Urteil des VG Köln vom 13.09.2005

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Verwaltungsgericht Köln, 6 L 1479/05
Datum:
13.09.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 1479/05
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens hat die
Antragstellerin zu tragen.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
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1. den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, "auch die
Antragstellerin bzw. ihren Parteivorsitzenden V. W. oder ihren Spitzenkandidaten und
Bundeswahlkampfleiter Q. N. oder ihren Spitzen- kandidaten und Fraktionsvorsitzenden
im Sächsischen Landtag I. B. zum ARD-Wahlcheck 05 am Mittwoch, dem 14.
September 2005, 20.15 bis 21.45 Uhr im Ersten Deutschen Fernsehen zuzulassen und
dort zu Wort kommen zu lassen,"
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2. durch nach freiem Ermessen des Gerichts "die Anordnungen zur Errei- chung des
Rechtsschutzziels der Antragstellerin - wenigstens teilweise Wah- rung bzw.
Wiederherstellung der Chancengleichheit im Ersten Deutschen Fernsehen (§ 123 Abs.
3 VwGO i.V.m. § 938 ZPO)" - zu treffen,
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hat keinen Erfolg.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1
Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt.
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Dabei lässt die Kammer die Frage offen, ob der Antrag gegen sämtliche am Ers- ten
Fernsehprogramm beteiligten Landesrundfunkanstalten zu richten wäre oder ob es
genügt, wenn der Antrag - wie vorliegend - allein gegen die für die in Rede ste- hende
Sendung federführende Rundfunkanstalt innerhalb der ARD gerichtet wird.
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Vgl. hierzu ebenfalls offenlassend: Beschluss der Kammer vom 19.7.2002 - 6 L 1634/02
- sowie Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 15.8.2002 - 8 B 1444/02 - NJW 2002, 3417 ff. betr. das sog.
Kanzlerkandidaten-Duell bei der Bundestagswahl 2002.
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Denn jedenfalls hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch auf Teilnahme eines
Parteivertreters an der streitigen Fernsehsendung nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3
VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
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Ein Anordnungsanspruch ergibt sich weder aus § 5 Parteiengesetz noch aus Art. 21
Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG.
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§ 5 Abs. 1 Parteiengesetz findet keine Anwendung. Eine redaktionell gestaltete
Sendung einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt zur Bundestagswahl, um die es
sich vorliegend handelt, stellt keine öffentliche Leistung i.S.d. § 5 Abs. 1 Parteienge-
setz dar.
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Vgl. u.a. Beschlüsse der Kammer und des OVG NRW, a.a.O.; ebenso
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 30.8.2002 - 2 BvR 1332/02 - NJW
2002, 2939 (ebenfalls betr. das genannte "TV-Duell" der Kanz- lerkandidaten im Jahre
2002).
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Auch aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Chancengleich- heit (Art.
21 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) ergibt sich kein Teilnahmerecht. Hiernach besteht
lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Rundfunk- anstalt
über das Teilnahmebegehren, da sich die Rundfunkanstalt gegenüber dem Recht auf
Chancengleichheit auf ihr Grundrecht der Rundfunkfreiheit gem. Art 5 Abs. 1 Satz 2 GG
berufen kann mit der Folge, dass die redaktionelle Gestaltungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1
Satz 2 GG einerseits und der Grundsatz der Chancengleichheit andererseits im Wege
praktischer Konkordanz in Einklang zu bringen sind. Dies führt dazu, dass die
Rundfunkanstalt über die Beachtung des Willkürverbots hinaus dem Prinzip der sog.
abgestuften Chancengleichheit Rechnung zu tragen hat.
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Vgl. hierzu: Beschlüsse der Kammer und des OVG NRW, a.a.O..
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Die abgestufte Chancengleichheit bedeutet, dass öffentlich-rechtliche Rundfunk-
anstalten die Parteien auch in redaktionellen Sendungen nicht strikt völlig gleich zu
behandeln, sondern entsprechend ihrer Bedeutung zu berücksichtigen haben.
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Vgl. die genannten Beschlüsse der Kammer und des OVG NRW.
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Dabei kann das Gebot der in diesem Sinne zu verstehenden Chancengleichheit im
Rahmen der konkreten Sendung oder bei Berücksichtigung der wahlbezogenen
Sendungen insgesamt zum Tragen kommen. Daher reicht es aus, wenn das Pro- gramm
insoweit insgesamt ausgewogen ist. Dementsprechend ist zur Bestimmung des
Teilnehmerkreises an einer konkreten Sendung grundsätzlich ein schlüssiges und
folgerichtig umgesetztes journalistische Konzept einer redaktionellen Sendung als
tragfähiges Differenzierungskriterium geeignet, sofern das Konzept selbst nicht unter
dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit zu beanstanden ist. Wenn eine po- litische
Partei bei der konkreten Sendung nicht zu berücksichtigen war, muss sie a- ber im
Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten insgesamt entsprechend
ihrer Bedeutung angemessen berücksichtigt werden.
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Vgl. OVG NRW, a.a.O. sowie BVerfG, ebenfalls a.a.O..
