Urteil des VG Köln vom 31.05.2007
VG Köln: arzneimittel, aufschiebende wirkung, angemessene frist, verkehr, dokumentation, zusammensetzung, anzeige, zahl, zustellung, gewinnung
Verwaltungsgericht Köln, 13 K 40/05
Datum:
31.05.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 40/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Klägerin. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn
nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Beteiligten streiten um die Nachzulassung des in der Darreichungsform
Injektionslösung vertriebenen Fertigarzneimittels „U. „.
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Im Juni 1978 zeigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin gegenüber dem
Bundesgesundheitsamt das unter der Bezeichnung „U1. -Ampullen" im Verkehr
befindliche Arzneimittel mit den Anwendungsgebieten „Erkrankungen, die mit einem
Immundefekt verbunden sind, z.B. rheumatische Erkrankungen, bösartige Tumore,
allergische Erkrankungen, endokrine Regulationsstörungen, z.B. Funktionsstörungen
der Schilddrüse, Blutdruckanomalien, Entwicklungsstörungen des Kindes, z.B.
Mongolismus, Geriatrikum, z.B. Abnutzungserscheinungen" an. Als wirksamer
Bestandteil war Thymusextrakt angegeben.
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Am 18. Dezember 1989 stellte die Klägerin unter gleichzeitiger Anzeige des Wechsels
des Inhabers der Zulassung und der Änderung der Bezeichnung des Arzneimittels von
U1. -Ampullen in "U. " den sog. Kurzantrag auf Verlängerung der Zulassung. Die
angegebenen Anwendungsgebiete des als Immuntherapeutikum bezeichneten
Arzneimittels waren gegenüber der Anzeige unverändert; als Wirkstoff der
Injektionslösung war Thymusextrakt vom Kalb und als Hilfsstoff Wasser, jeweils in
unterschiedlicher Menge für die Ampullen zu 1 ml, 2 ml und 10 ml angegeben. Als
Anwendungsarten wurden: Injektion intracutan, subcutan, intrapleural, intramuskulär,
intravenös; und Zusatz zu Infusionen angeführt.
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Im sog. Langantrag vom 26. Oktober 1993 waren die Anwendungsgebiete wie folgt
bezeichnet: Erkrankungen, die mit einem Immundefekt verbunden sind, z.B. Tumoren,
rheumatische Erkrankungen, allergische Erkrankungen, endokrine
Regulationsstörungen, Geriartikum
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Der gegenüber der Anzeige und dem Kurzantrag reduzierte Anwendungsbereich wurde
auf Veranlassung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) von
der Klägerin nachträglich angezeigt.
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Der vom BfArM als Sachverständiger eingeschaltete externe Gutachter Prof. Dr. Unger
kam in seinem Gutachten „Zur klinischen Wirksamkeit und Verträglichkeit von "U. „ vom
17. September 1997 zu der zusammenfassenden Bewertung, dass die Ergebnisse der
einzigen zu "U. " vorliegenden Anwendungsbeobachtung wegen der Inhomogenität der
Patientengruppe und Behandlungsschemata keine Aussage zur Wirksamkeit und
Verträglichkeit des Arzneimittels zuließen.
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Mit am 8. Oktober 1998 zugestelltem Mängelschreiben vom 6. Oktober 1998 übersandte
das BfArM der Klägerin eine das Ergebnis dieses Gutachtens bestätigende
Medizinische Stellungnahme und gab ihr Gelegenheit, den darin genannten Mängeln
innerhalb von 18 Monaten abzuhelfen.
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Nachdem die Klägerin den Antrag auf Verlängerung der Zulassung daraufhin im
Dezember 1998 zunächst zurückgenommen hatte, beantragte sie am 29. Januar 2001 in
der „Erklärung zum Einreichen der Unterlagen gemäß 10. Änderungsgesetz zum AMG"
das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Verlängerung der Zulassung und legte zu dem
in der Erklärung als „Bezug nehmender Antrag" bezeichneten Antrag Gutachten zur
Pharmakologie/Toxikologie und zur Klinik jeweils vom 26. Januar 2001 vor.
