Urteil des VG Köln vom 24.09.2003

VG Köln: auflage, arzneimittel, gefährdung der gesundheit, behörde, mangel, unternehmer, medikament, wissenschaft, gestaltung, rechtsgrundlage

Verwaltungsgericht Köln, 24 K 7898/00
Datum:
24.09.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 7898/00
Tenor:
Die im Bescheid der Beklagten vom 14. September 2000 enthaltene
Auflage A. 3 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des
Verfahrens. Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin ist Inhaberin der Zulassung für das Arzneimittel O. Tabletten. Hierbei
handelt es sich um ein apothekenpflichtiges homöopathisches Kombinationsarzneimittel
mit den arzneilich wirksamen Bestandteilen Acidum phosphoricum Dil. D 1 0,160 mg,
Anamirta cocculus Trit. D 3 10,000 mg, Avena sativa Urtinktur 20,000 mg, Hypericum
perforatum Trit. D 1 10,000 mg und Passiflora incarnata Urtinktur 10,000 mg. Das
Arzneimittel ist seit mehreren Jahrzehnten im Verkehr.
2
Mit Bescheid vom 14. September 2000 erteilte die Beklagte der Klägerin für das
Arzneimittel die Verlängerung der fiktiven Zulassung (sog. Nachzulassung) nach § 105
AMG. Die Anwendungsgebiete wurden wie folgt formuliert: "Die Anwendungsgebiete
leiten sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern ab. Dazu gehören: Nervös
bedingte Erschöpfungszustände."
3
Die Nachzulassung war unter der Überschrift "Auflagen gemäß § 28 Abs. 2 AMG" mit
verschiedenen Auflagen verbunden, die die Formulierung der Gebrauchsinformation
betrafen. Hiernach war unter "Gegenanzeigen" unter anderem folgende Formulierung
aufzunehmen:
4
"A. 3 Gegenanzeigen
5
Was ist bei Kindern zu berücksichtigen?
6
Zur Anwendung dieses Arzneimittels bei Kindern liegen keine ausreichend
dokumentierten Erfahrungen vor. Es soll deshalb bei Kindern unter 12 Jahren nicht
angewendet werden.
7
Begründung: Entsprechend der 5. Novelle des AMG ist bei den Angaben nach § 11
AMG Satz 1 Nr. 7 bis 9 (Gegenanzeigen, Vorsichtsmaßnahmen, Wechselwirkungen) auf
8
die besondere Situation bestimmter Personengruppen einzugehen, wie zum Beispiel
von Kindern. Die Aufbereitungsmonographien der Kommission D wurden stoffbezogen
und nicht präparatebezogen erstellt. Zum Beleg der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
für die Altersgruppe bis 12 Jahren können die Monographien deshalb bei dem
vorliegenden Arzneimittel nicht verwendet werden. Bei Monopräparaten kann ggf.
Erkenntnismaterial in Form von homöopathischer Fachliteratur herangezogen werden.
Bei dem vorliegenden Arzneimittel handelt es sich jedoch um ein Kombinationspräparat,
wozu kein präparatspezifisches Erkenntnismaterial vorliegt. Es ist für uns daher nicht
beurteilbar, ob für das antragsrelevante homöopathische Komplexpräparat
ausreichende therapeutische Erfahrungen zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bei
Schwangeren und in der Stillzeit vorliegen. Wissenschaftliches Erkenntnismaterial
entsprechend des 5. Abschnittes der Arzneimittelprüfrichtlinien sind z. B. Sammlungen
von Einzelfallberichten, die eine wissenschaftliche Auswertung ermöglichen. Dieses
Erkenntnismaterial kann nach § 29 Abs. 2a Nr. 1 AMG im Rahmen einer
zustimmungspflichtigen Änderungsanzeige vorgelegt werden. Bis dahin gilt obige
Formulierung. Die Kinderdosierung im BAnz Nr. 177 ist nicht als Beleg der
präparatspezifischen Anwendung im Kindesalter zu interpretieren."
