
III. Der damit zur Entscheidung des Gerichts gestellte zweite Hilfsantrag führt ebenfalls
nicht zum Erfolg. Mit diesem weiteren Hilfsantrag begehrt die Klägerin das
Wiederaufgreifen der die Beitragsbescheide mit den Nrn. 035 bis 040 betreffenden
Verwaltungsverfahren und die Aufhebung dieser Bescheide mit anschließender
Erstattung. Aber auch dieser Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg.
68
Obwohl noch kein Widerspruchsbescheid ergangen und das Widerspruchsverfahren
damit noch nicht abgeschlossen ist, ist die Klage zulässig. Denn mittlerweile sind die
Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erfüllt, weil zum einen seit
der Einlegung des Widerspruchs durch die Klägerin im Dezember 2009 mehr als drei
Monate vergangen sind und zum anderen die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
erklärt hat, dass nicht beabsichtigt sei, noch über den Widerspruch zu entscheiden.
69
Die Klage ist mit dem zweiten Hilfsantrag aber ebenfalls unbegründet. Die Klägerin hat
gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf das Wiederaufgreifen der
abgeschlossenen Verwaltungsverfahren betreffend die Beitragsmitteilungen/-bescheide
mit den Nrn. 035 bis 040 nach § 51 VwVfG noch auf Rücknahme dieser Bescheide gem.
§ 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG.
70
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die im Wege des Wiederaufgreifens des
Verfahrens begehrte Aufhebung der bestandskräftigen Beitragsbescheide. Denn die
Voraussetzungen der dafür allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 51 VwVfG
liegen nicht vor.
71
Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die
Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes unter anderem dann
zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder
Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (Nr. 1). Der Antrag ist
nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den
Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch
Rechtsbehelf, geltend zu machen, § 51 Abs. 2 VwVfG. Der Antrag muss binnen drei
Monaten nach Kenntnis des Betroffenen vom Grund für das Wiederaufgreifen gestellt
werden, § 51 Abs. 3 VwVfG. Unberührt bleibt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG die nach
pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung der Behörde über eine etwaige
Rücknahme oder einen Widerruf.
72
Ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist nicht gegeben, denn es
liegt keine Änderung der Rechtslage vor. Eine solche ist in der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, mit der die maßgeblichen Normen des
Absatzfondsgesetzes für nichtig erklärt worden sind, nach allgemeiner Meinung nicht zu
sehen,
73
vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164, 178/64 -, BVerfGE, 20, 230
(235) unter Hinweis auf § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl.
2010, § 51 Rn. 30.
74
Die Klägerin kann die Aufhebung in Form der Rücknahme der als Beitragsbescheide
geltenden Beitragsmitteilungen (sei es ganz oder teilweise) im vorliegenden Verfahren
auch nicht über eine Ermessensentscheidung der Beklagten nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §
48 VwVfG verlangen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger
belastender Verwaltungsakt - wie hier die jeweils als Beitragsbescheide geltenden
Beitragsmitteilungen -, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückgenommen werden. Die von der Klägerin nach dem 1. Juli 2002
abgesandten Beitragsmitteilungen, die als Beitragsbescheide gelten, sind rechtswidrig
geworden, weil das Bundesverfassungsgericht unter anderem die für die
Beitragserhebung von den Geflügelschlachtereien wie der Klägerin maßgeblichen
Rechtsgrundlagen für ab diesem Zeitpunkt mit dem Grundgesetz unvereinbar und
nichtig erachtet hat,
75
vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316.
76
Damit war der Beitragserhebung formell wie materiell bereits bei Eingang der
Beitragsmitteilungen die Rechtsgrundlage entzogen.
77
Einer Rücknahme steht - wie oben dargelegt - § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht
entgegen. Durch § 79 BVerfGG sollen die Rechtsfolgen der Nichtigkeit im Interesse des
Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit begrenzt werden,
78
BVerfG, st. Rspr., vgl. nur Beschlüsse vom 11. Oktober 1966 - 1 BvR 164, 178/64 -,
a.a.O., BVerfGE 20, 230 (235), und vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 1905/02 -, BVerfGE
115, 51 (62 m. w. Nachw.).
79
§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG steht aber nicht einer Rücknahme nach § 48 VwVfG
entgegen, die Vorschrift enthält keine Rücknahmesperre,
80
vgl. nur Bethge, a.a.O., § 79 Rn. 56 m. w. Nachw.
