Urteil des VG Köln vom 07.02.2008

VG Köln: in den verkehr bringen, schutz der gesundheit, warenverkehrsfreiheit, eugh, zusammensetzung, europäischer gerichtshof, spanien, verbraucherschutz, mensch, parallelimport

Verwaltungsgericht Köln, 13 K 1600/07
Datum:
07.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 K 1600/07
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 11. Januar 2007
in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 16. März 2007
verpflichtet, der Klägerin eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das
Pflanzenschutzmittel "S. E. ", zugelassen in Spanien unter der
Bezeichnung "S1. ", im Hinblick auf das Referenzmittel "S1. " zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig
vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin vertreibt von ihr importierte Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik
Deutschland. Für die Einfuhr eines anderweit in einem Staat der Europäischen Union
zugelassenen Pflanzenschutzmittels benötigt der Importeur eine
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung.
2
Am 16. Mai 2006 beantragte die Klägerin die Erteilung einer
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das Pflanzenschutzmittel "S1. ", das sie aus
Spanien importieren und unter der Bezeichnung "S. E. " in der Bundesrepublik
Deutschland in den Verkehr bringen wollte. Als Referenzmittel wurde das in der
Bundesrepublik Deutschland zugelassene Pflanzenschutzmittel "S1. " benannt.
3
Mit Bescheid vom 11. Januar 2007 lehnte das für die Erteilung der
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit (BVL) den Antrag mit der Begründung ab, dass nicht von einer
Produktidentität des in Spanien zugelassenen Pflanzenschutzmittels "S1. ", das die
Klägerin als "S. E. " importieren wolle, und dem in der Bundesrepublik Deutschland
4
zugelassenen Referenzmittel "S1. " ausgegangen werden könne. Zwar sei mit der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) keine vollständige
Produktidentität zu fordern. Eventuelle qualitative oder quantitative Unterschiede in den
Beistoffen dürften aber keine Auswirkungen im Hinblick auf die biologische Wirksamkeit
oder die Auswirkungen auf Mensch, Tier oder Naturhaushalt oder die zu behandelnden
Pflanzen haben. Derartige Auswirkungen seien nach den Kriterien des BVL jedenfalls
dann gegeben, wenn sich Import- und Referenzmittel in Beistoffen mit wesentlicher
Funktion unterschieden. Dem Importmittel fehle ein wesentlicher Beistoff, der so
genannte Repellent. Ein solches Vergällungsmittel diene dazu, durch seinen beißenden
Geruch eine versehentliche Aufnahme durch den Menschen, insbesondere Kinder, zu
verhindern. Es diene also insbesondere bei Mitteln ohne starken Eigengeruch (wie hier
"S1. ") einem verstärkten Verbraucherschutz.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie an,
nach der Rechtsprechung des EuGH sei keine vollständige Produktidentität, sondern
nur Formel-, Wirkstoff- und Wirkungsidentität erforderlich. Eine andere Sichtweise
verstoße gegen die Warenverkehrsfreiheit; auf Ausnahmeregelungen könne sich das
BVL vorliegend nicht berufen.
5
Mit Bescheid vom 16. März 2007, zugestellt am 23. März 2007, wies das BVL den
Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, die
stoffliche Übereinstimmung von Import- und Referenzmittel sei aus den im
Ablehnungsbescheid genannten Gründen nicht gegeben. Auch in Ansehung der
Zulassung des Referenzmittels sei eine Prüfung der Übereinstimmung vorzunehmen.
Die genaue Zusammensetzung eines Pflanzenschutzmittels könne der Klägerin als
Dritter nicht offenbart werden, da es sich hierbei um Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse handele.
6
Am 23. April 2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
7
Zur Begründung ihrer Klage wiederholt sie zunächst ihre Darlegungen aus dem
Verwaltungsverfahren. Import und Referenzmittel seien chemisch identisch. Ohne
vollständige Akteneinsicht bzw. Mitteilung der Zusammensetzung könne der Vorwurf,
Import- und Referenzmittel wichen in erheblicher Weise in der Zusammensetzung
voneinander ab, nicht nachvollzogen werden. Dies werde bestritten. Die Darlegungs-
und materielle Beweislast liege insoweit bei der Beklagten.
