Urteil des VG Köln vom 25.07.2006

VG Köln: dosierung, arzneimittel, vitamin, anorexia nervosa, verhütung, erfahrung, stoff, substitution, verkehr, auflage

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 3093/04
Datum:
25.07.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 3093/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens
zu tragen.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann
die Voll- streckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand: Die Klägerin begehrt eine Änderung der Dosierung ihres Arzneimittels „W.
„.
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Das streitgegenständliche, aus Italien importierte Arzneimittel war 1969 mit einer
täglichen Dosierung für die Anwendungsgebiete physische und psychische Erschöp-
fung, neuropsychische Beschwerden, Kraftlosigkeit, Anorexie, schnelle Ermüdbarkeit
und Rekonvaleszenz ins Spezialitätenregister eingetragen worden. Die Firma F.
Arzneimittelfabrik zeigte 1978 das streitgegen- ständliche Arzneimittel mit den
wirksamen Bestandteilen: L (+) - Glutamin 60,0 mg, DL-O-Phosphoserin, 40,0 mg
Vitamin B12-Cyanokomplex (Cyanocobalamin) 0,5 mg
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und den Anwendungsgebieten: Wiederherstellung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit, bei Stress, Überlastung, Neurasthenie, Anorexia nervosa, in der
Rekonvaleszenz; nach schweren Erkrankungen, Operationen und Bestrahlungsserien,
Ferner im Senium und bei Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten von Schulkindern,
sowie zur Aktivierung von Leistungssportlern
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an. Die pharmazeutische Unternehmerin stellte im Dezember 1989 den sog. Kurzantrag
und im Juli 1993 den sog. Langantrag, wobei sie als arzneilich wirksame Bestandteile
angab: Eine Flasche mit Lösung enthält: O-Phosphono-DL-serin 40,00 mg
Cyanocobalamin 0,50 mg
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Ein Verschluss mit Pulver enthält: L-Glutamin 60,00 mg.
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Als Dosierung war die 1 x tägliche Einnahme vorgesehen.
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Die C. -F. stellte im November 1994 den Antrag auf Aufnahme der Stoff- kombination
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aus Vitamin B 12, L-Glutamin und O-Phosphono-DL-Serin in die soge- nannte
Traditionsliste. In der Änderungsanzeige von Dezember 1996 wurde als An-
wendungsgebiet angegeben: Traditionell angewendet zur Stärkung oder Kräftigung des
Allgemeinbefindens.
In einer internen medizinischen Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) wurde ausgeführt, das Präparat sei deutlich überdosiert. Eine
Trinkflasche enthalte 500 µg Cyanocobalamin. Da die pharmazeutische Unternehmerin
vom Listenverfahren Gebrauch mache und das Präparat nicht „der Beseitigung oder
Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden", sondern nur der
Vorbeugung diene, könne die genannte Dosierung nicht akzeptiert werden. Zur
Substitution bei Viel- und Mangelernährung, z.B. bei streng vegetarischer
Ernährungsweise, seien zur Sicherung der Bedarfsdeckung prophylaktische
Tagesdosen von 3 - 10 µg ausreichend. Die Monographie „Vitamin B 12" empfehle zur
Verhütung von Vitamin B 12-Mangelsyndromen durch jahrelange Fehlernährung
Tagesdosen von 1 - 10 µg. Es werde daher eine 1x wöchentliche Dosierung
vorgeschlagen.
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Die Stoffe des Arzneimittels wurden unter der laufenden Nummer 42 in die Liste nach §
109a AMG für das Anwendungsgebiet „Traditionell angewendet zur Stärkung oder
Kräftigung des Allgemeinbefindens" eingetragen (BAnz. Nr. 141 vom 29.07.1995).
Diese Indikationsangabe wurde später geändert in „Traditionell ange- wendet zur
Besserung des Allgemeinbefindens". Das BfArM erteilte der pharmazeu- tischen
Unternehmerin am 01.07.1998 die Zulassung gemäß § 105 AMG i. V. m. § 109 a AMG
mit u. a. der Auflage A.13 „... soweit nicht anders verordnet, nehmen Er- wachsene und
Kinder über 12 Jahre den Inhalt eines Fläschchens 1 x pro Woche ein." Die
pharmazeutische Unternehmerin zeigte im Juli 1998 an, die im Zulassungs- bescheid
vorgegebenen Auflagen erfüllt zu haben.