Gegen den Bescheid hat die Klägerin am 27.9.2003 die vorliegende Klage erhoben, mit
der Sie die Aufhebung der vorgezeichneten Auflage begehrt. Zur Begründung trägt sie
vor: Die angefochtene Auflage sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen des hier allein als
Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommenden § 28 Abs. 2 Nr. 2 a AMG seien nicht
gegeben, weil die streitige Gegenanzeige nicht erforderlich sei, um eine
Gesundheitsgefährdung zu verhüten. Konkrete Anhaltspunkte, die für eine mögliche
Gefährdung der Gesundheit der in Rede stehenden Personengruppe, Kinder unter 12
Jahren, sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Sie, die Klägerin, habe vielmehr im
Nachzulassungsverfahren für jedes der im streitbefangenen Kombinationspräparat
enthaltenen Einzelmittel Belege aus der einschlägigen homöopathischen Literatur zur
Anwendung bei Kindern vorgelegt. Weiteres Erkenntnismaterial sei nicht erforderlich,
zumal es sich bei dem hier zu beurteilenden Arzneimittel nicht um eine neue
Kombination, sondern eine sogenannte Minusvariante einer seit Jahren in der
Homöopathie verwendeten Kombination bekannter Arzneistoffe handele. Aus ihrer Sicht
akzeptabel sei allenfalls ein (Warn)hinweis, wonach das Arzneimittel im Hinblick auf
nicht ausreichend dokumentierte Erfahrungen bei Kindern unter 12 Jahren "nur nach
Rücksprache mit einem homöopathisch erfahrenen Art oder Heilpraktiker unter
Berücksichtigung der homöopathischen Arzneimittelbilder" angewendet werden solle.
Auf eine entsprechende Formulierung hätten sich die Beteiligten im Verfahren 24 K
3803/01 gleichen Rubrums inzwischen geeinigt. Diese Lösung stehe auch im Einklang
mit der Neufassung der "Empfehlungen zur Gestaltung von Packunsbeilagen nach § 11
AMG" der Beklagten vom 15.3.2002, in denen es heiße, dass anders als bei
tatsächlichen Risiken, eine unzureichende Datenlage oder mangelnde Erfahrung bei
der Anwendung eines Arzneimittels in bestimmten Populationsgruppen nicht mehr
zwangsläufig als Kontraindikation aufgenommen werden müsse, sondern die
Empfehlung, vor der Anwendung ärztlichen Rat einzuholen, ausreichend sei.
9
Die Klägerin beantragt,
10
die im Bescheid der Beklagten vom 14. September 2000 enthaltene Auf- lage A. 3
aufzuheben.
11
Die Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung führt sie aus: Die angefochtene Auflage sei rechtmäßig. Nach § 28
Abs. 2 Nr. 2 und 3 AMG könne die Zulassungsbehörde anordnen, dass die
Packungsbeilagen den Vorschriften des § 11 AMG und die Angaben in den §§ 10, 11
und 11a AMG den für die Zulassung eingereichten Unterlagen entsprechen. Nach § 11
Abs. 1 Satz 6 AMG sei unter anderem bei den Angaben zu den Gegenanzeigen und
Vorsichtsmaßnahmen auf die besondere Situation bestimmter Personengruppen, wie
unter anderem von Kindern, einzugehen, soweit dies nach dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse erforderlich sei. Es entspreche aber dem Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass der kindliche Körper Arzneimittel prinzipiell
anders aufnehme und verarbeite als dies bei Erwachsenen der Fall sei. Hieraus folge,
dass die Unbedenklichkeit eines Arzneimittels für die Anwendung im Kindesalter durch
präparate-spezifisches Erkenntnismaterial belegt werden müsse. Dies habe die
Klägerin nicht getan. Die Aufbereitungsmonographien der Kommission D seien lediglich
stoffbezogen nicht aber präparatebezogen erstellt und reichten daher zum Beleg nicht
aus. Auch die von der Klägerin genannte homöopathische Literatur könne insoweit nicht
genügen, da die herangezogenen Quellen zwar die Anwendung bei Kindern
behandelten, sich jedoch zum Teil auf andere als das von der Klägerin beanspruchte
Anwendungsgebiet und vor allem nicht auf die im streitbefangene Präparat enthaltene
Kombination der Einzelmittel bezögen.