8
Das Importprodukt befinde sich im Herkunfts- wie Ursprungsland rechtmäßig im
Verkehr. Die Weigerung des BVL, die Verkehrsfähigkeitsbescheinigung zu erteilen,
greife in die europarechtlich gewährleistete Warenverkehrsfreiheit ein. Dieser Eingriff
sei auch nicht durch den Schutz von Mensch und Umwelt gerechtfertigt, das Importmittel
könne in der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährlicher sein als im Herkunftsland.
Repellenten oder Vergällungsmittel dienten dazu, einen Fehlgebrauch durch
versehentlichen Verzehr zu verhindern. Sie seien bei der Bestimmung der Identität nicht
heranzuziehen, denn insoweit könne nur der bestimmungsgemäße und sachgerechte
Gebrauch in den Blick genommen werden. Eine andere Sichtweise verstoße gegen die
Warenverkehrsfreiheit; auf Ausnahmeregelungen könne sich das BVL vorliegend nicht
berufen. Im Übrigen sei das Importmittel in Spanien nach der Richtlinie 91/414/EWG des
Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (im
Folgenden: Richtlinie 91/414/EWG) zugelassen, ohne dass ein Vergällungsmittel
Gegenstand der zugelassenen Formulierung sei. Das Mittel sei daher von einer
9
nationalen Zulassungsbehörde untersucht und es sei festgestellt worden, dass der
Zusatz eines Repellenten nicht erforderlich sei. Aus Gründen des Europarechts könne
sich das BVL darüber nicht hinwegsetzen.
Die Klägerin beantragt,
10
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit vom 11. Januar 2007 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2007 zu verpflichten, der Klägerin eine
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das Pflanzenschutzmittel "S. E. ", zugelassen in
Spanien unter der Bezeichnung "S1. ", im Hinblick auf das Referenzmittel "S1. " zu
erteilen,
11
hilfsweise,
12
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit vom 11. Januar 2007 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2007 zu verpflichten, über den Antrag der
Klägerin auf Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für das
Pflanzenschutzmittel "S. E. ", zugelassen in Spanien unter der Bezeichnung "S1. ", im
Hinblick auf das Referenzmittel "S1. " unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des
Gerichts erneut zu entscheiden.
13
Die Beklagte beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
15
Zur Begründung macht sie ihre Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren vertiefend
geltend:
16
Die Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung setze nach bundesdeutschem
Recht neben der Produktidentität der Wirkstoffe unter anderem voraus, dass Import- und
Referenzmittel in Zusammensetzung und Beschaffenheit übereinstimmten. Durch die
Pflanzenschutzmittelverordnung werde konkretisiert, wann eine Übereinstimmung in
diesem Sinne gegeben sei. Unter anderem dürften danach qualitative oder quantitative
Unterschiede in den Beistoffen nicht zu Unterschieden im Hinblick auf die biologische
Wirksamkeit, die Auswirkungen auf die zu behandelnden Pflanzen oder die
Auswirkungen auf Mensch, Tier oder Naturhaushalt führen. Eine Übereinstimmung sei
nach der Verordnung nicht gegeben, wenn dem Importmittel Beistoffe fehlten, die dem
Anwenderschutz dienten oder zum Schutz Dritter Anwendung fänden.
17
Dieses Rechtsverständnis und seine Normierung seien auch nach der Rechtsprechung
des EuGH zulässig. Übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt ergebe sich hieraus,
dass mangels stofflicher Übereinstimmung eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung für
das belgische "S1. " beziehungsweise "S. E. " nicht erteilt werden könne. Dem Mittel
fehle ein Repellent, der Bestandteil der Zusammensetzung des Referenzmittels "S1. "
sei.
18
Die stofflichen Unterschiede zwischen Import- und Referenzmittel im Hinblick auf die
Zulassung des Importproduktes im Ursprungsland ohne Repellent seien nicht
hinzunehmen. Diese Annahme würde in letzter Konsequenz bedeuten, dass auf das
19
Erfordernis des Bestehens einer Referenzzulassung ganz verzichtet werden könnte und
nur noch darauf abgestellt werde, ob das eingeführte Produkt überhaupt irgendwo im
Europäischen Wirtschaftsraum über eine Zulassung verfüge.
