Urteil des VG Köln vom 15.09.2009

VG Köln (wirksamkeit, mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit, begründung, arzneimittel, unterlagen, ende der frist, kommission, zulassung, beleg, klagefrist)

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 6098/05
Datum:
15.09.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 6098/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110
vom Hundert des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Am 27.06.1978 zeigte die Klägerin das streitgegenständliche Arzneimittel unter dem
Namen „D1. „O. „„-Ampullen gemäß Art. 3 § 7 AMNG beim Bundesgesundheitsamt an.
Als wirksame Bestandteile wurden angegeben:
2
Cer-III-chlorid 0,1 mg Extractum aquosum (1:5) aus Radix Echinaceae 20 mg Extractum
aquosum (1:5) aus Herba Hyperici 20 mg Extractum aquosum (1:5) aus Folia Trifolii
fibrini 20 mg Extractum aquosum (1:5) aus Flores Calendulae 20 mg Extractum
Sanguinis deproteinisatum siccum (30 :1) vom Kalb 20 mg.
3
Die Anwendungsgebiete lauteten: „Vorzeitige Aufbrauchs- und altersbedingte
Abnutzungserscheinungen, periphere und zerebrale Durchblutungsstörungen,
Wundheilungsstörungen, Verbrennungen, neurovegetative Störungen, RES- Stimulans,
Adjuvans in der Krebstherapie und in der postoperativen Therapie."
4
Am 01.12.1989 beantragte die Klägerin die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7
AMNG, sog. Kurzantrag. Am 25.10.1993 reichte die Klägerin weitere Unterlagen zum
Verlängerungsantrag ein, sog. Langantrag.
5
Mit Mängelschreiben vom 14.02.1996 übersandte das BfArM der Klägerin u. a. die
Stellungnahme zur Toxikologie/Klinik und Pharmakologie. In dieser wurde angekündigt,
die Verlängerung der Zulassung zu versagen, da die angegebene therapeutische
Wirksamkeit nicht ausreichend begründet sei und keine ausreichende Begründung
vorliege, dass jeder arzneilich wirksame Bestandteil einen Beitrag zu positiven
Beurteilung des Arzneimittels leiste.
6
Mit Änderungsanzeige vom 04.07.1997 teilte die Klägerin dem BfArM die folgenden
Änderungen mit: die bisherigen arzneilich wirksamen Bestandteile wurden gegen den
Wirkstoff „wässriger Auszug (1:10) aus Mistelkraut (entspricht 1 mg getrocknetem
Mistelkraut) 10 mg" ausgetauscht. Als Anwendungsgebiete wurden angegeben „Zur
Palliativtherapie (unterstützende Behandlung) im Sinne einer unspezifischen
Reiztherapie bei malignen Tumoren. Die Änderung erfolgte unter Berufung auf die
Monographie „Visci alba herba", BAnz. Nr. 228 vom 05.12.1984. Der Arzneimittelname
wurde in „D. „ geändert.
7
Am 20.12.2000 reichte die Klägerin die Unterlagen nach dem 10. Änderungsgesetz
beim BfArM ein und beantragte die Verlängerung der Zulassung nach § 105 AMG unter
Bezugnahme auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3
AMG.
8
Mit Mängelschreiben vom 06.02.2004 wurde der Klägerin u. a. die Stellungnahme zur
Klinik/Pharmakologie übersandt und zur Mängelbeseitigung eine Frist von 12 Monaten
gesetzt. In der medizinischen Stellungnahme wurde in Aussicht gestellt, die
Nachzulassung zu versagen, weil das Arzneimittel nicht ausreichend geprüft sei, die
therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend begründet sei und Anhaltspunkte für
unvertretbare Risiken bestünden.
9
In der Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin könne sich nicht auf die Monographie
der Kommission E zu Visci albi herba berufen, da der spezifizierte Mistelextrakt
(Änderungsanzeige von 1997) nicht Gegenstand der Aufbereitung (BAnz Nr. 228 vom
05.12.1984) gewesen sei. Präparatespezifische Daten zur Präklinik seien nicht
vorgelegt worden. Die vorgelegte Anwendungsbeobachtung aus den Jahren 1999 bis
2000 sei zum Beleg der Wirksamkeit ungeeignet. Sie weise insbesondere zwischen
Beobachtungsplan und Auswertung massive Inkonsistenzen auf. Die
Primärerhebungsbögen sowie der datierte und unterschriebene Beobachtungsplan
seien vorzulegen. In den Sachverständigengutachten zur Pharmakologie/Toxikologie
sei keinerlei wissenschaftliches Erkenntnismaterial zitiert. Der Gutachter beziehe sich
auf das aktualisierte wissenschaftliche Erkenntnismaterial zu Viscum album L der
Kooperation Phytopharmaka aus dem Jahr 2000, erarbeitet von Dr. Dietrich Göthel. In
der dort beschriebenen Spezifikation und Klassifizierung der beschriebenen
Mistelpräparationen sei kein Extrakt mit vergleichbarem DEV wie bei D. benannt. Die
dort beschriebenen Präparationen enthielten Fluidextrakte mit DEV's von 1:1,1 bis 1:1,5
oder seien auf Mistellektin 1 standardisiert. Das antragsrelevante Arzneimittel enthalte
dagegen einen Auszug mit einem DEV von 1:10. Der Gutachter gehe nicht auf die
unterschiedlichen Zubereitungen ein. Es müsse also dargelegt werden, dass die
Zubereitungen vergleichbar seien. Ferner gebe es Anhaltspunkte für Risiken. Es lägen
in-vitro und in-vivo-Untersuchungen vor, die einen Verdacht auf eine tumorfördernde
Wirkung von Zytokinen (insbesondere IL 6) begründeten. Mistelextrakte erhöhten die
Ausschüttung von Zytokinen oder verstärkten deren Wirkung. Insbesondere bei
hämatologischen Systemerkrankungen sowie beim malignen Melanom gehe von der
Misteltherapie ein unvertretbares Risiko aus. Dieses könne durch die vorgelegte AWB
nicht ausgeräumt werden. Das Mängelschreiben wurde am 09.02.2004 zugestellt.