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Der von der X. GmbH beantragten Änderung der Dosierung des streitgegenständlichen
Arzneimittels von einer 1 x wöchentlichen in eine 1 x tägliche stimmte das BfArM mit
Bescheiden vom 21.12.1999 und 24.02.2000 nicht zu.
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Am 02.04.2003 stellte die Klägerin als nunmehrige Zulassungsinhaberin den Antrag auf
Verlängerung des Arzneimittels gemäß § 31 Abs. 2 AMG. Die Klägerin hatte am
26.03.2003 die Änderung der Dosierung in eine 1 x tägliche angezeigt. Zur Begründung
führte sie aus, die Kombination des streitgegenständli- chen Arzneimittels liege in der
EU mindestens seit 1961 in unveränderter Darrei- chungsform, identischer Art der
Anwendung und identischer Zusammensetzung der fixen Kombination vor. Bei der
Meldung im Oktober 1994 sei zum Beleg der tradier- ten Anwendung der
Stoffkombination der italienische Registrierungsbescheid aus dem Jahre 1961 für ein in
Italien vertriebenes, in der Zusammensetzung mit W. absolut identisches Arzneimittel
beigefügt gewesen. In Deutschland sei das streitge- genständliche Arzneimittel im
Dezember 1969 in das Spezialitätenregister eingetra- gen worden. Die Dosierung
belaufe sich seit 1961 auf ein Trinkfläschchen täglich. Es handele sich somit bei dieser
Dosierung um eine „tradierte Dosierung". Die Dosie- rungsänderung im
Zulassungsbescheid sei von der Rechtsvorgängerin nicht ange- griffen worden. Mit der
Änderungsanzeige beabsichtige die Klägerin, der tradierten Dosierung Rechnung zu
tragen, denn nur die 1 x tägliche Gabe spiegele die tradierte Dosierung wider. Das
BfArM stimmte mit Bescheid vom 17.06.2003 der angezeigten Änderung der Dosierung
nach § 29 Abs. 2 a AMG nicht zu und führte zur Begrün- dung aus, laut
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Aufbereitungsmonographie Vitamin B12 werde bei oraler Gabe eine Dosis von 1 µg bis
maximal 10 µg empfohlen. Bei einer täglichen Gabe des streitge- genständlichen
Präparates würden täglich 500 µg Cyanocobalamin zugeführt wer- den, was weit über
der empfohlenen Dosis liege. In ihrem Widerspruchsschreiben vom 07.07.2003 führte
die Klägerin aus, das tradierte Wissen zu W. sei ausschließlich mit der täglichen
Einnahme eines Trinkfläschchens und somit von 500 µg Cyanocobalamin erworben
worden. Eben dieses Wissen habe auch zur Auf- nahme der in W. enthaltenen
Stoffkombination in die Traditionsliste ge- führt. Das BfArM wies den Widerspruch der
Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 29.03.2004 zurück, da die Klägerin für die
begehrte Dosierungsänderung kein wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt
habe, das die Erhöhung der Dosierung rechtfertigen könne. Mit der Aufnahme eines
Stoffes in die Traditionsliste werde noch keinerlei Aussage zur Frage einer plausiblen
Dosierung getroffen. So sei in der sogenannten Traditionsliste eine Dosierung
grundsätzlich nicht vorgesehen. Allein der Stoff bzw. die Stoffkombination, die
Darreichungsform und die Anwendungsgebiete würden in der Liste nach § 109 a Abs. 3
AMG angegeben. In der Traditionsliste finde sich auch der Hinweis, dass die
Indikationsfestlegungen nur bei einer plausiblen Dosierung gelten, die
präparatespezifisch beurteilt werde. Die Prüfung der Dosierung erfolge