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Vorliegend ist die Nicht-Teilnahme der Antragstellerin an der fraglichen Sendung
rechtlich nicht zu beanstanden. Der Begrenzung des Teilnehmerkreises liegt ein nicht
sachwidriges, sondern tragfähiges journalistisches Konzept zugrunde. Die
Antragstellerin ist, gemessen an dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit,
auch im Gesamtprogramm der ARD, soweit es wahlbezogene Sendungen anbelangt,
angemessen berücksichtigt.
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Das journalistische Konzept des Antragsgegners, den Teilnehmerkreis der Sendung auf
Vertreter von solchen Parteien zu beschränken, die im Bundestag bereits vertreten sind
und aller Voraussicht nach im neuen Bundestag vertreten sein werden, ist nach den
genannten Kriterien nicht ermessensfehlerhaft. Es begegnet keinen Bedenken, nach
diesem Kriterium zu differenzieren. Das genannte Kriterium erfüllt die Antragstellerin
unstreitig nicht. Der Umstand, dass sie im Sächsischen Landtag mit 12 Abgeordneten
vertreten ist, auf der Grundlage eines Zweitstimmenergebnisses von 9,2 %, ist insoweit
ohne Belang, da der Antragsgegner vertretbarerweise auf die Bundestagswahlen
abstellen durfte, zumal das Wahlergebnis der Antragstellerin in Sachsen im September
2004 völlig singulären Charakter hat und damit in keiner Weise repräsentativ ist für die
Vertretung der Partei in anderen Landtagen, bei denen die Antragstellerin nirgendwo die
5 %-Hürde überspringen konnte.
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Ebenso wenig musste der Antragsgegner sich daran orientieren, dass nach § 18 Abs. 2,
§ 27 Abs. 1 Bundeswahlgesetz die Antragstellerin, da sie in einem Landtag mit
mindestens fünf Abgeordneten vertreten ist, von den dort genannten Obliegenheiten
befreit ist. Denn diese Regelung hat allein eine die "technische" Durchführung der Wahl
betreffende Bedeutung und keine Regelungs- oder Bindungswirkung für die
Rundfunkanstalten.
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Die Antragstellerin kann auch nicht, ungeachtet der bisherigen
Bundestagswahlergebnisse, damit rechnen, dass sie zukünftig im Bundestag vertreten
sein wird. Denn nach den Meinungsumfragen ist davon auszugehen, dass die
Antragstellerin bei der bevorstehenden Wahl weit unter 5 % der Zweitstimmen liegen
wird.
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Vgl. Infratest DIMAP für ARD - Deutschlandtrend - vom 25.8.2005.
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Dass diese Prognose insbesondere oder ausschließlich auf die Benachteiligung der
Antragstellerin in den wahlbezogenen Sendungen der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten zurückzuführen sei, wie die Antragstellerin geltend macht, ist nicht
feststellbar.
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Wenn - wie die Antragstellerin weiter vorträgt - möglicherweise in der Berichterstattung
der ARD-Rundfunkanstalten die Listenverbindung "Linkspartei PDS" in der
Berichterstattung häufiger Erwähnung gefunden hat als die Antragstellerin, so dürfte das
im Übrigen auch darauf zurückzuführen sein, dass es sich bei dieser um eine
parteipolitische Neuentwicklung handelt, die großem öffentlichen Interesse begegnet.
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Ebenso wenig kann die Kammer feststellen, dass - wie die Antragstellerin vorbringt -
dieses genannte Konzept der Antragsgegnerin lediglich vorgeschoben sei, dahinter
aber tatsächlich das Motiv stecke, dass die Antragstellerin von der Teilnahme an
Diskussionsrunden schlechthin ferngehalten werden solle. Dieses Vorbringen sieht die
Kammer als spekulativ an. Selbst wenn Personen, die für die Anstalten der ARD tätig
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sind, sich in dem Sinne geäußert haben sollten, dass die Antragstellerin in einer
Sendung von ihnen "nichts zu suchen" habe, ist dies noch kein Beleg dafür, dass die für
die hier fragliche Sendung verantwortliche Redaktion des Antragsgegners sich von
einem derartigen oder ähnlichen Motiv hat leiten lassen.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Antragstellerin in der Gesamtheit der
wahlbezogenen Sendungen der ARD-Rundfunkanstalten nicht entsprechend ihrer
Bedeutung berücksichtigt worden ist, ungeachtet der Frage, ob dies andernfalls zu
einem Anspruch auf Teilnahme an der fraglichen Sendung führen würde
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so möglicherweise nach OVG NRW, a.a.O.
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oder lediglich ein Anspruch auf zusätzliche Berücksichtigung im Gesamtprogramm vor
dem 18.9.2005 bestehen würde.
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Die Antragstellerin hat zunächst keinen Anspruch auf Selbstdarstellung in Form der
Teilnahme an einer von dem Antragsgegner oder einer anderen ARD- Rundfunkanstalt
auszustrahlenden Diskussionsrunde. Denn insoweit kann sich der Antragsgegner auf
seine Programmfreiheit sowie darauf berufen, dass der Antragstellerin nicht eine
politisch vergleichbare Rolle zukommt, wie den an der fraglichen Sendung
teilnehmenden Parteien und ihr daher der Antragsgegner und die anderen Anstalten der
ARD ein geringeres Gewicht beimessen dürfen.
