Urteil des VG Köln vom 22.09.2005

VG Köln: innere sicherheit, organisation, rat der europäischen union, charta der vereinten nationen, widerruf, bekämpfung des terrorismus, genfer konvention, bundesamt, gefahr, verfassungsschutz

Verwaltungsgericht Köln, 16 K 5591/03.A
Datum:
22.09.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 K 5591/03.A
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes vom 12.08.2003 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
1
Die am 00.00.0000 in Teheran/Iran geborene Klägerin ist iranische Staatsange- hörige.
Sie reiste am 08.01.1993 aus Istanbul kommend auf dem Luftweg nach Deutschland ein
und beantragte unter dem 09.06.1993 ihre Anerkennung als Asylbe- rechtigte. Im
Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung aus- ländischer
Flüchtlinge - Bundesamt - gab die Klägerin am 07.09.1994 im Wesentli- chen an: Sie
habe sich nach 1979 den Volksmodjahedin angeschlossen und für die Organisation
übliche Aktivitäten wie Propaganda, Verteilen von Zeitungen, Teilnah- me an
Demonstrationen und logistische Aktivitäten entwickelt. Deshalb sei sie 1982 und 1984
festgenommen worden und für 18 Monate sowie 7 Jahre inhaftiert gewe- sen.
2
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.11.1994 erkannte die Beklagte die Klä- gerin
als Asylberechtigte an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
(a.F.) vorliegen.
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Am 19.03.2003 reiste die Klägerin - gemeinsam mit weiteren iranischen Staats-
angehörigen - auf dem Luftweg aus Amman/Jordanien kommend nach Frank- furt/Main
Flughafen. Dort wurde ihr zunächst die Einreise verweigert, da sie nicht im Besitz eines
gültigen Einreisedokuments war. Durch Beschluss des VG Frankfurt am Main vom
26.03.2003 - 11 G 1444/03 (V)- wurde der Beklagten sodann aufgegeben, der Klägerin
die Einreise nach Deutschland zu gestatten. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der
Beklagten wurde zurückgewiesen.
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Nach dem Bericht der Bundesgrenzschutzinspektion II Flgh. Frankfurt/Main vom
08.04.2003 (TGB-Nr.: 3210300/712-03-03) führte die Durchsuchung der Klägerin bei
ihrer Einreise zu folgenden Feststellungen: „6 Fotos von Modjahedinführern, 2 Notiz-
bücher, 1 Block Gesprächsvermerke, 1 Parteikopftuch, Adressen franz. Banken, 1 MC,
Röntgenaufnahmen". Bei ihrer grenzpolizeilichen Vernehmung gab die Klägerin im
Wesentlichen an: Sie sei für drei Wochen im Irak gewesen und habe dort Bekann- te
besucht. Die anderen aus Jordanien eingereisten Frauen kenne sie nicht persön- lich;
5
einige habe sie schon einmal bei Demonstrationen getroffen.
Mit Schreiben vom 30.06.2003 hörte die Beklagte die Klägerin zu einem beab-
sichtigten Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigte sowie der Feststellung des
Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (a.F.) aufgrund einer Ver-
bindung der Klägerin zu der - nach Meinung des Bundesamtes - als terroristisch ein-
zustufenden Organisation MEK an.
6
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 12.08.2003 widerrief die Beklagte sodann die
Anerkennung der Klägerin als Asylberechtigte und die Feststellung des Vorlie- gens der
Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG (a.F.).