81
Jedoch hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rücknahme der Beitragsbescheide nach
(§ 51 Abs. 5 i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, denn eine dafür erforderliche Reduktion
des Rücknahmeermessens auf Null liegt nicht vor.
82
Wird - wie hier - die Rücknahme von bestandskräftigen belastenden Verwaltungsakten
begehrt, ist bei der Ausübung des Rücknahmeermessens in Rechnung zu stellen, dass
dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein größeres Gewicht zukommt
als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht
ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Das der materiellen
Einzelfallgerechtigkeit gegenläufige Gebot der Rechtssicherheit ist ein wesentliches
Element der Rechtsstaatlichkeit und damit eines Konstitutionsprinzips des
Grundgesetzes. Aus ihm folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit unanfechtbarer
Verwaltungsakte. Gibt die Rechtsordnung der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit,
durch Hoheitsakt für ihren Bereich das im Einzelfall rechtlich Verbindliche festzustellen,
zu begründen oder zu verändern, so besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse
daran, die Bestandskraft des Hoheitsaktes herbeizuführen. Diese Folge, selbst
rechtswidrige, aber bestandskräftige Verwaltungsakte hinzunehmen, wird kompensiert
durch die Möglichkeit der Anfechtung belastender Maßnahmen mit Widerspruch und
Anfechtungsklage. Die mit dem Verstreichen der Frist zur Anfechtung eines
Verwaltungsaktes regelmäßig einhergehende Bestandskraft ist ein Instrument der
83
Gewährleistung von Rechtssicherheit. Tritt der Grundsatz der Rechtssicherheit mit dem
Gebot der Gerechtigkeit im Einzelfall in Widerstreit, so ist es zunächst Sache des
Gesetzgebers und dann der Rechtsprechung, das Gewicht, das ihnen in dem zu
regelnden Fall zukommt, abzuwägen und zu entscheiden, welchem der beiden
Prinzipien der Vorrang gegeben werden soll. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts besteht mit Blick auf das Gebot der materiellen
Gerechtigkeit ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines
bestandskräftigen Verwaltungsaktes, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin
unerträglich" ist. Ob sich die Aufrechterhaltung des Verwaltungsaktes als schlechthin
unerträglich erweist, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung
der einschlägigen Gesichtspunkte ab. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist etwa
dann schlechthin unerträglich, wenn die Behörde gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz dadurch verstößt, dass sie in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen in
der Regel von ihrer Befugnis zur Rücknahme Gebrauch macht, hiervon jedoch in
anderen Fällen ohne rechtfertigenden Grund absieht. Genauso liegt es, wenn Umstände
gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß
gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, dessen Rücknahme begehrt wird, kann
ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin
unerträglich. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes begründet hingegen
keinen Anspruch auf Rücknahme, da die Rechtswidrigkeit lediglich die Voraussetzung
einer Ermessensentscheidung der Behörde ist. In dem einschlägigen Fachrecht kann
aber eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben
sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme
des Verwaltungsaktes ausgeübt werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem
Sinne als intendiert erweist.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2004 - 6 C 24.03 -, BVerwGE 121, 226 (230 f.) mit
umfassenden Nachweisen der Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts;
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 (710).
84
Nach diesen Grundsätzen scheidet die Annahme einer Reduzierung des
Rücknahmeermessens auf Null hier aus. Die von der Beklagten getroffene
Ermessensentscheidung, die als Beitragsbescheide geltenden Beitragsmitteilungen
nicht zurückzunehmen, führt hier nicht zu einem "schlechthin unerträglichen" Ergebnis.
Allein der Umstand, dass damit auf verfassungswidriger Grundlage ergangene
Bescheide aufrechterhalten bleiben, begründet eine solche Bewertung ersichtlich nicht.
Denn der Gesetzgeber nimmt es hin, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte in
Bestandskraft erwachsen und im Rahmen einer Ermessensentscheidung der
Rechtssicherheit im Einzelfall höhere Bedeutung als der Einzelfallgerechtigkeit
beigemessen wird.
85
Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit ist nicht gegeben. Diese ist anzunehmen, wenn an
dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht
vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt.