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Die Medizinische Stellungnahme des BfArM vom 9. Oktober 2001 kam zu dem
zusammenfassenden Ergebnis, dass die angegebene therapeutische Wirksamkeit des
Arzneimittels nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
unzureichend begründet sei, dass dem Arzneimittel für die beanspruchten
Anwendungsgebiete die therapeutische Wirksamkeit fehle und dass der begründete
Verdacht bestehe, dass das Arzneimittel auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch
schädliche Wirkungen habe. Zur Begründung wurde im wesentlichen angeführt, dass
zum Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit von "U. " für die beanspruchten
Anwendungsgebiete keine klinisch kontrollierten Untersuchungen vorlägen. Bei
biologischen Arzneimitteln, die aus verschiedenen Ausgangsmaterialien mit
unterschiedlichen Methoden hergestellt werden könnten und deren Inhaltsstoffe nicht
standardisiert und nur teilweise charakterisiert seien, müsse der Wirksamkeitsnachweis
für die jeweiligen einzelnen Zubereitungen separat geführt werden, da sie biochemisch
und somit auch bezüglich der Wirkung als grundsätzlich unterschiedlich zu bezeichnen
seien. Eine Extrapolation (unterschiedliche Zubereitung, unterschiedliche Applikation)
bezüglich der Wirksamkeit sei nicht möglich. Von den mit der Dokumentation
eingereichten Publikationen bezögen sich nur fünf auf "U. "; bei diesen handele es sich -
abgesehen von einer In-vitro-Untersuchung - sämtlich um Anwendungsbeobachtungen,
die grundsätzlich nicht dazu geeignet seien, die Wirksamkeit eines Arzneimittels zu
belegen. Zudem beruhten diese Anwendungsbeobachtungen auf zu geringen
Patientenzahlen und einer ungenügenden Anwendungsdauer.
10
Mit erneutem Mängelschreiben vom 11. Dezember 2001, das der Klägerin am 14.
Dezember 2001 zugestellt wurde, übersandte das BfArM diese Medizinische
Stellungnahme und gab ihr Gelegenheit, den genannten Mängeln innerhalb von einem
Monat abzuhelfen. Einen Antrag der Klägerin auf Verlängerung der für die
Mängelbeseitigung gesetzten Frist von einem Monat auf zwölf Monate lehnte das BfArM
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mit Bescheid vom 17. Januar 2002 im wesentlich mit der Begründung ab, dass das
Arzneimittel sich in einem extrem mangelhaften Zustand befinde und man nicht die
fachliche Überzeugung habe gewinnen können, dass die Mängel innerhalb der
gesetzten Monatsfrist durch die Vorlage inhaltlich ausreichenden wissenschaftlichen
Erkenntnismaterials beseitigt werden könnten.
Nachdem die Klägerin in der Folgezeit zunächst keine weiteren Unterlagen vorgelegt
und eine weitere Medizinische Stellungnahme des BfArM vom 22. Mai 2005 das
Ergebnis der vorangegangenen Stellungnahme vom 9. Oktober 2001 im wesentlichen
bestätigt hatte, wies das BfArM den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Zulassung
mit Bescheid vom 12. Februar 2003 zurück und ordnete für den Fall der Klage zugleich
die sofortige Vollziehung der Versagung an.
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Auf Antrag der Klägerin vom 17./18. März 2003 stellte das Verwaltungsgericht Köln mit
Beschluss vom 22. Mai 2003 (24 L 604/03) die aufschiebende Wirkung der von der
Klägerin am 12. März 2003 gegen diesen Bescheid erhobenen Klage (24 K 1531/03) im
wesentlichen mit der Begründung an, dass die zur Mängelbeseitigung gesetzte Frist
unangemessen kurz sei.