präparatespezifisch im Rahmen der Prüfung des einzelnen Verlängerungsantrages für
jedes Arzneimittel. Diese präparatespezifische Beurteilung im Rahmen der Prüfung des
Verlängerungsantrages habe für das streitgegenständliche Arzneimittel zu einer
Reduzierung der Dosierung auf „wöchentlich 1 Trinkfläschchen" geführt. Die bereits von
der Rechtsvorgängerin begehrte Dosierung von „täglich 1 Trinkfläschchen" habe nach
erstmaliger fachlicher Prüfung im Rahmen der Nachzulassungsentscheidung verringert
werden müssen. Im Rahmen des Verfahrens nach § 109 a AMG dürfe das Arzneimittel
entsprechend § 44 AMG ausschließlich anderen Zwecken als zur Beseitigung oder
Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden zu
dienen be- stimmt sein. Das im Rahmen der Verlängerung der Zulassung festgelegte
Anwen- dungsgebiet des streitgegenständlichen Arzneimittels „Traditionell angewendet
zur Stärkung oder Kräftigung des Allgemeinbefindens" diene allein der Vorbeugung. Die
beantragte Dosierung von „täglich 1 Trinkfläschchen" führe zu einer deutlichen
Überdosierung. Zur Substitution bei Fehl- und Mangelernährung, z.B. bei streng
vegetarischer Ernährung, seien zur Sicherung der Bedarfsdeckung prophylaktische
Tagesdosen von 3 - 10 µg ausreichend (Council Report 1987). Die Monographie
„Vitamin B12" empfehle zur Verhütung von Vitamin B12 Mangelsyndromen durch
jahrelange Fehlernährung eine orale Anwendung mit Tagesdosen von 1 - 10 µg. Der
Bescheid wurde der Klägerin am 30.03.2004 zugestellt.
Die Klägerin hat am 27.04.2004 Klage erhoben. Sie trägt vor, mit der Änderungsanzeige
von März 2003 beanspruche sie die tradierte Dosierung für das streitgegenständliche
Arzneimittel. Dieses sei seit 1969 bis zur Zulassung mit der 1 x täglichen Dosierung am
Markt gewesen. Dies entspreche ex- plizit der von der Beklagten reklamierten tradierten
Dosierung. Die 1 x tägliche Dosie- rung und damit das tradierte Wissen beruhe einzig
und allein auf der täglichen Anwendung. Die von der Beklagten per Auflage geänderte
Dosierung in eine 1 x wöchentliche Einnahme stehe im Gegensatz zu der durch
tradiertes Wissen belegten 1 x täglichen Dosierung. Auch wenn in den entsprechenden
Listenpositionen für Stoff bzw. Stoffkombinationen als sog. traditionelle Arzneimittel
Dosierungen nicht angegeben seien, heiße dies nicht, dass die Dosierung des
jeweiligen Arzneimittels bei der individuellen Zulassungserteilung nicht zu
berücksichtigen sei. Das tradierte Wissen beschränke sich insoweit nicht ausschließlich
auf die Indikationen, sondern auch auf die dem entsprechenden Präparat
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zugrundeliegende Dosierung, die in das tradierte Wissen einfließe. Die begehrte
Dosierungsänderung sei auch aus fachlicher Sicht begründet, indem sie auf die tradierte
langjährige Erfahrung in der begehrten 1 x täglichen Dosierung hingewiesen habe. Im
Vergleich zu anderen Vitaminen sei die Aufnahme von Vitamin B12 ein sehr komplexer,
mehrstufiger und störanfälliger Prozess. Für den Transport und die Speicherung seien
spezifische Vitamin-B12 bindende Proteine erforderlich. Im Hinblick auf den sehr
komplexen Aufnahmemechanismus für Vitamin B12 reiche die einmal wöchentliche
Gabe nicht aus, vielmehr sei eine 1 x tägliche Einnahme erforderlich.