7
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Widerruf sei gerechtfertigt, da die
Klägerin aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit
Deutschlands anzusehen sei (§ 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 AuslG a.F.). Die zur MEK vor-
liegenden Erkenntnisse rechtfertigten die Annahme, dass diese Organisation nebst den
ihr zuzurechnenenden weiteren Organisationen eine Gefahr für die innere Si- cherheit
Deutschlands bedeute. Auch wenn der Klägerin über ihre Mitgliedschaft in der MEK
hinaus keine Straftat nachzuweisen sei, sei sie jedenfalls auf Grund ihrer Position in der
MEK für deren Taten verantwortlich. Die Klägerin gehöre zum Kreis der reisenden
Führungskader, die sich im Irak aufgehalten hätten, um dort am be- waffneten Kampf
gegen das iranische Regime teilzunehmen. Ihre führende Position in der NLA, dem
militanten Flügel der MEK, ließe eigene Gewaltbeiträge vermuten; zumindest habe sie
die MEK aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung in besonders qualifizierter Weise
unterstützt und durch ihre strukturelle Einbindung in die MEK und ihre
Teilorganisationen das Gefährdungspotenzial mitgetragen. Der Widerruf sei wei- ter
gerechtfertigt, weil aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt sei,
dass die Klägerin vor ihrer Aufnahme als Flüchtling ein schweres nichtpolitisches
Verbrechen begangen habe (§ 51 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 AuslG a.F.). Die individuelle
Einbindung der Klägerin in die terroristische Organisation MEK mit Entfaltung einer
Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Vereinigung sei als schweres nichtpolitisches
Verbrechen zu interpretieren (§ 129 a Abs. 1 StGB). Die Mitgliedschaft in einer terro-
ristischen Vereinigung sei für sich allein als schwere Straftat zu werten und nicht erst
dann, wenn das betreffende Mitglied selbst eine Straftat begangen habe. Die persön-
liche Verantwortung der Klägerin ergebe sich aus ihrer Stellung innerhalb der MEK. Sie
habe durch ihre Einbindung in die Führungsstruktur Unterstützungshandlungen für
terroristische Aktivitäten geleistet. Schließlich sei auch anzunehmen, dass die Klägerin
sich Handlungen zuschulden kommen habe lassen, die den Zielen und Grundsätzen
der Vereinten Nationen zuwiderliefen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 Alt. 3 AuslG a.F.). Nach der
Resolution 1373 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stün- den die
Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen
und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der entsprechende Tatbeitrag der Klägerin
sei aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Kader der Organisation zu un- terstellen.
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Die Klägerin hat am 23.08.2003 Klage erhoben.
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Zur Begründung trägt sie unter anderem vor: Der angefochtene Bescheid sei
rechtswidrig, weil ein Widerruf nicht - wie geschehen - auf eine nachträgliche
Gesetzesänderung, sondern nur auf eine Änderung der tatsächlichen
Entscheidungsgrundlagen gestützt werden könne. Im Übrigen lägen aber auch die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AuslG (a.F.) nicht vor.
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Nach den Erkenntnissen des Generalbundesanwaltes sei keine Gefährdung der inneren
Sicherheit Deutschlands durch die Volksmodjahedin anzunehmen. Es fehle zudem an
einer qualifizierten Unterstützungshandlung der Klägerin für die MEK. Sie sei nicht
deren Mitglied, sondern lediglich Sympathisantin der Organisation.
Die Klägerin beantragt,
11
den Bescheid des Bundesamtes vom 12.08.2003 aufzuheben.
12
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
In Ergänzung und Vertiefung zu den Ausführungen im angefochtenen Bescheid trägt sie
unter anderem vor: Bei der Gruppe der am 19.03.2003 eingereisten Volksmodjahedin-
Mitglieder sei davon auszugehen, dass es sich um Kader der MEK handele.
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Das Gericht hat das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt um
Auskünfte zu etwaigen Erkenntnissen über die Klägerin im Zusammenhang mit einer
etwaigen Tätigkeit für die MEK/NLA gebeten. Hinsichtlich der Einzelheiten der Anfrage
und des Inhalts der Auskünfte wird auf das gerichtliche Schreiben vom 07.07.2005 und
die Schreiben des Bundeskriminalamts vom 24.08.2005 / 07.09.2005 sowie des
Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 27.07.2005 Bezug genommen.
16
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.
17
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18
Die Klage ist zulässig und begründet.
19
Der Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigte und der Widerruf der Feststellung
des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (a.F.) durch den
angefochtenen Bescheid vom 12.08.2003 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in
ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20
Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 12.08.2003 ist schon deshalb
rechtswidrig, weil der Widerruf in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 2 a
AsylVfG (AsylVfG 2005) nur noch nach Ermessen als Einzelfallentscheidung ergehen
konnte, während das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid eine gebundene
Entschei- dung getroffen hat.