10
In der Sitzung vom 24.03.2004 votierte die Kommission E dafür, die Verlängerung der
Zulassung für D. zu versagen.
11
Mit Schreiben vom 03.02.2005, eingegangen beim BfArM am 08.02.2005, nahm die
12
Klägerin zum Mängelbescheid Stellung. Hierin führte sie aus, die Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit des beantragten Arzneimittels sei aus dem bereits vorgelegten
bibliographischen Datenmaterial sowie aus der eingereichten
Anwendungsbeobachtung abzuleiten. Insbesondere zeige die
Anwendungsbeobachtung eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität. Die
gerügten formalen Mängel hätten keinen Einfluss auf die Ergebnisse. An den
Wirksamkeitsnachweis dürften keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Die
direkte zytotoxische Wirkung der Mistelinhaltsstoffe gegen Tumorzellen und die
immunmodulierende und wärmeregulierende Wirkung seien bekannt. Im Rahmen der
Begleittherapie würden die Nebenwirkungen der tumordestruktiven Therapiemethoden
gelindert. Die Misteltherapie sei auch unbedenklich. Für die Annahme einer
Immunsuppression existierten keine fundierten Untersuchungen. Allergische
Reaktionen mit systemischen Symptomen seien äußerst selten und nur bei allergisch
prädisponierten Patienten zu erwarten. In 7 Jahren seit dem Inverkehrbringen des
Präparats sei nur ein einziger Verdachtsfall einer UAW gemeldet worden, bei dem ein
kausaler Zusammenhang mit der Anwendung von D. nicht anzunehmen sei.
Das klinische Sachverständigengutachten vom 20.07.2000 wurde unter dem aktuellem
Datum erneut vorgelegt. Ferner wurden ergänzend Auszüge aus Werken zur
Phytotherapie eingereicht.
13
In der Sitzung vom 27.07.2005 sprach sich die Kommission E erneut für eine Versagung
der Nachzulassung aus.
14
Mit Bescheid des BfArM vom 14.09.2005 wurde der Antrag der Klägerin auf
Verlängerung der Zulassung zurückgewiesen. Am 16.09.2005 wurde der Bescheid
zugestellt. In der Begründung wurde ausgeführt, die Nachzulassung sei zu versagen,
weil das Arzneimittel nicht ausreichend geprüft sei, die Wirksamkeit nicht ausreichend
begründet sei und der begründete Verdacht bestehe, dass das Arzneimittel
unvertretbare schädliche Wirkungen habe.
15
Das Arzneimittel sei nicht ausreichend geprüft. Der nach HAB Vorschrift 23 a
hergestellte Mistelextrakt sei von den Aufbereitungsmonographien der Kommissionen E,
C und D nicht erfasst. Die Herstellungsart sehe eine Erhitzung auf 90 ° C über 30
Minuten vor. Dies führe zu einer Zerstörung der hitzelabilen Lektine, also von
wirksamkeitsmitbestimmenden Inhaltsstoffen. Ein Beleg der Vergleichbarkeit mit den
von der Kooperation Phytopharmaka geprüften Extrakten werde nicht vorgelegt. Zu
dieser Problematik habe sich die Klägerin nicht geäußert.
16
Die von der Klägerin vorgelegte Anwendungsbeobachtung entspreche nicht den
Anforderungen der „Empfehlungen zur Planung und Durchführung von
Anwendungsbeobachtungen" vom 12.11.1998, die gemeinsam vom BfArM,
Sachverständigen aus den Kommissionen nach § 25 Abs. 6 und 7 AMG sowie
Sachverständigen der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie
und Epidemiologie erstellt worden seien und sei daher als Wirksamkeitsbeleg nicht
geeignet. Die vom BfArM geforderten Primärerhebungsbögen habe die Klägerin nicht
vorgelegt.
17
Die Sachverständigengutachten zu Pharmakologie/Toxikologie und zur Klinik seien mit
gleichem Inhalt erneut vorgelegt worden. Sie enthielten insbesondere nicht die
verlangte Begründung für die Übertragbarkeit der Ergebnisse, die in Untersuchungen
18
mit anderen Mistelpräparaten erzielt worden seien.
Die Klägerin habe keine Unterlagen zur lokalen Verträglichkeit vorgelegt. Die in der
Anwendungsbeobachtung dokumentierte UAW-Rate von 1/344 sei nicht glaubhaft, da
1/3 der Patienten in der 3. Woche eine geringere Dosis erhalten habe, was
wahrscheinlich auf Unverträglichkeitsreaktionen zurückzuführen sei.
19
Die Klägerin habe ferner nicht Stellung genommen zu den möglichen Risiken bei
hämatologischen Systemerkrankungen, beim malignen Melanom und beim
Hypernephrom . Mit der vorgelegten Anwendungsbeobachtung ließen sich diese
Bedenken nicht ausräumen.
20
Die Klägerin könne sich nicht auf § 22 Abs. 3 AMG iVm dem 5. Abschnitt der
Arzneimittelprüfrichtlinien berufen. Danach könnten keine neuen Untersuchungen
gefordert werden, wenn sich die erwünschten und unerwünschten Wirkungen des
Arzneimittels hinreichend aus dem vorgelegten wissenschaftlichen Erkenntnismaterial
ergäben. Das eingereichte Erkenntnismaterial erlaube jedoch keine hinreichenden
Schlussfolgerungen für den beantragten Extrakt.
21
Gegen die Versagung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.10.2005 am 18.10.2005,
einem Dienstag, Klage erhoben. Am 20.10.2005 hat sie einen Antrag auf
Wiedereinsetzung in die Klagefrist gestellt und Fotokopien einer Quittung der
Deutschen Post über ein Einschreiben vom 13.10.2005 sowie eines Rückscheins,
ausgefüllt am 18.10.2005, vorgelegt. Zur Begründung des Antrags hat sie vorgetragen,
sie habe bei regelmäßigem Betriebsablauf der Deutschen Post von einem Eingang der
Klageschrift beim Verwaltungsgericht binnen 4 Tagen und damit am Montag, den
17.10.2005, ausgehen können. Eine Klageschrift der Klägerin gegen einen anderen
Versagungsbescheid (D2. ) an das VG Köln, die ebenfalls am 13.10.2005 mittels
Einschreibens bei der Post aufgegeben worden sei, sei ausweislich des Rückscheins
auch rechtzeitig, nämlich am 17.10.2005 bei Gericht eingegangen. Die Frist von 4
Tagen entspreche bei einem Einschreiben mit Rückschein einer entsprechenden
Auskunft der Post und einer langjährigen Erfahrung der Klägerin. Die vorliegende
Darstellung wird bestätigt durch eine eidesstattliche Versicherung der zuständigen
Mitarbeiterin der Klägerin vom 28.10.2005.
