Urteil des VG Köln vom 21.04.2009

VG Köln: aufschiebende wirkung, versetzung, personalakte, vollziehung, behandlung, empfehlung, verfügung, rechtswidrigkeit, wahrscheinlichkeit, diagnose

Verwaltungsgericht Köln, 19 L 72/09
Datum:
21.04.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
19. K
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 L 72/09
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 19.
Januar 2009 (19 K 361/09) gegen die Zurruhesetzungsverfügung der
Antragsgegnerin vom 19. Dezember 2008 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.996,63 Euro festgesetzt.
Gründe Der am 19. Januar 2009 sinngemäß gestellte Antrag,
1
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 19. Januar 2009 (19 K
361/09) gegen die Zurruhesetzungsverfügung der Stadt Köln vom 19. Dezember 2008
wiederherzustellen,
2
ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 2. Alt. VwGO zulässig und begründet.
3
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des Interesses des
Antragstellers, vorläufig von der Vollziehung der angefochtenen
Zurruhesetzungsverfügung verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse
an ihrer sofortigen Vollziehung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Die mit der Klage
19 K 361/09 angefochtene Zurruhesetzungsverfügung der Antragsgegnerin ist
offensichtlich rechtswidrig. Sie leidet an schwerwiegenden materiellen Mängeln und
wird daher im Klageverfahren voraussichtlich aufzuheben sein.
4
Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Antragsteller verfügte Versetzung in den
Ruhestand sind §§ 45 ff. des Landesbeamtengesetzes (LBG). Nach § 45 Abs. 1 Satz 1
LBG ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen
seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner
Dienstpflicht dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Als dienstunfähig kann der Beamte
nach § 45 Abs. 1 Satz 2 LBG auch dann angesehen werden, wenn er infolge
Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat
und keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll
5
dienstfähig wird.
Offensichtlich rechtswidrig ist die mit der Klage 19 K 361/09 angefochtene Versetzung in
den Ruhestand, weil sie ohne auch nur ansatzweise ausreichende Aufklärung der
tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche Maßnahme ergangen ist. Die Annahme
einer dauernden Dienstunfähigkeit darf nur auf hinreichend tragfähiger Grundlage
erfolgen. Dies setzt in der Regel eine auf fachkundiger ärztlicher Einschätzung
beruhende Vergewisserung über die bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen
nebst medizinisch begründeter Prognose für die absehbare Zukunft voraus. Auch wenn
die ärztliche Begutachtung nicht das einzige und allein ausschlaggebende Beweismittel
für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen ist, so ist sie
doch eine regelmäßig unerlässliche Grundlage dafür, weil nur der hierfür ausgebildete
Arzt gesundheitliche Beeinträchtigungen sachkundig feststellen kann. Dies bedeutet
zugleich, dass der eingeschaltete Amtsarzt in Krankheitsfällen, die nicht seinem
Fachgebiet entspringen, ein entsprechendes Zusatzgutachten eines Facharztes
einholen oder darlegen muss, dass er sich auf aussagekräftige Befundberichte der
behandelnden Fachärzte stützen konnte. Die von der Amtsärztin Dr. B. -N. erstellte
Bescheinigung vom 26. November 2008 erfüllt diese Anforderungen nicht. Diese
amtsärztliche Stellungnahme beschränkt sich auf die Feststellung, dass es beim
Antragsteller trotz intensiver ambulanter und stationärer therapeutischer Maßnahmen
nicht zu einer vollständigen Stabilisierung im physisch-psychischen Bereich gekommen
sei. Auch sei aufgrund der vom Antragsteller angegebenen weiteren ärztlichen
Maßnahmen erneut mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten zu rechnen. Schließlich sei
schon aufgrund des Aktenstudiums der zurückliegenden 10 Jahre mit großer
Wahrscheinlichkeit zu bejahen, dass zukünftig weiterhin mit hohen krankheitsbedingten
