Urteil des VG Köln vom 25.01.2010

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Verwaltungsgericht Köln, 10 K 6307/09
Datum:
25.01.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 K 6307/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kläger tragen die Kosten des
Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der am 00.00.0000 geborene Sohn N. der Kläger wurde zum Schuljahr 2003/2004 in
die Grundschule eingeschult. Ein in der Grundschulzeit eingeleitetes Verfahren zur
Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs endete mit der unter dem 29.10.2008
ergangenen Feststellung des Schulamtes, dass sonderpädagogischer Förderbedarf
nicht bestehe. Zum fünften Schuljahr wechselte N. auf die Hauptschule C.-----straße . Im
Februar 2009 beantragte die Schule ein Verfahren zur Feststellung des
sonderpädagogischen Förderbedarfs. In der Begründung des Antrags vom 03.02.2009
heißt es zum Lern- und Leistungsverhalten: N. sei im Unterricht oft unkonzentriert und
beteilige sich selten an gemeinsamen Unterrichtsgesprächen. Gebe es eine Aufgabe zu
bearbeiten, wisse N. nicht, was er tun solle. Er benötige sehr oft Einzelbetreuung. Er
spreche sehr gut Deutsch und lese flüssig. Sein Textverständnis sei jedoch schwach. In
Mathematik könne er im Zahlenraum bis 100 einigermaßen Kopfrechnen.
Sachaufgaben überforderten ihn völlig. Er könne die Texte nicht erschließen. Im
Englischunterricht habe er im schriftlichen Bereich ausreichende Leistungen erzielt,
beteilige sich aber nicht am mündlichen Unterricht. In Sachkundefächern wie
Geschichte, Biologie und Erdkunde seien seine Leistungen mangelhaft. Auch wenn in
kleinen Schülergruppen gearbeitet werde, finde N. selten den Weg zur eigenen
sinnvollen Arbeit. Er könne sich nicht entscheiden, mit welcher Aufgabe er beginnen
solle, unterbreche die Arbeit und frage häufig nach. Im Halbjahreszeugnis des
Schuljahres 2008/2009 erzielte N. in den Fächern Deutsch, Geschichte/Politik,
Erdkunde, Mathematik, Biologie, Englisch, die Note "mangelhaft". In Kunst erhielt er die
Note "ausreichend", in Sport die Note "ungenügend". Vergleichbare Noten erhielt N. im
am Ende der fünften Klasse erteilten Zeugnis, wobei lediglich im Fach
Geschichte/Politik eine Verbesserung auf die Note "befriedigend" zu verzeichnen war.
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Bei der schulärztlichen Untersuchung am 19.06.2009 wurde ein körperlich unauffälliger
Befund attestiert. Es gebe jedoch Verhaltensauffälligkeiten und eine Lernstörung.
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Das sonderpädagogische Gutachten vom 29.06.2009 kam zu dem Ergebnis, dass auf
Grund eines erheblichen kognitiven Entwicklungsrückstandes sowie auf Grund
massiver Wahrnehmungsbeeinträchtigungen eine Beschulung an der Regelschule nicht
mehr möglich sei und eine Förderung mit dem Förderschwerpunkt Lernen erfolgen
müsse. Bei N. sei insgesamt eine unterdurchschnittliche Intelligenz festzustellen. Der
nicht verbale Intelligenztest RAVEN (SPM) habe einen Intelligenzquotienten von 67/70
ergeben; der verbale Intelligenztest HAWIK-III (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für
Kinder) eine Gesamtpunktzahl von 76. Auch im Bereich konkreter räumlicher
Gegebenheiten, Vorstellungen und dem Erfassen sozialer Abläufe seien N.s
Fähigkeiten erheblich unterdurchschnittlich.
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Mit Bescheid vom 01.09.2009 entschied das beklagte Schulamt, dass
sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt Lernen bestehe und
setzte als Förderort die Förderschule für Lernen fest. In der Begründung des Bescheids
heißt es: N. habe einen erheblichen kognitiven Entwicklungsrückstand, der einer
erfolgreichen Teilnahme am Unterricht der Hauptschule entgegen stehe. Durch eine
Anpassung der geforderten Leistungen an seine individuellen Lernvoraussetzungen
könne er zu Erfolgen gelangen, die ihm die dringend erforderlichen Erfolgserlebnisse
vermittelten.
