Urteil des VG Köln vom 27.10.2010

VG Köln (kläger, amt, auf lebenszeit, einsatz, projekt, icd, leiter, tätigkeit, versetzung, bezug)

Verwaltungsgericht Köln, 19 K 453/09
Datum:
27.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
19 K 453/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d Der am 16.12.1967 geborene Kläger steht als Lebenszeitbeamter im
Dienst des beklagten Landes. Zuletzt befördert wurde er am 14.12.2000 zum
Justizvollzugshauptsekretär. Seinen Dienst verrichtete er in der Justizvollzugsanstalt
(JVA) Köln. Schon im Jahr 2000 war der Kläger mehrfach, davon einmal längerfristig,
dienstunfähig erkrankt (07./08.02., 16.-28.06., 18.08.-26.10., 09.11. und 07.-17.12.). Ab
2001 häuften sich die Krankheitszeiten. So war er in den Jahren 2001 an 74
Wochenarbeitstagen, 2002 an 65 Wochenarbeitstagen dienstunfähig erkrankt. Im Jahr
2003 erkrankte er nach vorangegangenen Krankzeiten (06.01.-28.02., 17.04., 24.04.,
13.05., 26.05.-30.05., 08.06., 10.06., 10.07.-11.07. und 18.07.) ab 21.07.2003 bis zum
Beginn eines Arbeitsversuchs am 29.08.2005 durchgängig. Dabei hielt er sich in der
Zeit vom 18.02.-03.04.2005 stationär in der Somnia Klinik in I. auf. Ab dem 15.11.2005
erkrankte er erneut bis zum 01.01.2006. In den Jahren 2006, 2007 und 2008 war er
dienstunfähig erkrankt wie folgt: 16.02.-14.04.2006, 29.05.-11.07.2006, 08.08.2006,
15.08.-12.10.2006 (davon vom 26.09.-04.10. stationär aufgenommen im
Landeskrankenhaus Merheim), 27.11.2006, 30.11.-03.12.2006, 20.12.2006, 03.-
05.01.2007, 07.-14.02.2007, 19.-27.03.2007, 10.-29.04.2007, 29.05.2007, 08.-
17.06.2007, 25.07,-27.08.2007, 11.-25.09.2007, 08.10.-06.11.2007 (davon vom 08.-
26.10. stationär aufgenommen in der Somnia Klinik I. ) und 02.-25.01.2008. Seit dem
19.02.2008 leistet der Kläger keinen Dienst mehr. Ab 2004 wurde der Kläger mehrfach
amtsärztlich beim Gesundheitsamt der Stadt Köln untersucht. Unter dem 11.11.2004
führte die Amtsärztin W. , dass dem Kläger seit Dezember 2002 ein schädlicher
Alkoholgebrauch bewußt sei. Seit April 2003 werde er wegen bestehender
Alkoholerkrankung hausärztlich und seit Ende August 2003 auch fachärztlich durch
einen Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie behandelt. Die ambulanten Maßnahmen
hätten bislang nicht zu einem anhaltenden Erfolg geführt. Ohne eine stationäre
Alkohollangzeitentwöhnungstherapie in einer Fachklinik sei die Prognose ungünstig.
Unter dem 03.08.2005 diagnostizierte die Amtsärztin W1. des Gesundheitsamtes der
Stadt Köln aufgrund am 07.06. und 26.07.2005 durchgeführter Untersuchungen ein
Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD 10F10) und eine depressive Störung (ICD 10
F32.9). Unter dem 21.05.2008 führte der Amtsarzt I1. nach Untersuchung des Klägers
am 29.02.2008 aus, dass der Kläger privatärztlich wegen Depression und
Schlafstörungen behandelt werde. Der Kläger habe angegeben, keinen Alkohol mehr zu
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konsumieren. Eine Alkoholikergruppe würde er nicht besuchen; dies sei seit der
Langzeittherapie nicht mehr erforderlich. Das Drogenscreening sei bis auf einen
positiven Nachweis für Amphetamine im Urin unaufällig gewesen. Die Parameter für
einen kurzzeitigen und langfristigen Alkoholkonsum seien unauffällig gewesen. Der
Kläger sei weiterhin uneingeschränkt einsatzfähig im Krankenpflegedienst der Anstalt.