22
In der Sache trägt die Klägerin vor, die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des
streitgegenständlichen Arzneimittels sei ausreichend begründet. Der Berichterstatter der
Kommission E habe in seiner Stellungnahme vom 24.03.2004 darauf hingewiesen, dass
„die Wirksamkeit für Mistelextrakte zur Palliativtherapie bei malignen Tumoren
allgemein belegt sei." Im übrigen habe die Klägerin darauf vertraut, dass ein
Wirksamkeitsnachweis von den pharmazeutischen Unternehmern bis zum 5. ÄndG vom
16.08.1994 nicht habe erbracht werden müssen. Darauf aufbauend sei die Monographie
der Kommission E zu Visci albi herba Grundlage für die Anerkennung von Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit des hier verwendeten Mistelextrakts. Die Monographie sehe
keinerlei Einschränkungen hinsichtlich des Herstellungsverfahrens vor. Die Zerstörung
der Mistellektine durch die Erhitzung während der Herstellung schließe die Anwendung
der Monographie nicht aus. Die wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe bei der Mistel
seien überhaupt nicht bekannt und in der Monographie auch nicht erwähnt. Vielmehr
seien Grundlage der Monographie neben dem gesamten seinerzeit bekannten
Erkenntnismaterial auch die damals im Verkehr befindlichen Mistelzubereitungen,
darunter auch solche, bei denen eine Erhitzung der Droge erfolgt sei. Zur Zerstörung der
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Mistellektine durch das Herstellungsverfahren habe die Klägerin im Mängelverfahren
nicht vortragen können, da dieser Umstand im Mängelschreiben nicht erwähnt worden
sei.
Im übrigen habe die Klägerin eine umfangreiche Anwendungsbeobachtung eingereicht,
die auch als Sammlung von Einzelfallberichten gewertet werden könne. Eine
Anwendungsbeobachtung oder Einzelfallberichte seien nach Abschnitt 5, Ziff. 1 der
Arzneimittelprüfrichtlinien als wissenschaftliches Erkenntnismaterial anerkannt.
Weitergehende Prüfungen dürften daher nach Abschnitt 1, Buchstabe C „Allgemeine
Anforderungen" der Arzneimittelrichtlinien nicht gefordert werden. Die Ergebnisse der
Anwendungsbeobachtung dokumentierten die Wirksamkeit des Arzneimittels in dem
beanspruchten Anwendungsgebiet.
24
Aus einem Vergleich der beiden Alternativen des § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG, fehlende
Wirksamkeit bzw. fehlende Begründung der Wirksamkeit, ergebe sich, dass zur
Begründung der Wirksamkeit keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit"
erforderlich sei wie beim Wirksamkeitsnachweis. Bei der 2. Alternative sei ein geringerer
Grad an Wahrscheinlichkeit für den Beleg der Wirksamkeit ausreichend. Diesen Beleg
habe die Klägerin mit den vorgelegten Unterlagen erbracht. Hierbei sei insbesondere zu
berücksichtigen, dass die Klägerin keine Therapie einer bösartigen Erkrankung
beanspruche, sondern lediglich einen Einsatz zur Palliativtherapie im Sinne einer
unspezifischen Reiztherapie als begleitende/ unterstützende Behandlung. Seit 1998
seien 1,6 Mio Einzeldosen des streitgegenständlichen Arzneimittels in den Verkehr
gebracht worden, ohne dass Meldungen über unerwünschte Wirkungen oder
Ausbleiben der Wirkungen bekannt geworden seien.
25
Es bestehe auch kein begründeter Verdacht, dass das Arzneimittel schädliche
Wirkungen habe, die über ein vertretbares Maß hinausgingen. Bei seit langem auf dem
Markt befindlichen Präparaten müsse die theoretische Möglichkeit schädlicher
Wirkungen nach der Rechtsprechung des OVG Berlin auch an den praktischen
Erfahrungen gemessen und ggfs. näher belegt werden (Urteil vom 22.01.1988 - OVG 5
S 102.87 - ). Seit 1998 liege lediglich eine einzige Nebenwirkungsmeldung vor. Dies
verdeutliche, dass kein Gefährdungspotential bestehe.
26
„Mögliche Risiken" von Mistelpräparaten bei hämatologischen Systemerkrankungen
und beim malignen Melanom rechtfertigten angesichts der positiven Erfahrungen mit
dem Arzneimittel ebenfalls nicht die Versagung. Die Berücksichtigung von möglichen
Risiken sei als Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG und die Eigentumsfreiheit
nach Art. 14 GG zu beurteilen.
27
Die Klägerin beantragt,
28
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 14.09.2005 zu
verpflichten, über die Verlängerung der Zulassung des Fertigarzneimittels „D. „ (Bearb.-
Nr. 0000000, Ordnungs-Nr. 0000) unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu entscheiden.
29
Die Beklagte beantragt,
30
die Klage abzuweisen.
31
Sie ist der Auffassung, die Klage sei wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Die
Voraussetzungen des § 60 VwGO für eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist seien
nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin habe die Klagefrist schuldhaft versäumt, da sie
wegen des bevorstehenden Wochenendes nicht mit einem rechtzeitigen Eingang der
Klageschrift habe rechnen können. Die von der Post angegebene Frist von 4 Tagen für
die Zustellung eines Einschreibens mit Rückschein müsse sich auf 4 Werktage
beziehen, da die Quittierung des Rückscheins an einem Sonntag nicht erfolgen könne.
