Urteil des VG Köln vom 23.03.2009

VG Köln: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, rauchverbot, gaststätte, öffentliche sicherheit, vollziehung, öffentliches interesse, einkaufszentrum, hauptsache, gebäude

Verwaltungsgericht Köln, 7 L 131/09
Datum:
23.03.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 131/09
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 593/09 gegen Ziff. 1 der
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 15.01.2009 wird
wiederhergestellt. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziff. 3
der Ordnungsverfügung wird angeordnet. Die Kosten des Verfahrens
trägt der Antragsgegner.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
I.
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Der Antragsteller betreibt in dem Einkaufszentrum „L. -B. „ ein „Segafredo"- Café. Unter
dem 06.04.2006 wurde ihm die Erlaubnis erteilt, im Rahmen einer Schank- und
Speisewirtschaft (Bistro) alkoholische Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle zu
verkaufen.
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Die Gaststätte befindet sich auf der Lauffläche des Untergeschosses des
Einkaufszentrums im Bereich eines Teils der „Rotunde". Die Rotunde ist ein
kreisförmiger Bereich, der nicht durch die Decken der Zwischengeschosse nach oben
begrenzt wird und mit einem Kuppeldach über dem letzten Geschoss, dem dritten
Geschoss, versehen ist. Im Bereich der Rotunde befinden sich außerdem Rolltreppen,
mit denen die übrigen Geschosse des Zentrums erreicht werden können.
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Die Gastfläche ist nicht durch Wände von der übrigen Lauffläche abgegrenzt und von
allen Seiten frei zugänglich. Sie umfasst einen Bereich von etwa 73 m², auf dem sich
neben einem Thekenbereich mit Sitzplätzen auch Tische und Stühle befinden. In der
Café-Bar werden fast ausschließlich Kaffeeprodukte angeboten. Eine Abgabe vor Ort
zubereiteter Speisen findet nicht statt. Der Antragsteller gestattet seinen Gästen das
Rauchen. Nach den Bestimmungen des Hausrechtsinhabers ist das Rauchen im
Einkaufszentrum außerhalb der Gastronomiebetriebe untersagt.
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Mit Anhörungsschreiben vom 17.12.2008 übersandte der Antragsgegner dem
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Antragsteller den Entwurf einer Ordnungsverfügung zur Umsetzung eines Rauchverbots
und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen. Durch Schreiben des
Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2009 nahm der Antragsteller hierzu ausführlich
Stellung.
Durch Ordnungsverfügung vom 15.01.2009 gab der Antragsgegner dem Antragsteller
unter Ziff. 1 auf, das Rauchverbot durch die Anbringung von Schildern, Entfernung von
Aschenbechern und Einwirkung auf die Gäste spätestens binnen 1 Woche nach
Zustellung der Verfügung durchzusetzen, drohte unter Ziff. 3 ein Zwangsgeld in Höhe
von 2000 EUR an und ordnete die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO
an. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller verstoße gegen das in § 4
NiSchG NRW angeordnete Rauchverbot in Gaststätten, indem er seinen Gästen das
Rauchen gestatte. Das Rauchverbot gelte auch für Gaststätten in Einkaufszentren. Es
komme nicht darauf an, ob es einen umschlossenen Gastraum gebe oder ob sich die
Gastfläche auf der Lauffläche des Zentrums befinde. Im gaststättenrechtlichen Sinne sei
ein „Raum" jede örtlich bestimmbare bzw. bestimmte Stelle, auch wenn diese nicht
durch bauliche Maßnahmen oder in sonstiger Weise abgegrenzt sei. Die Gastfläche
liege innerhalb eines Gebäudes und werde daher von dem in Gebäuden und sonstigen
vollständig umschlossenen Räumen geltenden Rauchverbot gemäß § 1 Abs. 1 NiSchG
NRW erfasst. Im Rahmen des Ermessens erscheine ein Einschreiten geboten, weil der
Schutz der Nichtraucher vor den Gefahren des Rauchens gegenüber den
wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers vorrangig sei. Die Anordnung der
sofortigen Vollziehung sei durch das erhebliche öffentliche Interesse an der zeitnahen
Durchsetzung der rechtlichen Bestimmungen und eines effektiven Nichtraucherschutzes
geboten. Der Bescheid wurde am 30.01.2009 zugestellt.
