Urteil des VG Köln vom 29.02.2008

VG Köln: demenz, angemessene frist, analyse, schlaganfall, arzneimittel, alter, behandlung, lege artis, dosierung, auflage

Verwaltungsgericht Köln, 18 K 353/06
Datum:
29.02.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 353/06
Tenor:
Soweit die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt
erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 8/9, die Beklagte zu 1/9.
Tatbestand
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Die Klägerin ist Inhaberin der Zulassung für das Arzneimittel E. retard mit dem arzneilich
wirksamen Bestandteil Naftidrofurylhydrogenoxalat in der Darrei- chungsform
Retarddragee.
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Sie begehrt die Verlängerung der Zulassung für die Indikationen „Zur Behandlung der
Symptome einer Hirnleistungsstörung im Alter bei leichter bis moderater seniler Demenz
ohne Alzheimer Demenz" und „Zur Behandlung der Symptome einer neurologischen
Schädigung und einer funktionellen Einschränkung als Folgezustand nach Schlaganfall
zusätzlich zu ASS und/oder Dipyridamol".
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Am 29. Juni 1978 zeigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin das Arzneimittel nach
Artikel 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24.
August 1976 (AMNG) bei dem Bundesgesundheitsamt an. Am 13. Dezember 1989
stellte sie den Antrag auf Verlängerung der Zulassung, am 09. August 1993 erfolgte der
sogenannte Langantrag. Mit Schreiben vom 16. Januar 2001 legte die Klägerin die
Erklärung zum Einreichen der Unterlagen gemäß dem 10. Änderungsgesetz zum AMG
vor. Dabei wies die Klägerin darauf hin, dass sie hinsichtlich der pharmakologischen,
toxikologischen und/oder klinischen Unterlagen gemäß § 22 Abs. 3 AMG auf anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial Bezug nehme. Wegen der näheren Einzelheiten
wird auf die Anlagen K 23 bis K 26 der Beiakten Heft 9 Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 18. August 2003 übersandte das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (im Folgenden: BfArM) die medizinische Stellungnahme zur Klinik. In
dieser Stellungnahme bemängelte das BfArM u.a. die Begründung der Indikation
„Folgezustand nach Schlaganfall". Der Sachverständige der Klägerin weise ohne
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kritische Bewertung auf fünf placebo-kontrollierte Studien unterschiedlicher Dauer hin.
Vom methodischen Ansatz her könne nur die Studie von Orgogozo u.a. aus dem Jahre
1998 herangezogen werden. Die Publikation gebe Hinweise auf eine mögliche
therapeutische Wirksamkeit von Naftidrofuryl, könne jedoch nicht alleinige Grundlage
der Nachzulassung sein. Die Rolle der Begleitmedikation müsse ebenfalls noch
spezifiziert werden. Zur Indikation „Hirnleistungsstörung im Alter" wies das BfArM darauf
hin, die angeführten fünf placebo-kontrollierten Doppelblindstudien seien bereits aus
methodischer Sicht wegen zu kurzer Studiendauer und multipler Tests als
Wirksamkeitsnachweis ungeeignet. In der Stellungnahme werde deshalb nur auf die
anderen Studien näher eingegangen. Der Studie von Emeriau könne allenfalls ein
hypothesengenerierender Wert zukommen, zum Nachweis der Wirksamkeit reiche sie
nicht aus. Es fehle eine kritische Bewertung der Studie. Auch das Einschlussprocedere
sei schwer nachvollziehbar. Überdies bezögen sich die Hauptzielvariablen nur auf die
kognitive Ebene. Nach den Guidelines sei zur Begründung einer klinischen Relevanz
jedoch auch eine Bewertung der klinisch-symptomatischen und der Alltagsebene
erforderlich. Zu der Studie „NaVaDe" seien das Studienprotokoll und eine lege artis
durchgeführte „Intent-to-treat-Analyse" vorzulegen. Eine zusätzliche explorative worst-
case-Analyse sei sinnvoll. Der ADAS-cog-Score zeige bei den mittleren Veränderungen
keine Gruppenunterschiede. Auch wenn es sich hierbei nur um eine sekundäre Variable
handele, stelle das Ergebnis die Konsistenz der Befunde in Frage.