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Mit Bescheid vom 9. Juli 2003 hob das BfArM daraufhin seinen Versagungsbescheid
vom 12. Februar 2003 auf und wies zugleich darauf hin, dass die mit „Mängelschreiben
vom 12. 02. 2003" gesetzte Mängelbeseitigungsfrist (gemeint ist das Mängelschreiben
vom 11. Dezember 2001) auf zwölf Monate festgesetzt werde und mit der Zustellung
dieses Bescheides beginne.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2004 nahm die Klägerin zu den angeführten Mängeln Stellung
und wies u.a. darauf hin, dass die verlangten klinischen Untersuchungen angesichts der
zahlreichen bibliographischen Angaben nicht erforderlich seien, da das Arzneimittel seit
1978 im Verkehr sei. Da die verschiedenen Thymusextrakte miteinander vergleichbar
seien, sei auch die Literatur zu anderen Thymusextrakten wie etwa zu Thym Uvocal zu
berücksichtigen. Das gelte wegen der Gemeinsamkeiten bei der Herstellung jedenfalls
für Injektionspräparate. Entgegen der Auffassung des BfArM seien alle in der
wissenschaftlichen Dokumentation vorgelegten wissenschaftlichen Arbeiten zu
berücksichtigen. Dadurch sei die Wirksamkeit in allen beanspruchten
Anwendungsgebieten ausreichend belegt. Die Anwendungsbeobachtungen mit "U. "
stellten nur Ergänzungen dazu dar, wenn auch in einige Anwendungsbeobachtungen
vergleichsweise wenige Patienten eingegangen seien.
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In einer weiteren Medizinischen Stellungnahme vom 27. September 2004 kam das
BfArM zu dem Ergebnis, dass trotz einer entsprechenden Aufforderung im
Mängelschreiben keine neuen Unterlagen über klinische Untersuchungen vorgelegt
worden seien und der Sachverhalt deswegen unverändert sei. Auch auf den sog. „well
established medical use" könne die Klägerin sich zur Begründung der Wirksamkeit nicht
mit Erfolg berufen, weil sich dann aus detaillierten bibliographischen Unterlagen eine
anerkannte Wirksamkeit ergeben müsse, woran es hier aber gerade fehle. Die
Bezugnahme auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial bedeute nicht,
lediglich geringere, abgeschwächte Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit und
Wirksamkeit erfüllen zu müssen. Vielmehr trete an die Stelle der Verpflichtung, klinische
Prüfungen selbst vornehmen zu müssen, die Notwendigkeit, durch eine eingehende
Bezugnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen nachzuweisen, dass
entsprechende Prüfungen durchgeführt wurden und diese den erforderlichen Nachweis
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erbracht hätten.
Mit Bescheid vom 3. Dezember 2004, der der Klägerin am 6. Dezember 2004 zugestellt
wurde, wies das BfArM den Antrag auf Zulassung des Arzneimittels "U. " zurück, weil
die mitgeteilten Mängel nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist nicht beseitigt worden
seien.
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Am 4. Januar 2005 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie im
wesentlichen geltend macht, dass die behaupteten Mängel nicht vorlägen. Klinische
Studien zum Beleg der Wirksamkeit könnten nicht gefordert werden. Angesichts des
jahrzehntelangen Gebrauchs von "U. " reiche hier sonstiges wissenschaftliches
Erkenntnismaterial aus. Mit diesen Unterlagen sei der Wirksamkeitsnachweis für "U. "
erbracht. Insoweit sei entscheidend, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer
größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führe als eine Nichtanwendung. Eine
Extrapolation zu anderen Thymusextraktpräparaten sei zulässig, da es sich um
vergleichbare Zubereitungen handele. Thymusextrakte würden im wesentlichen durch
ihren Herstellungsprozess definiert. Das Herstellungsverfahren von "U. " sei mit den
Herstellungsverfahren anderer Thymusextraktpräparate vergleichbar. Die
Standardisierung der Herstellung führe zur Standardisierung der Inhaltsstoffe. Die
Dokumentation müsse sich nicht auf das streitige Arzneimittel beziehen. Die
durchgeführten Anwendungsbeobachtungen mit "U. " dienten nur der Ergänzung.
