Urteil des VG Köln vom 25.09.2008

VG Köln: gefahr im verzug, anhörung, verfügung, rechtliches gehör, eheliche wohnung, häusliche gewalt, erlass, polizei, dokumentation, bestätigung

Verwaltungsgericht Köln, 20 K 4987/07
Datum:
25.09.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
20 K 4987/07
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die Wohnungsverweisung nebst
Rückkehrverbot vom 30.07.2007 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte
darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
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Die Ehefrau des Klägers erstattete am 30.07.2007 auf der Polizeiwache in Wipperfürth
gegen diesen Strafanzeige wegen Körperverletzung und Beleidigung. Sie seien seit
2001/02 verheiratet. Im Januar 2007 habe sie sich von ihm getrennt, sie wohnten
allerdings noch gemeinsam im Haus. Seither komme es immer wieder zu verbalen
Gewaltausbrüchen des Klägers ihr gegenüber. Dabei äußere er etwa „ Schlampe,
hinterhältige Ratte, ich schmeiß dich durch die Wand, ich mach dich fertig". Seit ca. 3
Monaten komme es fast täglich zu den verbalen Gewaltausbrüchen, letztmalig am
28.07.2007. Bei dieser Gelegenheit habe der Kläger sie an beiden Handgelenken
gepackt und sie mit Schwung gegen eine Hauswand gedrückt. In der Vergangenheit
habe er mehrfach versucht, sie auch zu schlagen, was ihm aber nicht gelungen sei. Sie
nehme die Drohungen ernst und habe Angst. Sie habe nach dem Vorfall vom
28.07.2007 Schmerzen am Rücken und geschwollene Handgelenke.
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In einem Vermerk der Polizei vom selben Tage heißt es, der Kläger habe nicht zum
Vorfall befragt werden können. Auf Grund der Schilderungen der Ehefrau sei von deren
Gefährdung auszugehen. Laut weiterem Aktenvermerk vom 30.07.2007 suchten die
Beamten I. und C. in Begleitung der Ehefrau die Wohnanschrift auf, um das
Rückkehrverbot gegen den Kläger auszusprechen/durchzusetzen und die schriftliche
Bestätigung auszuhändigen. Der Kläger habe angegeben, als selbstständiger
Versicherungsvertreter sein Büro im Hause zu haben. Es sei für ihn unumgänglich,
dieses zu betreten, um weitere Geschäftsunterlagen und Post abzuholen. Im Beisein der
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Beamten habe sich die Ehefrau völlig unvermittelt beim Kläger für den „ Rauswurf"
entschuldigt. Diese Folge der Anzeigenerstattung sei ihr nicht bewusst gewesen, dass
habe sie so alles nicht gewollt.
Unter dem 01.08. 2007 (Eingang 02.08.2007) legte der Kläger gegen die Maßnahme
Widerspruch ein und kündigte eine weitere Begründung an. Am 06.08.07 teilte sein
Prozessbevollmächtigter mit, die Ehefrau sei mit dem Kind endgültig ausgezogen, es
bestehe keine Notwendigkeit mehr für das Rückkehrverbot, zumal er als selbstständiger
Versicherungsvertreter auf die Anwesenheit in seinem Hause angewiesen sei. Mit
Verfügung vom 07.08.2007 wurde das Betretung- und Rückkehrverbot mit sofortiger
Wirkung wegen des Auszugs der Ehefrau aufgehoben.
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Am 30.8.2007 ließ der Kläger zur Widerspruchsbegründung ausführen, es sei vor Erlass
der Maßnahme keine Anhörung erfolgt, obwohl hierzu Gelegenheit bestanden hätte.
Zudem hätten die Voraussetzungen des § 34 a PolG nicht vorgelegen. Nach Angaben
der Ehefrau solle er bei einem verbalen Streit am 28.07. gewalttätig geworden sein. Als
sie zwei Tage später bei der Polizei erschienen sei, habe jedoch keine gegenwärtige
Gefahr mehr bestanden. Zudem sei der Sachverhalt von der Polizei nicht verlässlich
ermittelt worden. Diese hätten vielmehr schon auf Grund des Umstandes, dass nach
dem Vorfall zwei Tage vergangen sei, die Aussage der Ehefrau hinterfragen müssen.