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Die Antragstellerin ist im Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
entsprechend ihrer Bedeutung (noch) angemessen berücksichtigt worden.
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Folgende Sendungen befassen sich mit der Antragstellerin:
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- 14.09.2005, 23.30 Uhr bis 0.45, Uhr ARD, Erstes Programm "Wahl 2005. Die bunte
Republik". Nach der vom Antragsgegner vorgelegten Programmvorschau werden kleine
Parteien von "rechts nach links vorgestellt und wird Spitzenkandidaten und Strategen
der kleinen Parteien Stimme und Gesicht" gegeben.
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-
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- 15.09.2005, 16.45 Uhr bis 18.00 Uhr, Phoenix (Gemeinschaftsprogramm von ARD und
ZDF), "Sondersendung zur Vorstellung der kleinen Parteien, Die bunte Republik - kleine
Parteien in Deutschland",
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-
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- 01.09.2005, 15.00 Uhr, Drittes Programm des Antragsgegners, wo die Chancen der
kleinen Parteien einschließlich der Antragstellerin Gegenstand der Sendung waren,
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- 08.09.2005, Südwest-Rundfunk, Drittes Programm: Vorstellung der Antragstellerin
sowie der Familienpartei und der Partei der Bibeltreuen Christen im
Landespolitikmagazin,
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- Im MDR, Drittes Programm, an folgenden Tagen: 04.08.2005 MDR-aktuell:
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Wahlprogramm der O. , 25.08.2005 im Rahmen des Beitrages "Wahlprüfstein Wirtschaft"
zum Wirtschaftsprogramm der Antragstellerin, 06.09.2005 im Rahmen eines
Themenschwerpunktes "O. " mit einem Beitrag und einem Studio-Gespräch mit dem O. -
Wahlkampfchef N. 10.09.2005 mit einem Beitrag über den Wahlkampf-Kongress bei
Riesa, 12.09.2005 mit einem Beitrag über den Wahlkampf bei Jugendlichen in Sachsen.
Ferner hat der Antragsgegner darauf verwiesen, dass im Online-Angebot der ARD
Informationen über die Antragstellerin zu finden seien.
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Die Kammer geht davon aus, dass die Antragstellerin damit im Rahmen der
Wahlkampfberichterstattung der ARD-Rundfunkanstalten noch in angemessener Weise
entsprechend ihrer Bedeutung berücksichtigt worden ist bzw. berücksichtigt wird.
Allerdings berücksichtigt die Kammer nicht die Informationen, die im Internet- Angebot
der ARD über die Antragstellerin zu erfahren sind, da sie nicht ohne weiteres davon
ausgehen kann, dass ein wesentlicher Teil der wahlberechtigten Bevölkerung über
einen Internet-Anschluss verfügt und das Online-Angebot in gleicher Weise
öffentlichkeitswirksam ist. Demgegenüber durfte der Antragsgegner auf die
Sendebeiträge in den Dritten Programmen verweisen, da diese nach der
Rechtsprechung des OVG NRW zu dem Gesamtprogramm der öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten der ARD zu rechnen sind, wobei die Kammer davon ausgeht, dass
diese Programme mittels Kabelanschluss oder Parabolspiegel für große Teile der
Bevölkerung länder- bzw. sendeanstaltübergreifend empfangbar sind.
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Dem steht nicht entgegen, dass nach der genannten Rechtsprechung der Kammer und
des OVG NRW zur abgestuften Chancengleichheit das Ermessen bei der Gestaltung
der Sendung und der Auswahl des Teilnehmerkreises um so mehr eingeschränkt ist, je
enger - in zeitlicher und/oder inhaltlicher Hinsicht - die Beziehung einer derartigen
Sendung zu der bevorstehenden Wahl und je größer ihr publizistisches Gewicht ist.
Diesem Gesichtspunkt hat der Antragsgegner vorliegend in ausreichendem Maße
dadurch Rechnung getragen, dass am selben Abend, nur 1 ¾ Stunden später, eine
Berichterstattung über die O. und andere kleinere Parteien im Ersten Programm des
Deutschen Fernsehens erfolgen wird. Wenn auch in dieser Sendung, in der auch
Vertreter der Antragstellerin selbst zu Wort kommen sollen, nicht seitens der
Antragstellerin auf die Beiträge anderer Parteien in der streitbefangenen Sendung
eingegangen werden kann, so ist doch dadurch für die Antragstellerin Gelegenheit
gegeben, ihre eigenen Positionen zu den ihr wesentlich erscheinenden Themen zum
Ausdruck zu bringen.
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Der zu 2) gestellte Antrag der Antragstellerin hat ebenfalls keinen Erfolg, da dieser
voraussetzen würde, dass die Antragstellerin keine angemessene Möglichkeit der
Selbstdarstellung erhalten hat bzw. erhalten wird.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt
aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer die Hälfte des
Auffangstreitwertes zugrundegelegt hat.
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