Anders als bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 44 Abs. 1 VwVfG ist es
nicht erforderlich, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden
Fehler leidet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Verwaltungsakt als
offensichtlich rechtswidrig erweist, ist in der Regel der Zeitpunkt des Erlasses des
Verwaltungsakts. Die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts
möglicherweise gebietende Offensichtlichkeit fehlt, wenn die Evidenz des Rechtsfehlers
86
erst später ersichtlich wird,
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 (710 f.).
87
Daran gemessen fehlt es hier an der zu fordernden Evidenz. Es kann nicht
angenommen werden, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs der
Beitragsmitteilungen der Klägerin von Juli 2002 bis Januar 2005 an deren
Rechtswidrigkeit vernünftigerweise keine Zweifel bestanden haben und sich deshalb
die Rechtswidrigkeit aufdrängte. Dies gilt für die Zeiträume vor Ergehen des
Vorlagebeschlusses des erkennenden Gerichts im Mai 2006, aber auch für die
Zeiträume danach.
88
Eine solche Evidenz ließ sich zunächst nicht aufgrund des Urteils des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) zur Vergabe eines Gütezeichens, das die inländische Herkunft der
betreffenden Erzeugnisse hervorhebt, annehmen,
89
vgl. EuGH, Urteil vom 5. November 2002 - C 325/00 -, Sammlung der Rechtsprechung
2002, S. I-09977 ff. - Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft
mbH (CMA).
90
In dieser Entscheidung, ergangen in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die
Bundesrepublik Deutschland, bedurfte es zunächst eingehender Darlegungen, dass die
Werbemaßnahmen der privatrechtlich organisierten CMA dem deutschen Staat
zurechenbar seien, sowie der weiteren vertieften Prüfung, ob die Verwendung der
Gütezeichen nicht unter den auch europarechtlich zulässigen Schutz regionaler
Herkunftsbezeichnungen fiel und dadurch gerechtfertigt war. Bereits diese vertieften
Erwägungen des EuGH stehen der Annahme einer Offensichtlichkeit entgegen,
91
vgl. dazu in einem ähnlich gelagerten Fall BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 6 C
32.06 -, NVwZ 2007, 709 (711).
92
Auch betraf die Entscheidung des EuGH nicht die Beitragserhebung an sich, sondern
nur die Form der allenfalls mittelbar durch den Absatzfonds veranlassten
Werbemaßnahmen.
93
Darüber hinaus wurde noch im Januar 2007 die Beitragserhebung nach dem
Absatzfondsgesetz für verfassungsmäßig erachtet,
94
so Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 8. Januar 2007 - M 18 S 06.4166 -,
juris.
95
Dass die Vorlage des erkennenden Gerichts zulässig und begründet sein würde, war
nicht absehbar. Auch aus dem Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht bereits im
Mai 2004 die Beitragserhebung für den "Klärschlamm-Entschädigungsfonds" sowie im
Juli 2005 die Beitragserhebung für den "Solidarfonds Abfallrückführung" für
verfassungswidrig erachtet hat,
96
vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18. Mai 2004 - 2 BvR 2374/99 -, BVerfGE 110, 370 ff.
("Klärschlamm-Entschädigungsfonds") und vom 6. Juli 2005 - 2 BvR 2335, 2391/95 -,
BVerfGE 113, 128 ff. ("Solidarfonds Abfallrückführung"),
97
und die dort angewendeten Kriterien auch für die Verfassungswidrigkeit der Normen des
Absatzfondsgesetzes maßgeblich waren,
98
vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316 (333 ff.),
99
kann nicht auf eine offensichtliche Rechtswidrigkeit im oben beschriebenen Sinne bei
Erlass der Beitragsbescheide geschlossen werden. Denn auch danach bedurfte es -
ebenso wie nach der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die
Vorlage des Gerichts zum Absatzfondsgesetz - noch der Subsumtion und Gewichtung
der maßgeblichen tatsächlichen Elemente, die etwa den vom
Bundesverfassungsgericht geforderten "besonderen Gruppennutzen" betrafen,
100
vgl. BVerfG, Urteil vom 3. Februar 2009 - 2 BvL 54/06 -, BVerfGE 122, 316 (335 ff.),
101
was im Einzelnen streitig und daher nicht offensichtlich war.
