Urteil des VG Köln vom 30.06.2009

VG Köln: stadt, bebauungsplan, verzicht, beitragsforderung, gehweg, gemeinderat, ausschuss, hauptsache, erwerb, baute

Verwaltungsgericht Köln, 17 K 4885/08
Datum:
30.06.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 K 4885/08
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit
übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen wird der Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 26.
Juni 2008 in der Fassung der Änderung vom 29. Dezember 2008
aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
1
Die Klägerin ist Eigentümerin des im Gewerbegebiet Köln-I. gelegenen, gewerblich
genutzten Grundstücks Gemarkung S. , Flur 00, Flurstück 0000 (Lagebezeichnung L.-----
----weg 00). Die Parzelle grenzt im Kreuzungsbereich der F. -Straße und des L.---------
weges an beide Straßen an.
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Der im vorliegenden Verfahren interessierende Teil des L.---------weges erstreckt sich ab
der Kreuzung mit der F. -Straße auf einer Länge von etwa 280 m geradeaus in
südöstliche Richtung. Sodann knickt die Straße - die ab hier " X. " heißt - nahezu
rechtwinklig ab und verläuft auf einer Länge von etwa 205 m in südwestlicher Richtung
geradeaus weiter, bis sie in die X1.-----straße einmündet. Die gemeinsame
erschließungsbeitragsrechtliche Abrechnung beider Straßen ist zwischen den
Beteiligten streitig. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Lage des Klägergrundstücks
und zum Verlauf der Straße(n) wird auf den Lageplan im Abrechnungsvorgang des
Beklagten (Beiakte 4, Blatt 108) Bezug genommen.
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Die Stadt Köln baute den L.---------weg im vorerwähnten Abschnitt sowie die Straße X.
im Wesentlichen zwischen 1978 (Beginn der Herstellung des Straßenkanals im L.---------
weg ) und März 1998 (Herstellung der Fahrbahndecke und Entwässerungsrinne in der
Straße X. ) her. Die Straßen wurden im Jahr 1977 bzw. im Jahr 1993 für den öffentlichen
Verkehr gewidmet. Der Erwerb der für die Straßen benötigten Grundflächen wurde im
August 1991 abgeschlossen.
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Der L.---------weg sowie die Straße X. lagen ursprünglich im Planwirkbereich des seit
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dem 19. Dezember 1973 rechtsverbindlichen Bebauungsplanes Nr. 0000/00 (früher Nr.
0000). Weil beide Straßen nach Auffassung der Stadt Köln erheblich planabweichend
(teils planüberschreitend, teils planunterschreitend) ausgebaut worden waren, hob der
Rat der Stadt Köln den Bebauungsplan am 20. Juni 2002, rechtsverbindlich seit dem 22.
Juli 2002, auf. In einem Vermerk vom 23. Juli 2002 ist festgestellt, dass die Herstellung
der Erschließungsanlage den Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB entspreche.
Im Sommer 2005 gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass sachliche
Beitragspflichten für die Herstellung der Straßen noch nicht entstanden seien, weil
hierfür auf der westlichen Seite des Einmündungsbereichs der Straße X. / X1.-----straße
entweder noch ein geringfügiger Ausbau auf der Straßenparzelle oder aber eine
Herausparzellierung des nicht ausgebauten Straßenlandes erforderlich sei; insoweit
wird wegen der Einzelheiten auf die Pläne in dem Abrechnungsvorgang (Beiakte 4,
Blatt 125, 130) verwiesen. Daraufhin baute die Stadt Köln den besagten Bereich im
November 2005 teils bituminös aus, im Übrigen wurde er als Grünfläche belassen.
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Mit Beitragsbescheid vom 26. Juni 2008 zog der Beklagte die Klägerin zu einem
Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.938,60 EUR für den Ausbau der
Erschließungsanlage L.---------weg / X. heran.