Die Vorwürfe der Ehefrau entbehrten jedenfalls jeglicher Grundlage. Er habe ein
Interesse an der Feststellung der Rechtwidrigkeit der Maßnahme, weil seine Ehefrau die
Zeit genutzt habe, um Gegenstände aus der Wohnung zu entfernen und ihm das Kind zu
entziehen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 19.10.2007 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.
Der Widerspruch gegen die Maßnahme sei unzulässig, weil diese sich mittlerweile
erledigt habe. Der Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit könne auch keinen
Erfolg haben. Eine Anhörung sei nicht erforderlich gewesen, weil eine sofortige
Entscheidung wegen Gefahr in Verzug notwendig gewesen sei. Die Maßnahme sei
auch materiell rechtmäßig, weil die Gefahrenprognose unter den gegebenen
Umständen nicht zu beanstanden sei.
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In dem gegen den Kläger eingeleitete Strafverfahren trug sein Prozessbevollmächtigter
vor, die Angaben der Ehefrau sei grob falsch. Dies gelte zunächst hinsichtlich der
angeblichen Trennung schon im Januar 2007. Eine Trennung sei erst am Tag der
Anzeige erfolgt. Die angeblichen verbalen Gewaltausbrüche sowie die angegebenen
Beleidigungen würden von ihm auf das entschiedenste bestritten. Soweit diese
angeblich in den letzten drei Monaten stattgefunden hätten sei darauf hinzuweisen, dass
sich seine Ehefrau in dieser Zeit allein acht Wochen in Russland befunden habe. Die
behauptete Gewaltanwendung seitens des Klägers entspreche auch nicht der Wahrheit.
So verwundere es auch nicht, dass seine Ehefrau keinen Arzt aufgesucht und erst nach
zwei Tagen zur Polizei gegangen sei. Ihre Handgelenke seien von der Polizei nicht in
Augenschein genommen worden. Im Rahmen einer Zeugenvernehmung erklärte die
Ehefrau, sie seien seit August 2007 getrennt. Zunächst wolle sie keine weitergehenden
Aussagen machen. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde im Januar 2008 gemäß
§ 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
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Der Kläger hat rechtzeitig Klage erhoben.
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Während des Verfahren legte der Beklagte eine Stellungnahme des PK S. vom
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01.04.2008 vor. Danach sei es ihm nicht möglich gewesen, mit dem Kläger telefonisch
Rücksprache zu halten. Die Beamten I. und C. hätten die Wohnanschrift aufgesucht und
den Kläger angetroffen; sie hätten ihm die Maßnahme erläutert und die Verfügung
ausgehändigt. In einer Stellungnahme vom 12.05.2008 führte PHM I. aus, nach seiner
Erinnerung sei die Anzeige durch PK S. als Wachdienstführer aufgenommen worden. Er
sei während dieser Zeit nicht auf der Wache anwesend gewesen. Soweit ihm noch
erinnerlich sei, habe die Ehefrau des Klägers die Polizei ohne dessen Wissen
aufgesucht. Nach Aufnahme der Anzeige seien PK C. und er zur Wohnanschrift
entsandt worden; die Ehefrau des Klägers habe sie begleitet. Zweck sei es gewesen,
die Dokumentation „ häusliche Gewalt" zu überbringen und gegebenenfalls das
Rückkehrverbot durchzusetzen. Der Kläger sei vor Ort angetroffen und über den Grund
des Erscheinens informiert worden. In dem nach erfolgter Belehrung geführten
Gespräch hätten sich nach seiner Erinnerung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, ein
Rückkehrverbot nicht auszusprechen und nicht durchzusetzen.
Der Kläger vertritt die Auffassung, es habe keine Anhörung stattgefunden. Da die Polizei
auf die sofortige Wohnungsverweisung gedrängt habe, habe er nicht mehr deutlich
machen können, dass der von der Ehefrau geschilderte Sachverhalt frei erfunden sei.
Man habe ihm gerade zehn Minuten Zeit gegeben, seine wesentlichen Sachen zu
packen. Dabei sei es ihm vor allem wichtig gewesen, die für anstehende Gespräche in
seiner Eigenschaft als Versicherungsvertreter erforderlichen Papiere zusammen
zustellen. Man habe ihn telefonisch nicht erreichen können, weil seine Ehefrau das
mobile Telefon mitgenommen hätte. Man hätte ihn aber per Handy erreichen können;
seiner Ehefrau sei seine Handynummer bekannt gewesen. Es sei nicht ersichtlich
warum die Polizeibeamten den Kläger in der Wohnung nicht hätte anhören können. Die
schriftlichen Stellungnahmen zeigten jedoch, dass die Polizeibeamten gar nicht den
Auftrag gehabt hätten, ihn anzuhören. Die unvermittelte Entschuldigung seiner Ehefrau
sowie das Fehlen von Verletzungen hätten Anlass für eine Plausibilitätsprüfung
hinsichtlich ihrer Anzeige geben müssen. Im Übrigen wiederholt er sein Vorbringen aus
dem Vorverfahren.
