Urteil des VG Köln vom 04.08.2009

VG Köln (verlängerung, gültigkeit, berufserfahrung, verwaltungsgericht, unterbrechung, eintragung, anordnung, vorläufig, beruf, erwerb)

Verwaltungsgericht Köln, 11 L 1094/09
Datum:
04.08.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 L 1094/09
Tenor:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig eine
Fahrerlaubnis der Klassen D1 und D mit der Schlüsselnummer 95 zu
erteilen. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der Antrag,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der
Antragstellerin ab sofort vorläufig eine Fahrerlaubnis der Klassen D1 und D mit der
Schlüsselnummer 95 zu erteilen,
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ist zulässig und begründet.
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Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2
Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis - nur - erlassen
werden, wenn diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung
drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der
vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch
(Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920
Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung - ZPO). Dabei ist das Gericht entsprechend dem
Sicherungszweck des Anordnungsverfahrens grundsätzlich auf den Ausspruch einer
vorläufigen Regelung beschränkt, die der Entscheidung über das
Rechtsschutzbegehren im Hauptsacheverfahren nicht vorgreifen darf.
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Die Antragstellerin hat vorliegend einen Anordnungsgrund, mithin die Notwendigkeit
einer Regelung im Wege einer einstweiligen Anordnung, glaubhaft gemacht. Die der
Antragstellerin am 16. August 2004 erteilte Fahrerlaubnis der Klassen D und D1 ist mit
Ablauf des 4. Februar 2009 ungültig geworden. Der Antragsgegner hat diese
Fahrerlaubnis zwar verlängert, aber die Schlüsselzahl 95 nicht eingetragen. Diese
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Eintragung ist aber notwendig, um den von der Antragstellerin ausgeübten Beruf als
Berufskraftfahrerin (Personenbeförderung) weiter ausüben zu können.
Ob der Antragstellerin auch ein Anordnungsanspruch zusteht, ist eine schwierige
Rechtsfrage, die im summarischen Verfahren nicht entschieden werden kann.
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Eine Fahrerlaubnis der Klassen D1 und D kann nach 24 Abs. 1 Satz 1 FeV verlängert
werden, wenn der Inhaber der Fahrerlaubnis gemäß Nr. 1 der Vorschrift seine Eignung
und sein Sehvermögen nachweist und gemäß Nr. 2 keine sonstigen
eignungsausschließenden Tatsachen vorliegen. Eine Verlängerung ist hier aber nicht
möglich, weil die Antragstellerin die Verlängerung erst am 29. Mai 2009, mithin fast fünf
Monate nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrerlaubnis, beantragt hat. Grund der
verspäteten Antragstellung war - nach glaubhaftem Vorbringen der Antragstellerin - die
irrige Annahme, die Fahrerlaubnis laufe erst fünf Jahre nach Aushändigung, d.h. am 15.
August 2009 ab. § 24 Abs. 1 Satz 1 FeV ist aber nach § 24 Abs. 2 FeV entsprechend
anzuwenden, wenn die Verlängerung erst nach Ablauf der Gültigkeitsdauer der
Fahrerlaubnis beantragt wird. Im vorliegenden Verfahren liegen nach Auskunft des
Antragsgegners bei der Antragstellerin keine eignungsbeschränkenden oder -
ausschließenden Umstände vor. Deshalb wurde die beantragte Fahrerlaubnis als
solche auch ausgestellt.