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Die Klägerin hat am 21. Juli 2008 Klage erhoben, zu deren Begründung im
Wesentlichen vorgetragen wird: Die Beitragsforderung sei verjährt. Endgültige
Beitragspflichten seien bereits im März 1998 entstanden. Auf den Ausbau eines kleinen
Teils des Gehweges im Bereich der Einmündung der Straße X. in die X1.-----straße
komme es nicht an. Der ursprüngliche, ab 1981 vorhandene Gehweg sei zwar
planunterschreitend ausgebaut worden, der Ausbau sei aber als dem Bauprogramm
entsprechend anzusehen. Die im November 2005 vorgenommene Befestigung gehöre
nicht zur programmgemäßen Fertigstellung des Gehweges. Hinsichtlich der im Jahr
2004 in dem besagten Bereich als Brachfläche aufgefallenen Stelle hinter dem Gehweg
sei davon auszugehen, dass diese ursprünglich als Straßenbegleitgrün ausgebaut und
entsprechend begrünt gewesen sei; sie sei erst im Laufe der Zeit zu einer Brachfläche
geworden. Der planabweichende Ausbau sei mit den Grundzügen der Planung
vereinbar gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass die geringfügige Planüberschreitung
Mehrkosten verursacht habe. Selbst wenn vor Aufhebung des Plans im Jahr 2002 keine
rechtmäßige Herstellung vorgelegen habe, so sei dies spätestens mit der planerischen
Abwägung vom 23. Juli 2002 der Fall gewesen. Damit seien dann auch sachliche
Beitragspflichten entstanden, die im Jahr 2008 längst verjährt gewesen seien. Gehe
man mit der neueren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen davon aus, dass der Gemeinderat für die planerische Abwägung
hinsichtlich der rechtmäßigen Herstellung der Erschließungsanlage zuständig sei, seien
sachliche Beitragspflichten noch gar nicht entstanden. § 125 Abs. 2 BauGB sei dann
nicht erfüllt. Die erforderliche Abwägung habe nicht bereits im Rahmen der Aufhebung
des Bebauungsplanes stattgefunden. Der Erschließungsaufwand sei im Hinblick auf die
Höhe der Grunderwerbskosten unzutreffend ermittelt worden. Vorsorglich werde auch
die Höhe der Fremdkapitalkosten beanstandet. Ohne sachlich zu vertretenden Grund
sei die Behörde jahrelang untätig geblieben. Ein Zinslauf bis November 2005 sei
keinesfalls gerechtfertigt.
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Eine Überprüfung der Berechnung der Grunderwerbskosten durch den Beklagten hat
ergeben, dass der beitragsfähige Erschließungsaufwand zu kürzen ist und sich deshalb
der auf das Grundstück der Klägerin entfallende Erschließungsbeitrag um 70,24 EUR
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auf 5.868,36 EUR (./. 1,18 %) vermindert. Der Beklagte hat den Erschließungsbeitrag
daraufhin entsprechend neu festgesetzt. In der mündlichen Verhandlung haben die
Beteiligten das Verfahren insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Die Klägerin beantragt,
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den Heranziehungsbescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Fassung der
Änderung vom 29. Dezember 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er trägt im Wesentlichen vor: Die Beitragsforderung sei nicht verjährt. Die abgerechnete
Anlage sei vor der Befestigung der letzten Gehwegteilfläche im November 2005 im
Bereich der Einmündung der Straße X. / X1.-----straße noch nicht endgültig hergestellt
gewesen. Dort habe sich eine insgesamt über 80 qm große, unbefestigte und
unbepflanzte Fläche befunden, von der ein Teil der streitigen Erschließungsanlage
zuzuordnen gewesen sei. Anhaltspunkte für die Vermutung der Klägerin, die Fläche sei
bereits zu einem früheren Zeitpunkt als Straßenbegleitgrün endgültig hergestellt
gewesen, bestünden nicht. Bei einem endgültigen Verzicht auf den Ausbau habe die
unbefestigte Fläche als privates städtisches Grundeigentum eingestuft werden müssen.
Der vollständige Erwerb des Eigentums an dem Straßenland sei Herstellungsmerkmal
und erst abgeschlossen, wenn eine Ausparzellierung erfolgt sei. Das Bauprogramm
könne solange geändert werden, wie sachliche Beitragspflichten noch nicht entstanden
seien, da erst zu diesem Zeitpunkt die flächenmäßige Ausdehnung der Anlage
feststehe. Die Erschließungsanlage sei auch unter Berücksichtigung der neueren
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
rechtmäßig hergestellt worden. Die maßgebliche Abwägung habe bereits im Rahmen
der Aufhebung des Bebauungsplanes durch das zuständige Organ stattgefunden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend teilweise in der Hauptsache für
erledigt erklärt haben, war das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO
einzustellen.