14
Zudem handele es sich lediglich um eine relative Gegenanzeige. Es bleibe daher der
Entscheidung des behandelnden Arztes vorbehalten, ob er das Medikament entgegen
der Empfehlung "soll nicht angewendet werden" gleichwohl verordne, wenn er dies -
etwa wegen der von ihm gewonnen Erfahrungen - für angezeigt halte.
15
Dass bei fehlendem präparatespezifischem Erkenntnismaterial für die Anwendung bei
Kindern die Zulassung mit der Auflage einer entsprechenden Gegenanzeige zu
verbinden sei, entspreche auch der Auffassung der Kommission D, die in zahlreichen
vergleichbaren Fällen die vom BfArM formulierten Auflagen bestätigt habe. Schließlich
könne auch der Hinweis der Klägerin auf die Neufassung der "Empfehlungen für die
Gestaltung der Packungsbeilagen" der Klage nicht zum Erfolg verhelfen, denn diese
Empfehlungen enthielten den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass bei Arzneimitteln
aus dem Bereich der Pytopharmaka, Anthroposophie und Homöopathie in der
Gestaltung der Packungsbeilage die Besonderheiten der jeweiligen Therapierichtung
zu berücksichtigen seien. Die in den Empfehlungen enthaltene und auch von der
Klägerin vorgeschlagene Formulierung "Anwendung nur nach Rücksprache mit dem
Arzt", könne aber für den Bereich der Homöopathie nicht in Betracht kommen, da die
große Mehrzahl der Ärzte nicht über Kenntnisse auf diesem Gebiet verfügten.
Medizinisch vertretbar sei es lediglich, die geforderten Angaben nicht unter
"Gegenanzeigen", sondern unter "Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung und
Warnhinweise" aufzunehmen.
16
Soweit sie mit Schriftsatz vom 6. März 2003 für die streitbefangene Auflage die
Formulierung vorgeschlagen habe: "Zur Anwendung dieses Arzneimittels bei Kindern
liegen keine ausreichend dokumentierten Erfahrungen vor. Es soll deshalb bei Kindern
unter 12 Jahren nur nach Rücksprache mit einem homöopathisch erfahrenen Arzt unter
Berücksichtigung der homöopathischen Arzneimittelbilder der Einzelbestandteile
angewendet werden.", könne hieran nicht festgehalten werden. Denn die
17
Zulassungsbehörde sei zwischenzeitlich zu der Auffassung gelangt, dass die
vorgeschlagene Formulierung ungeeignet sei, weil es sich vorliegend um ein
homöopathisches Kombinationsarzneimittel handele, das anders als ein Monopräparat
für eine indikationsbezogene Therapie vorgesehen sei, was den Vorteil der
Therapievereinfachung aber den Nachteil habe, dass eine Individualisierung der
Anwendung nach dem üblichen homöopathischen Prozedere nicht möglich und der
Verweis auf die Arzneimittelbilder daher nicht zielführend sei.