21
Nach der Neuregelung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG 2005 in der seit dem In- krafttreten
des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004
(Zuwanderungsgesetz) zum 01.01.2005 geltenden Fassung hat die Prüfung, ob die
Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 oder eine Rücknahme nach Abs. 2
vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der
Entscheidung zu erfolgen. Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen. Ist nach
der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, so steht eine spätere
Entscheidung nach Abs. 1 oder Abs. 2 im Ermessen. Die Neuregelung ist zur
22
Überzeugung der Kammer auf Grund des eindeutigen Wortlauts des § 77 Abs. 1
AsylVfG und mangels einer hiervon abweichenden Übergangsvorschrift im
Zuwanderungsgesetz auch auf solche Widerrufsverfahren anwendbar, in denen das
Bundesamt - wie hier - vor dem 01.01.2005 über den Widerruf entschieden hat, diese
Entscheidung aber noch nicht bestandskräftig geworden, sondern im Zeitpunkt der
Rechtsänderung noch rechtshängig gewesen ist. Die Kammer schließt sich zu dieser, in
der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte umstrittenen Frage,
vgl. zur gegenteiligen Auffassung, OVG NRW, Beschluss vom 14.04.2005 - 13 A
654/05.A - und Beschluss vom 30.05.2005 - 9 A 1851/05.A -; VGH München, Urteil vom
10.5.2005 - 23 B 05.30217 -; VG Düsseldorf, Urteil vom 10.01.2005 - 14 K 6018/03.A - ;
VG Göttingen, Urteil vom 26.04.2005 - 2 A 222/04 -; VG Braunschweig, Urteil vom
17.02.2005 - 6 A 524/04 -, NVwZ-RR 2005, S.574f,
23
der Auffassung der 18. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln an,
24
vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A -;
www.justiz.nrw.de/RB/nrwe/index.html.; im Ergebnis wie hier auch VG Arnsberg, Urteil
vom 14.01.2005 - 12 K 521/04.A -;
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und folgt der dortigen Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug
genommen wird.
26
Da danach im vorliegenden Fall eine Ermessensentscheidung zum Widerruf erforderlich
war und der angefochtene Widerrufsbescheid eine solche nicht erhält, ist der
Widerrufsbescheid bereits aus diesem Grund rechtswidrig.
27
Hierauf kann sich die Klägerin auch berufen, weil die Drei-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a
AsylVfG 2005 nicht lediglich im öffentlichen Interesse besteht, sondern auch den
Interessen des Asylberechtigten dient,
28
vgl. VG Köln, Urteil vom 10.06.2005 aaO..
29
Ungeachtet dessen erweist sich der angefochtene Bescheid aber noch aus einem
weiteren, die Entscheidung selbständig tragenden Grund als rechtswidrig.
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Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid ist der Widerruf nicht aus
§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG 2005 i.V.m. § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 AuslG und § 51 Abs. 3
Satz 2 Alt. 2 und 3 AuslG jeweils in der bis zum 31.12.2004 gültigen Fassung
gerechtfertigt. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob - wie die Klägerin meint - §
51 Abs. 3 AuslG (a.F.) im Rahmen von § 73 AsylVfG gar nicht anwendbar ist.
31
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 4.12.2003 - 8 A 3766/03.A -, wo- nach § 73
AsylVfG auch Anwendung findet, wenn nach Asylanerkennung die Voraussetzungen
des § 51 Abs. 3 AuslG erfüllt werden; ebenso OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.
Dezember 2002 - 10 A 10089/02 -.
32
Ebenso offen bleiben kann, ob die erst mit Wirkung vom 1. Januar 2002 in Kraft
getretene (vgl. Art. 22 Abs. 1 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes) Ergänzung des §
51 Abs. 3 AuslG (a.F.) um Satz 2 als nachträgliche Gesetzesänderung keine
Anwendung finden können soll.
33
Denn die Klägerin erfüllt jedenfalls nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Ausschlussgründe des § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 AuslG (a.F.), jetzt § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt.
1 AufenthG und des § 51 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 und 3 AuslG (a.F.), jetzt § 60 Abs. 8 Satz 2
Alt. 2 und 3 AufenthG.
34
Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen der 1. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 1
AufenthG. Sie ist nicht - wie dort vorausgesetzt - aus schwer wiegenden Gründen als
eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands anzusehen. Dabei sind die tatbestandlichen
Voraussetzungen dieser Ausschlussvorschrift eng auszulegen, weil sie sowohl zum
Wegfall des aus dem Asylrecht folgenden Abschiebungsschutzes als auch zum Wegfall
des Abschiebungsschutzes für politische Flüchtlinge führt. Unter Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland im Sinne dieser Bestimmung ist nicht der - weite - Begriff
der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinen Polizeirechts zu verstehen,
sondern die innere und äußere Sicherheit des Staates. Die hier allein betroffene innere
Sicherheit umfasst Bestand und Funktion des Staates und seiner Einrichtungen.
