Urteil des VG Köln vom 17.12.1998

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Verwaltungsgericht Köln, 15 K 8959/96
Datum:
17.12.1998
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 8959/96
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides des
Bundesverwal- tungsamtes vom 11. April 1996 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 10.
September 1996 verpflichtet, dem Kläger für die Aufwendungen einer
Lichtschutzbrille mit einem Rechnungsbetrag von 413 DM ge- mäß
Rechnung vom 22. März 1996 eine Beihilfe zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist Ruhestandsbeamter. Mit Schreiben vom 2. April 1996 beantragte er u. a.
eine Beihilfe zu den Aufwendungen für zwei getönte Mehrstärkenbrillen. Bei- gefügt
waren zwei ärztliche Verordnungen der Augenärztin Frau C. -C. vom 20. März 1996.
Eine ärztliche Verordnung betraf eine Bifokal-Sehhilfe, entspiegelt, Kunststoffgläser mit
einer Mindesttönung von 65 % wegen Glaskörpertrübung, chro- nischem Druckekzem
und BH-Reiz. Die andere ärztliche Verordnung betraf eine Mul- tifokal-Sehhilfe,
entspiegelt, Kunststoffgläser, Mindesttönung 25 % wegen u.a. Glas- körpertrübung, chr.
Druckekzem und BH-Reiz. Dem Beihilfeantrag beigefügt waren auch entsprechende
Rechnungen des Optikers über 413 DM vom 22. März 1996 für eine Lichtschutzbrille
(Mehrstärkenbrille) mit einem Tönungsgrad von 75 % und über eine Mehrstärkenbrille
mit einem Tönungsgrad von 25 % über 1.142,20 DM.
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Mit Bescheid vom 11. April 1996 wurde dem Kläger für eine Mehrstärkenbrille ein
beihilfefähiger Betrag in Höhe von 487,50 DM bei einem Rechnungsbetrag von
1.142,20 DM bewilligt. Der Antrag für die Erstattung der Aufwendungen für eine zwei- te
Mehrstärkenbrille mit einem Rechnungsbetrag von 413 DM wurde abgelehnt. Zur
Begründung wurde ausgeführt, daß zwei Mehrstärkenbrillen nicht beihilfefähig seien.
Die Diagnose für eine Lichtschutzbrille sei nach den Beihilfevorschriften nicht gege-
ben.
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Unter dem 25. April 1996 legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führ- te er
unter dem 3. Juli 1996 im wesentlichen aus, daß es sich bei der zweiten Mehr-
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stärkenbrille um eine Sonnenschutzbrille handele, die er wegen besonderer Indikati-
onen neben der normalen Brille benötige. Zumindest müsse aber die Beihilfefähigkeit
für eine weitere Einstärkensonnenbrille anerkannt werden. Beigefügt war eine z. T.
handschriftlich erweiterte augenärztliche Verordnung für eine Bifokal-Lichtschutzbrille
mit einer Mindesttönung von 65 %, die als Begründung für die Notwendigkeit der be-
sonderen Gläser "Glaskörpertrübung, chronisches Druckekzem, BH-Reizung mit Ke-
rato-Konjunktivitis/Ciliarkörperneuralgie" anführte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. September 1996 wurde der Widerspruch des
Klägers durch das Bundesverwaltungsamt zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im
wesentlichen ausgeführt, daß gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 der Beihilfevorschriften - BhV -
i.V.m. mit Nr. 11.6 der Anlage 3 zu dieser Vorschrift Aufwendungen für eine Brille bei
gleichbleibender Sehschärfe nur dann beihilfefähig sei, wenn seit dem Kauf der
bisherigen Brille drei Jahre vergangen seien. Die Beihilfefähigkeit der Aufwen- dungen
für eine Reservebrille einfacher Ausstattung sei damit zugleich verneint. Der Kläger
habe eine Beihilfe zu den Aufwendungen von zwei Brillen mit gleichen Seh- werten
sowie gleicher Tönungsstärke (65 %) beantragt, wobei eine Brille mit Tönung als
beihilfefähig anerkannt worden sei. Die erweiterte Diagnosenstellung durch den
Augenarzt sei für die Anerkennung einer weiteren getönten Brille unerheblich, da ge-
nerell Zweitbrillen als nicht beihilfefähig anerkannt werden könnten.