102
Auch im Übrigen liegen keine Umstände vor, die die Aufrechterhaltung der
Beitragsbescheide als "schlechthin unerträglich" erscheinen ließen und daher zu einer
Ermessensreduzierung führen könnten. Dem einschlägigen Fachrecht lässt sich nichts
für eine zwingende Rücknahme Sprechendes entnehmen, so dass es bei den
allgemeinen Grundsätzen bleibt. Dies ist hier insbesondere auch § 79 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG. Die Vorschrift sperrt weder die Rücknahme noch führt sie umgekehrt zu einer
Ermessensreduzierung,
103
vgl. Bethge, a.a.O., § 79 Rn. 56 m. w. Nachw.
104
§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG räumt dem der materiellen Einzelfallgerechtigkeit
gegenläufigen Gebot der Rechtssicherheit jedoch grundsätzlich den Vorrang ein.
Entschließt sich die zur Entscheidung über die Rücknahme berufene Behörde, wie hier
die Beklagte, dazu, in Wahrung des verfassungsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG in allen Fällen die
Beitragsbescheide nach dem Absatzfondsgesetz aufrecht zu erhalten, so ist das nach
dem in § 79 Abs. 1 BVerfGG zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen
schon nicht ermessensfehlerhaft und kann daher erst recht nicht zu einer
Ermessensreduzierung auf Null führen.
105
Eine Ermessensreduzierung auf Null kann entgegen der Rechtsauffassung der
Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch nicht aus § 164 der Abgabenordnung (AO)
abgeleitet werden. Nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Steuerfestsetzung
aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist. Zwar mag ein
rechtswidriger Steuerbescheid entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift zu ändern sein
und insoweit kein Ermessen bestehen,
106
so Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. November 2008 - IX R 53/07 - juris, Rn. 11.
107
Das gilt jedoch auch nach der von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
angeführten Entscheidung des Bundesfinanzhofs nur für den Fall, dass die Steuern
unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt worden sind (§ 164 Abs. 1 Satz 1, § 164
Abs. 2 Satz 1 AO). Daran fehlt es hier aber gerade. Ein solcher konkludent kraft
Gesetzes jeder Beitragsmitteilung beigefügter Vorbehalt ist auch dem Regelungsgefüge
des § 4 AbsFondsGBeitrV nicht zu entnehmen. Zwar räumt diese Norm in Abs. 3 Satz 2
108
der Beklagten die Befugnis ein, einen Beitragsbescheid zu erteilen. Dem lässt sich
jedoch schon keine Befugnis entnehmen, eine als Beitragsbescheid nach der Fiktion
geltende Beitragsmitteilung zu ändern; vielmehr hat die Norm ihren Anwendungsbereich
nur bei der erstmaligen Beitragserhebung. Darüber hinaus ist der Beklagten diese
Befugnis nur bei unterbliebener oder nicht zutreffender Mitteilung der
Berechnungsgrundlagen für die Beitragserhebung eingeräumt, nicht aber für den Fall,
dass die Beitragsmitteilung aus anderen Gründen - hier aufgrund der
Verfassungswidrigerklärung der Rechtsgrundlage - rechtswidrig ist. Schließlich und
unabhängig davon dürfte eine unterstellte Änderungsbefugnis nach § 4
AbsFondsGBeitrV spätestens sechs Wochen nach Ablauf des maßgeblichen
Kalenderhalbjahres enden, wie sich aus der eine wirksame Bescheiderteilung
voraussetzenden Fälligkeitsregelung des Abs. 4 Satz 1 der Norm ergibt.
Im Hinblick auf § 164 Abs. 1 und 2 AO kommt eine Ermessensreduzierung aber auch
unter dem weiteren Gesichtspunkt nicht in Betracht, dass die Beklagte es - wie die
Prozessbevollmächtigen der Klägerin offenbar meinen - pflichtwidrig unterlassen habe,
die Beitragserhebung hier unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen. Denn zum
einen würde eine solcher Pflichtenverstoß - läge er denn vor - schon nicht zu einer
Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen der Rücknahmeentscheidung nach § 51
Abs. 5, § 48 Abs. 1 VwVfG, sondern zu einem Schadensersatzanspruch führen. Zum
andern und vor allem handelte es sich bei den Beiträgen an den Absatzfonds nicht um
eine Steuer, sondern um eine Sonderabgabe, so dass eine unmittelbare Anwendung
der Vorschrift des § 164 AO ohnehin nicht in Rede steht. Aber auch eine entsprechende
Anwendung dieser Bestimmung muss insoweit ausscheiden, weil angesichts der
Bestimmung des § 79 Abs. 2 BVerfGG und der Regelungen im VwVfG eine planwidrige
Lücke nicht erkennbar ist. Eine solche Lücke wäre in dem hier gegebenen Fall der
Ungewissheit einer Steuererhebung infolge Anhängigkeit eines Verfahrens beim
Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit
höherrangigem Recht im übrigen eher durch eine entsprechende Anwendung des § 165
Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und eine vorläufige Steuerfestsetzung zu schließen gewesen.