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Hiergegen hat der Antragsteller am 02.02.2009 Klage erhoben (7 K 593/09) und einen
Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt.
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Der Antragsteller ist der Auffassung, die von ihm betriebene Gaststätte falle nicht unter
die Regelungen des Nichtraucherschutzgesetzes, weil es sich bei dem Gastraum nicht
um ein Gebäude oder einen sonstigen umschlossenen Raum im Sinne des § 1 Abs. 1
NiSchG NRW handele. Dass die Gaststätte sich innerhalb eines Gebäudes, nämlich
des Einkaufszentrums befinde, sei nicht relevant, weil in Einkaufszentren generell kein
gesetzliches Rauchverbot gelte. Die Außenwände des Zentrums umfassten eine Fläche
von mehr als 27.000 m². Diese könnten nicht als quasi virtuelle Wände für eine nicht
abgetrennte untergeordnete Teilfläche von ca. 70 m² beachtlich werden.
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Nach Sinn und Zweck des Gesetzes könne ein unabgeschlossener Gaststättenbereich
inmitten eines Raumes, in dem kein Rauchverbot gelte, nicht von der gesetzlichen
Regelung umfasst sein. Denn ein effektiver Nichtraucherschutz sei nicht gewährleistet,
da auf den anderen Flächen des Einkaufszentrums weiterhin geraucht werden dürfe.
Zum Schutz der Gäste der Café-Bar vor den Gefahren des Passivrauchens sei die
Ordnungsverfügung daher auch nicht geeignet. Ein Passivrauchen im Bereich der
Gastfläche sei aber auch physikalisch nicht möglich, da der Rauch nach oben unter das
Glasdach mit der natürlichen Entrauchungsanlage abziehe. Die Besucher der L. -B. , die
sich nicht im Gastbereich aufhielten, hätten hingegen keinen gesetzlichen Anspruch auf
einen Schutz vor Tabakrauch.
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Aus der Begründung zum Regierungsentwurf ergebe sich, dass das Rauchen in nicht
vollständig umschlossenen Bereichen des Außengastronomie weiterhin erlaubt sein
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solle. Darunter fielen auch die terrassenähnlichen Bereiche der Gastronomie in
Einkaufszentren.
Schließlich sei die Ordnungsverfügung unverhältnismäßig, da die Durchsetzung des
Rauchverbots die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers vernichten würde, da der
überwiegende Teil seiner Gäste rauche. In den Monaten Juli bis Mitte September 2009
habe der Antragsteller das Rauchverbot zunächst umgesetzt. Ausweislich der
vorgelegten Bescheinigung des Steuerberaters sei der Umsatz im Verhältnis zum
Vergleichszeitraum des Vorjahrs um ca. die Hälfte zurückgegangen. Insoweit werde auf
die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 30.07.2008 Bezug genommen,
die eine Berücksichtigung der existenziellen Nachteile gebiete.
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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
15.01.2009 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Er hält im Wesentlichen an seiner in der angefochtenen Ordnungsverfügung vertretenen
Auffassung fest und trägt ergänzend vor, ein gesetzlich bestimmter oder durch das
Bundesverfassungsgericht geforderter Ausnahmefall des in Gaststätten geltenden
Rauchverbots liege nicht vor. Insbesondere handele es sich bei dem Betrieb des
Antragstellers nicht um eine „Freifläche", da sich dieser nicht unter freiem Himmel
befinde. Die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts erfülle der Antragsteller -
bis auf die Größe der Gastfläche - ebenfalls nicht.
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II.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebenden Wirkung einer Klage
gegen einen belastenden Verwaltungsakt im Fall einer Anordnung der sofortigen
Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wiederherstellen, wenn eine
Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an einem
Aufschub der Vollziehung bis zur Entscheidung in der Hauptsache das öffentliche
Interesse am Sofortvollzug des angefochtenen Verwaltungsakts überwiegt. Im Fall des §
80 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 8 AGVwGO NW kann die aufschiebende Wirkung der Klage
gegen eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung (Androhung eines Zwangsgeldes)
angeordnet werden.
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Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die aufgrund einer summarischen
Prüfung zu beurteilenden Erfolgsaussichten der erhobenen Klage zu berücksichtigen.