Bei der deshalb unverzichtbaren Prüfung, ob beide Produkte im dargestellten Maß
stofflich übereinstimmten, werde keine absolute Übereinstimmung von Import- und
Referenzmittel verlangt. Die Entscheidung bezüglich der Verkehrsfähigkeit eines
Parallelimportes werde anhand der Kriterien getroffen, die im Pflanzenschutzgesetz und
in der Pflanzenschutzmittelverordnung konkretisiert seien. Diese beiden
Regelungswerke verlangten keine absolute Übereinstimmung.
20
Auch sei es sachgerecht darauf abzustellen, ob ein Beistoff eine wesentliche Funktion
habe. Das Identitätskriterium für die wesentlichen in der Pflanzenschutzmittelverordnung
sei ebenso wenig zu beanstanden. Es widerspreche insbesondere nicht dem
Europarecht. Auch der EuGH habe ausgeführt, dass ein Import unter anderem nur dann
zulässig sei, soweit dem keine den Schutz der Gesundheit betreffenden Erwägungen
entgegenstehen würden.
21
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend angegeben,
dass "S1. " ihres Wissens nur in Deutschland und Frankreich mit einem
Vergällungsmittel versehen sei.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Bezug genommen.
23
Entscheidungsgründe
24
Die Klage ist zulässig und begründet.
25
Der Versagungsbescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit (BVL) vom 11. Januar 2007 in der Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 16. März 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen
Anspruch auf Feststellung der Verkehrsfähigkeit für das Pflanzenschutzmittel "S1. ", das
sie aus Spanien importieren und unter der Bezeichnung "S. E. " in der Bundesrepublik
Deutschland in den Verkehr bringen will. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 16c Abs. 1
Satz 1, Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz -
PflSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1998 (BGBl. I S. 971, 1527,
3512), zuletzt geändert durch Artikel 1 § 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 13. Dezember 2007
(BGBl. I S. 2930).
26
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PflSchG dürfen Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik
Deutschland grundsätzlich nur in den Verkehr gebracht oder eingeführt werden, wenn
sie vom BVL zugelassen sind. Nach Satz 2 gilt als zugelassen auch ein
Pflanzenschutzmittel, für das die Verkehrsfähigkeit nach § 16c PflSchG festgestellt
worden ist. Die Feststellung der Verkehrsfähigkeit durch das BVL setzt nach § 16c Abs.
1 Satz 1 PflSchG voraus, dass das Pflanzenschutzmittel in einem anderen Mitgliedstaat
oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum
zugelassen ist und mit einem in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel - dem
so genannten Referenzmittel - übereinstimmt. Erst nach der Prüfung der
27
Übereinstimmung kann dem Antragsteller eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung
ausgestellt werden, § 16c Abs. 4 PflSchG.
Hier liegt unstreitig eine Zulassung im Sinne des § 16c Abs. 1 PflSchG, nämlich eine
"Vollzulassung" im Sinne der Richtlinie 91/914/EWG, vor,
28
vgl. zu diesem Erfordernis Urteile der Kammer vom 7. Februar 2008, 13 K 188/07 und 13
K 190/07,
29
deren Umsetzung das deutsche Pflanzenschutzgesetz dient. Außerdem stimmt das
Importmittel "S1. " mit dem inländischen Referenzmittel "S1. " im wesentlichen, d.h. in
den maßgeblichen Identitätskriterien, überein; der nach Angaben der Vertreter des BVL
in der mündlichen Verhandlung einzige Unterschied besteht darin, dass dem deutschen
Referenzmittel "S1. „ ein Vergällungsmittel zugesetzt ist, welches dem in Spanien
vertriebenen Importmittel fehlt. Dieser Unterschied in der stofflichen Zusammensetzung
zwischen dem Importmittel und dem Referenzmittel rechtfertigt jedoch keine Versagung
der begehrten Feststellung der Verkehrsfähigkeit.