35
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 - 9 C 31/98 -, BVerwGE 109, 1-11.
36
Eine Gefahr für die innere Sicherheit kann der Ausländer dadurch bedeuten, dass er
selbst beispielsweise Straftaten im Sinne der §§ 80 ff StGB oder andere Straftaten von
entsprechendem Gewicht und ähnlicher Zielsetzung begeht. Er kann aber auch dadurch
zu einer solchen Gefahr werden, dass er eine Organisation unterstützt, die ihrerseits die
innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Dabei reicht die bloße
Zugehörigkeit zu einer derartigen Organisation für sich genommen noch nicht aus,
vielmehr muss sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des
Ausländers konkretisieren. Schwer wiegende Gründe im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1
Alt.1 AufenthG liegen regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Ausländer sich für die
Organisation etwa durch Teilnahme an deren Aktivitäten oder durch finanzielle
Zuwendungen einsetzt. Vielmehr müssen bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes
ausgerichteten Wertung die vom Ausländer ausgehenden Gefahren so gravierend sein,
dass sie es rechtfertigen, den Abschiebungsschutz für politisch Verfolgte zurücktreten zu
lassen. Ein Ausländer kann danach im Allgemeinen erst dann aus schwer wiegenden
Gründen eine Gefahr für die Sicherheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 Auf- enthG
bedeuten, wenn er eine die Sicherheit des Staates gefährdende Organisation in
qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär
aktiv unterstützt. Das kann sich daraus ergeben, dass er durch eigene erhebliche
Gewalttätigkeit oder -bereitschaft für die Ziele der Organisation eintritt oder dass er
durch seine strukturelle Einbindung in die Organisation, etwa durch Ausübung einer
aktiven Funktionärstätigkeit, deren Gefährdungspotenzial mitträgt. Ob dies der Fall ist,
lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern hängt von einer wertenden
Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles ab.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.3.1999 aaO..
38
Ausgehend von diesem Maßstab hat das Gericht nicht die notwendige Überzeugung (§
108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon gewonnen, dass ausreichend konkret nachgewiesene
Tatsachen vorliegen, die die vorstehend dargelegte Bewertung zu Lasten der Klägerin
ausreichend zu untermauern vermögen. Diese Nichterweislichkeit einer ausreichenden
Tatsachengrundlage wirkt sich hier zum Nachteil der Beklagten aus, die aus den
Ausschlusstatbeständen des § 60 Abs. 8 AufenthG eine für sie günstige Rechtsfolge -
39
den Widerruf - herleiten will.
Vgl. zur sog. materiellen Beweislast (Feststellungslast) Marwinski in Brandt/Sachs,
Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2. Aufl.Rdn. B 201ff m.w.N..
40
Dabei lässt die Kammer ausdrücklich offen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8
Satz 1 Alt. 1 AufenthG bereits deswegen für die Klägerin nicht vorliegen, weil es sich
möglicherweise bei der Bewegung der Volksmodjahedin Iran in Form der in der
Bundesrepublik Deutschland auftretenden Organisationseinheiten nicht um eine
Organisa- tion handelt, die ihrerseits die innere Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland ge- fährdet. Hierzu sind unterschiedliche Bewertungen festzustellen. So
kommt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof im Rahmen der Prüfung der
Übernahme eines Verfahrens wegen des Verdachts einer Straftat gem. § 129 StGB
betreffend Akti- vitäten der Volksmodjahedin Iran (MEK) in Deutschland vom 18.05.1998
- 2 ARP 117/98-3- zu dem Ergebnis, dass die Taten der Volksmodjahedin nicht geeignet
seien, innen- und außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland in
nennenswertem Maße zu berühren. Diesem Ergebnis entspricht es auch, dass
offensichtlich zu den verschiedenen in Deutschland tätigen Vereinen der
Volksmodjahedin Iran-Organisation keine Verbotsverfügung des Bundesministeriums
des Innern vorliegt.