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Der Kläger beantragt,
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festzustellen, dass die Wohnungsverweisung nebst Rückkehrverbot vom 30.07.2007
rechtswidrig gewesen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er vertritt die Auffassung, dass die Maßnahme rechtmäßig war. Es liege kein
Anhörungsmangel vor. Vielmehr hätten die vor Ort eingesetzten Beamten durchaus die
Befugnis gehabt, die Verfügung nicht auszusprechen, falls sich neue Tatsachen
ergeben hätten. Dem Kläger sei auch Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.
Jedenfalls sei ein eventueller Anhörungsmangel geheilt worden. Eine Heilung sei bis
zum Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses möglich. Das VG Aachen lasse eine
Heilung der fehlenden vorherigen Anhörung sogar noch im
Fortsetzungsfeststellungsverfahren zu ( Urteil vom 23.08.2006 - 6 K 3852/04 -). Die dem
Kläger am 30.07.2007 ausgehändigte Polizeiverfügung habe eine
Rechtsmittelbelehrung enthalten. Der Kläger habe auch Widerspruch eingelegt. Dass
dieser bis zum erledigenden Ereignis nicht begründet worden sei, führe nicht dazu, dass
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eine Heilung gem. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW nicht möglich sei. Entscheidend sei allein,
dass dem Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werde. Dies sei hier aber der
Fall gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Strafakte der Staatsanwaltschaft Köln 422 Js 1593/07 Bezug
genommen. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.
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Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, dass die
Verfügung des Beklagten vom 30.07.2007 rechtwidrig gewesen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 4
VwGO), da die gegen ihn verhängte Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot in
seine Grundrechte aus Art. 13 Abs 1. und Art. 11 Abs. 1 GG eingegriffen haben,
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siehe BVerfG Beschluss vom 22.02.2002 - 1 BvR 300/02-, NJW 2002, 2225 (2226).
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Die Klage ist auch begründet, da die gegen den Kläger verhängten polizeilichen
Maßnahmen rechtswidrig waren und den Kläger in seinen Rechten verletzt haben.
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Zwar war die dem Kläger am 30.07.2007 überreichte Verfügung nach ihrem Wortlaut die
schriftliche Bestätigung einer mündlichen Verfügung gem. § 34 a PolG NRW, obwohl
zuvor eine solche mündliche Verfügung gegen den Kläger gar nicht ergangen war. Der
Kläger hat diese jedoch aufgrund der Umstände als eigenständige schriftliche
Verfügung gewertet und ist ihr nachgekommen.
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Die so zu verstehende schriftlich erteilte Wohnungsverweisung und das Rückkehrverbot
für die eheliche Wohnung im C1. 0 in Wipperfürth sind jedoch rechtswidrig, da der
Kläger vor deren Erlass entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW, welches gem. § 1 VwVfG
NRW auf die Tätigkeit der Polizeibehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr
Anwendung findet,
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vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG,10. Aufl. 2008, § 2, Rnr. 35a,
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nicht angehört wurde.
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Gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW ist dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu den
für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, bevor ein Verwaltungsakt
erlassen wird, der in die Rechte des Beteiligten eingreift. Der Kläger ist weder vor
Abfassung der „schriftlichen Bestätigung" noch im zeitlichen Zusammenhang mit der
Übergabe der Verfügung angehört worden. Der schriftlichen Erklärung des Herrn PK S.
vom 1.4.2008 muss entnommen werden, dass dieser der hinsichtlich einer
Wohnungsverweisung entscheidungsbefugte Amtsträger war (er hat die Verfügung auch
unterschrieben). Dagegen bestand die Aufgabe der Beamten C. und I. nur darin, die
Verfügung auszuhändigen und zu erläutern, nicht aber darin, vor Ort den Sachverhalt
weiter zu ermitteln und ggfls. eine (neue) Entscheidung zu treffen bzw. eine Überprüfung
der Verfügung vor ihrer Aushändigung zu veranlassen. Dies deckt sich mit der
schriftlichen Erklärung des Herrn PHW I. vom 12.5.2008 (in der als weitere Aufgabe
genannt wird, ggfls. das Rückkehrverbot durchzusetzen). Die Passage „ Aus der
Erinnerung heraus haben sich in diesem Gespräch nach erfolgter Belehrung keine
Anhaltspunkte ergeben, ein Rückkehrverbot nicht auszusprechen und durchzusetzen."