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Der Kläger hat am 30. September 1996 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor,
daß er entgegen der Ausführungen der Beklagten in ihrem Widerspruchsbescheid die
Beihilfe nicht zu zwei Brillen mit gleicher Tönungs- stärke beantragt habe. Vielmehr
handele es sich bei der ersten Brille um eine Fern- und Lesebrille, für die seine
behandelnde Augenärztin bei ihrer Verordnung vom 20. März 1996 aufgrund der von ihr
festgestellten medizinischen Indikationen eine Tö- nungsstärke von 25 % für notwendig
erachtet habe. Bei der zweiten Brille - einer be- sonderen Lichtschutzbrille aufgrund der
von der Ärztin festgestellter medizinischer Indikationen - sei eine Tönungsstärke von
mindestens 65 % verordnet worden. Somit handele es sich bei der
streitgegenständlichen zweiten Brille um keine artgleiche Re- servebrille.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides des Bundes- verwaltungsamtes vom
11. April 1996 und Aufhebung des Wi- derspruchsbescheides vom 10. September 1996
zu verpflichten, ihm für die Aufwendungen einer Lichtschutzbrille mit einem
Rechnungsbetrag von 413 DM gemäß Rechnung vom 22. März 1996 eine Beihilfe zu
gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie unter Hinweis auf die ablehnenden Bescheide vor, daß in der
Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV Umfang und Voraussetzungen der Beihilfefähigkeit für
die Beschaffung von Sehhilfen im einzelnen geregelt seien. Danach werde der Erwerb
von Brillen nur in begrenztem Umfang beihilferechtlich anerkannt. Sehhilfen nach
jeweiligem Tönungsgrad bei unveränderter Refraktion seien insoweit von einer
Beihilfeleistung ausgeschlossen. Die Beihilfe sei ihrem Wesen nach letztlich nur eine
Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten hinzutrete, wenn sich
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dies als notwendig erweise.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Kammer kann gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Kläger
hat mit Schriftsatz vom 8. Mai 1998, die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Mai 1998 auf
mündliche Verhandlung verzichtet.
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Die zulässige Klage ist begründet. Die Bescheide des Bundesverwaltungsamts vom 11.
April 1996 und 10. September 1996 sind im Hinblick auf die Ablehnung einer Beihilfe für
eine ärztlich zusätzlich verordnete Lichtschutzbrille rechtswidrig und verletzen den
Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe
für eine zusätzliche Lichtschutzbrille, vgl. § 113 Abs. 5 VwGO.
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Rechtsgrundlage für die Beihilfegewährung ist die Fürsorgepflicht des Dienstherrn
gemäß § 79 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -. Die hiernach anwendbaren
Beihilfevorschriften konkretisieren diese Fürsorgepflicht im Interesse einer
gleichmäßigen Behandlung aller Beamten, indem sie die Ausübung des Ermessens der
zur Erfüllung der Fürsorgepflicht auf diesem Gebiet berufenen Stellen zentral binden.
Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung eines in Anwendung der Beihilfevorschriften
erlassenen Verwaltungsakts erstreckt sich im wesentlichen darauf, ob er mit diesen
Vorschriften in Einklang steht und ob sich die Beihilfevorschriften in ihrer Auswirkung
auf den konkreten Einzelfall in den Grenzen des dem Dienstherrn eingeräumten
Konkretisierungsermessen halten, insbesondere ob eine Beschränkung oder ein
Ausschluß der Beihilfe mit der Fürsorgepflicht und dem Gleichbehandlungsgrundsatz
(Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1983 - 2 C 36,37/81 -, NVwZ 1985, 417 m.w.N..