Das BfArM gab der Klägerin Gelegenheit, den Mängeln binnen 12 Monaten nach
Zugang des Schreibens abzuhelfen. Am 13. August 2004 nahm die Klägerin zu dem
Mängelschreiben Stellung. Für das Anwendungsgebiet „Folgezustand nach
Schlaganfall" legte die Klägerin eine Meta- Analyse von Lehert vor. Diese bezog sich
inhaltlich auf die bereits angeführten fünf placebo-kontrollierten Studien und auf eine
weitere Studie von Catano aus dem Jahre 1998. Zu der Indikation „Hirnleistungsstörung
im Alter" wies die Klägerin darauf hin, dass die Emeriau-Studie lediglich als
unterstützende Studie konzipiert worden sei. Die Ergebnisse bestätigten für eine kleine
Studienpopulation die Wirkung von Naftidrofuryl auf kognitive und allgemeine
Funktionen. Die Klägerin legte ferner das Studienprotokoll für die NaVaDe-Studie und
ein separates Gutachten von Prof. Hartmann zu dieser Studie vor. Die NaVaDe-Studie
sei die zulassungsrelevante Studie für die begehrte Indikation. Sie belege eine
Wirksamkeit von Naftidrofuryl auf der kognitiven Ebene bei älteren Patienten mit
vaskulärer Demenz oder Mischdemenz.
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Mit Bescheid vom 09. Dezember 2005, der Klägerin zugestellt am 16. Dezember 2005,
verlängerte das BfArM die Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel. In dem
Bescheid lauteten die Anwendungsgebiete: Verlängerung der Gehstrecke bei Patienten
mit chronischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit im Stadium II b nach Fontaine
(intermittierendes Hinken), wenn andere Therapiemaßnahmen, wie zum Beispiel ein
Gehtraining, gefäßlumeneröffnende und/oder rekonstruktive Verfahren nicht
durchzuführen bzw. nicht angezeigt sind. Die Verlängerung der Zulassung war mit
zahlreichen, in Anlage 4 des Bescheides angeführten Auflagen verbunden. In Anlage 5
des Bescheides lehnte die Beklagte den Antrag auf Verlängerung der Zulassung für die
beiden Anwendungsgebiete „Hirnleistungsstörung im Alter" und „Folgezustand nach
Schlaganfall" ab. Zu dem Anwendungsgebiet „Hirnleistungsstörung im Alter" führte das
BfArM im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe eingeräumt, dass nur die NaVaDe-
Studie als pivotale Studie betrachtet werden könne. Die Ergebnisse der übrigen
Untersuchungen seien lediglich als hypothesengenerierend bzw. supportiv einzustufen.
Hinsichtlich der NaVaDe-Studie bemängelte die Beklagte u.a. den angewendeten
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ADAS-cog-Score. Der ADAS-cog stelle kein valides Messinstrument für die vaskuläre
Demenz dar, sondern sei für die Demenz vom Alzheimer-Typ entwickelt worden. Zwar
hätten sich in der Studie statistisch signifikante Verbesserungen in einzelnen
Endpunkten der kognitiven, globalen und funktionalen Ebene gegenüber Placebo
gezeigt, diese Befunde seien jedoch nicht konsistent. Dies treffe vor allem auf die
höhere Dosierung von 600 mg/d zu. In mehreren Endpunkten habe kein statistisch
signifikanter Unterschied zu Placebo bestanden. Darüber hinaus sei die klinische
Relevanz dieser Ergebnisse mehr als zweifelhaft. Aufgrund der Schwächen im
Studiendesign könne auch nicht der Einschätzung des klinischen Gutachters Prof. A.
Hartmann gefolgt werden, dass die Wirksamkeit von Naftidrofuryl in einer Dosierung von
400 mg/d zweifelsfrei belegt sei. In der Begründung zur Versagung des
Anwendungsgebietes „Folgezustand nach Schlaganfall" setzte das BfArM sich im
Wesentlichen mit der Meta-Analyse von Lehert auseinander. Das BfArM bemängelte
dabei u.a. das Fehlen eines homogenen Patientenkollektivs. Überdies seien die
Komorbidität der Patienten sowie Art und Dauer der jeweils verabreichten
Begleitmedikation nicht berücksichtigt worden. Da es sich bei der Begleitmedikation um
Substanzen mit ebenfalls thrombozytenaggregationshemmenden und/oder
vasodilatatorischen Eigenschaften gehandelt habe, sei nicht auszuschließen, dass die
nachgewiesenen Effekte hauptsächlich durch die Begleitmedikation bedingt gewesen
seien.