Die Klägerin beantragt (schriftsätzlich),
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den Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 16. Juni
2003, Geschäftszeichen in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. März
2004, Geschäftszeichen , aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der mit der
Änderungsanzeige vom 26. März 2003 angezeigten Änderung - hier Änderung der
Dosierung - zuzustimmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tragt vor, Änderungen der Dosierung richteten sich auch für Mittel, die im Rahmen
des § 109 a AMG zugelassen worden seien, grundsätzlich nach § 29 AMG. Die Klägerin
habe ihre Behauptung, der in der Monographie angegebene Dosierungsrahmen von 1
µg - 10 µg Vitamin-B12 pro Tag sei in vielen Fällen nicht ausreichend, nicht belegt. Das
streitgegenständliche Arzneimittel sei ausschließlich mit der Indikation „Traditionell
angewendet zur Stärkung oder Kräftigung des Allgemeinbefindens" bzw. nach
Änderung „Traditionell angewendet zur Besserung des Allgemeinbefindens" gemäß §
105 i.V.m. § 109 a AMG als traditionelles Arzneimittel zugelassen worden. W. seien
nicht zur Prophylaxe von Vitamin-B12-Mangelzuständen auf- grund von
Resorptionsstörungen, z.B. beim Mangel des Intrinsic-Factors, geeignet. Die tägliche
Zufuhr von Vitamin-B12 durch die Nahrung liege bereits über dem Tagesbedarf.
Aufgrund dessen sei es nicht zu rechtfertigen, dass zusätzlich täglich noch erhebliche
Mengen Vitamin B12 durch die Gabe eines Trinkfläschchens des
streitgegenständlichen Präparats zugeführt würden, dies gelte insbesondere auch im
Hinblick auf das zugelassene Anwendungsgebiet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 17.06.2003
in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 29.03.2004 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte
hat zu Recht der von der Klägerin angezeigten Änderung der Dosierung von
„wöchentlich 1 Trinkfläschchen" in „täglich 1 Trinkfläschchen" gem. § 29 Abs.2a Nr. 1
AMG nicht zugestimmt. Die Zustimmung ist ein begünstigender Verwaltungsakt, dessen
Erlass auf die Ände- rungsanzeige erfolgt. Die Änderungsanzeige hat die Funktion
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eines Änderungsantrages und bildet die Grundlage für die sich anschließende
materielle Prüfung durch die zuständige Bundesoberbehörde.
Vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 29 AMG Er. 16.
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Für die Beurteilung der Änderungsanzeige vom 26.03.2003 ist § 29 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1
Arzneimittelgesetz - AMG - heranzuziehen. Hiernach darf eine Änderung der Dosierung
erst nach Zustimmung der zuständigen Bundesbehörde vollzogen werden. Die
Zustimmung gilt gem. § 29 Abs. 2a Satz 2 AMG als erteilt, wenn der Änderung nicht
innerhalb einer Frist von drei Monaten widersprochen worden ist. Die Beklagte hat der
geänderten - erweiterten - Dosierung im Ergebnis zu Recht widersprochen.
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Will die Klägerin eine Änderung der Dosierung ihres Arzneimittels, hätte sie nämlich
zunächst, da es an einer Eintragung der Dosierung in die sog. Traditionsliste fehlt, eine
Ergänzung ihrer Listenposition beantragen müssen. Ein entsprechender Antrag ist
allerdings nicht ausdrücklich gestellt worden. Nach Auffassung der Kammer, vgl. Urteil
vom 25.07.2006 - 7 K 1483/02 - setzt die Änderung der im Zulassungsbescheid vom
01.07.1998 bestimmten Dosierung voraus, dass die zum Nachweis der Wirksamkeit für
das streitgegenständliche Arzneimittel in Anspruch genommene Listenposition Nr. 42 in
der Aufstellung nach § 109a Abs. 3 Satz 1 AMG zuvor um eine Dosierungsangabe
ergänzt worden ist. Ohne die Kenntnis von Dosierung und Darreichungsform lässt sich
keine verbindliche Aussage zur Wirksamkeit eines Arzneimittels treffen. Bei beiden
Kategorien handelt es sich um solche, die für die Wirksamkeit des Arzneimittels
entscheidend sind.
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Vgl. Punkt 5.2.4 der Arzneimittelprüfrichtlinien in der Fassung vom 11. Oktober 2004
(BAnz. S. 22037).
