Urteil des VG Köln vom 25.02.2010

VG Köln (lärm, kläger, auflage, gaststätte, grenzwert, beginn, betrieb, verordnung, gutachten, rhein)

Verwaltungsgericht Köln, 1 K 3256/08
Datum:
25.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3256/08
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Landrats des Rhein-Erft-Kreises vom 08.
April 2008 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass aufgrund der Auflage Nr. 5 zur
Gaststättenerlaubnis vom 30. August 1999 in der Fassung der
Zusatzerlaubnis vom 09. September 2005 die von dem Biergarten des
Beigeladenen ausgehenden Geräusche nach 22.00 Uhr 40 dB(A),
gemessen nach TA Lärm an der Grundstücksgrenze, nicht überschreiten
dürfen.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Antrag der Kläger, die vorstehend
genannte Auflage gegenüber dem Beigeladenen durchzusetzen, unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und der Beigeladene je
zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1
Der Beigeladene betreibt in G. , B. Straße 000, eine Gaststätte (" C. ") mit im
rückwärtigen Grundstücksbereich gelegener Außengastronomie (Biergarten). Die
Kläger bewohnen in dem westlich gelegenen Nachbargebäude B. Straße 000 das
zweite Obergeschoss. Die beidseits im Zusammenhang bebaute B. Straße wird im in
Rede stehenden Bereich nicht von einem Bebauungsplan erfasst.
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Die dem Beigeladenen unter dem 30. August 1999 erteilte Gaststättenerlaubnis enthält
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u.a. die Auflage Nr. 5, in der es auszugsweise heißt:
"Aus Lärmschutzgründen dürfen die von der Gaststätte ausgehenden Geräusche
(Musik-, Gäste-, Kegelbahn- und sonstigen Geräusche) außerhalb des Lokals tagsüber
55 dB(A) und nach 22.00 Uhr 40 dB(A) absolut gemessen an der Grundstücksgrenze, ...
nicht überschreiten."
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Mit gaststättenrechtlicher Erlaubnis vom 09. September 2005 genehmigte der Beklagte
den Betrieb einer zusätzlichen, zur Straße hin gelegenen Außengastronomie in einer
Größe von etwa 10 qm. Zugleich bestimmte er u.a., dass die Regelungen der Erlaubnis
vom 30. August 1999 bestehen bleiben.
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In § 2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt G. vom 26. Oktober 2006 wird
für die Außengastronomie von Schank- und Speisewirtschaften der Beginn der Sperrzeit
auf 24.00 Uhr festgelegt.
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Im Hinblick darauf sowie auf die Änderung des Landesimmissionsschutzgesetzes teilte
der Beklagte in einem an alle Gaststättenbetreiber in G. gerichteten Schreiben vom 09.
November 2006 u.a. mit, dass die Lärmwerte für die Tageszeit bis 24.00 Uhr gelten
würden. Ferner hieß es, die zulässigen Lärmwerte könnten die Gastwirte ihrer
Konzession entnehmen oder beim Beklagten erfragen.
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Unter dem 25. Januar 2007 forderten die Kläger den Beklagten sinngemäß auf,
ordnungsbehördlich sicherzustellen, dass unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen der
Nachbarschaft durch den rückwärtigen Biergartenbetrieb des Beigeladenen
ausgeschlossen sind.
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Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 26. April 2007 ab: Seine zuletzt am 24.
April 2007 durchgeführten Messungen hätten ergeben, dass der nach der Technischen
Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) in allgemeinen Wohngebieten geltende
Grenzwert nicht überschritten werde. Denn die von der Außengastronomie
einzuhaltende Nachtruhe beginne nicht bereits um 22 Uhr, sondern infolge der
geänderten Regelung in § 9 Landesimmissionsschutzgesetz erst um 24 Uhr.
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Die Kläger legten Widerspruch ein und beriefen sich auf Feststellungen der von ihnen
beauftragten Kramer Schalltechnik GmbH (Gutachten Kramer), welche vor ihrer
Wohnung zwischen 22 und 23 Uhr einen berücksichtigungsfähigen Schallpegel von
51,1 dB(A) ermittelt habe. Sie forderten, dass ab 22 Uhr der in der TA Lärm festgelegte
Nachtwert eingehalten werde.