Ist der streitgegenständliche Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, hat der Antrag
Erfolg, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines erkennbar rechtswidrigen
Verwaltungsakts besteht. Demgegenüber ist der Antrag abzulehnen, wenn sich der
Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist. In diesem Fall muss das private
Interesse an einem Aufschub der Vollziehung zurücktreten, da diese voraussichtlich
Bestand haben wird. Sind die Erfolgsaussichten offen, bleibt es bei der Abwägung der
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betroffenen Interessen.
Im vorliegenden Fall überwiegt das private Interesse des Antragstellers, von der
Vollziehung der angeordneten Maßnahmen zur Durchsetzung eines Rauchverbots bis
zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu werden und seinen Betrieb wie bisher
fortzuführen, das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des
Rauchverbots.
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Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt
sich nicht feststellen, dass die Anordnung, das Rauchen im Betrieb des Antragstellers
zu unterbinden, offensichtlich rechtswidrig oder offensichtlich rechtmäßig ist. Vielmehr
sind die Erfolgsaussichten der Klage derzeit offen.
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Ermächtigungsgrundlage für die Ordnungsverfügung des Antragsgegners ist § 14 Abs. 1
OBG NRW in der Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.1980 (GV. NRW. S. 528),
zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.04.2005 (GV. NRW. S. 274). Danach kann die
Ordnungsbehörde die zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung im Einzelfall notwendigen Maßnahmen treffen. Eine Gefahr für die öffentliche
Sicherheit droht immer dann, wenn ein Verstoß gegen Normen des objektiven Rechts
vorliegt.
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Im vorliegenden Fall kann im Rahmen der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur
möglichen summarischen Prüfung nicht eindeutig geklärt werden, ob der
Gastronomiebetrieb des Antragstellers vom Rauchverbot der § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 7 und §
4 des Gesetzes zum Schutz von Nichtraucherinnen und Nichtrauchern in Nordrhein-
Westfalen (NiSchG NRW) vom 20.12.2007 (GV. NRW. S. 742) erfasst wird und damit
durch die Zulassung des Rauchens die entsprechenden Vorschriften verletzt werden.
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Gemäß § 1 Abs. 1 NiSchG NRW gelten die in diesem Gesetz aufgeführten
Rauchverbote in Gebäuden und sonstigen vollständig umschlossenen Räumen. Unter
vollständigen umschlossenen Räumen sind nach der Begründung des
Regierungsentwurfs zum NiSchG NRW (LT-Drs. 14/4834, S. 17) solche zu verstehen,
die nach allen Seiten von Wänden mit oder ohne Fenster eingegrenzt werden. Aus
dieser Vorschrift ergibt sich demnach, dass in Freibereichen wie nicht vollständig
überdachten Innenhöfen, überdachten aber nicht geschlossenen Sportstadien und
insbesondere im Frei- und Außenbereich der Gastronomie, z. B. in Wirts- und
Biergärten, das Rauchen weiterhin erlaubt ist (LT-Drs. 14/4834, S. 17).
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Gemäß § 4 NiSchG NRW gilt in Gaststätten grundsätzlich Rauchverbot. Gaststätten sind
nach der Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 7 NiSchG NRW Schank- und
Speisewirtschaften, unabhängig von der Betriebsart, Größe und Anzahl der Räume.
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Nach diesen Bestimmungen ist zweifelhaft, ob für den Gastronomiebetrieb der
Antragstellerin das in § 4 bestimmte Rauchverbot gilt. Bei dem Einkaufszentrum handelt
es sich um ein Gebäude im Sinne des § 1 NiSchG. In diesem ist das Rauchen jedoch
nach den Bestimmungen des NiSchG erlaubt, da es nicht unter die Aufzählung des § 2
NiSchG fällt. Zwar handelt es sich bei dem Betrieb der Antragstellerin um eine
Gaststätte im Sinne des § 2 Nr. 7 und § 4 NiSchG. Für die Einordnung als Gaststätte ist
der Umstand unerheblich, dass der Gaststättenbereich keine bauliche Abgrenzung
besitzt. Fraglich ist aber, ob die Gaststätte die weiteren Voraussetzungen für die
Anwendung des Rauchverbots in § 1 NiSchG NRW erfüllt. Denn die Gastfläche als
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solche ist weder ein Gebäude noch ein sonstiger vollständig umschlossener Raum, weil
sie sich ohne eine Begrenzung durch Wände auf der Lauffläche des Einkaufszentrums
befindet.