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Nach Auffassung der Kammer ist daher die Frage der angemessenen Dosierung und
Darreichungsform nicht erst präparatespezifisch im Zulassungsverfahren zu prüfen, wie
es der Praxis der Beklagten entspricht. Dies widerspräche dem in § 109a Abs. 3 Satz 1
AMG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen, nach dem die
Anforderungen an die Wirksamkeit - abschließend - erfüllt sind, wenn ein Arzneimittel
einer Listenposition in der sogenannten Traditionsliste entspricht. Mit der Einführung
des § 109a AMG durch die 5. AMG-Novelle (Gesetz vom 9. August 1994, BGBl. I S.
2071) sollte nämlich für Arzneimittel, die dieser Regelung unterfallen, ein
beschleunigtes, pauschaliertes Prüfverfahren eingeführt werden, in dem die sonst
erforderliche präparatespezifische Wirksamkeitsprüfung durch bloße Bezugnahme auf
eine Listenposition ersetzt wurde. Der Traditionsnachweis erschöpft sich dabei nicht in
der bloßen Zuordnung von Stoffen bzw. Stoffkombinationen zu Anwendungsgebieten.
Auch wenn der Wortlaut des § 109a Abs. 3 Satz 1 AMG ausdrücklich keine weiteren
Anforderungen nennt, folgt aus seiner Funktion als Wirksamkeitsnachweis, dass sich
die tradierte und dokumentierte Erfahrung zumindest auch auf eine bestimmte
Dosierung und Darreichungsform des Arzneimittels beziehen muss. Das Gesetz sieht
für traditionelle Arzneimittel im Sinne des § 109a AMG von einem herkömmlichen
Wirksamkeitsnachweis, der im regulären Nachzulassungsverfahren durch die Vorlage
von Unterlagen nach § 105 Abs. 4a AMG zu erbringen wäre, ab. Mit dem allein
erforderlichen Traditionsnachweis ist danach nicht der naturwissenschaftliche Nachweis
der Wirksamkeit des Arzneimittels erbracht, sondern es sind die gesetzlichen
Anforderungen an die Wirksamkeit des Arzneimittels - gewissermaßen im Sinne einer
Wirksamkeitsfiktion - erfüllt. Dem widerspräche es, wenn Listenpositionen der
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Traditionsliste nicht alle für die Wirksamkeit erforderlichen Informationen enthielten.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
27. September 2005 - 13 A 4090/03 - zur Frage der Dosierung, sowie VG Köln, Urteil
vom 13. Dezember 2005 - 7 K 10399/02 - Pharma Recht 2006, 168, beide noch nicht
rechtskräftig.
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Selbst wenn man aber in der Begründung der Klägerin zur Dosierungsänderung, dass
nur die einmal tägliche Gabe der tradierten Dosierung entspreche, einen
entsprechenden Antrag sehen sollte, fehlt es diesem Antrag an dem erforderlichen
Traditionsnachweis für die beantragte Dosierung. Indem § 109a Abs. 3 Satz 2 AMG zum
Traditionsnachweis auf die tradierte und dokumentierte Erfahrungen abstellt, muss sich
die traditionelle Überzeugung der Wirksamkeit aus geeigneten schriftlichen Fixierungen
ergeben. Als geeignete Quellen sieht die Kammer jedenfalls solche wissenschaftlichen
Veröffentlichungen an, die auf Grund ihres Alters oder auf Grund ihrer inhaltlichen
Ausrichtung Aufschluss über die von der Überzeugung der Wirksamkeit getragene
traditionelle Anwendung geben können. Ohne dies abschließend bewerten zu müssen,
kommen neben den einschlägigen pharmazeutischen Handbüchern insoweit auch die
Aufbereitungsmonographien der Kommissionen nach § 25 Abs. 7 AMG in Betracht.