Angesichts der Unterlagen in der vorgelegten Dokumentation seien weitere
Untersuchungen nicht erforderlich, auch nicht hinsichtlich etwaiger Nebenwirkungen,
der Bioverfügbarkeit oder der Dosisfindung. Die gute Verträglichkeit werde durch die
geringe Zahl der Meldungen über Nebenwirkungen belegt.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 3. Dezember 2004 zu verpflichten, über ihren
Verlängerungsantrag für das Arzneimittel „U. „ unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie im wesentlichen auf die verschiedenen Medizinischen
Stellungnahmen und macht ergänzend geltend, dass das Arzneimittel nicht ausreichend
geprüft und die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend begründet sei. Bei
Thymuspräparaten komme wegen der Unterschiede der einzelnen Präparate eine
Ersetzung der Vorlage des Ergebnisses klinischer Prüfungen durch die Vorlage
sonstigen wissenschaftlichen Erkenntnismaterials nicht in Betracht. Der
Wirksamkeitsnachweis müsse für die jeweilige einzelne Zubereitung separat geführt
werden. Eine Extrapolation sei wegen der unterschiedlichen Zubereitungen oder
Applikationen nicht möglich. "U. " sei mit keinem anderen zugelassenen Arzneimittel
vergleichbar.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze (nebst Anlagen) dieses Verfahrens und der
beigezogenen Verfahren gleichen Rubrums 24 L 604/03 und 24 K 1531/03 und der
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ebenfalls beigezogenen Verwaltungsvorgänge des BfArM (2 Bände) ergänzend Bezug
genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
25
Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Der versagende Bescheid des
BfArM vom 3. Dezember 2004 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren
Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen
Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Verlängerung der Zulassung des von
ihr vertriebenen Fertigarzneimittels „U. „.
26
Nach § 105 Abs. 4 f Satz 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln
(Arzneimittelgesetz - AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember
2005 (BGBl. I S. 3394), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I
S. 3367) ist im sog. Nachzulassungsverfahren auf Antrag die fiktive Zulassung nach §
105 Abs. 1 AMG um fünf Jahre zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25
Abs. 2 AMG vorliegt. Besteht nach Ansicht des BfArM ein solcher Versagungsgrund, so
hat die Behörde in der Regel gem. § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG die Beanstandung
auszusprechen und dem Antragsteller eine angemessene Frist zu deren Beseitigung zu
setzen. Erst wenn diese Frist fruchtlos verstrichen ist, ist gemäß § 105 Abs. 5 Satz 2
AMG die Zulassung zu versagen.
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Vorliegend hat das BfArM mit dem Mängelschreiben vom 11. Dezember 2001 zu Recht
beanstandet, dass dem Arzneimittel jedenfalls die von der Klägerin angegebene
therapeutische Wirksamkeit fehle oder diese nach dem jeweils gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begründet ist (§ 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG),
und der Klägerin für die Beseitigung eine Frist von zunächst einem Monat gesetzt.
Nachdem das Verwaltungsgericht auf Antrag der Klägerin in dem Verfahren 24 L 604/03
die aufschiebende Wirkung der Klage (24 K 1531/03) gegen den der Nichtbeachtung
dieses Mängelschreibens folgenden Versagungsbescheid vom 12. Februar 2003
wiederhergestellt hatte, hat das BfArM diesen Versagungsbescheid mit Bescheid vom 9.
Juli 2003 aufgehoben und die „mit Mängelschreiben vom 12.02.2003 (gemeint ist das
Mängelschreiben vom 11. Dezember 2001) gesetzte Mängelbeseitigungsfrist" auf die -
gesetzlich höchst zulässige - Frist von zwölf Monaten, beginnend mit der Zustellung
dieses Aufhebungsbescheides vom 9. Juli 2003 festgesetzt. Den aufgezeigten Mängeln
wurde auch innerhalb dieser Frist nicht in vollem Umfang abgeholfen.