10
Mit Bescheid vom 08. April 2008, den Klägern zugestellt am 11. April 2008, wies der
Landrat des Rhein-Erft-Kreises den Widerspruch als unbegründet zurück: Da infolge der
seit dem 01. Mai 2006 geltenden Fassung von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Landesimmissionsschutzgesetz für die Außengastronomie die Zeit für die Nachtruhe
erst um 24 Uhr beginne, sei bis zu diesem Zeitpunkt nur der TA Lärm-Richtwert für die
Tageszeit zu beachten. Dieser betrage in allgemeinen Wohngebieten 55 dB(A) und
werde nach keiner der durchgeführten Messungen zwischen 22.00 und 24.00 Uhr
überschritten.
11
Mit der am 13. Mai 2008 (Dienstag nach Pfingsten) erhobenen Klage machen die Kläger
geltend: Mit der Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Landesimmissionsschutzgesetz sei
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nicht beabsichtigt, für die Zeit zwischen 22 und 24 Uhr weniger strenge Lärmrichtwerte
als in der TA Lärm vorgesehen einzuführen. Der für die Zeit ab 22 Uhr maßgebliche
Richtwert von 40 dB(A) werde ausweislich des nicht zu beanstandenden Gutachtens
Kramer um 10,1 dB(A) überschritten. Abgesehen davon hätten auch weitere mit einer
sogenannten BASS-Station von den Klägern am 30. August 2008 sowie am 14. und 22.
August 2009 vorgenommene und von der Bezirksregierung Köln nach den Kriterien der
TA Lärm bewertete Messungen ergeben, dass an diesen Tagen die vom
Biergartenbetrieb des Beigeladenen verursachten Geräusche über dem einschlägigen
Grenzwert gelegen hätten.
Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 26. April 2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides des Landrats des Rhein-Erft-Kreises vom 08. April 2008
aufzuheben und
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1.
15
a) festzustellen, dass aufgrund der Auflage Nr. 5 zur Gaststättenerlaubnis vom 30.
August 1999 in der Fassung der Zusatzerlaubnis vom 09. September 2005 die von dem
Biergarten des Beigeladenen ausgehenden Geräusche nach 22.00 Uhr 40 dB(A),
gemessen nach TA Lärm an der Grundstücksgrenze, nicht überschreiten dürfen,
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b) hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, dem Beigeladenen die gaststättenrechtliche
Auflage zu erteilen, dass durch den Betrieb des rückwärtigen Biergartens in Bezug auf
die Wohnung der Kläger im zweiten Obergeschoss des Hauses G. , B. Straße 000, der
nach der TA Lärm für allgemeine Wohngebiete nachts zulässige Immissionsrichtwert
von 40 dB(A) ab 22.00 Uhr nicht überschritten wird,
17
2.
18
den Beklagten zu verpflichten,
19
a) die vorstehend unter Ziffer 1 a genannte Auflage
20
b) hilfsweise die vorstehend unter 1 b erstrebte Auflage gegenüber dem Beigeladenen
durchzusetzen.
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Der Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Er ist der Auffassung, dass die Auflage Nr. 5 zur Gaststättenerlaubnis infolge der
Änderung des § 9 Landesimmissionsschutzgesetz hinfällig geworden sei, und verteidigt
die angegriffenen Bescheide.
24
Der Beigeladene beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er schließt sich im Wesentlichen der Rechtsauffassung des Beklagten an. Im Übrigen
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hält er das Gutachten Kramer für nicht nachvollziehbar. Soweit am 22. August 2009 ein
zu hoher Lärmpegel festgestellt worden sei, sei dieser nicht auf seine
Außengastronomie, sondern auf eine im Garten des Nachbarn Pick durchgeführte
Geburtstagsfeier zurückzuführen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29
Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
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Die angefochtenen Bescheide vom 26. April 2007 und 08. April 2008 sind rechtswidrig
und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte
und die Widerspruchsbehörde gehen darin davon aus, dass für den Biergarten des
Beigeladenen bis 24.00 Uhr der Lärmrichtwert von 55 dB(A) gelte, so dass mangels
Überschreitung dieses Wertes keine rechtliche Möglichkeit bestehe, gegen den Betrieb
des Beigeladenen vorzugehen. Diese Auffassung ist, wie im Folgenden unter Ziffern 1
und 2 dargelegt wird, unzutreffend, so dass die Bescheide rechtswidrig und somit
aufzuheben sind.
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1. Das im Klageantrag zu 1 a) enthaltene Feststellungsbegehren ist zulässig und
begründet.