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Im Übrigen ist die Klage begründet.
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Der Beitragsbescheid des Beklagten vom 26. Juni 2008 in der Fassung der Änderung
vom 29. Dezember 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Voraussetzungen für eine Heranziehung der Klägerin zu einem
Erschließungsbeitrag für die Erschließungsanlage "L.---------weg / X. " im Abschnitt von
der F. -Straße bis zur X1.-----straße gemäß §§ 127 ff. BauGB i.V.m. den Vorschriften der
Satzung der Stadt Köln über die Erhebung eines Erschließungsbeitrages -
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Erschließungsbeitragssatzung - vom 29. Juni 2001 (EBS 2001) liegen (noch) nicht vor.
Die Erschließungsanlage "L.---------weg / X. " - bei der es sich zweifelsfrei um eine
einheitliche Erschließungsanlage handelt - ist bisher nicht in rechtmäßiger Weise
hergestellt worden, so dass sachliche Beitragspflichten nicht entstanden sind.
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Nach § 133 Abs. 2 BauGB entstehen die sachlichen Beitragspflichten grundsätzlich "mit
der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen". Das Entstehen sachlicher Voll-
oder Teilbeitragspflichten ist dabei unter anderem von einer nach Maßgabe des § 125
BauGB rechtmäßigen und grundsätzlich auch von einer bauprogrammgemäßen
Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage abhängig.
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Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. Januar 1991 - 8 C 14.89 -, BVerwGE 87, 288, 291, 298 f.,
und vom 10. Oktober 1995 - 8 C 13.94 -, BVerwGE 99, 308, 313 f.; OVG NRW, Urteil
vom 29. September 1998 - 3 A 1193/94 -, NWVBl. 1999, 395 f.
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Ob die streitgegenständliche Erschließungsanlage rechtmäßig hergestellt worden ist,
beurteilt sich ungeachtet dessen, dass die Ausbauarbeiten im Wesentlichen in den
1970er und 1980er Jahren durchgeführt wurden, nach § 125 Abs. 2 BauGB in der seit
dem 01. Januar 1998 geltenden Fassung.
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Der Bebauungsplan Nr. 6837/02 aus dem Jahre 1973 konnte bis zu seiner Aufhebung
im Juli 2002 keine planungsrechtliche Grundlage für die Herstellung der
Erschließungsanlage i.S.d. § 125 Abs. 1 BauGB bieten (vgl. zu allem Nachfolgenden
die Einzeichnungen der Straßenbegrenzungslinien im Lageplan in der Beiakte 2, Blatt
2). Insbesondere im Bereich der Einmündung der Stichstraße " X. " ist die Anlage
planabweichend i.S.v. § 125 Abs. 3 BauGB ausgebaut worden. Dort sah der
Bebauungsplan eine durchgehende Straßenbegrenzungslinie, mithin keine
Abzweigungen weiterer Straßen in das Baugebiet hinein, vor. Tatsächlich zweigt aber
etwa auf halber Höhe der Straße " X. " in südwestliche Richtung eine etwa 240 m lange
Stichstraße gleichen Namens ab, von der ihrerseits eine weitere Stichstraße nach
Nordosten hin abgeht; über diese Straßen erfolgt eine zusätzliche innere Erschließung
des Gewerbegebiets zu zahlreichen gewerblich genutzten Grundstücken. Darüber
hinaus ist die Erschließungsanlage im Bereich des Übergangs des L.---------weges in
die Straße X. - dort, wo das Flurstück 000 an die Straße angrenzt - planüberschreitend,
also jenseits der von dem Plan vorgegebenen Straßenbegrenzungslinie ausgebaut
worden. Es kann offen bleiben, ob der teils über die Straßenbegrenzungslinien
hinausgehende und teils dahinter zurückbleibende Ausbau der Erschließungsanlage
mit den "Grundzügen der Planung" i.S.v. § 125 Abs. 3 BauGB vereinbar war.
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Vgl. zum planabweichenden Ausbau im Einzelnen BVerwG, Urteile vom 09. März 1990
- 8 C 76.88 -, BVerwGE 85, 66, 71 ff., und vom 15. Februar 1991 - 8 C 46.89 -, NVwZ
1991, 1092, 1093.