Mit ihrem Schriftsatz vom 19.9.2003 hat die Beklagte zur Vorbereitung der mündlichen
Verhandlung vom 24.9.2003 ergänzend vorgetragen: Die Klägerin sehe zu Unrecht § 28
Abs. 2 Nr. 2 a, 1 a AMG als einzig in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage für
die streitbefangene Auflage an. Zwar seien die Voraussetzungen dieser Vorschrift
erfüllt, denn die Auflage sei erforderlich, um eine unmittelbare oder mittelbare
Gefährdung bei der Anwendung des Arzneimittels zu verhüten. Das Vorliegen konkreter
Anhaltspunkte für eine mögliche Gefährdung sei hierfür nicht erforderlich. Im Hinblick
auf den präventiven Charakter der Ermächtigungsgrundlage sei vielmehr die schlichte
Unkenntnis über mögliche Risiken ausreichend, was hier aufgrund des vollständig
fehlenden Datenmaterials zur Anwendung bei Kindern der Fall sei. Als
Rechtsgrundlage sei jedoch in erster Linie § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG heranzuziehen,
wonach Auflagen angeordnet werden können, um sicherzustellen, dass die Angaben
nach den §§ 10, 11, 11 a den für die Zulassung eingereichten Unterlagen entsprechen
und dabei einheitliche und allgemein verständliche Begriffe und ein einheitlicher
Wortlaut verwendet werden. Die Vorschrift ermächtige die Behörde nicht nur zur
Beauflagung formeller Unvollständigkeiten, sondern zu Gefahrenabwehrmaßnahmen
zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit. "Eingereicht" im Sinne dieser
Bestimmung seien daher bei richtigem Verständnis der Norm nicht die tatsächlich
vorgelegten, sondern nur solche Unterlagen, die von Anfang an eine Überprüfung der
Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit zuließen oder deren Parameter durch die
Zulassungsbehörde nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis
bewertet werden könnten. Habe der pharmazeutische Unternehmer für die Anwendung
des Arzneimittels bei bestimmten Personengruppen, wie hier bei Kindern, keine
Dokumentationen, Studien oder Sachverständigengutachten vorgelegt, habe er die
erforderlichen Unterlagen auch nicht im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG
"eingereicht". Es entspreche daher nicht den eingereichten Unterlagen, wenn er den
Anwender in seinen Informationstexten nicht auf diesem Umstand hinweise. Die
angefochtene Auflage könne ferner auch auf § 105 Abs. 5 a Sätze 1 und 2, 2. Alt. AMG
gestützt werden, wonach Auflagen im Nachzulassungsverfahren neben der
Sicherstellung der in § 28 Abs. 2 genannten Anforderungen, auch die Gewährleistung
von Anforderungen an die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zum Inhalt haben
könnten. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, weil die Unbedenklichkeit und
Wirksamkeit des Arzneimittels in Bezug auf eine Anwendbarkeit bei Kindern aufgrund
des fehlenden Datenmaterials nicht einmal im Ansatz beurteilt werden könne. Die
angefochtene Auflage finde nicht zuletzt auch in § 36 Abs. 1, 2. Alt. VwVfG ihre
Rechtsgrundlage, da die Nachzulassung ohne die Anordnung gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2
AMG wegen nicht ausreichender Prüfung hätte versagt werden müssen. Die Beklagte
halte auch weiterhin daran fest, dass es dem Stand des Wissens der medizinischen und
pharmazeutischen Wissenschaft entspreche, die Unbedenklichkeit eines Arzneimittels
im Kindesalter belegen zu müssen. So seien bereits seit Inkrafttreten der 5. Novelle zum
AMG Ergänzungen in der Gebrauchsinformation für die Angaben zu Gegenanzeigen bei
Kindern, Schwangeren und Personen mit spezifischen Erkrankungen erforderlich. Auch
neuere europäische Guidelines, wie z. B. die "Note for Guidance on the clinical
18
investigation of medical products in children (CPMP/EWP/462/95), die "Note for
Guidance on the clinical investigation in the treatment of astma (CPMP/EWP/2922/01)
und die pädiatrische Guideline (CPMP/ICH/2711/99) konstituierten besondere
Prüfanforderungen für die Untersuchung der Anwendung eines Arzneimittels bei
Kindern. Schließlich veranschauliche gerade auch die Arbeit der erst jüngst
konstituierten "Kinderkommission" des Expertengremiums Arzneimittel für Kinder und
Jugendliche des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (EAKJ)
eindrücklich, dass sich weite Kreise der Wissenschaft zur Zeit mit hohem Einsatz
bemühten, die arzneimitteltherapeutischen Besonderheiten in der Pädiatrie
herauszuarbeiten und der Praxis taugliche Handlungsanweisungen an die Hand zu
geben, die besonderen Risiken eines Arzneimitteleinsatzes bei Kindern erst
einzuschätzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20
Die Klage ist begründet. Die in der Auflage A.3 getroffene Anordnung, in der
Gebrauchsanweisung für das streitbefangene Arzneimittel unter "Gegenanzeigen" den
Text aufzunehmen "Zur Anwendung dieses Arzneimittels bei Kindern liegen keine
ausreichend dokumentierten Erfahrungen vor. Es soll deshalb bei Kindern unter 12
Jahren nicht angewendet werden" ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