Es wäre zwar vertretbar, den Wortlaut des § 1 NiSchG dahingehend zu verstehen, dass
die Gaststätte selbst nicht notwendig ein umschlossener Raum sein muss, wenn diese
jedenfalls innerhalb eines vollständig umschlossenen Raums - dem Einkaufszentrum -
liegt (so die Auslegung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf der
Homepage http:://www.mags.nrw.de/03 unter „Nichtraucherschutz - Antworten auf häufig
gestellte Fragen").
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Jedoch ist diese Auslegung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie
Systematik des Gesetzes nicht zwingend. Dagegen spricht insbesondere § 5 NiSchG.
Danach sind Orte, für die nach diesem Gesetz ein Rauchverbot besteht, deutlich
sichtbar im Eingangsbereich kenntlich zu machen. Der Gesetzgeber ging somit davon
aus, dass der vom Rauchverbot betroffene Ort einen Eingangsbereich hat, was bei der
Gaststätte des Antragstellers nicht der Fall ist. Diese ist nach allen Seiten offen und für
Besucher erreichbar.
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Der Regelung für Gaststätten lag also offenbar die Vorstellung einer typischen
Gaststätte zugrunde, bei der die Wände der Gaststätte mit den Wänden des Gebäudes
identisch sind oder die im Außenbereich liegt. Die hier gegebene atypische Situation,
dass sich eine Gaststätte ohne eigene Außenwände in einem größeren Gebäude
befindet, in dem - je nach Ausübung des Hausrechts - auch geraucht werden kann, ist
vom Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes anscheinend nicht berücksichtigt worden.
Diese Situation findet insbesondere in der Begründung des Regierungsentwurfs keine
Erwähnung.
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Eine Auslegung, die solche Gaststätten in das Rauchverbot einbezieht, wäre zwar durch
Sinn und Zweck des Gesetzes gedeckt, aber nicht zwingend geboten. Ziel des
Gesetzes ist der wirksame Schutz der Bürger, besonders von Kindern und
Jugendlichen, vor den erheblichen Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen in der
Öffentlichkeit (vgl. LT-Drs. 14/4834, S. 15). Hierbei ging der Gesetzgeber davon aus,
dass Nichtraucher gerade in den vom Gesetz betroffenen Bereichen, beispielsweise in
Gaststätten in geschlossenen Räumen, über längere Zeit in gravierend
gesundheitsgefährdender Weise dem Tabakrauch ausgesetzt sind. (LT-Drs. 14/4834, S.
17).
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Dieser Schutzzweck hat jedoch nicht zu einem vollständigen Verbot des Rauchens in
der Öffentlichkeit geführt. Insbesondere ist das Rauchen im Außenbereich von
Gaststätten nach wie vor gestattet. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird
hierzu ausgeführt, in der Außenluft könnten sich die Schadstoffe des Tabakrauchs
besser verteilen, so dass die Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen erheblich
vermindert seien (LT-Drs. 14/4834, S. 17). Ferner enthält das Gesetz weitere zahlreiche
Ausnahmen, in denen Passivraucher weiterhin den Schadstoffen des Tabakrauchs
ausgesetzt sind, z. B. in vorübergehend aufgestellten Festzelten, § 3 Abs. 3 Ziff. a), bei
Brauchtumsveranstaltungen, § 3 Abs. 3 Ziff. b), in speziell eingerichteten
Raucherräumen, § 3 Abs. 2 und § 4 Satz 2 oder bei geschlossenen Gesellschaften in
Gaststätten, § 4 S. 5 NiSchG NRW. Insoweit hat der Gesetzgeber die Absicht verfolgt,
einen gerechten Interessenausgleich zwischen den kollidierenden Interessen der
Nichtraucher einerseits und der Raucher bzw. der Gastwirte andererseits
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herbeizuführen (LT-Drs. 14/4834, S. 16).