30
Nach § 16 Abs. 2 PflSchG setzt die Feststellung der Verkehrsfähigkeit nicht nur eine
Übereinstimmung hinsichtlich der Wirkstoffe (vgl. Ziffer 1) des Mittels, sondern gemäß
Nr. 2 der Vorschrift auch eine Übereinstimmung des Importmittels mit dem
Referenzmittel "in Zusammensetzung und Beschaffenheit" voraus. Regelungen, die
diesbezügliche Kriterien näher bestimmen sollen, enthält der durch Verordnung vom 12.
März 2007 (BGBl. I S. 319) mit Wirkung zum 24. März 2007 eingefügte § 1c der
Verordnung über Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte -
Pflanzenschutzmittelverordnung (PflSchMGV). Nach § 1c Abs. 4 PflSchMGV liegt eine
Übereinstimmung in Zusammensetzung und Beschaffenheit im Sinne des § 16c Abs. 2
Nr. 2 PflSchG vor, soweit (1.) beide Mittel in der Formulierungsart übereinstimmen und
(2.) qualitative oder quantitative Unterschiede in den Beistoffen nicht zu Unterschieden
im Hinblick auf die biologische Wirksamkeit, die Auswirkungen auf Mensch, Tier oder
Naturhaushalt führen. Nach Abs. 5 liegt eine Übereinstimmung insbesondere dann nicht
vor, soweit - etwa - (Nr. 2) Beistoffsubstanzen mit wesentlicher Funktion fehlen, oder (Nr.
3) unterschiedliche Nominalkonzentrationen von Beistoffen mit wesentlicher Funktion
vorliegen, oder (Nr. 5), wenn Beistoffe fehlen, die dem Anwenderschutz dienen oder
zum Schutz Dritter Anwendung finden.
31
Es kann hier dahin stehen, wie sich die verschiedenen Ausschlusskriterien des § 1c
Abs. 5 PflSchMGV im Einzelnen zueinander verhalten, denn jedenfalls geht vorliegend
die Regelung in Nr. 5 der Vorschrift zumindest als speziellere Regelung den anderen
Ziffern gegenüber vor. Auf diese hat sich das BVL der Sache nach in den vor Erlass des
§ 1c PflSchMGV ergangenen Bescheiden gestützt. Obwohl die Voraussetzungen dieser
Bestimmung vorliegen und damit die Rechtsfolge der Ablehnung der
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung vom Wortlaut und Sinngehalt der maßgeblichen
nationalen Vorschriften gedeckt ist, stellt sich die Versagung der beantragten
Bescheinigung jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung als Verstoß gegen
höherrangiges Recht dar.
32
Dabei kann für die hier zu treffende Entscheidung zunächst offen bleiben, ob § 1c Abs. 5
(insbesondere) Nr. 5 PflSchMGV materiell durch die Ermächtigungsnorm des § 16 c
Abs. 5 Nr. 2 PflSchG gedeckt ist (Art. 80 Abs. 1 GG). Den hiergegen vom
Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgetragenen Bedenken, nach denen zumindest
33
der Ausschlussgrund des § 1c Abs. 5 Nr. 5 PflSchMGV nicht mit dem Schutzzweck des
Pflanzenschutzgesetzes in Einklang zu bringen sei, braucht nicht nachgegangen zu
werden. Insoweit wäre zu erwägen, ob der in § 1 PflSchG aufgezeigte Zweck des
Gesetzes, der unter anderem auch die Abwehr von Gefahren für die Gesundheit von
Menschen benennt, welche durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln entstehen
können, Einschränkungen für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln nur in
Bezug auf einen bestimmungsgemäßen und sachgerechten Gebrauch zu rechtfertigen
vermag. Die vorliegende Versagung gründet sich demgegenüber auf das Fehlen eines
Vergällungsmittels, welches allein als Schutzvorkehrung gegen einen Fehlgebrauch
durch versehentlichen Verzehr des Mittels dient. Dabei wäre u.a. zu berücksichtigen,
dass schon auf dieser Ebene der Auslegung nationalen Rechts die Vorgaben der
Richtlinie 91/414/EWG einbezogen werden müssten. Es müsste also etwa die
Bedeutung der 10. Begründungserwägung der Richtlinie, die auf eine sachgemäße
Anwendung für den beabsichtigten Zweck abstellt, im Gefüge der übrigen
Erwägungsgründe diskutiert werden. Dessen bedarf es hier jedoch nicht.