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Nach den § 2 und 4 des Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz (BKrFQG), das die EU-
Berufskraftfahrer-Richtlinie 2003/59 umsetzt, müssen Busfahrer im gewerblichen
Personenverkehr, die ihre Fahrerlaubnis erst nach dem 10. September 2008 erworben
haben, aber eine Grundqualifikation, d. h. eine besondere Ausbildung oder Prüfung als
Berufkraftfahrer, nachweisen. Dies wird gemäß der Anlage 9 zur FeV durch die
Eintragung der Schlüsselnummer 95 mit dem jeweiligen Gültigkeitsdatum in dem
Führerschein bescheinigt. Nach der Besitzstandsklausel des § 3 Abs. 1 Nr. 1 BKrFQG
müssen Fahrer, die eine Fahrerlaubnis der Klassen D1, D1E, D, DE oder eine
gleichwertige Klasse besitzen, die vor dem 10. September 2008 erteilt worden ist, keine
Grundqualifikation nachweisen. Denn in solchen Fällen wird vorausgesetzt, dass die
vorhandene Berufserfahrung ausreicht und den Nachweis der Grundqualifikation
ersetzt. Bei einer rechtzeitig beantragten Verlängerung hätte die Antragstellerin wegen
ihrer Berufserfahrung die Grundqualifikation deshalb nicht neu erwerben müssen.
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Es bestehen deshalb Zweifel, ob der Antragstellerin - nachdem die Gültigkeit der
Fahrerlaubnis abgelaufen war - die begehrte Fahrerlaubnis mit der Schlüsselnummer 95
erst nach Erwerb der Grundqualifikation nach § 4 BKrFQG erteilt werden kann, oder ob
die Berufserfahrung der Antragstellerin trotz der Unterbrechung der Gültigkeit der
Fahrerlaubnis als Besitzstand nach § 3 Nr. 1 BKrFQG zugerechnet werden.
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Vgl. VG Meiningen, Beschluss vom 22. 1. 2009 - 2 E 6/09 -.
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Dafür spricht Einiges, weil die einmal erworbene Befähigung und Berufserfahrung durch
eine kurzfristige Unterbrechung der Gültigkeit der Fahrerlaubnis an sich nicht verloren
geht. Von diesem Grundgedanken geht auch § 24 Abs. 2 FeV aus. Diese schwierige
Rechtsfrage kann aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und der dabei
nur möglichen summarischen Prüfung nicht geklärt werden, sondern muss dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
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Hier ist sind deshalb nur die Interessen der Antragstellerin und die Interessen der
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Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Diese Interessenabwägung geht zu Gunsten
der Antragstellerin aus. Die bereits erfolgte Ausstellung der Fahrerlaubnis der Klasse D
1 und D allein, ohne die Eintragung der Schlüsselnummer 95, berechtigte
Antragstellerin nicht zu gewerblichen Beförderung von Fahrgästen. Der Antragstellerin
drohen deshalb erhebliche Einkommensverluste, wenn sie ihren Beruf während der
ganzen Dauer des Gerichtsverfahrens nicht ausüben kann. Dies hätte auch
Auswirkungen auf den Betrieb des elterlichen Busunternehmens, da geeignete
Ersatzfahrer u. U. nicht kurzfristig zur Verfügung stehen. Auch der vorsorgliche Erwerb
der Grundqualifikation wäre für die Antragstellerin mit einem erheblichem Zeit- und
Kostenaufwand verbunden. Im Gegensatz dazu sind durch die vorläufige Erteilung der
Fahrerlaubnis als Berufskraftfahrerin keine wesentlichen Nachteile für die Allgemeinheit
und insbesondere die Verkehrssicherheit zu befürchten. Denn Eignungsmängel liegen
auch nach Ansicht des Antragsgegners nicht vor - die Fahrerlaubnis der Klassen D und
D 1 als solche wurde deshalb auch erteilt - und Befähigungsdefizite sind angesichts der
nur kurzfristigen Unterbrechung der bereits seit mehreren Jahren ausgeübten
Berufstätigkeit als Busfahrerin nicht erkennbar. Dafür spricht auch, dass über die
Antragstellerin keine Eintragungen im Verkehrszentralregister und im
Bundeszentralregister vorliegen.
Insofern geht die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Der
Antragsgegner war deshalb zu verpflichten, vorläufig die Schlüsselnummer 95 in den
der Antragstellerin ausgestellten Führerschein einzutragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Ziff. 2 GKG und entspricht
der Hälfte des in einem Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts (vgl. OVG
NRW, Beschluss vom 30.04.09 - 16 B 271/09 -).
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