Unter dem 16.06.2008 führte der Amtsarzt I1. ergänzend aus, dass bei dem Kläger
weiterhin die in der amtsärztlichen Stellungnahme vom 03.08.2005 festgestellten
Gesundheitsstörungen vorlägen. Diese erlaubten keinen Einsatz im Vollzugsdienst mit
Gefangenen, keinen Waffengebrauch und kein Führen von Dienstfahrzeugen. Im
allgemeinen Vollzugsdienst sei keine vollumfängliche Dienstfähigkeit gegeben. Mit
interner Verfügung vom 14.07.2008 stellte der Leiter der JVA Köln fest, dass ein
leidensgerechter Arbeitsplatz (Tätigkeit im Verwaltungsbereich) in der Anstalt weder zur
Verfügung stehe noch eingerichtet werden könne. Unter selbem Datum fragte er bei den
JVAen Rheinbach, Euskirchen, Siegburg, Düsseldorf, Remscheid, Wuppertal, Aachen,
sowie beim Oberlandesgericht (OLG) Köln, der Bezirksregierung Köln, dem
Landschaftsverband Rheinland, der Oberfinanzdirektion Köln, dem
Schulverwaltungsamt Köln und dem Polizeipräsidium Köln wegen einer
Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nach. Rückmeldungen, die lediglich für den
Fall des Vorliegens einer Beschäftigungsmöglichkeit erbeten worden waren, erfolgten
nicht. Nach Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten und des Personalrates sowie
Zustimmung des Justizministeriums (JM) wurde der Kläger unter dem 19.08.2008 zur
beabsichtigten Zurruhesetzung angehört. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten
vom 19.09.2008 machte er geltend, voll dienstfähig zu sein. Auch stehe einer
Zurruhesetzung § 45 Abs. 3 LBG entgegen. Mit Schreiben vom 15.08.2008 sei der
Kläger nämlich informiert worden, dass für ihn ein Wechsel in den
Schulverwaltungsdienst in Frage kommen könnte, weshalb der Kläger am 27.08.2008
auch an einer Informationsveranstaltung teilgenommen und danach seine Bereitschaft
erklärt habe, an dem Projekt Schulassistenz teilzunehmen. Unter dem 25.11.2008
informierte das JM den Leiter der JVA Köln, das Landesamt für
Personaleinsatzmanagement NRW (PEM) habe mit Schreiben vom 24.11.2008
mitgeteilt, der Kläger sei sowohl für einen Einsatz in dem Projekt
"Schulverwaltungsassistenz" als auch in dem Projekt "amtliche
Kontrollassistentin/amtlicher Kontrollassistent in der Lebensmittelüberwachung" nicht
geeignet. Mit Bescheid vom 16.12.2008, zugestellt am 07.01.2009, versetzte der Leiter
der JVA Köln den Kläger gemäß §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 1, 50 Abs. 2 LBG zum Ablauf des
Monats in dem die Zurruhesetzungsverfügung zugestellt wird, in den Ruhestand und
ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung der Zurruhesetzungsverfügung an. Am
23.01.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung macht er im Wesentlichen
geltend, der Zurruhesetzungsbescheid sei rechtswidrig. Nach § 45 Abs. 3 LBG solle von
einer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn
dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen
werden könne. Dass dem Kläger ein solches Amt nicht übertragen werden könne, habe
das beklagte Land bislang nicht nachvollziehbar dargelegt. So sei dem auf ein
Schreiben des PEM vom 24.11.2008 Bezug nehmenden Schreiben des JM vom
25.11.2008 nicht zu entnehmen, warum der Kläger für einen Einsatz in den Projekten
"Schulverwaltungsassistenz" und "amtliche Kontrollassistentin/amtlicher
Kontrollassistent in der Lebensmittelüberwchung" nicht geeignet sei.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers beantragen, den Bescheid des beklagten
Landes vom 16.12.2008 aufzuheben.