Die Klägerin habe deshalb nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Sendung noch vor
Ablauf der Klagefrist am Montag, den 17.10.2005, bei Gericht einging, da an diesem Tag
erst drei Werktage verstrichen gewesen seien. Der rechtzeitige Eingang einer weiteren
Klageschrift am 17.10.2005 könne die Klägerin nicht entlasten, da sie dieses
Einschreiben am 13.10.2005 um 17.22 Uhr zur Post gegeben habe. Eine Uhrzeit für die
Einlieferung der vorliegenden Klageschrift habe die Klägerin jedoch nicht angegeben
und glaubhaft gemacht. Vermutlich habe sie diese Sendung noch später eingeliefert.
32
Die Klage sei darüber hinaus auch unbegründet. Die Klägerin habe den im
Mängelschreiben gerügten Mängeln nicht rechtzeitig abgeholfen. Die von der Klägerin
eingereichten Unterlagen und Sachverständigengutachten zur
Pharmakologie/Toxikologie vom 20.07.2000 und zur Klinik vom 12.08.2000
beschränkten sich auf kurze Stellungnahmen ohne Hinweis auf wissenschaftliches
Erkenntnismaterial und seien daher zum Beleg von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
ungeeignet. Außerdem seien auch die Unterlagen zur pharmazeutischen Qualität mit
erheblichen Mängeln behaftet, die die Klägerin nicht ausgeräumt habe. Wegen der
Einzelheiten nimmt die Beklagte auf das Mängelschreiben sowie die interne
Stellungnahme zur Klinik vom 27.11.2003 Bezug.
33
Die gerügten Mängel habe die Klägerin nicht ausgeräumt. Sie habe die bereits
eingereichten Sachverständigengutachten nochmals vorgelegt und auf die
durchgeführte Anwendungsbeobachtung verwiesen. Die verlangten
Primärerhebungsbögen habe sie ohne Angabe von Gründen nicht eingereicht. Auf die
methodischen Mängel der Anwendungsbeobachtung sei sie nicht eingegangen.
Unterlagen zur Übertragbarkeit der Untersuchungen mit anderen Zubereitungen auf den
vorliegenden Extrakt seien nicht vorgelegt worden. Unterlagen zur lokalen
Verträglichkeit seien nicht vorgelegt worden. Zu den Risiken einer Anwendung des
Arzneimittels bei hämatologischen Systemerkrankungen, beim malignen Melanom und
Hypernephrom habe die Klägerin sich nicht geäußert.
34
Die Klägerin habe zwar weiteres wissenschaftliches Erkenntnismaterial eingereicht.
Dieses sei jedoch wegen erheblicher methodischer Mängel nicht als Beleg von
Wirksamkeit und Unbedenklichkeit geeignet. Darüber hinaus habe die Klägerin auch
die Mängel der Qualität nicht ausgeräumt, sodass auch aus diesem Grund das
Arzneimittel nicht ausreichend geprüft im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG sei.
35
Auf die Stellungnahmen der Kommission E könne sich die Klägerin nicht berufen. Die
Kommission habe sich trotz grundsätzlicher Anerkennung der Misteltherapie zwei Mal
gegen eine Verlängerung der Zulassung ausgesprochen, weil die Klägerin kein
ausreichendes Erkenntnismaterial zu ihrer speziellen Zubereitung bzw. der
angegebenen Dosierung vorgelegt habe.
36
Für den von der Klägerin beanspruchten Vertrauensschutz für Altarzneimittel bestünden
keine rechtlichen Grundlagen. Die Behauptung, im Zeitpunkt der Monographieerstellung
37
seien vergleichbare Zubereitungen - mit einer Erhitzung der Inhaltsstoffe - auf dem Markt
gewesen, sei nicht belegt. Das Extraktionsverfahren habe aber auf die Wirksamkeit des
Arzneimittels nach dem Gutachten der Kooperation Phytopharmaka von Dr. Dietrich
Göthel aus dem Jahr 2000 (Abschnitt „Darreichungsformen, Qualität der Mistelextrakte)
entscheidenden Einfluss. Die Vergleichbarkeit des verwendeten Extraktes mit den
seinerzeit auf dem Markt befindlichen Präparaten sei daher zu begründen gewesen.
Die Beklagte habe im Mängelschreiben auf die Zerstörung der Mistellektine nicht
hinweisen können, da die Klägerin erst im Mängelverfahren Unterlagen zum
Herstellungsverfahren vorgelegt habe. Eine wissenschaftliche Auswertung der
vorgelegten Anwendungsbeobachtung sei ohne die Originalerhebungsbögen nicht
möglich. Dies gelte auch, wenn man die Studie als eine Sammlung von
Einzelfallberichten ansehe. Die methodischen und inhaltlichen Mängel der AWB
werden erneut detailliert aufgeführt (Bl. 105 - 107 d. A.). Die Beklagte habe einen
Nachweis der Wirksamkeit „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nicht
verlangt, sondern lediglich eine schlüssige Aufbereitung des wissenschaftlichen
Erkenntnismaterials. Diese liege aber aus den genannten Gründen nicht vor. Eine
Wirksamkeit gerade im beanspruchten Anwendungsgebiet als Palliativum sei mit den
vorgelegten Unterlagen nicht belegt worden.
38
Die von der Beklagten angeführten Risiken seien auch bei einer Anwendung als
Palliativum möglich. Das Risiko einer Tumorpromotion könne durch das
Spontanerfassungssystem nicht geklärt werden, sondern nur durch eine vergleichende
Untersuchung. Das Fehlen von UAW-Meldungen sei daher nicht aussagekräftig. Die
von der Klägerin zitierte Entscheidung des OVG Berlin vom 22.01.1988 sei nicht
einschlägig, da es um den Widerruf einer Zulassung im Rahmen eines Stufenplans
gegangen sei, in dem die Beweislast bei der Zulassungsbehörde liege. Aber auch in
diesem Verfahren sei es nicht erforderlich, den Kausalzusammenhang zwischen der
Anwendung des Arzneimittels und einer Gesundheitsgefahr zwingend zu belegen.
39
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge und Teile der Dokumentation
(Beiakten 5 und 6) Bezug genommen.