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Innerhalb der bis zum 10. Juli 2004 laufenden Frist - insgesamt stand der Klägerin damit
seit Zustellung des Mängelschreibens vom 11. Dezember 2001 am 14. Dezember 2001
für die Mängelbeseitigung ein Zeitraum von etwa 2 ½ Jahren zur Verfügung - hat die
Klägerin dem Mangel der fehlenden therapeutischen Wirksamkeit nach § 25 Abs. 2 Nr. 4
AMG nicht abgeholfen. Die therapeutische Wirksamkeit fehlt nach § 25 Abs. 2 Satz 3
AMG, wenn der Antragsteller nicht entsprechend dem jeweils gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse nachweist, dass sich mit dem Arzneimittel
therapeutische Ergebnisse erzielen lassen.
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Regelmäßig wird die therapeutische Wirksamkeit durch die Vorlage der Ergebnisse der
klinischen Prüfungen oder sonstiger ärztlicher Erprobung nach §§ 105 Abs. 4 Sätze 1
und 2, 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG belegt. Solche Studienergebnisse hat die Klägerin - wie von
ihr auch nicht in Abrede gestellt wird - nicht vorgelegt.
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Allerdings kann - worauf die Klägerin sich in erster Linie beruft - nach § 22 Abs. 3 Nr. 1
und Nr. 2 AMG an Stelle der Ergebnisse nach (u.a.) § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, und zwar bei einem
Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren in der Europäischen Union
allgemein medizinisch verwendet wurden, deren Wirkungen und Nebenwirkungen
bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind (Nr. 1) oder
bei einem Arzneimittel, das in seiner Zusammensetzung bereits einem solchen
Arzneimittel nach Nummer 1 vergleichbar ist (Nr. 2). Aber auch solches anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial hat die Klägerin nicht vorgelegt. Die
Voraussetzungen von § 22 Abs. 3 Nr. 1 AMG liegen nicht vor.
31
Da die Klägerin mit ihrem zur Mängelbeseitigung nach § 105 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz
AMG vorgelegten Schriftsatz vom 5. Juli 2004 insoweit kein weiteres wissenschaftliches
Erkenntnismaterial vorgelegt hat, kommt es insoweit allein darauf an, ob die
therapeutische Wirksamkeit von "U. " aus dem mit dem sog. Langantrag im sog. Dossier
vorgelegten wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich ist bzw. ob "U. " in seiner
Zusammensetzung bereits einem solchen Arzneimittel vergleichbar ist.
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Mit dem vorgelegten wissenschaftlichen Erkenntnismaterial lässt sich die
therapeutische Wirksamkeit von „U. „ nicht ausreichend belegen. Daraus ergibt sich
entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht, dass seine Anwendung zu einer größeren
Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung. Das
wissenschaftliche Erkenntnismaterial bezieht sich auf sehr unterschiedliche
Thymuspräparate und nur zu einem ganz geringen Teil auf das streitige Arzneimittel „U.