In dem vorliegenden atypischen Fall einer Gaststätte, die ohne eine Begrenzung durch
Wände in einem Einkaufszentrum liegt, dürfte die Schadstoffbelastung der Nichtraucher
erheblich niedriger liegen als im Fall einer Gaststätte in einem abgeschlossenen Raum,
weil sich die Rauchpartikel hier besser verteilen können. Die Belastung dürfte sich
derjenigen im Außenbereich von Gaststätten annähern, wenn dieser beispielsweise an
drei Seiten von Wänden umschlossen und überdacht ist.
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Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Rauchen auf den angrenzenden Laufflächen
des Einkaufszentrums jedenfalls gesetzlich nicht verboten ist. Der Gesetzgeber nimmt
die Rauchbelastung für Nichtraucher in Einkaufszentren also in Kauf. Ein Schutz der
Nichtraucher in den Gastronomiebereichen durch ein Rauchverbot kann daher allenfalls
eine unvollkommene Wirkung entfalten.
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Hat der Gesetzgeber somit auch die Interessen der Raucher und der Gastwirte an der
Aufrechterhaltung des bisherigen Zustands und der Sicherung der Erwerbsinteressen
berücksichtigt, kann die Frage, ob auch die Nichtraucher in den offenen
Gastronomiebetrieben in Einkaufszentren, also in weniger belasteten Bereichen, dem
Schutz des Gesetzes unterfallen sollen, nicht eindeutig beantwortet werden. Es spricht
einiges dafür, dass insoweit wegen der Anforderungen an die Bestimmtheit eines
grundrechtseinschränkenden Gesetzes eine ausdrückliche Regelung des Gesetzgebers
erforderlich ist. Eine solche Regelung ist beispielsweise wegen vergleichbarer
Auslegungsschwierigkeiten durch Art. 1 Ziff. 1 des Gesetzes zur Änderung des
Bremischen Nichtraucherschutzgesetzes vom 16.12.2008 getroffen worden, wonach
Einkaufszentren und Einkaufspassagen in die Aufzählung der durch ein Rauchverbot
erfassten Bereiche aufgenommen worden sind.
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Kann somit die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung nicht eindeutig festgestellt
werden, ist demgegenüber auch die Rechtswidrigkeit nicht offensichtlich. Insbesondere
greift für die Gaststätte des Antragstellers keine der gesetzlich geregelten Ausnahmen
vom Rauchverbot ein. Der Antragsteller kann sich auch nicht auf die Anwendung der
Empfehlung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW auf
der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30.07.2008 berufen,
durch die im Rahmen einer verfassungskonformen Ergänzung eine weitere Ausnahme
vom Rauchverbot in der Verwaltungspraxis anerkannt wird.
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Danach wird das Rauchen in Gaststätten vorübergehend geduldet, die eine Gastfläche
von weniger als 75 Quadratmetern aufweisen, keine zubereiteten Speisen anbieten,
nicht über einen abgetrennten Nebenraum verfügen, unter 18- jährigen Personen keinen
Zutritt gewähren und im Eingangsbereich als Rauchergaststätte, zu der Personen unter
18 Jahren keinen Zutritt haben, gekennzeichnet sind.
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Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil Kinder und
Jugendliche ungehinderten Zugang zur Gaststätte haben und der Zutritt wegen des
Fehlens eines entsprechend beschilderten „Eingangsbereichs" auch tatsächlich gar
nicht verhindert werden kann. Das Bundesverfassungsgericht ist bei seinem Urteil vom
30.07.2008 vom Bild der sog. „Einraumkneipe" ausgegangen, also von einem
umschlossenen Bereich, der nicht ohne weiteres zugänglich ist und aus dem Rauch
nicht nach außen dringt, sodass Nichtraucher, insbesondere Kinder und Jugendliche,
nicht beeinträchtigt werden. Dies kann bei einer offenen Gastfläche nicht gewährleistet
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werden.
Sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Ordnungsverfügung offen, kommt es auf
die Abwägung der widerstreitenden Interessen an. Im vorliegenden Fall überwiegen die
privaten Interessen des Antragstellers an der Aufrechterhaltung seines Betriebes in der
bisherigen Form und damit an einem Aufschub der Vollziehung des Rauchverbots bis
zur Entscheidung in der Hauptsache die öffentlichen Interessen an der sofortigen
Durchsetzung des Rauchverbots. Grundsätzlich ist zwar dem öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung eines Rauchverbots der Vorrang einzuräumen, da es sich bei
dem geschützten Rechtsgut der Gesundheit um ein besonders hohes Rechtsgut
handelt, das auch empfindliche Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigt,
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vgl. BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 - 1 BvR 3262/07 - u. a., NJW 2008, 2409, S. 2414,
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sodass entgegenstehende wirtschaftliche Interessen in der Regel zurücktreten müssen.