40
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
41
Die Klage ist zulässig. Zwar hat die Klägerin die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2
VwGO versäumt, da die Klageschrift erst am 18.10.2005 und damit einen Tag nach
Ablauf der Klagefrist beim Verwaltungsgericht eingegangen ist. Die Klagefrist endete
am Montag, den 17.10.2005, da das Ende der Frist von einem Monat nach Bekanntgabe
des Versagungsbescheides auf einen Sonntag, den 16.10.2005, fiel.
42
Der Klägerin ist jedoch nach § 60 Abs. 1 VwGO auf ihren zulässigen Antrag
Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie
ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten. Sie durfte darauf vertrauen,
dass die Klageschrift bei normalem Postbetrieb innerhalb von 4 Tagen seit der
Einlieferung am 13.10.2005 und damit rechtzeitig am 17.10.2005 bei Gericht einging, da
dies einer ihr erteilten Auskunft der Post über die Zustellungsdauer eines Einschreibens
mit Rückschein und ihrer Erfahrung in zahlreichen Klageverfahren entsprach. Diese
Frist ist bei einer am selben Tag eingereichten Klageschrift in einem anderen
Klageverfahren der Klägerin (7 K 6072/05) auch eingehalten worden. Es kann also
43
davon ausgegangen werden, dass die verspätete Zustellung nach 5 Tagen am
18.10.2005 auf einer nicht vorhersehbaren Abweichung im Betriebsablauf der Post
beruhte und der Klägerin daher nicht zugerechnet werden kann.
Die Klägerin musste auch nicht deshalb mit einer längeren Dauer der Zustellung
rechnen, weil innerhalb der Zustelldauer von 4 Tagen das Wochenende lag. Vielmehr
ist es allgemein bekannt, dass Postsendungen auch samstags und sonntags
eingesammelt, transportiert und sortiert werden. Es erfolgt lediglich am Sonntag keine
Zustellung. Dies war allerdings im vorliegenden Fall unschädlich, weil der Tag des
Fristablaufs auf einen Montag fiel, so dass an diesem Tag die Zustellung hätte erfolgen
können.
44
Den Tag der Einlieferung der Klageschrift am 13.10.2005 und die nach Auskunft der
Post anzunehmende übliche Beförderungsdauer von 4 Tagen hat die Klägerin durch
Vorlage einer Quittung über die Einlieferung sowie einer eidesstattlichen Versicherung
der für die Versendung von Klageschriften zuständigen Mitarbeiterin glaubhaft gemacht.
45
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf erneute
Bescheidung ihres Nachzulassungsantrags. Der Versagungsbescheid vom 14.09.2005
ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
46
Einer Verlängerung der fiktiven Zulassung des streitgegenständlichen Arzneimittels
nach § 105 Abs. 4 f Satz 1 AMG steht der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr.
4, 2. Alt. AMG entgegen. Die Beklagte hat die Nachzulassung gemäß § 105 Abs. 5 Satz
1 und 2 AMG zu Recht versagt, da die Klägerin dem mit Schreiben vom 06.02.2004
zutreffend gerügten Mangel der unzureichenden Begründung der therapeutischen
Wirksamkeit innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist von 12 Monaten nicht abgeholfen
hat.
47
Unter dem Begriff der therapeutischen Wirksamkeit im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr.
4 AMG ist die Ursächlichkeit der Anwendung des Arzneimittels für den Heilungserfolg
zu verstehen. Die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit im Sinne der 2.
Alternative der Vorschrift setzt allerdings, wie die Klägerin zutreffend ausführt, keinen
naturwissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit im Sinne einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit voraus. Der Anspruch auf therapeutische Wirksamkeit
ist seiner Natur nach lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage, weil ein sicherer
Heilerfolg aufgrund der körperlichen und seelischen Individualität des Menschen nicht in
jedem Fall in Aussicht gestellt werden kann,
48
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.08.2009 - 13 A 3499/07 - m.w.N..
49
Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Anwendung des Arzneimittels und einem
Therapieerfolg lässt sich dann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit
feststellen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Erfolg auf einer
Spontanheilung oder anderen wirkstoffunabhängigen Effekten (z. B. Placebowirkung)
beruht. Die therapeutische Wirksamkeit ist folglich unzureichend begründet im Sinne
des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, 2. Alt. AMG, wenn die vom Antragsteller eingereichten
Unterlagen nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
den geforderten Schluss auf die therapeutische Wirksamkeit nicht zulassen, wenn sie
sachlich unvollständig oder inhaltlich unrichtig sind,
50
BVerwG, Urteile vom 14.10.1993 - 3 C 21.91 - , BVerwGE 94, 215 und - 3 C 46.91 - ,
PharmaRecht 1994, 380.
51
Zur Begründung der Wirksamkeit hat der Antragsteller in der Regel die Ergebnisse der
klinischen Prüfungen oder der sonstigen ärztlichen Erprobung des Arzneimittels gemäß
§ 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG oder bei bekannten Wirkstoffen anderes wissenschaftliches
Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 AMG vorzulegen, das in Gewicht und Bedeutung
den klinischen Prüfungen entspricht,
52
vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.05.2007 - 13 A 328/04 - und Beschluss vom 16.12.2008 -
13 A 2085/07 - .
53
Dieser Maßstab gilt nicht nur für das Erstzulassungsverfahren im Sinne von § 21 Abs. 1
Satz 1 AMG, sondern auch für die Verlängerung der fiktiven Zulassung von sog.
Altarzneimitteln, vgl. § 105 Abs. 4a Satz 1, Halbsatz 2 AMG. Ein Bestandsschutz für
Antragsteller von fiktiv zugelassenen Arzneimitteln im Hinblick auf die Anforderungen an
die Begründung der Wirksamkeit lässt sich aus dem Arzneimittelgesetz nicht herleiten,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.05.2007 - 13 A 328/04 - , Beschlüsse vom 05.08.2009 - 13
A 3499/07 - und vom 24.02.2009 - 13 A 813/08 - .