„. Wegen der unterschiedlichen Methoden zur Gewinnung der Thymuspeptide, die zur
Stärkung der Immunabwehr beitragen sollen, aus der Thymusdrüse von - zumeist -
Kälbern sind diese Arzneimittel nicht mit „U. „ vergleichbar. Die Klägerin räumt selbst im
Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13. November 2006 ein, dass es sich bei
den sog. Frischextrakten wie etwa THX oder U1. Mulli wegen der gänzlich anderen Art
der Gewinnung um völlig unterschiedliche Thymuspräparate handelt, die mit „U. „ nicht
vergleichbar sind. Aber auch das ebenfalls auf biochemischem Wege gewonnene
Präparat „Thym Uvocal", auf das sich eine Vielzahl der von der Klägerin vorgelegten
Publikationen bezieht, ist schon wegen des darin zusätzlich enthaltenen Stoffes Phenol
nicht mit „U. „ vergleichbar, so dass die Wirkungen im Sinne von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
AMG nicht als bekannt angenommen werden können. Auch das räumt die Klägerin im
Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 13. November 2006 - wenn auch in dem
anderen Zusammenhang der Nebenwirkungen - letztlich ein. Im übrigen ist aus einem
hier anhängigen Klageverfahren gerichtsbekannt, dass dieses Mittel bislang ebenfalls
nicht endgültig zugelassen ist. Hinsichtlich der Publikationen, die sich auf Präparate
beziehen, die - wie „U. „ - ebenfalls auf biochemischem Wege hergestellt werden, hat
das BfArM in seinen verschiedenen klinischen Stellungnahmen immer wieder geltend
gemacht, dass bei biologischen Arzneimitteln aus verschiedenen Ausgangsmaterialien
mit unterschiedlichen Methoden ein separater Wirksamkeitsnachweis für jede
Zubereitung geführt werden muss. Das ist nachvollziehbar und überzeugend. Der
einzige arzneilich wirksame Bestandteil von „U. „ ist Thymusextrakt vom Kalb. Dieser
wird nach dem Klinischen Sachverständigengutachten Dr. Abenthun vom 26. Januar
2001 aus der Thymusdrüse gesunder juveniler Kälber gewonnen und besteht aus
einem Gemisch von biotechnologisch gewonnenen Polypeptiden, Glykopeptiden,
Glykolipiden und Nukleotiden. Der Nachweis der Identität des Gesamtpeptidgemisches
soll über die Darstellung einzelner Leitpeptidfraktionen (HPLC-Fingerprint) erfolgen.
Andere Thymuspräparate enthalten nur ein bestimmtes Thymuspeptid als
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Einzelsubstanz. In biochemischen Herstellungsverfahren werden dabei hochmolekulare
Proteine und Nukleinsäuren abgetrennt und die niedermolekularen Peptide ganz oder
teilweise erhalten. Dabei versteht es sich von selbst, dass schon die tierische
Thymusdrüse als Ausgangsstoff nicht immer biochemisch identisch zusammengesetzt
ist. Damit unterliegt auch der aus diesem gewonnene Thymusextrakt einer gewissen
Variabilität. Zu Recht wird in der Medizinischen Stellungnahme des BfArM vom 19. Mai
2006 darauf hingewiesen, dass diesen Unterschieden auch nicht durch ein
standardisiertes Herstellungsverfahren begegnet werden kann. Es kommt hinzu, dass
sich auch die Herstellungsverfahren und -methoden im einzelnen unterscheiden und
diese unterschiedlichen Verfahrensweisen Auswirkungen auf die biochemische
Zusammensetzung des gewonnenen Thymusextrakts haben können. Davon geht
ersichtlich auch die Klägerin aus, wenn sie in dem die Klage begründenden Schriftsatz
ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25. Februar 2005 darlegt, dass der Thymusextrakt
im wesentlichen durch den Herstellungsprozess definiert ist. Schließlich kommt hinzu,
dass die Klägerin für das streitige Arzneimittel ganz unterschiedliche
Applikationsformen wie intracutane, subcutane, intramuskuläre und intravenöse
Injektion, Zusatz zu Infusionen und intrapleural in Anspruch nimmt, ohne im einzelnen
für die unterschiedlichen Applikationsformen die Wirkweise und Bioverfügbarkeit des
Arzneimittels, das bei den unterschiedlichen Applikationsformen unterschiedlichen
Einflüssen ausgesetzt ist, zu belegen.
Dem ist die Klägerin nicht mit Erfolg entgegengetreten. Im klinischen Gutachten Dr.