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Denn jedenfalls wären die Beitragspflichtigen durch die Mehrkosten für den
planüberschreitenden Ausbau entgegen § 125 Abs. 3 Nr. 2 BauGB mehr als bei einer
plangemäßen Herstellung belastet worden; weil der Beklagte den beitragsfähigen
Erschließungsaufwand nach Einheitssätzen (je qm ausgebauter Fläche der
Erschließungsanlage) ermittelt, führt ein planüberschreitender Ausbau gleichsam
automatisch zu einem höheren Erschließungsaufwand als ein plangemäßer Ausbau.
Bis zu der Aufhebung des Bebauungsplanes hätte es deshalb für die Entstehung
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sachlicher Beitragspflichten einer Erklärung des Beklagten über den Verzicht auf die
diesbezüglichen (Mehr-)Kosten bedurft,
vgl. BVerwG, Urteil vom 09. März 1990 - 8 C 76.88 -, BVerwGE 85, 66, 74,
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an der es aber gefehlt hat.
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Auch die Voraussetzungen für die rechtmäßige Herstellung der Erschließungsanlage
i.S.v. § 125 Abs. 2 BauGB in der seit dem 01. Januar 1998 geltenden Fassung sind
derzeit (noch) nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift dürfen Erschließungsanlagen bei
Fehlen eines Bebauungsplanes nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7
BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen. Die Gemeinde muss in Ausübung
ihrer Gestaltungsfreiheit vor allem das in § 1 Abs. 6 BauGB normierte Gebot beachten,
alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und
untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen
als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und
dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch
auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang
"herauskommt".
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 - 9 C 2.03 -, Buchholz 406.11 § 125
BauGB Nr. 38, S. 4, 7 f.
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Nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer,
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vgl. etwa Urteile vom 25. Oktober 2005 - 17 K 576/03 -, 21. Februar 2006 - 17 K 1910/04
-, 14. November 2006 - 17 K 1869/05 - und vom 12. Dezember 2006 - 17 K 4238/05 -,
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war es erforderlich, aber auch ausreichend, dass "die Gemeinde" die gebotene
planerische Abwägung vorgenommen hatte; das konnte durch den Rat, einen
Ausschuss des Rates, aber auch durch die Verwaltung selbst geschehen. Diese
Rechtsauffassung entsprach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
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BVerwG, Urteil vom 26. November 2003, a.a.O.,
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Sie ist überdies in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen wiederholt bestätigt worden.
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Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 05. Juni 2008 - 15 A 1921/06 -, vom 25. September
2008 - 15 A 3231/07 - und vom 06. November 2008 - 15 A 113 und 116/07 -.
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In Modifizierung dieser bislang einhelligen Rechtsprechung geht das
Oberverwaltungsgericht nunmehr davon aus, dass für die Abwägung i.S.v. § 125 Abs. 2
BauGB in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich der Gemeinderat zuständig (§ 41 Abs. 1
Satz 1 BauGB) sei. § 125 Abs. 2 BauGB weise die Abwägung der Gemeinde zu und
gehe (als selbstverständlich) davon aus, dass insoweit das zuständige Organ der
Gemeinde tätig werde. Die Abwägung falle danach weder unter dem Gesichtspunkt
eines Geschäfts der laufenden Verwaltung (§ 41 Abs. 3 GO NRW) in die Zuständigkeit
des Bürgermeisters noch in kreisfreien Städten als bezirkliche Angelegenheit (§ 37 Abs.
1 Satz 1 GO NRW) in die Zuständigkeit der Bezirksvertretungen. Allerdings seien
insoweit grundsätzlich auch Ratsentscheidungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1998
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zu berücksichtigen. Es könne z.B. auch ein vor dem 1. Januar 1998 beschlossener, aber
(lediglich) formunwirksamer Bebauungsplan die nach § 125 Abs. 2 BauGB erforderliche
Abwägung enthalten. Voraussetzung sei allerdings, dass der Rat seine früheren
Abwägungsentscheidungen nicht vor dem für das Entstehen der Beitragspflichten
angenommenen Zeitpunkt wieder aufgehoben habe. Ansonsten fehle es nämlich an
einer für das Entstehen der Beitragspflichten erforderlichen Voraussetzung. Der Rat
habe allerdings nach § 41 Abs. 2 GO NRW die Möglichkeit, Aufgaben auf einen
Ausschuss oder den Bürgermeister zu übertragen, wobei diese Aufgabenübertragung
aber hinreichend bestimmt sein müsse.