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Die Kläger haben ein Feststellungsinteresse, da der Beklagte die Verbindlichkeit der
Auflage Nr. 5 zur Gaststättenerlaubnis bezweifelt und die Auflage zumindest auch dem
Nachbarschutz dient. Dem steht nicht entgegen, dass die tatsächliche bauliche
Anordnung der lärmbetroffenen Räume der Kläger von der Baugenehmigung abweicht.
Die Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung entfiele erst dann, wenn diese Nutzung nicht
nur formell, sondern auch materiell baurechtswidrig wäre,
33
vgl.: BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1992 -1 C 7.90-, NVwZ 1992, 886 (887).
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Letzteres ist nicht der Fall, da die bauliche Änderung (Vergrößern des Schlafzimmers
durch Einbeziehung eines Teils des vorher genehmigten Balkons; Vergrößerung des
Schlafzimmerfensters) keine neuen bauplanungs- oder bauordnungsrechtlichen Fragen
aufwirft.
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Das Feststellungsbegehren ist zudem begründet. In der bestandskräftigen Erlaubnis
vom 30. August 1999 ist unter Nr. 5 für die Gaststätte, mithin auch für die mit genehmigte
rückwärtige Außengastronomie, unter anderem geregelt, dass die davon ausgehenden
Geräusche nach 22.00 Uhr 40 dB(A), absolut gemessen an der Grundstücksgrenze,
nicht überschreiten dürfen. Diese Regelung wurde durch die Zusatzerlaubnis vom 09.
September 2005 für den gesamten Gaststättenbetrieb bestätigt.
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Zwar wird in diesen Verwaltungsakten nicht ausdrücklich bestimmt, wie die Geräusche
gemessen und beurteilt werden sollen. Mangels naheliegender Alternative lässt sich
jedoch nicht ernsthaft bezweifeln, dass dies nach der seit dem 01. November 1998 -
also schon damals - geltenden TA Lärm i.d.F. vom 26. August 1998, GMBl 1998 S. 503,
zu erfolgen hat und dass dies vom Beklagten auch nicht anders gewollt war.
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Dem steht nicht entgegen, dass nach der genannten Auflage der Grenzwert von 40
dB(A) bereits "an der Grundstücksgrenze", hier also an der Grenze des
Gaststättengrundstücks des Beigeladenen, einzuhalten ist, während nach Ziffer 2.3
i.V.m. dem Anhang A.1.3 lit. a TA Lärm an einer anderen Stelle, nämlich 0,5 m
außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten
betroffenen schutzbedürftigen Raumes, zu messen ist. Diese Abweichung hat aber nicht
zur Folge, dass die TA Lärm generell nicht zur Anwendung kommen soll, sondern
bedeutet nur, dass der Messort zugunsten der Nachbarschaft einheitlich anders
festgelegt wird. Abgesehen davon ist der hier bestehehende Abstand von etwa 30 m
zwischen der Grundstücksgrenze und dem 0,50 m vor der Wohnung der Kläger
gelegenen Immissionsort nicht so groß, dass davon das Messergebnis wesentlich
beeinflusst sein könnte.
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Ferner scheitert die im vorstehenden Sinne modifizierte Anwendbarkeit der TA Lärm
nicht daran, dass diese Verwaltungsvorschrift nach Ziffer 1 Satz 2 lit. b nicht für
"Freiluftgaststätten" gilt. Unter diesen Begriff fällt der Biergarten des Beigeladenen nicht.
Ob das bereits daraus folgt, dass der Beigeladene eine sog. gemischte Gaststätte
betreibt, die sowohl auf einen Innen- als auch auf einen Außenbetrieb ausgerichtet ist,
39
so OVG NRW, Urteil vom 13. November 2009 -7 A 146/08-, juris, Rn. 75,
40
oder daraus, dass der Außenbetriebsteil der Gaststätte " C. " nicht eigenständig und
abgesehen davon auf der Grundlage der Erlaubnisunterlagen für den Charakter der
Gaststätte nicht prägend ist,
41
vgl.: Feldhaus/Tegeder, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 4, 2. Aufl., B 3.6, Nr. 1 Rn.