Ausfällen zu rechnen sei, da die Dienstunfähigkeitszeiten trotz intensiver
therapeutischer Maßnahmen und der immer wieder auftretenden gesundheitlichen
Störungen sowohl im physischen als auch im psychischen Bereich nicht zur erwarteten
Stabilität beigetragen hätten. Konkrete Diagnosen und Erläuterungen dazu, worin im
Einzelnen die gesundheitlichen Störungen im physisch- psychischen Bereich liegen,
enthält die amtsärztliche Stellungnahme nicht. Auch wird in keiner Weise mitgeteilt, auf
welchen Grundlagen die jeweils angestellten Prognosen beruhen. Ein eventuell
erforderliches aktuelles fachpsychiatrisches Zusatzgutachten hat die Amtsärztin nicht
eingeholt. Ferner hat sie weder dargelegt noch ist es sonst ersichtlich, dass sie ihre
Prognose auf ein vorangegangenes fachpsychiatrisches Zusatzgutachten aus Juli 2007
stützt und stützen kann. Ungeachtet dessen, dass weder Diagnosen noch Sonstiges aus
dem Zusatzgutachtens von Juli 2007 aktenkundig sind, erscheint auch zweifelhaft, dass
dieses Gutachten im November/Dezember 2008 noch hinreichend aktuell war. So
wurde bereits mit amtsärztlicher Stellungnahme des Amtsarztes Dr. N1. vom 23. April
2008 (Bl. 758 der Personalakte) ausgeführt, dass „eine im Vorfeld bereits festgestellte
und durch den Zusatzgutachter bestätigte Gesundheitsstörung" sich unter ambulanter
Behandlung zwischenzeitlich gebessert habe. Auch ist zu berücksichtigen, dass der
Antragsteller sich auf Empfehlung des Amtsarztes Dr. N1. in stationäre
psychosomatische Behandlung begeben hatte (11. Juni bis 13. August 2008). Ob und
warum spätere krankheitsbedingte Fehlzeiten des Antragsstellers während wie auch
nach der (versuchten) stufenweisen Wiedereingliederung auf ein Andauern schon
welcher vorher vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen schließen lässt,
ergibt sich aus der amtsärztlichen Stellungnahme vom 26. November 2008 nicht. In
Ermangelung der Mitteilung jedweder - über „Störungen im physisch-psychischen
Bereich" hinausgehender - Diagnose sowohl in der amtsärztlichen Stellungnahme vom
26. November 2008 wie an irgendeiner anderen Stelle in der Personalakte ist letztlich
6
sogar unklar, ob es fachärztlicher Zusatzbegutachtungen überhaupt bedarf bzw.
inwieweit die Amtsärztin die für eine eigenständige Begutachtung des vorliegenden
Krankheitsbildes erforderliche Sachkunde besitzt.
Eine nähere Aufklärung der bei dem Antragsteller vorliegenden gesundheitlichen
Einschränkungen und ihrer Auswirkungen auf seine Dienstfähigkeit ist schließlich auch
dann nicht verzichtbar, wenn die Zurruhesetzung zusätzlich auf den in § 45 Abs. 1 Satz
2 LBG geregelten Tatbestand der sogenannten „vermuteten Dienstunfähigkeit" gestützt
würde. Die danach erforderliche Prognose, dass keine Aussicht besteht, dass der
Beamte innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird, lässt sich
regelmäßig ebenfalls nur aufgrund aussagekräftiger ärztlicher Gutachten treffen.
7
Vgl. VG Köln, Beschluss vom 03.07.2008 - 19 L 211/08 - m.w.N..
8
Das Gleiche gilt auch für die Frage, ob sich die Zurruhesetzung durch Übertragung
eines anderen Amtes derselben oder einer anderen Laufbahn vermeiden lässt (§ 45
Abs. 3 LBG) oder ob der Beamte seine Dienstpflichten unter Beibehaltung seines Amtes
noch während mindestens der Hälfte der regelmäßigen Arbeitszeit erfüllen kann
(begrenzte Dienstfähigkeit, § 46 LBG).
9
Mit diesen Fragen setzt sich die angefochtene Verfügung überhaupt nicht auseinander,
was ebenfalls zu ihrer Rechtswidrigkeit führt. Nach §§ 45 Abs. 3, 46 LBG „soll" von einer
Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn die
genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie sind mithin vor einer Zurruhesetzung
zwingend zu prüfen. Dass dies erfolgt ist, ergibt sich nicht. Die Amtsärztin hat sich in
ihrer Stellungnahme vom 26. November 2008 zu diesen Fragen in keiner Weise
verhalten. Erwägungen hierzu finden sich auch nicht in der Personalakte.
10
11