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Mit der hiergegen rechtzeitig erhoben Klage machen die Kläger geltend, bei N. bestehe
kein sonderpädagogischer Förderbedarf, er könne weiterhin die Regelschule besuchen.
Dies sei bereits während der Grundschulzeit in dem damaligen Verfahren zur
Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ermittelt worden. Die Kläger
haben ferner ein kinderpsychologisches Gutachten des Diplompsychologen Dr. T. vom
Gesundheitsamt der Stadt Köln vom 07.01.2010 vorgelegt. Nach den dort neu
durchgeführten Tests weist N. eine durchschnittliche Intelligenz auf. In dem Gutachten
heißt es, N. habe beim sprachfreien Intelligenztest CPM (Coloured Progressive
Matrices) ein Gesamtergebnis von 89 IQ-Punkten erreicht, womit die
sprachunabhängige Intelligenz im knappen Altersdurchschnitt liege. In einem weiteren
sprachunabhängigen Intelligenztestverfahren (Zahlen-Verbindungstest, ZVT) habe N.
ein glatt durchschnittliches Ergebnis von 104 IQ-Punkten erreicht. Nach dem K-ABC-
Test (Kaufmann Assessment Battery for Children) habe N. ein knapp durchschnittliches
Gesamtergebnis von 86 IQ-Punkten erreicht. Das räumlich-gestalthafte Denken liege mit
77 IQ-Punkten auf niedrigerem Niveau als das folgerichtige Denken mit 98 IQ-Punkten.
Die Differenz zwischen den beiden K-ABC-Hauptskalen sei hoch signifikant. Innerhalb
der zum Teil schul- und bildungsabhängigen Fertigkeitsskala (einschließlich Rechnen
und Lesen/Verstehen) resultiere ein unterdurchschnittliches Ergebnis von 76 IQ-
Punkten. Insbesondere die sprachabhängigen Untertestresultate der Fertigkeitenskala
seien sehr niedrig ausgefallen. Anhaltspunkte für eine Störung der
Aufmerksamkeitssteuerung hätten sich nicht ergeben. Insgesamt sei das Profil der
Ergebnisse sehr divergent; die schul- und bildungsabhängigen Leistungen lägen -
insbesondere was sprachliche Leistungen angehe - deutlich unter dem Niveau des
Altersdurchschnitts. Diese Kombination von Teilleistungsschwächen habe mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu häufigen Minderleistungen und Frustrationserfahrungen geführt,
was die Lernmotivierung N.s bereits in der Grundschulzeit reduziert habe. In der
mündlichen Verhandlung hat das beklagte Schulamt den angefochtenen Bescheid
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dahingehend abgeändert, dass es als Förderort zusätzlich den Gemeinsamen Unterricht
vorgesehen hat.
Die Kläger beantragen, den Bescheid des beklagten Schulamtes vom 01.09.2009 in der
in der mündlichen Verhandlung geänderten Fassung aufzuheben.
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Das beklagte Schulamt beantragt, die Klage abzuweisen.
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Es verteidigt den angefochtenen Bescheid in der geänderten Fassung.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Bescheid des beklagten Schulamtes vom 01.09.2009 in der am 25.01.2010
geänderten Fassung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113
Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -.
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Die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung, dass für N.
sonderpädagogischer Förderbedarf mit dem Förderschwerpunkt Lernen besteht und er
entweder die Förderschule Lernen oder den Gemeinsamen Unterricht besucht, ist
rechtlich nicht zu beanstanden. Seine Rechtsgrundlage findet der Bescheid in § 19
Schulgesetz - SchulG - in Verbindung mit der Verordnung über die sonderpädagogische
Förderung, den Hausunterricht und die Schule für Kranke vom 29.04.2005 - AO-SF.
Danach werden Schüler, die wegen körperlicher, seelischer oder geistiger Behinderung
oder wegen erheblicher Beeinträchtigung des Lernvermögens nicht am Unterricht an
einer allgemeinbildenden Schule teilnehmen können, ihrem individuellen Förderbedarf
entsprechend sonderpädagogisch gefördert.