54
Auf einen Vertrauenstatbestand kann sich die Klägerin hier auch deshalb nicht berufen,
weil das Arzneimittel in seiner aktuellen Gestalt erst durch die Änderung der Wirkstoffe
im Jahr 1997 entstanden ist und damit zu einem Zeitpunkt, als die Darlegungs- und
Beweislast für die Wirksamkeit bereits durch das 5. ÄndG vom 09.08.1994 (BGBl. I S.
2071) auf den pharmazeutischen Unternehmer übertragen worden war.
55
Die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit erfordert neben der Einreichung der
Unterlagen nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 22 Abs. 3 AMG die Vorlage eines
Sachverständigengutachtens, in dem die Prüfungsergebnisse zusammengefasst und
bewertet werden, § 24 Abs. 1 Satz 1 AMG. Aus dem klinischen Gutachten muss sich
insbesondere ergeben, dass das Arzneimittel bei den angegebenen
Anwendungsgebieten angemessen wirksam, die vorgesehene Dosierung zweckmäßig,
und das wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 den
Arzneimittelprüfrichtlinien entspricht, § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und Abs. 2 AMG.
56
Die hiernach gegebenen Anforderungen an die Begründung der therapeutischen
Wirksamkeit werden durch die eingereichten identischen Sachverständigengutachten
von Dr. Brand vom 20.07.2000 und vom 14.01.2005 sowie die hierzu eingereichten
Unterlagen nicht erfüllt. Die Klägerin hat die Wirksamkeit des streitgegenständlichen
Arzneimittels für das Anwendungsgebiet „Zur Palliativtherapie... bei malignen Tumoren"
weder durch präparatespezifische klinische Untersuchungen gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 3
AMG noch durch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial gemäß § 22 Abs. 3
AMG belegt.
57
Der Sachverständige stützt sich in den klinischen Gutachten auf die
Aufbereitungsmonographie der Kommission E vom 01.11.1984 (BAnz. Nr. 228 vom
05.12.1984), das Gutachten von Dr. Dietrich Göthel zu „Viscum album L." im Auftrag der
Kooperation Phytopharmaka aus dem Jahr 2000 sowie eine Publikation und den
Biometrischen Bericht über eine Anwendungsbeobachtung mit D. aus 2000.
58
Die Beklagte hat im Mängelschreiben vom 06.02.2004 zu Recht beanstandet, dass das
59
klinische Sachverständigengutachten zur Begründung der Wirksamkeit ungeeignet ist,
da es wesentliche Fragen nicht beantwortet. Insbesondere wird nicht dargelegt, dass
das vorgelegte Erkenntnismaterial den Arzneimittelprüfrichtlinien entspricht.
Welche Anforderungen an die nach § 22 vorzulegenden Unterlagen zum Beleg der
Wirksamkeit zu stellen sind, ergibt sich aus den Arzneimittelprüfrichtlinien nach § 26
Abs. 2 Satz 1 AMG, die zur Zeit der Durchführung des Mängelverfahrens anwendbar
waren, hier in Form der Bekanntmachung vom 05.05.1995 (BAnz. Nr. 96 a vom
20.05.1995). Da § 22 Abs. 3 AMG zur Umsetzung des Art. 10 a Satz 1 der Richtlinie
2001/83/EG (sog. „well established use") dient, sind insoweit auch die Vorschriften im
Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2003/63/EG vom
25.06.2003 zu beachten, die später im Dritten Abschnitt der Arzneimittelprüfrichtlinien
vom 11.10.2004 (BAnz. S. 22037) übernommen worden sind.
60
Präparatespezifische Studien im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG, die die Wirksamkeit
von D. belegen, hat die Klägerin nicht vorgelegt. Die durchgeführte
Anwendungsbeobachtung mit dem streitgegenständlichen Arzneimittel entspricht nicht
den Anforderungen an eine klinische Prüfung bzw. ärztliche Erprobung, da sie ohne
eine Kontrollgruppe durchgeführt wurde. Nach dem 4. Abschnitt, Teil F, Rn. 1 der
Arzneimittelprüfrichtlinien 1995 müssen klinische Prüfungen als kontrollierte klinische
Versuche und möglichst randomisiert durchgeführt werden. Soweit möglich müssen, vor
allem bei Prüfungen, bei denen die Wirkung des Arzneimittels nicht objektiv messbar ist,
Maßnahmen, einschließlich Randomisierung und Verblindung, getroffen werden, um
Verzerrungen zu vermeiden (ebenso Anhang I, Teil I, Ziff. 5.2.5.1 Richtlinie
2001/83/EG).
61
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin berechtigt ist, anstelle der Prüfungsergebnisse
nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 AMG anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorzulegen.
Dies ist nur möglich bei einem Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn
Jahren in der EU allgemein medizinisch verwendet wurden oder das einem solchen
Arzneimittel vergleichbar ist, § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 AMG. Es ist nicht
ersichtlich und auch von der Klägerin nicht belegt, dass der von der Klägerin als
Wirkstoff eingesetzte, nach HAB 23 a hergestellte Mistelextrakt seit mindestens 10
Jahren in anderen zugelassenen Arzneimitteln innerhalb der EU verwendet wurde oder
dass der Extrakt mit anderen im Verkehr befindlichen und zugelassenen Extrakten
vergleichbar ist,
62
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.06.2009 - 13 A 1364/08 - .
63
Ungeachtet dessen erfüllt jedoch das von der Klägerin vorgelegte wissenschaftliche
Erkenntnismaterial nicht die Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 AMG in Verbindung mit
den Arzneimittelprüfrichtlinien, weil die therapeutische Wirksamkeit aus den genannten
Unterlagen nicht ersichtlich ist. Hierbei gelten keine geringeren Anforderungen an die
Begründung der Wirksamkeit als im Rahmen des § 22 Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG. Denn
die Vorschrift des § 22 Abs. 3 AMG betrifft nicht den Maßstab der therapeutischen
Wirksamkeit, sondern nur das dem Zulassungsantrag beizufügende Erkenntnismaterial,
das sie belegen soll,
64
vgl. BVerwG, Urteile vom 14.10.1993, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 16.12.2008 -
13 A 2085/07 - .
65
Aus der vorgelegten Anwendungsbeobachtung kann die Wirksamkeit des Arzneimittels
als Palliativum bei Tumorpatienten nicht abgeleitet werden.