Am 16. Januar 2006 hat die Klägerin Klage erhoben und sich gegen die o.g.
Teilversagung sowie die in Auflage M 2 versagte Anwendung des Arzneimittels bei
arteriellen Verschlusskrankheiten im Stadium II nach Fontaine gewandt. Des weiteren
hat die Klägerin sich zunächst auch gegen die Auflagen Q 1, Q 20, F 5, F 6 und F 7
gewandt. In der Folgezeit änderte die Beklagte auf Vorschlag der Klägerin die Auflage
M 2 ab und ließ als Indikation das von der Klägerin begehrte Stadium II nach Fontaine
zu. Nach dem Hinweis der Klägerin, sie könne die geforderten Belege zur
Bioverfügbarkeit u.a. wegen Ablaufs der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen nicht
vorlegen, hob die Beklagte letztlich auch die Auflage Q 1 auf, die sich auf die
Veränderung der Zusammensetzung der Drageehülle bezog. Die Beteiligten haben
daraufhin den Rechtsstreit hinsichtlich beider Auflagen übereinstimmend in der
Hauptsache für erledigt erklärt. Nach Vorlage von Stabilitätsunterlagen haben die
Beteiligten den Rechtsstreit auch hinsichtlich der Auflagen Q 20, F 5, F 6 und F 7, die
sich auf die Dauer der Haltbarkeit des Arzneimittels und den Lagerhinweis bezogen,
übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Zur Begründung der Klage im Übrigen führt die Klägerin im Wesentlichen aus:
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Das streitgegenständliche Arzneimittel erfülle die Anforderungen des „well established
use". Das Arzneimittel der Klägerin befinde sich seit vielen Jahrzehnten im Verkehr.
Auch die erforderlichen fachwissenschaftlichen Veröffentlichungen lägen für den
Wirkstoff bereits seit vielen Jahrzehnten vor. In der medizinischen Wissenschaft sei die
Verwendung und der Einsatz von Naftidrofuryl anerkannt. Der Wirkstoff sei millionenfach
verwendet worden. Die Beklagte verkenne deshalb den heranzuziehenden Maßstab für
die Beurteilung der vorgelegten Unterlagen. Die Klägerin sei nicht zur Vorlage klinischer
Studien verpflichtet, die den Anforderungen der von der Beklagten in Bezug
genommenen Guidelines entsprächen.
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Zur Teilindikationsversagung „Folgezustand nach Schlaganfall" führt die Klägerin u.a.
aus: Die Meta-Analyse von Lehert ergänze und bestätige die Veröffentlichung von
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Orgogozo. Die Meta-Analyse sei methodisch korrekt durchgeführt worden und erlaube
valide Aussagen. Die Analyse sei nach einem im Vorfeld festgelegten Protokoll
durchgeführt worden. Die Bewertung der Datenqualität sei nach dem Chalmer's Score
erfolgt. Dieses entspreche dem aktuellen Stand der Forschung zur Durchführung von
literatur-basierten Meta-Analysen. Das Patientenkollektiv werde zu Unrecht bemängelt.
Die Populationen der einzelnen Studien seien hinsichtlich grundlegender
demografischer und klinischer Parameter, der relevanten medizinischen Vorgeschichte
und etwaiger Risikofaktoren miteinander verglichen worden. Vor Kombination der
einzelnen Studienergebnisse habe man außerdem die Homogenität der einzelnen
Zielparameter der jeweiligen Studien überprüft. In der Meta-Analyse würden die
Zielparameter Mortalität, kritische Ereignisse, neurologische Beeinträchtigung, Barthel-
Index und Dauer der Hospitalisierung kombiniert. Bezüglich aller Parameter hätten sich
im Vergleich zu Placebo konsistent positive Effektgrößen bei der Anwendung von
Naftidrofuryl gezeigt. Alle Ergebnisse seien bis auf die Mortalitätsraten signifikant
positiv.
