Urteil des VG Köln vom 15.01.2007

VG Köln: aufschiebende wirkung, vollziehung, sonderabgabe, interessenabwägung, aussetzung, härte, anforderung, nichtigkeit, anknüpfung, beitragsforderung

Verwaltungsgericht Köln, 13 L 1886/06
Datum:
15.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 L 1886/06
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die
Antragstellerin.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 27.915 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
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Der Antrag der Antragstellerin,
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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 6./8. November 2006 gegen den
Heranziehungsbescheid der Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2006 anzuordnen,
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hat keinen Erfolg. Er ist nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
zulässig, aber nicht begründet.
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Nach der in Rede stehenden Vorschrift kann das Gericht die aufschiebende Wirkung
eines Widerspruchs ganz oder teilweise anordnen, wenn diese nach § 80 Abs. 2 Nr. 1
bis 3 VwGO entfällt. Hier ist § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO einschlägig, wonach die
aufschiebende Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten
entfällt. Denn auch der streitige Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin die
Antragstellerin zu einem „Beitrag" nach § 10 Absatzfondsgesetz (AFoG) für einen Monat
heranzieht, welcher sich rechtlich zutreffend als sog. Sonderabgabe darstellt, beinhaltet
die Anforderung einer öffentlichen Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Die bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende
Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin, von der
Vollziehbarkeit des Bescheides der Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2006 bis zum
Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen
Interesse an einem Vollzug dieses Bescheides fällt zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Bei der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hier der Beurteilungsmaßstab
des § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO zu berücksichtigen, wonach die Aussetzung bei öffentlichen
Abgaben und Kosten erfolgen soll, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
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Heranziehungsbescheides bestehen oder wenn die Vollziehung des Bescheides für die
Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene
Härte zur Folge hätte.
Danach ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entgegen der Auffassung der
Antragstellerin nicht bereits deshalb anzuordnen, weil das Gericht die gesetzliche
Grundlage für die streitige Heranziehung ausweislich seines Vorlagebeschlusses vom
18. Mai 2006 im Verfahren 13 K 2230/05 für verfassungswidrig hält, da diese mit den an
die Erhebung einer solchen Sonderabgabe zu stellenden Anforderungen nicht (mehr) in
Einklang steht. Zwar liegen damit für das Gericht erhebliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes vor. Maßgeblich ist hier jedoch
auch mit Blick auf den Maßstab des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, dass eine Aussetzung
der Vollziehung bei „ernstlichen" Zweifeln zwar im Regelfall geboten erscheint, diese
Interessenabwägung jedoch nicht generalisierend, sondern immer nur unter
Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles vorzunehmen ist.
Insoweit ist für das Gericht entscheidungserheblich, dass allein dem
Bundesverfassungsgericht die Entscheidungskompetenz zusteht, ein Gesetz für
verfassungswidrig und nichtig zu erklären. Das erkennende Gericht kann seine
Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Heranziehungsnorm (§ 10 AFoG) im
Hauptsacheverfahren nicht selbst Geltung verschaffen, sondern muss die Frage der
Verfassungsmäßigkeit - wie geschehen - dem Bundesverfassungsgericht zur
Entscheidung vorlegen, dem bei nachkonstitutionellen Gesetzen allein die
Verwerfungskompetenz zukommt. Daraus folgt für die Entscheidung im vorliegenden
Verfahren über die Regelung der Vollziehung, dass das Gericht im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren zunächst von der Geltung des Gesetzes auszugehen hat und
seine Zweifel an der Vereinbarkeit der Sonderabgabe „Beitrag zum Absatzfonds" mit
Verfassungsrecht für sich genommen noch nicht die Aussetzung der Vollziehung
gebieten, weil andernfalls im vorläufigen Verfahren gleichsam faktisch die dem
Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Entscheidung vorweggenommen würde. In
Fällen, in denen sich die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen
Abgabenbescheides aus der angenommenen Verfassungswidrigkeit der zugrunde
liegenden Rechtsvorschrift ergeben, bedarf es deshalb eines besonderen Interesses
des Abgabenschuldners, das im Einzelfall geeignet sein muss, das öffentliche
Interesses an einer geordneten Haushaltsführung, dem der Gesetzgeber durch § 80
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO grundsätzlich den Vorrang beimisst, zu übersteigen. Dafür ist
hier nichts ersichtlich.