Anwendungsbeobachtungen sind in der Regel als Wirksamkeitsbeleg nicht geeignet.
Da eine Kontrollgruppe fehlt, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die
beobachteten Verbesserungen des Allgemeinbefindens auf einem Placeboeffekt oder
natürlichen Schwankungen des Zustandes der Tumorpatienten oder eventuellen
Begleittherapien beruhten. Ein Placeboeffekt ist insbesondere dann von Bedeutung,
wenn die Wirksamkeit, wie hier, nur anhand von subjektiven Erfahrungswerten von
Patienten wie Erschöpfung, schlechter Allgemeinzustand, eingeschränkter
Lebensqualität, Appetitlosigkeit, etc. geprüft wird. Wird gleichwohl eine
Anwendungsbeobachtung als Nachweis für die Wirksamkeit vorgelegt, muss der
Sachverständige hinreichend erläutern und begründen, warum diese Form des
bibliographischen Nachweises ausnahmsweise gerechtfertigt ist,
66
vgl. Richtlinie 2001/83 Anhang I, Teil II, Ziff. 1, b; Empfehlungen des BfArM zur Planung,
Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen vom 12.11. 1998, Ziff.
4 c und Fußnote 3 und Ziff. 7 Punkt 1, abgedruckt bei Kloesel/Cyran, Ziff. 2.13 m.
67
Dies ist hier nicht erfolgt. Eine Begründung, warum im vorliegenden Fall eine
Anwendungsbeobachtung zum Beleg der Wirksamkeit ausreichend ist, ist weder in den
Sachverständigengutachten noch in den sonstigen Stellungnahmen der Klägerin
enthalten.
68
Demgegenüber kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass im 5. Abschnitt der
Arzneimittelprüfrichtlinien von 1995, Ziff. 1, auch Anwendungsbeobachtungen nach § 67
Abs. 5 AMG oder Sammlungen von Einzelfallberichten als anderes wissenschaftliches
Erkenntnismaterial genannt werden. Daraus ergibt sich nicht, dass derartiges
Erfahrungsmaterial allein im Einzelfall als Beleg für die Wirksamkeit geeignet ist. Der 5.
Abschnitt der Arzneimittelprüfrichtlinien 1995 befasst sich generell mit allen Unterlagen,
die anstelle der Prüfungen der Pharmakologie, Toxikologie, Wirksamkeit und
Verträglichkeit eingereicht werden können. Gut konzipierte Anwendungsbeobachtungen
eignen sich beispielsweise als Nachweis der Verträglichkeit. Ob diese
Erfahrungsberichte im Einzelfall die Wirksamkeit belegen können, ist jedoch davon
abhängig, ob „die erwünschten ... Wirkungen des Arzneimittels für den Menschen sich in
hinreichendem Maße aus dem Erkenntnismaterial ergeben.",
69
vgl. Arzneimittelprüfrichtlinien 1995, 5. Abschnitt Ziff. 1.
70
Die eingereichte Anwendungsbeobachtung lässt eine Schlussfolgerung auf eine
Ursächlichkeit der Anwendung des Arzneimittels für die beobachteten therapeutischen
Erfolge aber nicht zu. Dies folgt nicht nur aus dem Fehlen einer Kontrollgruppe, sondern
auch aus weiteren gravierenden methodischen Mängeln, die das BfArM im
Mängelschreiben vom 06.02.2004 im einzelnen aufgeführt hat und die die Aussagekraft
der Studie entwerten. Insbesondere gibt es erhebliche Differenzen zwischen dem
Beobachtungsplan und der Auswertung sowie Widersprüche in der Auswertung, die
ohne die zugrundeliegenden Erhebungsbögen nicht geklärt werden können.
Beispielsweise gelangten nur 344 von 800 geplanten Patienten in die Auswertung,
ohne dass hierzu eine Begründung gegeben wurde. Da die Klägerin die vom BfArM
angeforderten Erhebungsbögen im Mängelverfahren nicht vorgelegt hat und auch weder
im klinischen Sachverständigengutachten vom 14.01.2005 noch im Mängelverfahren
hierzu konkret Stellung genommen hat, war letztlich eine wissenschaftliche Auswertung
71
der Studie nicht möglich.
Auch aus den übrigen bibliographischen Unterlagen ist eine Wirksamkeit des
Arzneimittels als Palliativum bei Krebserkrankungen nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit ersichtlich. Die Klägerin hat nicht belegt, dass die Monographie der
Kommission E vom 01.11.1984 (BAnz. Nr. 228 vom 05.12.1984) zu „Visci albi herba"
und das Gutachten von Dr. Göthel von 2000 zu „Viscum album L." bzw. die diesen
Bewertungen zugrunde liegenden Untersuchungen auf das streitgegenständliche
Arzneimittel übertragbar sind. Nach der Richtlinie 2001/83/EG, Anhang I, Teil II, Ziff. 1 d
muss aus den vorgelegten Sachverständigengutachten hervorgehen, inwiefern Daten,
die ein anderes als das beantragte Arzneimittel betreffen, relevant sind. Es muss
dargelegt werden, dass die Arzneimittel ungeachtet der bestehenden Unterschiede
vergleichbar sind,
72
vgl. auch Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand: 2008, § 22 Anm. 88.
73
Das BfArM hat im Mängelschreiben vom 06.02.2004 zu Recht darauf hingewiesen, dass
die Untersuchungen, die Gegenstand des Gutachtens von Dr. Göthel sind, mit anderen
Mistelextrakten durchgeführt wurden. Der Gutachter bezieht sich auf Veröffentlichungen
aus der Zeit von 1984 bis 2000 - unter Berücksichtigung relevanter früherer Studien - .