41
Demgegenüber kommt das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Broschüre
„Volksmodjahedin Iran und ihre Frontorganisation Nationaler Widerstandsrat Iran" -
Stand Februar 2004 - zu der Bewertung, dass die von der Volksmodjahedin Iran-
Organisation ausgehende potenzielle Gefahr nicht unterschätzt werden dürfe und sie,
solange sie nicht der Anwendung von Gewalt abschwöre, für die innere Sicherheit in
Deutschland ein Gefährdungspotenzial darstelle, dem die deutschen
Sicherheitsbehörden im Rahmen der Terrorismusbekämpfung Rechnung tragen
müssten. In seinem „Zwischenbericht 2005" stuft das Landesamt für Verfassungsschutz
NRW die Volksmodjahedin Iran-Organisation dergestalt ein, dass sie Bestrebungen
verfolge, die durch Anwendung von Gewalt oder hierauf gerichtete
Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland
gefährden.
42
Vgl. Zwischenbericht 2005, Entwicklungen und Analysen des Extremismus in NRW,
Stand September 2005, www.im.nrw.de.
43
Wie diese unterschiedlichen Einschätzungen zur Gefahr der Volksmodjahedin Iran-
Organisation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland unter dem Blickwinkel
des Widerrufstatbestandes des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt 1 AufenthG zu bewerten sind,
kann aber im Ergebnis offen bleiben.
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Denn jedenfalls kann die Kammer unter Auswertung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens keine ausreichend gesicherte Tatsachengrundlage dafür feststellen, dass
die Klägerin - die Gefährdung der Sicherheit des Staates durch die Volksmodjahedin
Iran-Organisation einmal unterstellt - diese Organisation in qualifizierter Weise,
insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder aktive Funktionärstätigkeit unterstützt
hat. Dies gilt zunächst hinsichtlich der Frage eigener Gewaltbeiträge der Klägerin.
Soweit die Beklagte annimmt, dass die Klägerin eine führende Position in der MEK bzw.
der NLA - dem militärischen Arm der MEK - eingenommen habe und deswegen eigene
Gewaltbeiträge der Klägerin zu vermuten seien, überzeugt dies nicht. Eine so weitge-
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hende Schlussfolgerung kann aufgrund der durchgeführten Ermittlungen und der hierbei
gewonnenen Erkenntnisse nicht gezogen werden. So fehlt es bereits an einer
ausreichend gesicherten Tatsachengrundlage dafür, dass die Klägerin tatsächlich eine
Führungsposition in der MEK/NLA innegehabt hat oder sonst in die Strukturen dieser
Organisationen eingebunden war. So hat das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die
Anfrage des Gerichts unter dem 27.07.2005 ausdrücklich mitgeteilt, dass eine
eventuelle führende Position der Klägerin in der MEK/NLA nicht belegt werden könne.
Hiermit übereinstimmend ergeben sich auch aus der Mitteilung des
Bundeskriminalamtes vom 07.09.2005 keine Erkenntnisse, die die behauptete
Führungsposition belegen könnten.
Das Gericht hat auch im Übrigen keinen ausreichend belastbaren Anhalt dafür, dass die
Klägerin eine Führungsposition in der MEK/NLA bekleidet hat. Die Klägerin hat dies
vielmehr ausdrücklich in Abrede gestellt (vgl. Schriftsatz vom 11.08.2004), sich selbst
lediglich als aktive Anhängerin bezeichnet und zudem bekundet, dass sie sich lediglich
zu Besuchszwecken im Irak aufgehalten habe. Danach handelt es sich bei der
Annahme der Beklagten zu eigenen Gewaltbeiträgen der Klägerin um eine reine
Vermutung, ohne gesichertes Tatsachenmaterial. Hierfür spricht zudem, dass die
Staatsanwaltschaft Köln die wegen Verdachtes eines Verstosses gegen § 129 StGB
gegen Sympathisanten der MEK in Köln eingeleiteten Ermittlungsverfahren unter
anderem mit der Begründung eingestellt hat, dass die Sympathisanten der MEK in Köln
in keiner Weise in die Willensbildung der Organisation in Paris integriert und lediglich
ausführende Organe der dort beschlossenen Maßnahmen waren, ohne dass in Köln
Entscheidungen, mit Ausnahme solcher von gänzlich untergeordneter Bedeutung
getroffen wurden.
46
Vgl. Schreiben der Staatsanwaltschaft Köln vom 23.08.2005 Köln zum Verfahren 16 K
5451/03.A.