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belegt nicht, dass dem Kläger zunächst Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den
Angaben seiner Ehefrau in der Anzeige zu äußern. Vielmehr hat man ihm nach seinem
unwidersprochenen Vortrag zehn Minuten Zeit gegeben, seine wesentlichen Sachen zu
packen. Angesichts des Gewichts eines derartigen Grundrechtseingriffs erfüllt diese
Verfahrensweise der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten nicht die an eine Anhörung zu
stellenden Anforderungen, zumal praktisch auch nur die unmittelbare Gelegenheit zur
Stellungnahme des Betroffenen die Möglichkeit eröffnen kann, der Anzeigenerstatterin
ggfls. Vorhaltungen zu machen dadurch den Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu
überprüfen und zu hinterfragen.
Die Anhörung des Klägers war auch nicht gem. § 28 Abs. 2 VwVfG NRW entbehrlich,
wonach von einer Anhörung abgesehen werden kann, wenn sie nach den Umständen
des Einzelfalles nicht geboten ist. Es bedarf keine näheren Prüfung, ob hier Herr PK S.
vor Erlass der Verfügung nach Abwägung aller Umstände bewusst von der Anhörung
Abstand genommen und insoweit eine im Rahmen des § 28 Abs. 2 VwfG NRW
erforderliche Ermessensentscheidung getroffen hat.
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Denn die Voraussetzungen für ein Absehen von der Anhörung des Klägers lagen nicht
vor, wobei hier nur die Möglichkeit des § 28 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG NRW ernsthaft in
Betracht kommt. Danach kann von einer Anhörung insbesondere abgesehen werden,
wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr in Verzug notwendig erscheint. Gefahr
im Verzug im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn durch eine vorherige Anhörung auch
bei Gewährung kürzester Anhörungsfristen ein Zeitverlust einträte, der mit hoher
Wahrscheinlichkeit zur Folge haben würde, dass die durch den Verwaltungsakt zu
treffende Regelung zu späte käme, um ihren Zweck noch zu erreichen, was in jedem
Einzelfall „ex ante" zu beurteilen ist,
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BVerwG, Urteil vom 15.12.1983 - 3 C 27/82 -BVerwGE 68, 267 ff.; juris- Dokumentation,
Rnr. 56 zu der gleichlautenden bayerischen Vorschrift.
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In Fällen wie dem vorliegenden (Erlass einer Maßnahme gem. § 34 a PolG NRW)
kommt das Vorliegen von Gefahr im Verzug insbesondere in Betracht, wenn der
Betroffene (hier der Kläger) nicht greifbar ist, weil sein Aufenthaltsort unbekannt ist, er
sich insbesondere nicht/nicht mehr in der Wohnung der Geschädigten aufhält.
Anderenfalls ist ein Absehen von der Anhörung nur in besonderen Fällen denkbar, z. B.
wenn der Betroffene nicht „vernehmungsfähig" ist.
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Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Vielmehr war der Kläger zu Hause. Es wäre
demnach ohne Probleme möglich gewesen, ihn vor Erlass der Verfügung dort
aufzusuchen und anzuhören. Es entspricht im Übrigen nach den Kenntnissen der
Kammer, welche bereits zahlreiche Fälle aus diesem Gebiet bearbeitet hat, auch der
überwiegenden Praxis von Polizeibehörden, entweder bei einem Einsatz in der
Wohnung der Beteiligten vor Erlass einer Verfügung nach § 34a PolG NRW den
anwesenden Betroffenen anzuhören oder gemeinsam mit der Anzeigenerstatterin zur
Wohnung zurückzukehren und den anwesenden Partner vor Erlass der Verfügung
anzuhören.