Bei diesen Untersuchungen wurden neben - hier nicht relevanten - anthroposophischen
Zubereitungen pflanzliche Mistelextrakte mit einem abweichenden Droge-Extrakt-
Verhältnis (1 : 1,1 - 1,5) oder mit standardisiertem Mistellektingehalt eingesetzt (Kapitel
„Spezifikation und Klassifizierung der beschriebenen Mistelpräparationen", S. 2 und 3
des Gutachtens). Der Verfasser des Gutachtens weist darauf hin, dass die biologischen
Wirkungen von Mistelextrakten von der Art des Extraktes abhängig seien. Die
Anwendung des klinischen Erkenntnismaterials sei nur dann möglich, wenn die
pflanzlichen Extraktpräparate als äquivalent angesehen werden könnten. Dies sei nur
bei Einhaltung der folgenden Bedingungen der Fall: Verwendung des gleichen
Pflanzenausgangsmaterials, identische Extraktionsmittel und Extraktionsverfahren,
Einhaltung desselben Droge-Extrakt-Verhältnisses, identisches chemisch-analytisches
Profil der Zubereitungen, Einhaltung besonderer Qualitätsanforderungen bezüglich des
Gehaltes an Wirksubstanzen. Eine Vergleichbarkeit der in Deutschland auf dem Markt
befindlichen Mistelpräparaten sei wegen der Heterogenität der Extrakte nicht gegeben.
Daher sei der Beitrag der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe für jeden einzelnen
Extrakt gesondert zu begründen (S. 7 und 8 des Gutachtens).
74
Diese Ausführungen stehen in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen der
Phytotherapie, wonach es sich bei jeder pflanzlichen Zubereitung um ein komplexes
Vielstoffgemisch handelt, das als solches den arzneilich wirksamen Bestandteil
darstellt. Die qualitative und quantitative Zusammensetzung des Inhaltsstoffspektrums
und damit die pharmakologischen Wirkungen der Zubereitung werden u. a.
entscheidend durch das Auszugsverfahren beeinflusst. Daher sind verschiedene
pflanzliche Extrakte nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar,
75
vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.08.2006 - 13 A 3030/04 - und Beschluss vom 16.12.2008 -
13 A 2085/07 - m.w.N..
76
Eine Begründung für die Vergleichbarkeit der in den angeführten Publikationen
verwendeten Mistelextrakte mit dem Mistelextrakt der Klägerin anhand der oben
beschriebenen Bedingungen ist in den klinischen Sachverständigengutachten der
77
Klägerin bzw. in den Stellungnahmen der Klägerin im Mängelverfahren nicht enthalten.
Damit ist das bibliographische Datenmaterial, das Gegenstand des Gutachtens von Dr.
Göthel ist, für den von der Klägerin eingesetzten Mistelextrakt nicht verwendbar.
Einen Wirksamkeitsbeleg kann die Klägerin auch nicht aus der
Aufbereitungsmonographie der Kommission E von 1984 herleiten. Das BfArM hat im
Mängelschreiben zu Recht beanstandet, dass der von der Klägerin eingesetzte
Mistelextrakt nicht Gegen-stand der Aufbereitung gewesen ist. Die
Aufbereitungsmonographie schränkt zwar nach ihrem Wortlaut die erfassten
Zubereitungen der Mistel nicht ein. Die Aussage der Monographie kann jedoch nicht
dahingehend ausgelegt werden, dass alle denkbaren, auch zukünftigen
Zubereitungsarten erfasst sein sollten. Vielmehr handelt es sich bei einer Monographie
lediglich um eine gutachterliche Stellungnahme zum wissenschaftlichen
Erkenntnisstand zum Zeitpunkt ihrer Erstellung. Bei der Bewertung der Kommission E
konnten aber nur solche Zubereitungen berücksichtigt werden, die im Zeitpunkt der
Erarbeitung der Monographie im Verkehr und damit auch Gegenstand von
Untersuchungen bzw. Erfahrungsberichten waren. Die spezielle Zubereitung der
Klägerin befand sich erst seit der Änderungsanzeige von 1997 im Verkehr.
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Ob dieser Extrakt auch schon im Jahr 1984 bzw. davor in anderen Arzneimitteln
eingesetzt wurde, ist weder konkret vorgetragen noch aus dem vorgelegten
Erkenntnismaterial ersichtlich. Wie bereits erwähnt, werden im Gutachten von Dr. Göthel
Untersuchungen mit einem pflanzlichen Extrakt, der in Anlehnung an HAB Nr. 23 a mit
einem Droge-Extrakt-Verhältnis von 1 : 10 hergestellt wird, nicht erwähnt. Das
Gutachten deckt jedenfalls den Zeitraum ab 1984 ab. In dem weiteren von der Klägerin
vorgelegten Gutachten von Heinrich Koch zu „Viscum album L." von 1981 werden im
Kapitel „Galenische Zubereitungen" zwar auch Abkochungen erwähnt (S. 11 des
Gutachtens, Beiakte 6). Unklar bleibt jedoch, ob bei diesen Präparaten dasselbe
Herstellungsverfahren angewandt wurde und ob zu diesen Präparaten
wissenschaftliche Daten vorliegen, die Gegenstand der Aufbereitung waren.
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Da die Klägerin belegen muss, dass bibliographisches Datenmaterial, zu dem auch die
Aufbereitungsmonographien zählen, auf das streitgegenständliche Medikament
übertragen werden kann, hätte sie im Mängelbeseitigungsverfahren substantiiert
vortragen und belegen müssen, dass der von ihr verwendete Mistelextrakt bei der
Erstellung der Aufbereitungsmonographie berücksichtigt worden ist oder den dort
erfassten Zubereitungen vergleichbar ist. Zu dieser Frage hat sich die Klägerin aber
weder im klinischen Sachverständigengutachten vom 14.01.2005 noch in der
Stellungnahme zum Mängelschreiben geäußert.
80
Die im Mängelbeseitigungsverfahren eingereichte Literatur aus Fachbüchern zur Mistel
als Arzneidroge ist nicht geeignet, die gerügten Mängel der Begründung der
therapeutischen Wirksamkeit des Mistelextrakts der Klägerin zu heilen. Hierbei handelt
es sich nicht um bibliographische Daten, die in ihrer Bedeutung einer klinischen
Wirksamkeitsstudie entsprechen. Insbesondere können diese allgemeinen
Ausführungen nicht die Zweifel an der Wirkung der speziellen Extraktzubereitung der
Klägerin ausräumen.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709
ZPO.
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