Ebenso kann die tradierte und dokumentierte Erfahrung in Werken zum Ausdruck
kommen, die traditionell im Verkehr befindliche Arzneimittel beschreiben (z. B. die Rote
Liste). Es reicht für den Traditionsnachweis allerdings nicht aus, dass das
streitgegenständliche Arzneimittel der Klägerin mit der beantragten Dosierung bereits
seit 1969 (Eintragung in das Spezialitätenregister) im Verkehr ist. Ebenso reicht zum
Beleg der tradierten Dosierung der Registrierungsbescheid aus dem Jahre 1961 für ein
in Italien vertriebenes, absolut identisches Arzneimittel nicht aus, da, wie aus der
Eintragung im Spezialitätenregister 1969 hervorgeht, es sich dabei um das aus Italien
importierte streitgegenständliche Arzneimittel handelt. Der Traditionsnachweis ergibt
sich noch nicht aus dem bloßen langjährigen Inver- kehrbringen eines einzigen, des
klägerischen Arzneimittels. Genügte dies, wäre das Nachzulassungsverfahren für
Arzneimittel, die die sonstigen Voraussetzungen erfüllen, weitgehend obsolet, weil dann
jeder Inhaber einer fiktiven Zulassung sich auf die Tradition seines eigenen
Arzneimittels zur Begründung einer Listenposition berufen könnte. Wie bereits
dargelegt, dient der Traditionsnachweis jedoch dazu, den - traditionellen -
Wirksamkeitsnachweis für Stoffe bzw. Stoffkombinationen im Hinblick auf bestimmte
Anwendungsgebiete zu erbringen. Diesen aus der bloßen langjährigen Existenz und
Anwendung eines einzelnen Arzneimittels abzuleiten, erscheint fernliegend.
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Vgl. VG Köln, Urteil vom 13. Dezember 2005 - 7 K 10399/02 - Pharma Recht 2006, 168.
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Vorliegend kommt hinzu, dass das streitgegenständliche Arzneimittel im
Spezialitätenregister und im Langantrag mit der ursprünglichen und nunmehr wieder
beantragten Dosierung für ein anderes Anwendungsgebiet - nämlich: Wiederherstellung
der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, bei Stress, Überlastung,
Neurasthenie, Anorexia nervosa, in der Rekonvaleszenz; nach schweren Erkrankungen,
Operationen und Bestrahlungsserien, ferner im Senium und bei Lern- und
Konzentrationsschwierigkeiten von Schulkindern, sowie zur Aktivierung von
Leistungssportlern - vorgesehen war und zudem auch apothekenpflichtig war. Einen
Nachweis der tradierten Dosierung für das in der Liste eingetragene Anwendungsgebiet
„ Zur Besserung des Allgemeinbefindens" kann die Klägerin mit dem
streitgegenständlichen Arzneimittel selbst nicht führen.
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Nach Auffassung der Kammer ist die beantragte Dosierung letztendlich auch nicht
listenfähig. Zieht man die Monographie zu Vitamin B12 heran, so wird mit der
erheblichen Dosierungserhöhung nämlich das für die Stoffkombination des
streitgegenständlichen Arzneimittels vorgesehene Anwendungsgebiet „Zur Besserung
des Allgemeinbefindens" verlassen. Die Aufbereitungsmonographie der Kommission B
7 zu Vitamin B12 sieht für das An- wendungsgebiet Prävention und Therapie von
klinischen Vitamin B12 Mangelzuständen verschiedener Ursachen nämlich eine
Dosierung von Vitamin B12 vor (- in den ersten Wochen nach Diagnosestellung 100 ?g
täglich, - bei nachgewiesener Vitamin-B12-Resorptionsstörung anschließend
lebenslang 100 ?g monatlich) sowie zur oralen Anwendung (1-10 ?g täglich), die
erheblich unter der von der Klägerin beantragten Dosierung von 500 ?g täglich liegt.
Unter „Dosierung und Art der Anwendung" ist in der Monographie zudem bestimmt:
Wegen der unzuverlässigen Resorption von Vitamin B12 bei oraler Verabreichung
erfordern jedes nachgewiesene B12-Mangelsyndrom und jede Erkrankung eine
parenterale Therapie. Eine orale Anwendung von Vitamin B12 kommt nur zur Verhütung
von B12 Mangelsyndromen durch jahrelange Fehlernährung in Frage. Angesichts
dieser Dosierungsangaben bei klinischen Vitamin B12 Mangelzuständen fällt die von
der Klägerin begehrte Änderung der Dosierung auf eine 500 ?g tägliche nicht mehr
unter das Anwendungsgebiet „Traditionell angewendet zur Besserung des
Allgemeinbe- findens" .
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Abs. 11, 711 ZPO.
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