Vgl. zu allem OVG NRW, Urteil vom 08. Mai 2009 - 15 A 770/07 -, Juris Tz. 17-36.
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Ob mit diesen Erwägungen Zweck und Reichweite der zum 1. Januar 1998 in Kraft
getretenen Änderung des § 125 Abs. 2 BauGB angemessen erfasst sind, mag offen
bleiben. Im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung schließt sich die Kammer dem
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen an.
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Davon ausgehend liegt es auf der Hand, dass der Aktenvermerk des
Bauverwaltungsamtes des Beklagten vom 23. Juli 2002 zur planerischen Absicherung
der Herstellung der Erschließungsanlage nicht ausreicht. Es ist auch weder ersichtlich
noch vorgetragen, dass eine Aufgabenübertragung auf den Beklagten im oben
angesprochenen Sinne erfolgt wäre. Darüber hinaus geht der Beklagte zu Unrecht
davon aus, dass die maßgebliche Abwägung bereits im Rahmen der Aufhebung des
Bebauungsplanes durch das zuständige Organ, den Rat der Stadt Köln, stattgefunden
habe. Denn wenn die Gemeinde die Abwägung im Sinne eines Planungsaktes,
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dahin ist wohl OVG NRW, wie vor, Tz. 24-28, zu verstehen,
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und nicht lediglich eine Rechtsprüfung vorzunehmen hat,
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so noch OVG NRW, Urteile vom 29. November 2002 - 3 A 3710/99 -, S. 13/14 = Juris Tz.
42, und - 3 A 3531/99 -, S. 9/10 (insoweit nicht in Juris),
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dann setzt § 125 Abs. 2 BauGB n. F. nach jetziger Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts voraus, dass sich die Gemeinde ausdrücklich zu der Funktion
und zu der Leistungsfähigkeit der Erschließungsanlage innerhalb des maßgeblichen
Baugebiets in der ausgebauten Form verhält. Es reicht hingegen nicht aus, wenn in der
"Abwägungsentscheidung" der Gemeinde (wie hier in dem Erläuterungsbericht und der
Begründung des Beschlusses zur Aufhebung des Bebauungsplanes) lediglich
ausgeführt wird, warum gerade keine Planung mehr erforderlich ist. Anders gewendet
muss es sich um eine bewusste und gewollte Planung handeln, und nicht um das
Gegenteil davon. Das Ergebnis der Planung muss eine positive Entscheidung für einen
bestimmten Ausbau und nicht lediglich die Abkehr von einem nicht mehr gewollten
Ausbau sein. Die Begründung zur Aufhebung des Planes verhält sich aber mit keinem
Wort zu der Funktion der streitigen Erschließungsanlage innerhalb des Baugebiets.
Vielmehr wird dort lediglich ausgeführt, dass die bauliche Entwicklung der Baugebiete
abgeschlossen und die weitere geordnete städtebauliche Entwicklung für den restlichen
Bereich durch die Anwendung von §§ 34, 35 BauGB gewährleistet sei; ferner, dass die
Erschließungsanlage planabweichend ausgebaut worden und nicht damit zu rechnen
sei, dass diese Planabweichungen wieder beseitigt würden; der Plan sei überholt und
funktionslos. Das alles erfasst die planerischen Aspekte für die Herstellung der
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Erschließungsanlage nicht ausreichend. Die im Rahmen der Aufhebung des
Bebauungsplanes angestellte Abwägung hat erkennbar einen anderen Fokus gehabt.
Der Beklagte hat dies letztlich auch selbst so gesehen. Das kommt darin zum Ausdruck,
dass er den Vermerk vom 23. Juli 2002 zum Zwecke der Dokumentation seiner
"Abwägung" niedergelegt und diesen mithin - zumindest als Ergänzung der
Entscheidung zur Aufhebung des Bebauungsplanes - selbst für erforderlich gehalten
hat.
Da somit sachliche Beitragspflichten noch nicht entstanden sind, steht fest, dass
Verjährung nicht eingetreten sein kann. Auch auf die übrigen Argumente der Klägerseite
- etwa hinsichtlich der Aufwandsermittlung - kommt es nicht an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 sowie auf § 161 Abs. 2 VwGO.
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