Zur Begründung der begehrten Indikation „Hirnleistungsstörung im Alter" weist die
Klägerin vor allem auf die bereits im Verwaltungsverfahren angeführten fünf placebo-
kontrollierten Doppelblindstudien von Israel u.a., Grossmann u.a., Saldmann u.a. ,
Maury u.a. und Bornstein u.a. hin. Die Beklagte habe diese Studien bislang nicht
berücksichtigt. Diese Studien bestätigten die gute Verträglichkeit oral applizierten
Naftidrofuryls. Die Studien hätten sich zwar zum Teil unterschiedlicher
psychometrischer Methoden bedient, seien aber dennoch zur quantitativen Bestimmung
dementieller Veränderungen und ihrer Entwicklung zum Besseren oder Schlechteren
geeignet. In jeder einzelnen Studie habe sich im Vergleich zu Placebo ein positives
Gesamtergebnis gezeigt. Die bestehenden Unterschiede zwischen den einzelnen
Studien könnten weder die Aussagen der einzelnen Studien noch die Gesamtheit der
Studien in Frage stellen. Trotz der unterschiedlichen Versuchsanordnung werde
dasselbe therapeutische Ergebnis erreicht, nämlich eine signifikante Verbesserung
entscheidender Symptome der senilen Demenz.
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Das von der Klägerin vorgelegte Erkenntnismaterial stelle bei der gebotenen
Gesamtschau einen hinreichenden Nachweis für die Wirksamkeit und Sicherheit von
Naftidrofuryloxalat für die begehrte Teilindikation dar.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 09. Dezember 2005 aufzuheben, soweit die Anwendungsgebiete
„Zur Behandlung der Symptome einer Hirnleistungsstörung im Alter bei leichter bis
moderater seniler Demenz ohne Alzheimer-Demenz" und „Zur Behandlung der
Symptome einer neurologischen Schädigung und einer funktionellen Einschränkung als
Folgezustand nach Schlaganfall zusätzlich zu ASS und/oder Dipyridamol" versagt
wurden und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Verlängerung der
Zulassung hinsichtlich der versagten Anwendungsgebiete unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt sie aus: Zum Nachweis der Wirksamkeit des Arzneimittels für die
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Indikation „Folgezustand nach Schlaganfall" habe die Klägerin lediglich eine Meta-
Analyse zu den bereits in Phase I eingereichten sechs Studien durchgeführt und den
statistischen Abschlussbericht vorgelegt. Neue Studien zur klinischen Wirksamkeit habe
die Klägerin nicht eingereicht. In den vorgelegten Studien seien die Empfehlungen der
Guideline CPMP/EWP/560/98 nicht durchgängig eingehalten worden. Auch sei zu
berücksichtigen, dass der Wert vasodilatatorischer Behandlungsansätze in der
Behandlung des Schlaganfalls zumindest umstritten sei. In aktuellen Therapie-Leitlinien
von Fachgesellschaften und in neurologischen Fach- und Therapiehandbüchern werde
Naftidrofuryl bei zerebrovaskulären Störungen und den dazu gehörenden
Krankheitsentitäten weder national noch international empfohlen.
Für die Indikation „Hirnleistungsstörung im Alter" liege keine nach aktuell gültigen
Kriterien methodisch einwandfreie Untersuchung zum Beleg der Wirksamkeit und
Verträglichkeit vor. Bislang gebe es kein Arzneimittel, das spezifisch für die Behandlung
der vaskulären Demenz zugelassen sei. In den von der Klägerin erwähnten fünf
klinischen Studien sei die Verträglichkeit von Naftidrofuryl, nicht jedoch dessen
Wirksamkeit und Sicherheit untersucht worden. Die Studien bedienten sich
unterschiedlicher psychometrischer Methoden, die nicht geeignet seien, dementielle
Veränderungen qualitativ zu bestimmen und zu vergleichen. Die Testmethoden seien
nicht standardisiert und für die entsprechende Erkrankung nicht validiert. Diese Studien
seien, ebenso wie die Studie Emeriau, lediglich hypothesengenerierend bzw. supportiv.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, der Verfahren 18 K 423/06 und 18 K 5037/06
sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
20
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21
Soweit die Beteiligten das Verfahren hinsichtlich der Auflagen M 2, Q 1, Q 20, F 5, F 6
und F 7 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das
Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog einzustellen.