47
Soweit die Beklagte allein aus dem Umstand der Einreise der Klägerin in einer Gruppe
anderer aus dem Irak kommender iranischer Frauen und der Gesamtheit der bei diesen
aufgefundenen Gegenständen entnimmt, dass die Klägerin dem Führungskader der
MEK angehöre, ist diese Schlussfolgerung in ihrem tatsächlichen Anknüpfungspunkt
nicht hinreichend abgesichert. Mag es auch angesichts des Umstandes, dass die MEK
ihr Hauptquartier im Irak im Zuge des Irak-Krieges verlo- ren hat,
48
vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Volksmodjahedin Iran und ihre
Frontorganisation Nationaler Widerstandsrat Iran a.a.O.,
49
durchaus beachtlich wahrscheinlich erscheinen, dass die MEK bestrebt ist, ihre
führenden Kadermitglieder in das westliche Ausland und damit auch nach Deutschland
zu evakuieren, so vermag diese allgemeine Erkenntnis jedenfalls nicht mit der nötigen
Sicherheit den erforderlichen Schluss auf eine konkrete aktive Funktionärstätigkeit
gerade der Klägerin zu rechtfertigen. Dies gilt auch mit Blick auf die bei der Klägerin bei
ihrer Einreise aufgefundenen Gegenstände. Abgesehen davon, dass die Verwertbarkeit
der hierzu vorliegenden Erkenntnisse angesichts der bestehenden Widersprüche in den
Feststellungen, was die Klägerin tatsächlich bei sich geführt hat, zweifelhaft sein könnte
(vgl. hierzu einerseits Bl.61, andererseits Bl.78 der Beiakte 1 sowie Bl.152 der
Klageakte), erlauben diese Gegenstände jedenfalls nicht den sicheren Schluss auf eine
aktive Funktionärstätigkeit der Klägerin für die MEK. Die in der Auskunft des
Bundeskriminalamtes vom 07.09.2005 enthaltene Auflistung von Fotos von Führern der
50
MEK, Notizbüchern mit Telefonnummern und ein grünes Parteikopftuch ist hierfür nicht
aussagekräftig, zumal es an einer Auswertung der Notizbücher fehlt. Was die bei den
übrigen iranischen Frauen bei der Einreise am 19.03.2003 aufgefundenen Gegenstände
anbelangt, erlauben auch diese nicht den Schluss auf eine aktive Funktionärstätigkeit
der Klägerin. Abgesehen davon, dass auch insoweit die geschilderten Schwierigkeiten
bestehen, die Gegenstände, die gefunden worden sind, überhaupt gerichtsverwertbar
festzustellen und in ihrer Bedeutung zu erfassen, bestehen keinerlei Erkenntnisse dazu,
wie diese Gegenstände in Bezug zu einer konkreten Funktionärstätigkeit gerade der
Klägerin stehen sollen.
Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen der 2. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 2
AufenthG. Es ist nicht - wie dort vorausgesetzt - aus schwer wiegenden Gründen die
Annahme gerechtfertigt, dass die Klägerin vor ihrer Aufnahme als Flüchtling ein
schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik
Deutschland begangen hat. In Anlehnung an die zu § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG
dargestellten Grundsätze, ist auch zum Verständnis der 2. Alternative des § 60 Abs. 8
Satz 2 AufenthG ein enger Auslegungsmaßstab maßgeblich. Dies legt bereits der
insoweit mit der 1. Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG übereinstimmende
Wortlaut der Vorschrift nahe, wonach die Annahme eines entsprechenden Verbrechens
aus „schwer wiegenden Gründen" gerechtfertigt sein muss und zudem nicht jedes
Verbrechen ausreicht, sondern es sich um ein „schweres nichtpolitisches Verbrechen"
handeln muss. Für eine enge Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen spricht
weiter, dass auch hier die Ausschlussvorschrift sowohl zum Wegfall des aus dem
Asylrecht folgenden Abschiebungsschutzes als auch zum Wegfall des
Abschiebungsschutzes für politische Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG führt.
Danach muss bei einer am Gewicht des Ausschlussgrundes des § 60 Abs. 8 Satz 2 Alt.
2 AufenthG ausgerichteten Wertung das in dieser Vorschrift missbilligte Verhalten des
Ausländers auch hier in einem qualifizierten (Tat)Beitrag entsprechend der zur 1.
Alternative des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG dargestellten Grundsätze bestehen.
51
Hiervon ausgehend fehlt auch hier eine konkret nachgewiesene Tatsachengrundlage,
die zu dem Vorfluchtengagement der Klägerin für die MEK die Annahme rechtfertigt,
dass die Klägerin entsprechende Taten begangen hat, auch wenn es keiner
rechtskräftigen Verurteilung ihretwegen bedarf.