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Die fehlende Anhörung des Klägers ist nicht gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW
nachgeholt worden. Insoweit kommt eine Heilung etwa durch das später geführte
Widerspruchsverfahren nicht unter dem Gesichtpunkt in Betracht, dass eine fehlende
Anhörung gem. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW bis zum Abschluss der ersten Instanz eines
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verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann. Denn eine solche
Heilung ist nur in einem Verwaltungsverfahren möglich, das geeignet ist, zu einer
Änderung des betroffenen Verwaltungsaktes zu führen. Diese Möglichkeit besteht ab
der Erledigung des Verwaltungsaktes und insbesondere im Rahmen einer späteren
Feststellungsfortsetzungsklage nicht mehr,
vgl. VGH Baden- Württemberg, Urteil vom 27.02.2006 - 6 S 1508/04 -, ESVGH 56, 169
ff., juris-Dokumentation, Rnr.40; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 45, Rnr. 42; a. A. ohne
nähere Begründung: VG Aachen, Urteil vom 23.08.2006, -6 K 3852/04-, juris-
Dokumentation, Rnr. 34.
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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine Heilung auch nicht dadurch
eingetreten, dass der Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens noch vor der
Erledigung der Maßnahme eine Stellungnahme hätte abgeben können. Denn daraus
ergibt sich nicht etwa eine Obliegenheit oder Verpflichtung des Betroffenen, sich
seinerseits (und zwar noch innerhalb der Geltungsdauer des Rückkehrverbotes)
rechtliches Gehör zu verschaffen und dadurch eine Heilung des Anhörungsmangels zu
bewirken.
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Schließlich ist die fehlende Anhörung auch nicht gem. § 46 VwVfG NRW unbeachtlich,
weil offensichtlich wäre, dass diese die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
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Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschrift des § 46 VwVfG NRW auf die vorliegende
Fortsetzungsfeststellungsklage überhaupt Anwendung findet,
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vgl. BVerwG, Urteil vom 15.12.1983, - 3 C 27/82 -, BVerwGE 68, 267 ff, juris-
Dokumentation, Rnr. 66 (offen gelassen), von der Anwendbarkeit geht dagegen offenbar
aus: BVerwG, Urteil vom 23.11.1999, -1C 12/98-, GewArch 2000, 324f., juris-
Dokumentation, Rnr.15 a.E.; zum Meinungsstand: Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 46 Rnr.
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denn die Voraussetzungen des § 46 VwVfG NRW sind vorliegend nicht erfüllt. Weder ist
jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass bei der Einhaltung der Vorschrift (hier bei
Anhörung des Klägers) die Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
anders hätte ausfallen können, Kopp/Ramsauer, a. a. O. § 46 Rnr. 26; zur vorherigen
Fassung des § 46 siehe auch OVG NRW, Urteil vom 13.10.1988 -11 A 2734/86-, NVwZ-
RR 1989, 614 ff., juris-Dokumentation Rnr. 11 ff.,
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noch ist offensichtlich, dass auch eine Anhörung des Klägers die Entscheidung in der
Sache nicht beeinflusst hätte. Es muss insoweit jeder vernünftige Zweifel
ausgeschlossen sein, dass es bei Vermeidung des Fehlers zur selben Entscheidung in
der Sache gekommen wäre,
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Kopp/Ramsauer, a. a. O. § 46, Rnr. 37; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG ,6. Aufl. § 46 Rnr.
85.
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Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn die vom Kläger im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren vorgetragenen Umstände (u.a.: sie hätten am 30.7.2007 noch nicht
getrennt gelebt -was von der Ehefrau später bestätigt worden ist-; während der letzten
drei Monate, in denen es angeblich zu verbalen Gewaltausbrüchen gekommen sei,
habe sich seine Ehefrau allein acht Wochen in Russland aufgehalten; trotz angeblicher
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gesundheitlicher Beeinträchtigungen habe seine Ehefrau keinen Arzt aufgesucht) hätten
in jedem Fall Anlass geboten, die anwesende Ehefrau mit dem Vortrag des Klägers zu
konfrontieren und nochmals zu befragen (vgl. 24 Abs. 2 VwVfG NRW, wonach alle für
den Einzelfall bedeutsamen, auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu
berücksichtigen sind). Welche Angaben die Ehefrau des Klägers bei einer solchen
Befragung gemacht hätte, kann im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden. Es ist
jedenfalls nicht mit der nötigen Sicherheit auszuschließen, dass die Ehefrau ihre
Angaben korrigiert hätte oder den Beamten Zweifel an der Richtigkeit der Angaben
gekommen wären mit der Folge, dass sie davon abgesehen hätten, eine
Wohnungsverweisung und ein Rückkehrverbot gegenüber dem Kläger auszusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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