Urteil des VG Köln vom 12.01.2004
VG Köln: strafbefehl, komplikationen, vergleich, operation, schmerzensgeld, minderung, geldstrafe, zukunft, bevölkerung, persönlichkeit
Verwaltungsgericht Köln, 37 K 5252/02.T
Datum:
12.01.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
37. Berufsgerichtskammer für Heilberufe
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
37 K 5252/02.T
Tenor:
Gegen die Beschuldigten zu 1) und 2) wird wegen Verletzung ihrer
Berufspflichten auf eine Geldbuße in Höhe von je 2500,00 Euro erkannt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beschuldigten.
Die Verfahrensgebühr wird auf 200,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
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I. Die am 00.00.0000 geborene Beschuldigte zu 1) ist als Ärztin für Anästhesiologie, der
am 00.00.0000 geborene Beschuldigte zu 2) ist als Arzt für Frauenheilkunde und
Geburtshilfe niedergelassen.
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Das Amtsgericht Langenfeld verurteilte die Beschuldigten durch rechtskräftigen
Strafbefehl vom 17. August 2001 (Geschäfts-Nr.: 40 Cs - 810 Js 29/96) wegen
fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 100,00 DM
bzw. 75 Tagessätzen zu je 1.000,00 DM. Dem Strafbefehl lag nach der Anklageschrift
der Staatsanwaltschaft Düsseldorf folgender Sachverhalt zugrunde:
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"Sie, die Beschuldigte zu 1), verwechselten bei der Patientin V. T. , bei der Sie, der
Beschuldigte zu 2), in der in der C. straße 00 gemeinsam betriebenen Frauenklinik eine
Tubenligatur (Unterbindung der Eierstöcke) sowie ein Abrasio (Ausschabung) unter
Intubationsnarkose vornehmen wollten, die Muskelrelaxantien Succinyl und Alloferin
(Mittel zur Entspannung der Muskulatur), bewirkten so eine längere Anschlagzeit und
konnten deshalb den Beatmungsschlauch erst nach zwei Fehlversuchen positionieren,
so dass es zu einer Sauerstoffunterversorgung kam, die auch dadurch gefördert wurde,
dass Sie die Beschuldigte zu 1), entgegen anästhesiologischen Grundregeln auf eine
Sauerstoffvoratmung sowie auf eine Sicherung der Beatmungsmöglichkeit durch eine
Maske verzichtet hatten.
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Nach Beendigung der Operation überantworteten Sie, die Beschuldigte zu 1), die
Patientin noch anrelaxiert und mit nicht objektivierter Spontanatmung einer gänzlich
unerfahrenen und unzureichend ausgebildeten Sprechstundenhilfe im Aufwachraum,
wo zunächst unbemerkt Atemdepression, Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung) und
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Atemstillstand eintraten, die zu einem dauernden Siechtum der Patientin geführt haben.
Wenn Sie, die Beschuldigten zu 1) und 2), den Aufwachraum entsprechend dem
seinerzeitigen Standard mit Überwachungsgeräten ausgestattet und/oder mit einer
geschulten Kraft besetzt hätten und wenn Sie beide die gemeinsam durchgeführte
Wiederbelebung sachgerecht mit Zuführung von Medikamenten vorgenommen hätten
nebst umgehender Verlegung der Patientin in das nächste Krankenhaus, wären
Herzstillstand und das apallische Syndrom (Hirnschaden) mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit vermieden worden."
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Als wesentliches Beweismittel lag dem Strafverfahren ein durch die Staatsanwaltschaft
eingeholtes Sachverständigengutachten vom 25. August 1997 sowie ein
Ergänzungsgutachten vom 15. Dezember 2000 der Prof. Dr. I. und Prof. Dr. Dr. O.
zugrunde.
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Auf Antrag der Antragstellerin vom 14. Juni 2002 hat das Berufsgericht mit Beschluss
vom 26. September 2003 das berufsgerichtliche Verfahren eröffnet.
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Die Beschuldigte zu 1) hat sich - anwaltlich vertreten - im Wesentlichen dahingehend
eingelassen, zu einem vergleichbaren Zwischenfall sei es in ihrer ganzen beruflichen
Praxis ansonsten nicht gekommen. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf könne ihr dahingehend
gemacht werden, dass sie erst zwei Stunden nach Auftreten der Komplikationen die
Notaufnahme der Patientin veranlasst habe; sie bedauere diese Fehleinschätzung. Im
Übrigen könne ein Fahrlässigkeitsvorwurf jedoch nicht erhoben werden; die
Feststellungen des durch die Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachtens träfen nicht zu.
Den Strafbefehl habe sie rechtskräftig werden lassen, weil sie im Anschluss an das
lange Jahre andauernde, hoch belastende Ermittlungsverfahren die Durchführung einer
- öfffentlichkeitswirksamen - Hauptverhandlung nicht durchgestanden hätte. Jedenfalls
liege nach der erfolgten Bestrafung kein „berufsrechtlicher Überhang" mehr vor.
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Der Beschuldigte zu 2) hat sich durch seinen Beistand den Ausführungen der
Beschuldigten zu 1) angeschlossen.