21
Die Auflage ist von der im Bescheid herangezogenen Ermächtigungsgrundlage des §
28 Abs. 2 AMG nicht gedeckt. Sie kann insbesondere nicht auf § 28 Abs. 2 Nr. 2 a i. V.
m. 1 a AMG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift, die auch im
Nachzulassungsverfahren Anwendung findet (§ 105 Abs. 5 a Satz 1 und 2 1. Halbsatz
AMG), kann die (Nach-)Zulassung mit Auflagen verbunden werden, um sicherzustellen,
dass die Packungsbeilage den Vorschriften des § 11 AMG entspricht; dabei kann
angeordnet werden, dass Hinweise oder Warnhinweise angegeben werden müssen,
soweit sie erforderlich sind, um bei der Anwendung des Arzneimittels eine unmittelbare
oder mittelbare Gefährdung von Mensch oder Tier zu verhüten. Die Darlegungslast für
die Voraussetzungen der Auflagenerteilung und damit auch für die gemäß § 28 Abs. 2
Nr. 2 a, 1 a AMG zu verhütende Gesundheitsgefährdung trägt die Zulassungsbehörde.
22
Vgl. u. a. VG Berlin, Urteil vom 18. Juni 1998 - 14 A 102.97 -; Sander, Arzneimittelrecht,
§ 28 AMG, Anm. 4; ferner allgemein zur Darlegungs- last der Behörde bei der Erteilung
von Auflagen, Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 36 Rdnr. 65.
23
Die vorgenannte Bestimmung ermächtigt die Behörde u. a. auch dazu, dem
pharmazeutischen Unternehmer aufzugeben, bestimmte Gegenanzeigen (§ 11 Abs. 1
Satz 1 Nr. 7 AMG) in die Packungsbeilage aufzunehmen. Hierbei ist, soweit dies nach
dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse erforderlich ist, auf die
besondere Situation bestimmter Personengruppen, wie Kinder, Schwangere oder
stillende Frauen, ältere Menschen oder Personen mit spezifischen Erkrankungen
einzugehen (§ 11 Abs. 1 Satz 6 AMG).
24
Vgl. in diesem Sinne zur Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von
Gegenanzeigen VG Berlin, u. a. Urteile vom 18. Juni 1998 - 14 A 102.97 - und vom 29.
25
Mai 1997 - 14 A 373.93 -; VG Köln, Urteil vom 14. Mai 2003 - 24 K 2999/00 -; Sander, a.
a. O., § 28 AMG, Anm. 4, der Gegenanzeigen als Unterfall von Warnhinweisen ansieht.
Gegenanzeigen (Kontraindikation) beschreiben körperliche oder seelische Zustände
oder sonstige Gegebenheiten, bei deren Vorhandensein das Arzneimittel nicht, nur
beschränkt oder nur unter besonderen Voraussetzungen oder Bedingungen
angewendet werden darf.
26
vgl. etwa Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 11 AMG, Anm. 29.
27
Dies ist bei der Angabe, "das Arzneimittel soll bei Kindern unter 12 Jahren nicht
angewendet werden", der Fall, und zwar unabhängig davon, ob diese Anweisung - wie
in der angefochtenen Auflage gefordert - unter "Gegenanzeigen" oder - wie dies der
neueren Praxis der Beklagten entspricht - unter "Vorsichtsmaßnahmen für die
Anwendung und Warnhinweise" aufzunehmen ist.
28
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Aufnahme einer solchen Gegenanzeige
in die Packungsbeilage sind jedoch nicht erfüllt, denn die Beklagte hat nichts dafür
dargetan, dass die streitige Auflage erforderlich wäre, um bei der Anwendung des
Arzneimittels eine unmittelbare oder mittelbare Gesundheitsgefährdung zu verhüten.
Welche Anforderungen an die Auflagenbefugnis zu stellen sind, bedarf keiner ab-
schließenden Klärung. Allerdings erscheint es zu weitgehend, den Begriff der
unmittelbaren oder mittelbaren Gesundheitsgefährdung i. S. v. § 28 Abs. 2 Nr. 2 a, 1 a
AMG mit dem Gefahrenbegriff des § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG gleichzusetzen, wonach als
Voraussetzung für die Versagung der Zulassung der begründete Verdacht bestehen
muss, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche
Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
vertretbares Maß hinausgehen.