52
Vgl. zum Letzteren OVG Rheinland Pfalz, Urteil vom 06.12.2002 - 10 A 10089/02 - aaO.
53
Eigene im Iran vor ihrer erstmaligen Ausreise nach Deutschland begangene
Gewaltbeiträge der Klägerin sind nicht feststellbar. Was den Tatbestand der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung anbelangt (§ 129 a StGB), fehlt es
nach dem bereits Dargelegten an hinreichend sicheren Anhaltspunkten für eine
Mitgliedschaft der Klägerin in der MEK, die dies auch selbst nicht in dem zu ihrer
Asylanerkennung führenden Verwaltungsverfahren behauptet hatte. Auch die übrigen
Vorfluchtaktivitäten der Klägerin für die MEK als deren Sympathisantin, wie z.B. das
Verteilen von Flugblättern und die Teilnahme an Demonstrationen, lassen nicht eine
solche strukturelle Einbindung der Klägerin in die MEK erkennen, dass davon die Rede
sein kann, dass sich in der Person der Klägerin ein - hier unter- stelltes -
Gefährdungspotenzial der MEK im Iran realisiert hat.
54
Vgl. dazu OVG Rheinland Pfalz, Urteil vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02 - aaO..
55
Die Vorfluchtaktivitäten der Klägerin gehen in ihrer Qualität nicht über das „normale"
Engagement einer Vielzahl von Sympathisanten der MEK hinaus, die dem Gericht aus
einer Vielzahl von Verfahren iranischer Asylbewerber bekannt sind.
56
Schließlich erfüllt die Klägerin auch nicht den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8
Satz 2 3. Alt. AufenthG. Was zunächst das den Zielen und Grundsätzen der Vereinten
Nationen zuwiderlaufende Handeln angeht, ist zwar zu berücksichtigen, dass der
Sicherheitsrat in der Resolution 1373 vom 28.09.2001 ausdrücklich erklärt hat, dass die
Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den in
Kapitel I der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Zielen und Grundsätzen
dieser Organisation stehen und es ist auch weiter zu beachten, dass sich - entgegen der
Auffassung der Klägerin - auch eine Privatperson zu dem in Rede stehenden Ziel und
den betreffenden Grundsätzen der Vereinten Nationen in Widerspruch setzen kann.
57
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.12.2002 aaO..
58
Dabei lässt die Kammer offen, ob die MEK und die ihr zuzurechnenden Organisationen
als terroristische Organisation zu bewerten sind,
59
Vgl. zu den Grundsätzen BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - EZAR
201 Nr. 20; BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - BVerwG 1 C 26.03 -, InfAuslR 9/2005, S.
374 ff.,
60
und wie in diesem Zusammenhang der Umstand zu bewerten ist, dass die MEK vom
Rat der Europäischen Union im Mai 2002 in die zur Bekämpfung des Terrorismus
erstellte Liste als Gruppe bzw. Organisation aufgenommen worden ist.
61
Denn im Rahmen von § 60 Abs. 8 Satz 2 3.Alt. AufenthG ist, was das hier in Rede
stehende Zuwiderhandeln gegen die UN-Ziele durch Verstrickung in den Terrorismus
angeht, mit Rücksicht auf Art. 1 F c Genfer Konvention und den sich unmittelbar aus
dem Gewährleistungsinhalt des Grundrechts aus Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes
selbst ergebenden Ausschluss von der grundrechtlichen Asylgewährleistung wegen
terroristischer Aktivitäten erforderlich, dass die betref- fenden Handlungen strafrechtlich
relevant sein müssen in dem Sinn, dass der Ausländer Teilnehmer im strafrechtlichen
Sinne von Terrorhandlungen gewesen ist oder im Vorfeld Unterstützungshandlungen
zugunsten terroristischer Aktivitäten unternommen hat.
62
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, S. 315 ff: OVG
Rheinland-Pfalz Urteil vom 6.12.2002 - 10 A 10089/02 - aaO; siehe auch UNHCR, vom
4.9.2003, Nrn. 17 bis 19.
63
Ein derartiges strafrechtliches relevantes Handeln der Klägerin lässt sich aber nach dem
bereits Dargelegten weder in den Vorfluchtaktivitäten der Klägerin als Sympathisantin
der MEK noch für die Zeit seit ihrer Asylanerkennung feststellen.
64
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.
65