16,
42
kann auf sich beruhen. Jedenfalls ist der abweichenden Auffassung, wonach als
Freiluftgaststätte auch derjenige Teil eines umfassenden Gaststättenbetriebs bezeichnet
werden kann, der zulässigerweise außerhalb geschlossener Räume stattfindet,
43
so: Hansmann, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II (Stand 1. Juli 2009), 3.1 TA
Lärm Nr. 1, Rn. 13,
44
schon angesichts des Ausnahmecharakters dieser Regelung nicht zu folgen. Zudem ist
kein sachlich einleuchtender Grund ersichtlich, warum bei einem einheitlichen, räumlich
und organisatorisch derart eng zusammenhängenden Gewerbebetrieb wie dem des
Beigeladenen gerade der aus Sicht des Nachbarschutzes lärmträchtigere Außenteil
nach Maßstab und Methode anders und - etwa nach der sog. Freizeitlärmrichtlinie vom
23. Oktober 2006 (MBl. NRW 2006 S. 566) - weniger streng beurteilt werden sollte als
der Innenteil. Dies um so weniger als z.B. der Lärm, welcher von den die Innengaststätte
verlassenden Gästen vor dem Betrieb oder in einer ihm noch zurechenbaren Entfernung
verursacht wird,
45
vgl. dazu: Metzner, Gaststättengesetz, Kommentar, 6. Aufl., Rn. 270 bis 274 zu § 4,
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die Nachbarschaft ebenso stark belästigt wie der Biergartenlärm.
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Die Lärmschutzauflage ist gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG NRW auch wirksam geblieben, da
dieser Verwaltungsakt weder zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig
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aufgehoben wurde noch durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
Für eine konkludente Aufhebung ist den angegriffenen Bescheiden nichts zu
entnehmen, zumal die beteiligten Behörden nicht einmal ansatzweise erkannt haben,
dass eine Lärmauflage mit den Parametern 22.00 Uhr und 40 dB(A) zugunsten der
Nachbarschaft des Beigeladenen längst besteht.
49
Das an alle G. Gastwirte gerichtete Schreiben vom 09. September 2006 gibt lediglich
die Rechtsmeinung des Beklagten wieder, infolge der Änderung des § 9 Abs. 2
Landesimmissionsschutzgesetz und der Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 26.
Oktober 2006 sei die Tageszeit um zwei Stunden bis 24.00 Uhr verlängert worden.
Damit sollte aber nichts an den bereits erteilten Gaststättenerlaubnissen geändert
werden, zumal im Text ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die zulässigen
Lärmwerte der jeweiligen Konzession entnommen werden könnten.
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Ferner ist keine teilweise Erledigung auf sonstige Weise, etwa durch die am 01. Mai
2006 in Kraft getretene Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Landes-
Immissionsschutzgesetz i.d.F. von Art. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes vom 21. März
2006, GV NRW 2006 S. 139, (LImschG), eingetreten. Zwar gilt danach § 9 Abs. 1
LImschG, wonach von 22.00 bis 6.00 Uhr Betätigungen verboten sind, welche die
Nachtruhe zu stören geeignet sind, nicht - mehr - für die Außengastronomie zwischen
22.00 und 24.00 Uhr. Doch hat diese normative Verschiebung des Verbotsbeginns nicht
zur Folge, dass vorhandene, zu Lasten des Betreibers strengere Lärmschutzauflagen
unwirksam sind oder unmittelbar angepasst werden. Dafür fehlt es an einer
entsprechenden gesetzlichen Übergangsregelung für Altfälle. Diese wäre erforderlich,
da es zum Wesen der Bestandskraft gehört, dass sie sich grundsätzlich gegenüber
späteren Änderungen der Rechtslage durchsetzt.
51
Unabhängig davon könnte von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 LImschG keine
erledigende Wirkung ausgegangen sein, weil diese Vorschrift gegen die als
Bundesrecht zu qualifizierende TA Lärm verstößt und somit gemäß Art. 31 GG nichtig
ist. Das ergibt sich aus Folgendem:
52
Nach Ziffer 6.4 Satz 1 TA Lärm beginnt die durch erheblich niedrigere
Immissionsrichtwerte geschützte Nachtzeit um 22.00 Uhr; nach Ziffer 6.4 Satz 2 TA Lärm
kann die Nachtzeit bis zu einer Stunde hinausgeschoben werden, soweit dies wegen
der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher Verhältnisse unter
Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist.
Zwar handelt es sich bei der TA Lärm eigentlich nur um eine aufgrund vom § 48
Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erlassene allgemeine
Verwaltungsvorschrift. Soweit sie jedoch unbestimmte Rechtsbegriffe eines Gesetzes -
hier den Begriff der schädlichen Umwelteinwirkung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG i.V.m.