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Das beklagte Land verteidigt den Bescheid und beantragt, die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlilch der beigezogenen
Personalakten.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage, über die die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 6 Abs. 1 VwGO)
entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Bescheid vom 16.2.01.2008, mit dem der Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den
Ruhestand versetzt wurde, ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§
113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die gegenüber dem Kläger verfügte Zurruhesetzung findet ihre Rechtsgrundlage in §§
45 Abs. 1 Satz 1, 47 LBG (vom 01.05.1981 in der im Zeitpunkt des Ergehens des
Bescheides vom 16.12.2008 geltenden Fassung [SGV 2030]).
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Der angefochtene Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden:
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Der Leiter der JVA Köln hat vor der Mitteilung an den Kläger über seine beabsichtigte
Zurruhesetzung vom 19.08.2008 das Gutachten eines Amtsarztes über den
Gesundheitszustand des Antragstellers eingeholt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 LBG). Dies war in
formeller Hinsicht ausreichend; insbesondere bedurfte es nicht der Einholung auch des
Gutachtens eines weiteren "als Gutachter beauftragten Arztes", weil das aus § 47 Abs. 1
Satz 1 LBG i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 2 LBG folgende Erfordernis einer zweiten
Begutachtung derzeit wegen fehlender Ausführungsbestimmungen des
Innenministeriums im Einvernehmen mit dem Finanzministerium und dem Ministerium
für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie (§ 45 Abs. 2 Satz 3 LBG) suspendiert ist.
Nach Art. 7 § 2 des "Zehnten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften"
(vom 17.12.2003, GV.NRW. 2003, S. 814) sind daher die Zurruhesetzungsverfahren -
wie vorliegend - bis zum Inkrafttreten der Ausführungsbestimmungen weiterhin (nur)
unter Beteiligung des Amtsarztes durchzuführen.
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Dem Kläger wurde - wie von § 47 Abs. 1 Satz 2 LBG verlangt - Gelegenheit gegeben,
binnen eines Monats nach Zugang der Mitteilung Einwendungen gegen die
beabsichtigte Zurruhesetzung zu erheben. Die Beteiligungsrechte der
Personalvertretung und der Gleichstellungsbeauftragten sind gewahrt.
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Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand begegnet auch in materiell-rechtlicher
Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken.
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Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu
versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen
Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflicht dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Zur
Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten ist auf das diesem zuletzt übertragene
Amt im abstrakt-funktionellen Sinne abzustellen. Nicht entscheidend ist, dass der
Beamte die Aufgaben bewältigen kann, die ihm das konkret-funktionelle Amt, d. h. sein
Dienstposten stellt. Dem entsprechend ist Prüfungsmaßstab für die Fähigkeit oder
dauernde Unfähigkeit des Beamten, seine Dienstpflichten zu erfüllen, das funktionelle
Amt im abstrakten Sinne bei einer bestimmten Behörde ohne Beschränkung auf einen
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bestimmten Dienstposten;
vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 23.09.2004 - 2 C 27.03 -, BVerwGE 122, 53 m. w. N..
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Nach diesem Maßstab steht außer Zweifel, dass der Kläger für das ihm übertragene
abstrakt - funktionelle Amt eines Justizvollzugshauptsekretärs bei der JVA Köln
dienstunfähig war bzw. ist. Nach dem die amtsärztliche Stellungnahme vom 03.08.2005
in Bezug nehmenden Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Köln vom 16.06.2008
ist der Kläger aufgrund Alkoholabhängigkeitssyndroms (ICD 10F10) und depressiver
Störung (ICD 10 F32.9) nicht mehr in der Lage, die Anforderungen an die körperliche,
geistige und seelische Leistungsfähigkeit eines Beamten des allgemeinen
Vollzugsdienstes zu erfüllen. So wird insbesondere hervorgehoben, dass die
Gesundheitsstörungen des Klägers den Umgang mit Gefangenen, den Waffengebrauch
und das Führen von Dienstfahrzeugen nicht erlaubten. Dass diese Einschränkungen
einen Einsatz des Klägers auf sämtlichen Dienstposten, die seinem Amt im abstrakt-
funktionellen Sinne entsprechen, nicht zulassen, steht außer Zweifel; insbesondere ist
eine Tätigkeit, die den Umgang bzw. zumindest den Kontakt mit Strafgefangenen
beinhaltet und damit einen zentralen Aspekt des abstrakt-funktionellen Amtes darstellt,
für den Kläger nicht möglich. Aus diesem Grunde scheiden von vorneherein
insbesondere ein Einsatz im Pfortendienst oder im Krankenpflegedienst der Anstalt aus.