29
so wohl aber VG Berlin, Urteil vom 18. Juni 1998 - 14 A 102.97 -, PharmR 1998, 340.
30
Gegen eine solche Gleichsetzung sprechen schon die Unterschiede hinsichtlich der
tatbestandlichen Voraussetzungen und der Rechtsfolgen der beiden
Ermächtigungsgrundlagen. Lediglich bei Anordnung einer absoluten Gegenanzeige im
Sinne eines vollständigen Anwendungsausschlusses ("darf nicht angewendet werden")
kann eine Orientierung an den Anforderungen des Widerrufsgrundes des § 25 Abs. 2 Nr.
5 AMG in Betracht kommen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob in diesen Fällen
ungeachtet der Bezeichnung als Auflage in materieller Hinsicht eine Teilversagung des
Anwendungsgebiets vorliegt
31
vgl. in diesem Sinne VG Berlin, Urteil vom 15. Juli 1999 - 14 A 454/95 -,
32
oder aber eine Auflagenerteilung auch in diesen Fällen möglich bleibt.
33
vgl. insoweit Sander, a. a. O., § 28 AMG, Anm. 2.
34
Nach Auffassung der Kammer sind die an die Auflagenbefugnis des § 28 Abs. 2 Nr. 2 a,
1 a AMG zu stellenden Anforderungen vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls zu
beurteilen. Hierbei kann hinsichtlich der Konkretisierung der Gefährdung zunächst auf
die in der Rechtsprechung zu § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG entwickelten Kriterien
zurückgegriffen werden. Danach sind u.a. die Anforderungen an die
35
Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gesundheitsschadens umso geringer, je schwerer der
mögliche Schaden wiegt. Zudem muss sich bei seit langem auf dem Markt befindlichen
Arzneimitteln die Möglichkeit schädlicher Wirkungen an den praktischen Erfahrungen
messen lassen.
Vgl. zum Ganzen OVG Berlin, u. a. Urteil vom 16. September 1999 - 5 B 34.97 - m. w. N.
zu Rechtsprechung und Literatur.
36
Des Weiteren sind bei den hier in Rede stehenden Gegenanzeigen die Anforderungen
nach dem Umfang der durch sie erstrebten Anwendungsbeschränkung ("darf nicht",
"soll nicht", "darf/soll nur ..." etc.) abzustufen.
37
Die angesprochenen Fragen bedürfen keiner weiteren Vertiefung.
Mindestvoraussetzung für die Anordnung ist in jedem Fall, dass konkrete Anhaltspunkte
dafür sprechen und von der Zulassungsbehörde dargetan werden, dass es bei
bestimmungsgemäßen Gebrauch des jeweiligen Arzneimittels in bestimmten
Situationen oder bei bestimmten Personen zu einer Gesundheitsgefährdung kommen
kann.
38
vgl. zum Ganzen das Urteil der Kamer vom 15.7.2003 - 24 K 8660/99 - zur
Gegenanzeige "Schwangerschaft und Stillzeit"; in diesem Sinne auch Sander, § 28
AMG, Anm. 4.
39
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anwendungsrisiken für die in Rede stehende
Personengruppe sind vielmehr bei dem seit Jahrzehnten im Verkehr befindlichen
Medikament auch nach Angaben der Beklagten nicht bekannt geworden. Die Beklagte
sieht die Voraussetzungen der herangezogenen Ermächtigungsgrundlage allein
deshalb als gegeben an, weil die Klägerin zur Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren
keine Untersuchungen vorgelegt hat und die Anwender des Arzneimittels vor noch nicht
untersuchten, unerkannten Risiken zu schützen seien. Die mit dem Inverkehrbringen
eines jeden in dieser Hinsicht ungeprüften Medikaments verbundene allenfalls abstrakte
Gefahr kann jedoch im Rahmen des § 28 Abs. 2 Nr. 2 a, 1 a AMG nicht genügen. Eine
Anordnung von Gegenanzeigen für bestimmte Personengruppen ohne dass konkrete
Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Anwendung des jeweiligen Medikaments zu
einer Gesundheitsgefährdung führen kann, ist weder vom Wortlaut der Auflagenbefugnis
noch von ihrem auf Verhütung im jeweiligen Einzelfall zu besorgender Gefährdung
beschränkten Regelungszweck gedeckt.