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber für den Schutz
vor den Gefahren des Passivrauchens kein striktes uneingeschränktes Rauchverbot
ausgesprochen, sondern eine Konzeption gewählt hat, bei der mit den geregelten
Ausnahmen den Belangen der Gaststättenbetreiber und der Raucher stärkeres Gewicht
beigelegt wird und mit Rücksicht hierauf das Ziel des Gesundheitsschutzes relativiert ist,
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vgl. BVerfG, Urteil vom 30.07.2008, a.a.O., S.2415.
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Die Konzeption des nordrhein-westfälischen Nichtraucherschutzgesetzes entspricht mit
den enthaltenen, bereits beschriebenen Ausnahmen von Rauchverboten im
Wesentlichen den der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zugrundeliegenden Nichtraucherschutzgesetzen von Baden-Württemberg und Berlin.
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Dies bedeutet für die hier im Streit befindliche Gaststätte auf der Lauffläche eines
Einkaufszentrums, dass einerseits die im konkreten Fall anzunehmenden
Gesundheitsgefahren bei einem Aufschub der Vollziehung nicht ohne weiteres den
Vorrang haben, sondern mit den wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Gastwirte
bei einer sofortigen Vollziehung des Rauchverbots abzuwägen sind. Wie bereits
ausgeführt, ist in der vorliegenden Situation generell anzunehmen, dass die Belastung
durch die Rauchsituation bei einer fehlenden Abgrenzung des Gastronomiebereichs
durch Wände geringer ist als in einem abgeschlossen Raum und sich bei bestimmten
baulichen Ausgestaltungen der Belastung auf Außenterrassen annähern kann. Im
vorliegenden Fall kann aufgrund der hohen Decke im Bereich der Rotunde
angenommen werden, dass der Rauch besser abzieht als in einem geschlossenen
Gastraum. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller hauptsächlich kaffeehaltige
Getränke zum Verzehr anbietet, wird die Verweildauer der Gäste eher kurz sein. Eine
Gesundheitsgefahr für Gäste, die Nichtraucher sind, besteht also nur in
eingeschränktem Umfang.
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Auf die Rauchbelästigung von Passanten kommt es nicht an, da der Gesetzgeber einen
Schutz von Nichtrauchern in Einkaufszentren nicht vorgesehen hat.
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Demgegenüber hat der Antragsteller durch die Bescheinigung seines Steuerberaters
über die Umsatzzahlen für die Monate Juli bis September für 2007 und 2008 glaubhaft
gemacht, dass er in den Zeiten, in denen er das Rauchen in der Gaststätte untersagt
hatte, erhebliche Umsatzeinbußen hinnehmen musste. Diese haben dazu geführt, dass
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der Betrieb nur mit Verlusten geführt werden konnte, sodass auf Dauer eine Gefährdung
der Existenz nicht ausgeschlossen werden kann. Ob der Antragsteller infolge eines
Rauchverbots vermehrt Nichtraucher als Gäste gewinnen könnte und auf diese Weise
seinen Umsatz rechtzeitig wieder ausgleichen könnte, ist derzeit nicht absehbar.
Bei der gebotenen Abwägung kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden, bis zur
Entscheidung in der Hauptsache eine Existenzgefährdung hinzunehmen, sodass die
wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers ausnahmsweise die für die Nichtraucher
bestehenden Vorteile aufgrund des Sofortvollzugs des Rauchverbots überwiegen.
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Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist auch der konkludent gestellte Antrag, die aufschiebende
Wirkung der Klage gegen die Androhung des Zwangsgeldes anzuordnen, begründet.
Aufgrund der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die
Anordnung, das Lokal rauchfrei zu führen und zu kennzeichnen, ist die Androhung des
Zwangsgeldes nunmehr offensichtlich rechtswidrig, da es an einer bestandskräftigen
oder sofort vollziehbaren Grundverfügung fehlt, § 55 Abs. 1 VwVG NW.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §
52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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