Bei ersterem kann ein Kontakt mit Strafgefangenen naturgemäß nicht ausgeschlossen
werden; bei zweiterem ist er offenkundig gegeben. Gleiches gilt für eine Tätigkeit im
Sicherheits- / Überwachungsbereich.
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Entgegen der Ansicht des Klägers steht seiner Versetzung in den Ruhestand auch nicht
die Sollvorschrift des § 45 Abs. 3 LBG entgegen, nach der von einer Zurruhesetzung
abgesehen werden soll, wenn dem Beamten ein anderes Amt derselben oder einer
anderen Laufbahn übertragen werden kann. Insofern ist davon auszugehen, dass der
Dienstherr zwar nicht zur Schaffung neuer Stellen - im Sinne neuer haushaltsrechtlicher
Planstellen - gezwungen ist, um die Weiterbeschäftigung eines Beamten zu
ermöglichen; insbesondere kann aus § 45 Abs. 3 LBG keine Verpflichtung des
Dienstherrn abgeleitet werden, in jedem Fall alle nur erdenklichen organisatorischen
Möglichkeiten zu ergreifen, dem dienstunfähigen Beamten zur Vermeidung einer
Zurruhesetzung ein anderes Amt zu übertragen, selbst wenn dies den dienstlichen
Interessen erheblich widerspricht bzw. dadurch in das Organisationsgefüge auch zu
Lasten anderer Beamter eingegriffen wird. Die Suche nach einer anderen
"leidensgerechten" Beschäftigung ist andererseits aber auch nicht auf gerade freie
Stellen beschränkt. Dabei ist aber einzustellen, dass die Vorschrift vorrangig
fiskalischen Interessen des Dienstherrn dient und lediglich als Sollvorschrift ausgestattet
ist;
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vgl. zum Bundesrecht: BVerwG, Urteil vom 26.03.2009 - 2 C 73.08 -, BVerwGE 133,297
(auch juris); OVG NRW, Urteil vom 22.10.2010 - 1 A 2211/07 - (www.nrwe.de) und zum
Landesrecht: OVG NRW, Urteil vom 02.07.2009 - 6 A 3712/06 - (www.nrwe.de).
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Nach diesen Maßstäben ist nicht erkennbar, dass eine dem Dienstherrn zumutbare
Einsatzmöglichkeit im Sinne des § 45 Abs. 3 LBG für den Kläger bestanden haben
könnte. Dies gilt unabhängig davon, ob - wie der Kläger meint - das beklagte Land hätte
begründen müssen, warum er nach Auffassung des PEM sowohl für einen Einsatz in
dem Projekt "Schulverwaltungsassistenz" als auch in dem Projekt "amtliche
Kontrollassistentin/amtlicher Kontrollassistent in der Lebensmittelüberwachung" nicht
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geeignet war. Denn es ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die beim Kläger
bestehenden Grunderkrankungen (Alkoholabhängigkeitssyndrom und depressive
Störung) sich, wie die trotz intensiver - auch mehrfacher stationärer - Behandlungen
immer steigernden Zeiten einer erkrankungsbedingten Dienstunfähigkeit belegen, als
weitgehend therapieresistent erwiesen haben. Damit aber ist der Kläger im Ergebnis für
jeden Dienstposten - egal ob derselben oder einer anderen Laufbahn - nicht dienstfähig.
Auf jedem Dienstposten wäre wegen der Grunderkrankungen mit erneuten und
erheblichen Ausfallzeiten zu rechnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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