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Klage Erfolg. Ein Anspruch des Klägers auf
Beihilfe zu den Kosten der zusätzlich geltend gemachten Lichtschutzbrille folgt aus § 6
Abs. 1 Nr. 4 BhV in der hier anzuwendenden Fassung i.V.m. Anlage 3 zu dieser
Vorschrift. Nach dieser Regelung sind aus Anlaß einer Krankheit beihilfefähig die
Anschaffung der vom Arzt schriftlich verordneten Hilfsmittel. Voraussetzungen und
Umfang der Beihilfefähigkeit bestimmen sich nach Anlage 3. Ziffer 11 dieser Anlage
regelt die Beihilfefähigkeit für Aufwendungen für Sehhilfen, wobei getönte Gläser
(Lichtschutzgläser) bei bestimmten Krankheitsbil- dern, die im einzelnen unter Ziffer
11.3.2 aufgeführt sind, bis zu einem bestimmten Betrag beihilfefähig sind. Diese
Voraussetzungen sind vorliegend hinsichtlich der streitgegenständlichen
Lichtschutzbrille erfüllt. Die den Kläger behandelnde Augenärztin Frau Dr. C. -C. hat
unter dem 20. März 1996 dem Kläger neben einer anderen Brille eine zusätzliche
besondere Lichtschutzbrille mit einer Mindesttönung von 65 % verordnet u.a. wegen
Glaskörpertrübung, Kerato- Konjunktivitis und Ciliarkörperneuralgie. Diese
Erkrankungen sind unter Ziffer 11.3.2 der Anlage im einzelnen aufgeführt. Entgegen der
Ansicht der Beklagten ist eine Beihilfefähigkeit der Lichtschutzbrille nicht deshalb
ausgeschlossen, da die Augenärztin dem Kläger ebenfalls unter dem 20. März 1996
eine weitere Brille verordnet hat mit einer Mindesttönung von 25 %, zu der bereits eine
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Beihilfe seitens der Beklagten gewährt worden ist. Zutreffend ist zwar, daß Brillen in der
jeweiligen Ausstattungsform nur einmal im Rahmen der Anlage 3 als beihilfefähig
anerkannt werden können und Aufwendungen für eine Brille bei gleichbleibender
Sehschärfe nur dann beihilfefähig sind, wenn seit dem Kauf der letzten Brille drei Jahre
vergangen sind (vgl. Ziffer 11.6 der Anlage 3). Ersatz- und/oder Zweitbrillen sind damit
grundsätzlich von einer Beihilfefähigkeit ausgeschlossen. Um eine solche Ersatz- oder
Zweitbrille handelt es sich vorliegend aber nicht. Denn es ist ein gravierender
Unterschied, ob eine Brille eine Mindesttönung von 25 % oder 65 % aufweist. So kann
eine Brille mit einer Mindesttönung von 65 % schwerlich eine ausreichende Sehhilfe bei
"normalen" bis schlechten Lichtverhältnissen darstellen, während eine Brille bei einer
Tönung von nur 25 % beim Krankheitsbild des Klägers bei starker Lichteinwirkung nur
einen unzureichenden Schutz bieten kann. Sieht es eine Augenärztin bei einer
bestimmten medizinischen Indikation - wie vorliegend - als notwendig an, daß der
Patient über zwei Brillen mit unterschiedlichen Tö- nungsstärken verfügt, so ist die
Beihilfestelle hieran gebunden, da es sich eben nicht um austauschbare Ersatz- oder
Reservebrillen handelt. Vergleichbar ist der Fall mit dem einer verordneten Fern- und
Nahbrille. Auch hier können bei zwei Brillen Kosten für besondere Gläser doppelt
anfallen, wenn dies medizinisch indiziert ist. Die Anzahl der notwendigen Brillen ergibt
sich - vorbehaltlich der Regelung in Ziffer 11.6 der Anlage 3 - somit allein aus der
augenärztlichen Verordnung,
vgl. Mildenberger, Beihilfevorschriften Bund, Länder, Kommentar, Stand: April 1998, § 6
Anm. (6) "Brillen" zu § 6 Abs. 1 Nr. 4.
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Orientierungspunkt für die Beihilfe ist allein die medizinische Notwendigkeit,
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vgl. Schadewitz/Röhrig, Beihilfevorschriften, Kommentar, Stand: März 1998, Stichwort
"Sehhilfen" zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV.
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Die medizinische Notwendigkeit einer besonderen Lichtschutzbrille wurde vorliegend
durch die Augenärztin bejaht. Liegen somit grundsätzlich die Voraussetzungen der Ziffer
11.3 ff. der Anlage 3 zu § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV vor, so ist eine Beihilfefähigkeit zu den
Aufwendungen einer ärztlich verordneten zusätzlichen Lichtschutzbrille entgegen der
Ansicht der Beklag- ten durch die Beihilfevorschriften nicht ausgeschlossen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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