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Im Übrigen ist die zulässige Klage unbegründet.
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine erneute Bescheidung ihres
Nachzulassungsantrages hinsichtlich der Anwendungsgebiete „Zur Behandlung der
Symptome einer Hirnleistungsstörung im Alter bei leichter bis moderater seniler Demenz
ohne Alzheimer Demenz" und „Zur Behandlung der Symptome einer neurologischen
Schädigung und einer funktionellen Einschränkung als Folgezustand nach Schlaganfall
zusätzlich zu ASS und/oder Dipyridamol". Der Bescheid vom 09. Dezember 2005 ist
insoweit rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Sätze 1 und 2 VwGO).
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Rechtsgrundlage für die Verlängerung der Zulassung hinsichtlich der begehrten
Anwendungsgebiete ist § 105 Abs. 4 f des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln
(AMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.12.2005 (BGBl. I, S. 3394). Danach
ist die Zulassung zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG
vorliegt. Liegt nach Auffassung der Behörde ein Versagungsgrund vor, so hat sie diesen
Mangel in der Regel gemäß § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG zu beanstanden und dem
Antragsteller eine angemessene Frist - höchstens zwölf Monate - zur Mängelbeseitigung
zu setzen. Wird dem Mangel nicht fristgerecht abgeholfen, so ist die Zulassung gemäß §
105 Abs. 5 Satz 2 AMG zu versagen.
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Der begehrten Verlängerung der Zulassung steht der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 AMG entgegen. Die Beklagte hat zu Recht die unzureichende Begründung
der von der Klägerin angegebenen therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels für
die o.g. Anwendungsgebiete beanstandet und der Klägerin eine angemessene Frist zur
Mängelbeseitigung gesetzt, die verstrichen ist, ohne dass die Klägerin den
Beanstandungen abgeholfen hat.
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Unter dem Begriff der therapeutischen Wirksamkeit ist die Ursächlichkeit der
Anwendung des Arzneimittels für den Heilungserfolg zu verstehen. Die therapeutische
Wirksamkeit ist unzureichend begründet, wenn die vom Antragsteller eingereichten
Unterlagen nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse
den geforderten Schluss auf die therapeutische Wirksamkeit nicht zulassen, wenn sie
sachlich unvollständig oder inhaltlich unrichtig sind. In der Begründung ist im einzelnen
darzulegen, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an
therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung. Das lässt sich nur dartun,
wenn ausgeschlossen ist, dass die den Unterlagen zu entnehmenden therapeutischen
Ergebnisse auf Spontanheilungen oder wirkstoffunabhängige Effekte zurückzuführen
sind. Auf diesen Nachweis ist auch dann nicht zu verzichten, wenn - wie hier - anstelle
einer klinischen Prüfung des Arzneimittels gemäß § 22 Abs. 3 AMG anderes
wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt wurde. Diese Vorschrift betrifft nicht
den Maßstab der therapeutischen Wirksamkeit, sondern nur das dem Antrag auf
Zulassung beizufügende Erkenntnismaterial, das sie belegen soll.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.1993 - 3 C 21.91 -, BVerwGE 94, 215.
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Diese Anforderungen werden für das streitgegenständliche Arzneimittel nicht erfüllt. Das
von der Klägerin vorgelegte andere Erkenntnismaterial über den bekannten Wirkstoff
Naftidrofuryl lässt den Schluss nicht zu, dass die Anwendung des Arzneimittels der
Klägerin in den beanspruchten o.g. Anwendungsgebieten zu einer größeren Zahl an
therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung.