§ 3 Abs. 1 BImSchG - konkretisiert, kommt ihr selbst im gerichtlichen Verfahren
Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die
Schädlichkeit von Geräuschen durch die TA Lärm ist jedenfalls insoweit abschließend,
als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit
bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und
Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Insoweit unterliegt die TA Lärm
angesichts ihrer Funktion, bundeseinheitlich einen gleichmäßigen und berechenbaren
Gesetzesvollzug sicherzustellen, auch der revisionsgerichtlichen Überprüfung.
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so: BVerwG, Urteil vom 29. August 2007 -4 C 2.07-, BVerwGE 129, 209 (211, Rn. 12);
Beschluss vom 06. November 2008 -4 B 58.08-, juris, Rn.3.
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Mithin handelt es sich bei den o.g. Bestimmungen der TA Lärm nicht nur um
Verwaltungsvorschriften, sondern um gerichtsverbindliches Bundesrecht. Damit ist die
Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 LImschG nicht vereinbar,
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vgl. auch: Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, des Innenministeriums und des Ministeriums für
Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NRW vom 25. April 2006 (Az.
MUNLV.V-2. 8001.9.15).
56
Zum einen verschiebt diese in Satz 1 den regulären Beginn der Nachtzeit von 22.00 Uhr
auf 24.00 Uhr; zum anderen macht sie im Rahmen der Soll-Bestimmung des Satzes 2
eine Vorverlegung auf 22.00 Uhr davon abhängig, dass diese zum Schutz der
Nachbarschaft geboten ist. Damit kehrt sie gleichsam die Beweislast zum Nachteil der
Nachbarschaft um.
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Die dem Beigeladenen erteilte Lärmschutzauflage hat sich außerdem nicht infolge von §
2 der Ordnungsbehördlichen Verordnung der Stadt G. vom 26. Oktober 2006 auf
sonstige Weise erledigt. Denn mit dieser Regelung wird nur der Beginn der Sperrzeit auf
24.00 Uhr hinausgeschoben. Das rechtfertigt aber nicht, die Außengastronomie vor
Beginn der Sperrzeit auch unter Überschreitung des für die Nachtzeit geltenden
Immissionswerts zu betreiben.
58
Schließlich ist im Hinblick auf die Bestandskraft der Lärmschutzauflage unerheblich, ob
der nach Ziffer 6.1 Satz 1 lit. d TA Lärm für allgemeine Wohngebiete geltende Nachtwert
von 40 dB(A) der tatsächlichen Schutzbedürftigkeit des Immissionsortes (Ziffer 6.6 Satz
2 TA Lärm) entspricht.
59
2. Der Klageantrag zu 2 a) ist im tenorierten Umfange begründet.
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Der Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet, der in Rede stehenden, bislang von ihm
aber ignorierten Lärmschutzauflage tatsächliche Geltung zu verschaffen. Denn dieser
Verwaltungsakt bindet nicht nur den Beigeladenen, sondern auch ihn als erlassende
Behörde. Dass in der Vergangenheit zu Lasten der Kläger der Grenzwert von 40 dB(A)
in der Zeit zwischen 22.00 und 24.00 Uhr überschritten wurde, ist den in den
Verwaltungsvorgängen dokumentierten Messungen des Beklagte vom 10. und 25. Juli
2006, 25. April 2007 sowie insbesondere dem auf das Messdatum 24. August 2007
bezogenen Gutachten Kramer zu entnehmen.
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Andererseits steht es im Ermessen des Beklagten, mit welchen Maßnahmen er die
Auflage gegenüber dem Beigeladenen "wirksam" durchsetzt. Er kann z.B. Zwangsgeld
in abschreckender Höhe androhen und im Falle weiterer Verstöße vollstrecken. Er kann
aber auch alternativ oder zusätzlich von der Ermächtigung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 GastG
Gebrauch machen und nach vergeblicher Fristsetzung die Biergartenerlaubnis
widerrufen.
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Unter diesen Umständen ist dem Klageantrag zu 2 a) gemäß § 113 Abs. 5 VwGO im
Wesentlichen stattzugeben, und zwar in der Form, dass der Beklagte verpflichtet wird,
den im Schreiben der Kläger vom 25. Januar 2007 konkludent enthaltenen Antrag auf
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Durchsetzung der Lärmschutzauflage unter Beachtung der - vorstehenden -
Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Im Übrigen ist er mangels Spruchreife
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 155 Abs. 1 Satz 3 und 159
Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
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