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Die Antragstellerin hat sich auch in ihrem Schriftsatz vom 12. Januar 2007 allein darauf
berufen, dass es wegen der Höhe der in Rede stehenden Abgaben unverhältnismäßig
sei, diese zunächst weiter zu zahlen und sich für den Fall der Feststellung der
Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage auf eine Rückzahlung verweisen zu
lassen. Denn die geforderten Abgaben, deren Verfassungsmäßigkeit offen sei, beliefen
sich im Jahr auf ca. 1,2 Mio. Euro und der Zeitpunkt einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts sei nicht absehbar. Mit dieser Argumentation beschreibt sie
jedoch nur ihr allgemeines Interesse an der beantragten Anordnung der aufschiebenden
Wirkung, zeigt aber gerade keine Aspekte auf, die im Rahmen der erforderlichen
Interessenabwägung geeignet sind, das öffentliche Interesse an einer geordneten
Durchführung der Aufgaben zu übersteigen, zu deren Erfüllung die in Rede stehenden
Abgaben zu dienen bestimmt sind. Dabei ist vorliegend insbesondere zu
berücksichtigen, dass ein längerfristiger Ausfall der Finanzierung durch die hier
angegriffene Sonderabgabe die Wahrnehmung der Aufgaben des Absatzfonds nicht nur
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beeinträchtigen, sondern möglicherweise sogar vor einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts gänzlich zum Erliegen bringen könnte. Denn wenn eine
Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs unter maßgeblicher
Anknüpfung an die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der
Heranziehungsvorschrift erfolgen würde, müsste dies bei entsprechenden Anträgen für
alle betroffenen Abgabenschuldner gelten, so dass irreparable Nachteile für den
Absatzfonds nicht auszuschließen wären. Auch nur ansatzweise gleich gewichtige
Nachteile ergeben sich für die Antragstellerin auch nicht dadurch, dass sie im Fall der
Feststellung der Nichtigkeit der Beitragsregelung durch das Bundesverfassungsgericht
zunächst weiter wie bisher die Zahlungen erbringt, welche sie sodann - mit Zinsen -
zurückerstattet erhält. Die Höhe der Abgaben folgt dabei allein dem Betriebsumfang
ihrer Molkerei, wobei der „Beitrags"- Satz (1,22 Euro je 1.000 Kg angelieferte Milch; § 10
Abs. 3 Nr. 6 AFoG) grundsätzlich nicht übermäßig belastend ist. Insoweit ist ersichtlich
nicht auf die absolute Zahl der Beitragsforderung(en) sondern auf das Verhältnis der
Forderung zum gesamten Betriebsgeschehen abzustellen. Besondere Belastungen im
aufgezeigten Sinne, die durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgewendet
werden müssten, sind damit nicht aufgezeigt worden. Die vorläufige Zahlungspflicht hat
die Antragstellerin somit als reguläre Folge des vom Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1 VwGO vorgesehenen grundsätzlichen Vorrangs des öffentlichen
Vollziehungsinteresses für (u. a.) Abgabenbescheide hinzunehmen, weil hier keine
besonderen Umstände des Einzelfalles Abweichendes gebieten.
Dass die Vollziehung des angefochtenen Bescheides für die Antragstellerin im übrigen
eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne
von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zur Folge hätte, wird von ihr nicht geltend gemacht und ist
auch angesichts der vorstehenden Ausführungen zur Höhe des „Beitrags"satzes nicht
ersichtlich. Dass die Zahlung der Antragstellerin konkrete finanzielle Probleme bereitet,
wird nicht vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Das
Gericht hat bei der Streitwertfestsetzung den von der Antragsgegnerin mit dem
angefochtenen Bescheid angeforderten Beitrag in Höhe von 111.660,00 Euro zu
Grunde gelegt, von dem es wegen des vorläufigen Charakters des vorliegenden
Verfahrens entsprechend Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 für die Streitwertfestsetzung in Verfahren
des vorläufigen Rechtsschutzes in Abgabensachen ein Viertel in Ansatz gebracht hat.
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