Aber auch dazu war die Beklagte nicht verpflichtet. Sie war nicht gehalten, die
Beitragsbescheide grundsätzlich oder jedenfalls nach dem Ergehen des
Vorlagebeschlusses des erkennenden Gerichts im Mai 2006 mit einem Vorbehalt der
Vorläufigkeit zu versehen, und ein solches Unterlassen wäre auch nicht als treuwidrig
zu werten. Denn anders als nach § 165 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 3 der
Abgabenordnung, wonach eine vorläufige Steuerfestsetzung erfolgen kann, wenn die
Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines
Verfahrens beim Europäischen Gerichtshof, Bundesverfassungsgericht oder obersten
Bundesgericht ist, besteht diese Möglichkeit nach dem einschlägigen
Verwaltungsverfahrensgesetz und dem Regelungsgefüge des Absatzfondsgesetzes
nicht. Die Beklagte hätte daher als Teil der Exekutive eigenmächtig den
gesetzgeberischen Befehl, dass nach dem Absatzfondsgesetz Beiträge zu erheben und
entsprechend dem Gesetz zu verwenden sind, in Frage gestellt und faktisch außer Kraft
gesetzt, weil dann dem Absatzfonds keine Mittel mehr zur Verfügung gestanden hätten.
Dies konnte von ihr im Hinblick auf die Gesetzesbindung der Beklagten nach Art. 20
Abs. 3 GG mangels entsprechender gesetzlicher Ermächtigung nicht gefordert werden.
Die unbedingte Beitragsfestsetzung stellt daher keine Verletzung der Pflichten der
Beklagten oder einen sonstigen Verstoß gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten
dar.
109
Auch im übrigen ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten nicht
110
gegeben. So war es aus den oben dargelegten Gründen zur offensichtlichen
Rechtswidrigkeit für die Beklagte nicht ersichtlich, dass das Absatzfondsgesetz in
maßgeblichen Teilen verfassungswidrig war. Sie hat daher nicht "sehenden Auges"
Beitragsbescheide erlassen in der Hoffnung, dass sie mangels Anfechtung
bestandskräftig würden,
vgl. zu diesem Ansatz OVG NRW, Beschluss vom 9. September 2009 - 15 A 1881/09 -,
juris Rn. 6 f.
111
Mangels Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung der bestandskräftigen
Beitragsbescheide und damit fortbestehendem Rechtsgrund für die seitens der Klägerin
geleisteten Zahlungen besteht auch keine Rückzahlungsverpflichtung nach den
Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Auch für eine
Verzinsungspflicht ist mithin keine Grundlage gegeben.
112
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
113
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz
1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
114
Gründe, die Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4
VwGO zuzulassen, bestanden nicht. Zunächst hat die Rechtssache - auch unter
Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung und der zahlreichen weiteren bei dem
erkennenden Gericht anhängigen Verfahren - keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), weil es sich um nach der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts ausgelaufenes Recht handelt und die maßgeblichen
Rechtsfragen durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April
1995 - 3 C 9.95 -, NVwZ-RR 1996, 107, geklärt sind. Von dieser Entscheidung weicht
das erkennende Gericht zwar in der Begründung ab. Jedoch wirkt sich diese
Abweichung nicht aus, weil ansonsten nach der vorgenannten Entscheidung ein
Verwaltungsakt in der - nach der Prüfung - widerspruchslosen Entgegennahme der
Beitragsmitteilungen durch die Beklagte zu sehen wäre, sich daher das Ergebnis nicht
ändern würde und daher dieses Urteil nicht auf der Abweichung im Rechtssinne beruht
(§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Soweit es um das Wiederaufgreifen des Verfahrens geht,
hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die maßgeblichen
Rechtsfragen nicht zuletzt durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom
17. Januar 2007 - 6 C 32.06 -, NVwZ 2007, 709 ff., geklärt sind.
115