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In einem Zivilverfahren beim Landgericht Düsseldorf (3 O 384/98) haben sich die
Beschuldigten durch gerichtlichen Vergleich vom 08. Mai 2003 als Gesamtschuldner
verpflichtet, an die Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 155.000,00 Euro zu
zahlen, „ihr sämtliche aufgrund des misslungenen Eingriffs in der Vergangenheit
entstandenen und in der Zukunft noch entstehenden materiellen Schäden zu erstatten"
sowie den beiden Kindern der Patientin Schadensersatzbeträge in Höhe von je
50.000,00 Euro zu zahlen.
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II.
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Über den Antrag kann im Einvernehmen mit der Antragstellerin sowie den
Beschuldigten und ihren Beiständen im Beschlussverfahren nach § 83 HeilBerG 2000
(= § 81 HeilBerG 1994) entschieden werden, weil der Sachverhalt in für die vorliegende
Entscheidung ausreichender Weise geklärt ist und der Verstoß keine den Rahmen des
§ 83 HeilBerG überschreitende Maßnahme rechtfertigt.
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Nach dem festgestellten Sachverhalt, wie er sich aus den Verwaltungsvorgängen der
Antragstellerin, den Strafakten, den Akten des zivilrechtlichen Verfahrens und den
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Einlassungen der beiden Beschuldigten ergibt, haben die Beschuldigten durch ihr
Verhalten gegen § 29 Abs. 1 HeilBerG und § 1 Abs. 3 der Berufsordnung für die
nordrheinischen Ärzte/Ärztinnen vom 23. Oktober 1993 (Rheinisches Ärzteblatt S.
1016), gegen deren Wirksamkeit Bedenken nicht bestehen, verstoßen.
Nach § 29 HeilBerG sind die Kammerangehörigen verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft
auszuüben. Dazu gehört auch die Beachtung der gemäß §§ 30, 31 HeilBerG in der
Berufsordnung festgesetzten Berufspflichten. Nach § 1 Abs. 3 Berufsordnung ist der Arzt
verpflichtet, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit
dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen.
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Gegen diese Verpflichtung haben die Beschuldigten fahrlässig dadurch verstoßen, dass
sie vor, bei und nach der Narkose anlässlich der Operation der Patientin T. nicht die
äußerste ärztliche Sorgfaltspflicht haben walten lassen. Zwar werden die
diesbezüglichen Feststellungen des Sachverständigengutachtens - abgesehen von
dem Eingeständnis der Beschuldigten zu 1), sie habe nach Auftreten der
Komplikationen zu spät die Notaufnahme veranlasst - von den Beschuldigten in Zweifel
gezogen. Für das vorliegende Verfahren ist jedoch eine weitere Aufklärung des
Sachverhalts im Hinblick auf das Einverständnis der Antragstellerin und der
Beschuldigten sowie ihrer Beistände mit der Entscheidung im Beschlusswege nicht
mehr erforderlich.
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III.
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Es liegt auch ein "berufsrechtlicher Überhang" vor. Das durch Strafbefehl geahndete
Verhalten deckt sich nicht mit den spezifisch berufsrechtlichen Maßnahmen, die ein
ärztliches Fehlverhalten im Hinblick auf die mögliche Minderung des Ansehens der
Ärzteschaft, auf das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Ärzte und Ärztinnen und damit
in die Funktionsfähigkeit des Berufsstandes überhaupt im Auge haben. Unter
Berücksichtigung dieser Umstände bedarf das Verhalten der Beschuldigten auch einer
berufsrechtlichen Sanktionierung, um eine Missbilligung des Verhaltens der
Beschuldigten zum Ausdruck zu bringen und mit dieser Reaktion einer Minderung der
Funktionsfähigkeit und des Ansehens der Ärzteschaft entgegenzuwirken, die mit dem
Strafbefehl nicht erfasst ist.
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IV.
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Für die nach § 60 Abs. 1 i.V.m. § 83 Abs. 1 HeilBerG 2000 zu treffenden Maßnahmen
hat die Kammer bei beiden Beschuldigten berücksichtigt, dass sie mit langer
Berufserfahrung bislang berufsrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sind und
dass der beanstandete Vorfall bereits längere Zeit zurück liegt. Ferner sind die
Beschuldigten bereits im Wege des Strafbefehls mit einer Geldstrafe belegt worden und
haben sich im zivilrechtlichen Verfahren durch gerichtlichen Vergleich zur Zahlung
erheblicher Summen an Schmerzensgeld und Schadensersatz verpflichtet. Unter
Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere im Hinblick auf das Gewicht der
Verfehlung der Beschuldigten, ihrer Persönlichkeit und das Ausmaß ihrer Schuld, aber
auch die Notwendigkeit, das Ansehen der Angehörigen der Heilberufe zu wahren und
das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität und Zuverlässigkeit der Ärzteschaft zu
sichern, um so die Funktionsfähigkeit des ärztlichen Berufsstandes zu gewährleisten,
sieht die Kammer sowohl bei der Beschuldigten zu 1) als auch bei dem Beschuldigten
zu 2) eine Geldbuße von 2.500,00 Euro als erforderlich, aber auch als ausreichend an,
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um den Beschuldigten die Beachtung der ärztlichen Sorgfaltspflichten zu verdeutlichen.
Die Entscheidung über die Kosten und die Verfahrensgebühr folgt aus § 107 HeilBerG.
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