Denn die Versagung ist hier jedenfalls deshalb wegen Verstoßes gegen Art 28 EG
rechtswidrig, weil das BVL damit eine Schutzvorkehrung in Form der Beigabe eines
Vergällungsmittels als Voraussetzung nur für den Parallelimport, nicht aber für eine
nationale Zulassung des gleichen Pflanzenschutzmittels nach § 15 PflSchG verlangt.
Die Zufügung eines Repellenten bei giftigen und sehr giftigen Pflanzenschutzmitteln,
die von sich aus geruchsneutral sind, erfolgt für das Inverkehrbringen auf dem
deutschen Markt - wie die Vertreter des BVL in der mündlichen Verhandlung dargelegt
haben - auf freiwilliger Basis, wenn auch das BVL - wie deren Vertreter in der
mündlichen Verhandlung weiter erläutert haben - solches im Rahmen des nationalen
Zulassungsverfahrens anregt. Die Versagung des Parallelimports mit der Begründung,
dem Importmittel fehle ein - für die Wirksamkeit und die Auswirkungen regulärer
Anwendung des Pflanzenschutzmittels im Übrigen nicht bedeutsames -
Vergällungsmittel, welches seinerseits für die Zulassung des Referenzmittels im Inland
nicht erforderlich ist, stellt sich als unverhältnismäßige Einschränkung der in Art. 28 EG
gewährleisteten Warenverkehrsfreiheit dar, die nicht durch Gründe gemäß Art. 30 EG
gerechtfertigt werden kann.
34
Art. 28 EG verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen
gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten. Sowohl das Erfordernis einer erneuten
Zulassung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen
Wirtschaftsraums bereits nach der Richtlinie 91/414/EWG zugelassenen
Pflanzenschutzmittels ("Doppelprüfung") wie auch das vereinfachte Verfahren für eine
Parallelzulassung - wie hier der Erteilung einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung -
stellen eine die Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG beschränkende Maßnahme
gleicher Wirkung dar. Als den Warenverkehr einschränkende Maßnahme gleicher
Wirkung im Sinne des Art. 28 EG ist jede Maßnahme oder Regelung der Mitgliedstaaten
zu verstehen, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder
mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern,
35
Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 11. Juli 1974, Rs. 8/74 - Dassonville, Slg.
1974, S. 837 - Rn. 5.
36
Sowohl eine solche "Doppelprüfung" als auch das vereinfachte Verfahren der
Parallelzulassung ist nur unter den eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit im
Einzelfall rechtfertigenden Voraussetzungen des Art. 30 EG zulässig. Insoweit hat es
37
der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf die Schutzgüter der Richtlinie 91/414/EWG
allerdings für rechtmäßig erachtet, dass die zuständige Behörde prüft, ob Import- und
Referenzmittel, ohne in allen Punkten übereinzustimmen, zumindest nach der gleichen
Formel und unter Verwendung des gleichen Wirkstoffs hergestellt wurden und überdies
die gleichen Wirkungen haben, wobei etwaige Unterschiede bei den für die Anwendung
des Mittels relevanten Bedingungen in bezug auf Landwirtschaft, Pflanzenschutz und
Umwelt - einschließlich der Witterungsverhältnisse - zu berücksichtigen sind.
EuGH, Urteil vom 11. März 1999, Rs. C-100/96 - Agrochemicals, Slg. 1999, S. I-1499
(1533 - Rn. 33).
38
Dem Rechnung tragend hat § 16c PflSchG ersichtlich den Zweck, eine unnötige
Doppelprüfung nach der Richtlinie 91/414/EWG in jedem Mitgliedstaat zu vermeiden,
39
vgl. Bundestagsdrucksache 16/645, S. 6,
40
weil eine solche Doppelprüfung auch europarechtlich eine unverhältnismäßige
Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EG wäre,
41
EuGH, Urteil vom 11. März 1999, Rs. C-100/96 - Agrochemicals, a.a.O., (1532 f.-Rn 32).