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Die Entscheidung des beklagten Schulamts, die in verfahrensrechtlicher Hinsicht keinen
Bedenken unterliegt, erweist sich auch materiell-rechtlich als fehlerfrei. Nach § 5 Abs. 1
AO-SF liegt eine Lernbehinderung vor, wenn die Lern- und Leistungsausfälle
schwerwiegender, umfänglicher und langdauernder Art sind und durch Rückstand der
kognitiven Funktionen oder der sprachlichen Entwicklung oder des Sozialverhaltens
verstärkt werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Auf Grund des schulärztlichen
und des sonderpädagogischen Gutachtens, der Stellungnahme der von N. besuchten
Hauptschule, der im Januar 2010 ergänzend geäußerten Einschätzung seiner
Klassenlehrerin sowie des kinderpsychologischen Gutachtens des Dr. T. vom
07.01.2010 ist davon auszugehen, dass N. sonderpädagogische Förderung benötigt,
weil er einen gravierenden Entwicklungsrückstand im Bereich des Lernens aufweist.
Dass das beklagte Schulamt dabei den Förderschwerpunkt Lernen und die
Förderschule für Lernen sowie den Gemeinsamen Unterricht als Förderort festgelegt
hat, ist vor dem Hintergrund der genannten Gutachten und Berichte gleichfalls nicht zu
beanstanden. N.s Lern- und Leistungsausfälle sind umfassend und langanhaltend, wie
sich daraus ergibt, dass er seit dem Besuch der Hauptschule bis auf eine kurze
Zwischenphase am Beginn der sechsten Klasse in allen Hauptfächern und einem Teil
der Nebenfächer keine ausreichenden Leistungen erzielen konnte. Nach der
Stellungnahme der Klassenlehrerin in der mündlichen Verhandlung wird N. auch im
aktuellen Halbjahreszeugnis - nach dem ersten Halbjahr des Schuljahres 2009/2010 - in
allen Hauptfächern sowie in Erdkunde die Note "mangelhaft" erhalten. N.s Lern- und
Leistungsausfälle werden auch durch einen Rückstand der kognitiven Funktionen
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verstärkt. Dabei kann offen bleiben, ob man die in dem sonderpädagogischen
Gutachten aufgeführten Intelligenztests oder die von dem Diplompsychologen Dr. T.
vom Gesundheitsamt der Stadt Köln durchgeführten und in seinem Gutachten vom
07.01.2010 im Einzelnen erläuterten Tests zugrunde legt. Die Ergebnisse von
Intelligenztests haben im vorliegenden Zusammenhang lediglich indizielle
Aussagekraft, weil die Feststellung, ob eine Lernbehinderung im Sinne von § 5 Abs. 1
AO-SF vorliegt, die Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Schülers unter
maßgeblicher Einbeziehung seiner bisherigen schulischen Entwicklung erfordert,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 03.12.2009 - 19 B 6/09 - mit weiterem Nachweis.
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Dies führt hier sowohl unter Berücksichtigung des sonderpädagogischen Gutachtens
vom 29.06.2009 als auch des von Dr. T. am 07.01.2010 erstellten Gutachtens zu dem
Ergebnis, dass eine Lernbehinderung vorliegt. Geht man von dem
sonderpädagogischen Gutachten aus, dann ergibt sich der Rückstand der kognitiven
Funktionen aus einer allgemein unterdurchschnittlichen Intelligenz. Legt man das
kinderpsychologische Gutachten des Dr. T. zugrunde, so besteht jedenfalls eine
signifikante Kombination von Teilleistungsschwächen, wobei gerade die für den
Lernerfolg an der Regelschule maßgeblichen schul- und bildungsabhängigen
Leistungen, daneben auch das räumlich-gestalthafte Denken, nach den von Dr. T.
ermittelten Testergebnissen deutlich unterdurchschnittlich sind. Die in dem Gutachten
des Dr. T. festgestellten erheblichen Teilleistungsschwächen (bei insgesamt sehr
divergentem Profil des Ergebnisses) stehen nicht im Widerspruch zu den
Stellungnahmen der Hauptschule und der Klassenlehrerin, die auf der Grundlage einer
anderthalbjährigen Beobachtung das Lern- und Leistungsverhalten N.s in der
Lernsituation der Klasse dahingehend eingeschätzt haben, dass Defizite bei den
kognitiven Funktionen vorliegen - sei es auch lediglich in Form gravierender
Teilleistungsstörungen -, die sich in wesentlichen Lernbereichen auswirken.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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