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1. Das gilt zunächst für das Anwendungsgebiet „Zur Behandlung der Symptome einer
Hirnleistungsstörung im Alter bei leichter bis moderater seniler Demenz ohne Alzheimer
Demenz". Die mit Schreiben vom 16. Januar 2001 in Bezug genommenen Studien zur
senilen Demenz aus der Zeit vor 1988 reichen ersichtlich nicht als Wirksamkeitsbeleg
aus, weil detaillierte Angaben zu den Studien fehlen. Die Klägerin hat die wesentlichen
Eckdaten der Studien lediglich schlagwortartig benannt. Nähere Angaben zu diesen
Studien erfolgten auch nicht in der Nachlieferung. Abgesehen davon beziehen sich alle
Studien auf eine andere Dosierung als die von der Klägerin beantragte Dosierung von
600mg/Tag.
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Auch die fünf doppelblinden, placebo-kontrollierten Studien von Israel u.a., Grossmann
u.a., Saldmann u.a. , Maury u.a. und Bornstein u.a. stellen keinen ausreichenden
Wirksamkeitsnachweis für die begehrte Indikation dar. Sie lassen bereits deshalb
keinen Rückschluss für das streitgegenständliche Arzneimittel zu, weil in den meisten
Studien keine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Demenzformen erfolgt. Bis
auf die Studie von Grossmann u.a. ist nicht erkennbar, ob die signifikanten Ergebnisse
bei Patienten eintraten, die an vaskulärer Demenz erkrankt waren oder aber an
Alzheimer Demenz litten, einer Demenzform, die von der begehrten Indikation nicht
erfasst wird.
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Bei der Demenzdiagnostik ist eine ätiologische Unterscheidung nach der Art der
Demenz jedoch stets erforderlich. Der Begriff „Demenz" steht nur allgemein für einen
Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit (vgl.
w.w.w.netdoktor.de/krankheiten/demenzursachen.htm). Da die Ursachen für diese
Abbauprozesse des Gehirns vielfältiger Natur sein können - bei der senilen Demenz
vom Alzheimer-Typ ist die Funktion der Nervenzellen durch krankhafte Eiweiße gestört,
bei der vaskulären Demenz kommt es wegen Durchblutungsstörungen zu
Veränderungen der Hirnsubstanz - unterscheiden sich auch die Therapieansätze je
nach Demenzursache. Auf das Erfordernis der Unterscheidung zwischen den
verschiedenen Demenzarten hat die Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung vom
29.02.2008 hingewiesen; die Klägerin ist dem nicht entgegen getreten.
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Für einen hinreichenden Wirksamkeitsnachweis war überdies die Anzahl der
Probanden deutlich zu gering, denn es wurden nur jeweils höchstens 51 bis 89
Patienten getestet (vgl. Beiakten Heft 9, Tabelle 32 der Anlage K 23). Lediglich
ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die fünf Studien auch aus Sicht der Kammer
allenfalls supportiv hätten herangezogen werden können, weil sie nur Aussagen zu
einzelnen Aspekten der Demenzerkrankung treffen.
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Die Emeriau-Studie stellt keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis dar, weil bei
dieser Studie nur die kognitive Ebene abgeprüft wurde. Bei allen Formen der Demenz
sind indes alle drei Ebenen der Diagnostik zu überprüfen, nämlich kognitive
Leistungsfähigkeit, Alltagsaktivitäten und klinischer Gesamteindruck. Diesen Aspekt hat
die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 29.02.2008 näher erläutert und darauf
hingewiesen, dass dies dem wissenschaftlichen Stand der Erkenntnisse entspreche.
Die Klägerin hat den diesbezüglichen Ausführungen des Vertreters aus der
Fachabteilung der Beklagten nicht widersprochen. Im Übrigen hat auch die Klägerin
selbst darauf hingewiesen, dass diese Studie lediglich als unterstützende Studie
konzipiert worden sei.
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Bei der NaVaDe-Studie ist vor allem das Studiendesign zu beanstanden, weil dort
Messinstrumente für die Alzheimer-Demenz zur Anwendung kamen. Insbesondere der
ADAS-cog erfasst nach den nachvollziehbaren Angaben der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vom 29.02.2008 das kognitive Potential eines Patienten mit
vaskulärer Demenz nicht zutreffend. Gegen eine Übertragbarkeit der Messinstrumente
spricht aus ihrer Sicht bereits das unterschiedliche neurophysiologische Profil und der
Krankheitsverlauf beider Demenzformen: Während bei der vaskulären Demenz
zunächst vor allem die Planung und Durchführung von komplexen Handlungen gestört
sind und Gedächtnisstörungen dagegen eher spät auftreten, treten letztere bei der
Alzheimer Demenz sehr früh ein. Die Beklagte hat überdies in der mündlichen
Verhandlung darauf hingewiesen, das derzeit noch keine validen Messinstrumente für
die vaskuläre Demenz existieren. Dies sei der Hauptgrund, warum noch kein
Arzneimittel für die vaskuläre Dement zugelassen sei. Auch die Klägerin hat
eingeräumt, dass es derzeit keine validen Messinstrumente für die vaskuläre Demenz
gibt.