Abenthun vom 26. Januar 2001 wird unter Schlussfolgerungen (S. 17) lediglich
behauptet, dass aufgrund der vergleichbaren Zusammensetzung bestimmter Extrakte
mit dem in „U. „ enthaltenen Extrakt die Ergebnisse übertragbar seien. Eine
überzeugende Begründung für diese Behauptung enthalten auch die vorangegangenen
Ausführungen nicht. Im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20.
März 2006 wird im wesentlichen auf dieses Gutachten verwiesen. Auch in dem auf das
Mängelschreiben des BfArM ergangenen Schriftsatz der Klägerin vom 5. Juli 2004 findet
sich keine weitergehende Begründung für die auch in diesem Schriftsatz wiederholte
Behauptung der Vergleichbarkeit der verschiedenen Thymusextrakt-Präparate..
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Auf „U. „ beziehen sich in der vorgelegten Dokumentation lediglich fünf Publikationen.
Insoweit hat das BfArM in seinen verschiedenen Medizinischen Stellungnahmen immer
wieder darauf verwiesen, dass aus diesen Unterlagen eine relevante Aussage zur
therapeutischen Wirksamkeit aus unterschiedlichen Gründen nicht gemacht werden
kann und auch nach diesen Publikationen die Wirksamkeit nicht ausreichend belegt ist.
So beruht die Arbeit von Eckert et al. von 1997 ausschließlich auf In-vitro-
Untersuchungen, die wegen der Diskrepanz zwischen den nur teilweise bekannten
Mechanismen der Aktivierung und Inhibition von In-vivo- Mechanismen im Immunsystem
und In-vitro-Ergebnissen nicht übertragbar sind. Die Anwendungsbeobachtung von
Reich aus dem Jahr 1993 mit 371 Patienten erlaubt schon deshalb keine Bewertung der
therapeutischen Wirksamkeit, weil die beobachteten Patienten neben "U. " und Faktor
AF 2 andere Arzneimittel wie Zytostatika, Metastasenhemmer, Immuntherapeutika und
Hormonpräparate erhielten. Die Anwendungsbeobachtungen von Gottschalk und
Westphal von 1998 an 30 Patienten mit unterschiedlichen Diagnosen sowie die
Untersuchungen von Holzhauer aus den Jahren 1994 und 1998 an 40 Patienten mit
unterschiedlichen Tumoren bzw. an zwölf Patienten mit unterschiedlichen
Tumorerkrankungen bezogen sich ersichtlich auf zu geringe Patientenzahlen, um allein
daraus eine relevante Aussage zur therapeutischen Wirksamkeit ableiten zu können.
Dem ist die Klägerin letztlich auch nicht entgegengetreten; sie meint aber, dass diese
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Anwendungsbeobachtungen mit „U. „ im Zusammenhang mit den Publikationen zu
anderen Thymusextrakt-Präparaten gesehen werden müssten, was aber - wie dargelegt
- unzulässig ist.
Soweit die Klägerin darauf verweist, dass „U. „ und andere Thymusextrakt-Präparate seit
1978 und länger in Verkehr seien, Wirkungen und Nebenwirkungen daher bekannt
seien und ihnen die therapeutische Wirksamkeit schon deshalb nicht abgesprochen
werden könne und hierzu in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf das
zweibändige Lehrbuch zur Onkologie von Hiddemann/Huber/Bartram von 2004
verwiesen hat, wonach die Wirkung löslicher Thymusfaktoren sehr gut untersucht und
wissenschaftlich nicht strittig sei, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass diese Aussage
zu allgemein ist, um daraus auf eine Wirksamkeit des hier in Rede stehenden Präparats
schließen zu können. Im Übrigen und vor allem wäre das aufwändige
Nachzulassungsverfahren nach § 105 AMG entbehrlich, wenn es allein darauf ankäme,
dass sich ein Arzneimittel bereits im Jahr 1978 im Verkehr befand.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1
ZPO. Anlass, die Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 VwGO zuzulassen bestand nicht.
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