42
Insoweit muss sich aber auch die Ausgestaltung der Kriterien für die zulässige
Identitätsprüfung an den vom EuGH in seiner vorbenannten Entscheidung aufgezeigten
Parametern messen lassen.
43
Daraus folgt, dass eine unverhältnismäßige Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit
jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Parallelimport versagt und infolgedessen für den
Zugang eines im europäischen Ausland zugelassenen Pflanzenschutzmittels zum
deutschen Markt eine reguläre Zulassung ("Doppelprüfung") gefordert wird, obwohl - bei
Identität der Wirkstoffe und der Wirkungen des Mittels - Unterschiede bei den für die
Anwendung des Mittels relevanten Bedingungen in bezug auf Landwirtschaft,
Pflanzenschutz und Umwelt - einschließlich der Witterungsverhältnisse - nicht
ersichtlich sind.
44
So liegt der Fall hier. Denn die Versagung des Parallelimportes wird auf ein
Identitätskriterium gestützt, das für das nationale Zulassungsverfahren keine rechtliche
Bedeutung hat und dessen Erfüllung bei der nationalen Zulassung nicht gefordert wird.
Den innereuropäischen Warenverkehr dergestalt zu erschweren, dass der Zugang zum
Inlandsmarkt nicht im Wege des vereinfachten Verfahrens der Erteilung einer
Verkehrsfähigkeitsbescheinigung, sondern nur über ein reguläres Zulassungsverfahren
ermöglicht wird, in welchem der für den Verweis auf die volle Zulassung maßgebliche
fehlende Stoff keine Rolle spielt, ist offenkundig unverhältnismäßig. Ob das hinter dieser
nationalen Regelung stehende Ziel, hohe inländische Sicherheitsstandards zu
etablieren und auch für den Parallelimport aufrechtzuerhalten, überhaupt im Lichte des
Art. 30 EG in Verbindung mit den Zielsetzungen der Richtlinie 91/414/EWG eine
Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit rechtfertigen könnte, erscheint zweifelhaft.
Jedenfalls aber kann es zweifelsfrei dann nicht zur Rechtfertigung von
grenzüberschreitenden Verkehrsbeschränkungen dienen, wenn das zur Abgrenzung
herangezogene Schutzniveau selbst im Inland bei Anwendung der Richtlinie
91/414/EWG nicht gefordert, sondern lediglich im Wege freiwilliger Beachtung
umgesetzt wird. Damit liegt eine diskriminierende Beeinträchtigung des Parallelimports
45
vor, die jedenfalls unter solchen Umständen des Einzelfalles nicht unter Hinweis etwa
auf Gründe der menschlichen Gesundheit oder des Verbraucherschutzes gerechtfertigt
werden kann. Damit ist § 1c Abs. 5 Nr. 5 PflSchMGV angesichts des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts auf den hier zu Grunde liegenden Lebenssachverhalt wegen
Unvereinbarkeit mit Art. 28 EG nicht anwendbar.
Nach allem kommt es hier weiter auch nicht darauf an, ob die Abgrenzungskriterien des
§ 1c Abs. 5 PflSchMGV im übrigen den von dem EuGH in seiner vorerwähnten
Entscheidung aufgestellten Grundsätzen entsprechen, denen der Gesetzgeber bei
Schaffung des § 16 c PflSchG im Juni 2006 jedenfalls Geltung verschaffen wollte.
46
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/645, S.1.
47
Es bedarf deshalb keiner Befassung mit dem Argument der Klägerin, dass eine
Übereinstimmung nur mit Blick auf die reine Wirkung der Mittel gegen die zu
bekämpfenden Schadorganismen oder Pflanzen bzw. Pflanzenerzeugnisse
vorzunehmen sei und dabei die Auswirkungen der Anwendung des Mittels auf die
Gesundheit von Mensch und Tier und den Naturhaushalt außer Betracht zu bleiben
hätten.
48
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
49
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 ZPO.
50
Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Sie wirft die
Frage der Anforderungen an einen Parallelimport von Pflanzenschutzmitteln auf, die für
die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit der
Klärung bedarf.
51