35
Wegen dieser Mängel im Studiendesign kann letztlich dahin gestellt bleiben, dass sich
die statistisch signifikanten Ergebnisse der NaVaDe-Studie überwiegend auch nur auf
die von der Klägerin hier nicht beantragte Dosierung von 400 mg bezogen haben.
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2. Dem vorgelegten Erkenntnismaterial lässt sich nach dem gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse auch nicht entnehmen, dass der arzneilich wirksame
Bestandteil Naftidrofuryl für das Anwendungsgebiet „Folgezustand nach Schlaganfall"
zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung.
37
Die drei Studien von Steiner und Autret sind nicht aussagekräftig, weil nicht erkennbar
ist, inwieweit die aufgetretenen Behandlungseffekte von den täglichen intravenösen
Infusionen beeinflusst wurden, die der oralen Therapie mit Naftidrofuryl vorangingen.
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Auch die weiteren Studien belegen weder einzeln betrachtet noch zusammengefasst
eine ausreichende therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels der Klägerin für das
begehrte Anwendungsgebiet.
39
Bei der Studie von Admani wurde die hier beantragte Dosierung nur über einen
Zeitraum von 4 Wochen verabreicht, bei der Studie von Gray konnte für keinen
Bewertungsparameter ein Unterschied zwischen Placebo und Verum nachgewiesen
werden. Zu den Studien von Ducarne, Capon und Orgogozo fehlen insbesondere valide
Unterlagen über Dauer, Art und Menge der Begleitmedikation. Auch die Klägerin hat
eingeräumt, dass seinerzeit eine vollständige Dokumentation der verabreichten
Begleitmedikation nicht erfolgt sei. Die Beklagte bemängelt zu Recht, dass deshalb aus
dem vorgelegten Erkenntnismaterial, insbesondere aus der Meta- Analyse, keine
verlässliche Aussage über die Wirksamkeit von Naftidrofuryl abgeleitet werden kann.
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In den o.g. drei Studien, deren Ergebnisse in die Meta-Analyse eingeflossen sind,
wurden sowohl bei Verum als auch bei Placebo zusätzlich Acetylsalicylsäure (ASS)
und/oder Dipyridamol verabreicht. Der Wirkmechanismus von Naftidrofuryl und
Dipyridamol bzw. ASS ist jedoch gleichgerichtet, weil beide Substanzen ebenfalls
thrombozytenaggregationshemmend und/oder vasodilatatorisch wirken. Ohne nähere
Ausführungen zur Begleitmedikation ist deshalb nicht erkennbar, ob das im Vergleich zu
Placebo erzielte positive Behandlungsergebnis besagter Studien nur auf die Wirkung
von Naftidrofuryl zurückzuführen ist oder zumindest auch auf einem
wirkstoffunabhängigen Effekt beruht. Nach der o.g. genannten Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zur therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels ist
indes auszuschließen, dass die den Unterlagen zu entnehmenden therapeutischen
Ergebnisse auf Spontanheilungen oder wirkstoffunabhängige Effekte zurückzuführen
sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1, § 161 Abs. 2 VwGO. Soweit die Klage
abgewiesen wurde, trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens. Im Übrigen entspricht
es billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, dass die Beklagte hinsichtlich
der Auflage M 2 die Kosten der Verfahrens trägt, weil sie die Klägerin insoweit trotz im
Wesentlichen unveränderter Sach- und Rechtslage klaglos gestellt hat. Hinsichtlich der
übrigen Auflagen entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens den
Beteiligten wegen offener Erfolgsaussichten jeweils zur Hälfte aufzuerlegen.
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