40
anders VG Berlin, Urteil vom 29. Mai 1997 - 14 A 373.93 -, das die Rechtmäßigkeit der
streitbefangenen Gegenanzeige (Kinder unter 12 Jahren) jedoch im Ergebnis neben
dem fehlenden Erkenntnis- material auf schwerwiegende Nebenwirkungen des
Medikaments stützt.
41
Sie liefe auf eine von den Besonderheiten des jeweiligen Medikaments unabhängige
generelle Risikobeschränkung für bestimmte besonders schutzbedürftige
Personengruppen hinaus, für die es im geltenden Recht keine Ermächtigungsgrundlage
gibt.
42
Das vorstehende Ergebnis steht im Übrigen auch im Einklang mit der Auffassung der
Beklagten, wie sie in der Neufassung ihrer "Empfehlungen zur Gestaltung von
Packungsbeilagen nach § 11 AMG für Humanarzneimittel" vom 15. März 2002
43
(Bundesanzeiger Nr. 78 vom 25. April 2002) ihren Niederschlag gefunden hat. In diesen
wird darauf hingewiesen, dass, anders als bei tatsächlichen Risiken, die bisher
unzureichende Datenlage oder mangelnde Erfahrung bei der Anwendung eines
Arzneimittels in bestimmten Populationsgruppen nicht mehr zwangsläufig als
Kontraindikation aufgenommen werden müsse. Stattdessen sei in der Packungsbeilage
auf die eingeschränkten Erfahrungen oder fehlenden Daten hinzuweisen und dies für
die hier in Rede stehende Personengruppe beispielsweise mit der Empfehlung zu
verbinden, "das Arzneimittel Kindern unter ... Jahren nur nach Rücksprache mit dem
Arzt" zu geben. Soweit sich die Beklagte im vorliegenden Verfahren auf die
Besonderheiten homöopathischer Arzneimittel beruft, deren Risiken bzw. Nutzen für
Kinder - anders als bei chemisch definierten Substanzen - in aller Regel nur von einem
Arzt mit entsprechender Ausbildung richtig eingeschätzt werden könnten, hat die
Beklagte diese Bedenken in zahlreichen bei der Kammer anhängig gewesenen
Verfahren durch den Zusatz "homöopathisch erfahrener Art" ausgeräumt und auch der
Klägerin zunächst einen entsprechenden Vergleichsvorschlag unterbreitet. Warum eine
solche Formulierung nur bei Monopräparaten, nicht aber bei Kombinationsarzneimitteln
möglich sein soll, ist angesichts der mit diesen Medikamenten verbundenen
Therapievereinfachung nicht ohne weiteres nachvollziehbar, kann jedoch auf sich
beruhen. Denn die etwaige Abweichung von den vorstehenden "Empfehlungen" und
der Verwaltungspraxis der Beklagten könnte allenfalls unter dem Gesichtspunkt der
Selbstbindung der Verwaltung bei der Prüfung der Ermessensausübung von Bedeutung
sein. Für eine auf § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a, 1 a AMG gestützte Auflage fehlt es jedoch -
wie dargelegt - bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen.
Die angefochtene Auflage kann entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht auf § 28
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AMG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift können Auflagen
angeordnet werden, um sicher zu stellen, dass die Angaben nach den §§ 10, 11 und 11
a den für die Zulassung eingereichten Unterlagen entsprechen und dabei einheitliche
und allgemein verständliche Begriffe und ein einheitlicher Wortlaut verwendet werden;
von dieser Befugnis kann die zuständige Bundesoberbehörde allgemein aus Gründen
der Arzneimittelsicherheit, der Transparenz oder der rationellen Arbeitsweise Gebrauch
machen. Gegenstand der Auflagenbefugnis ist nach dem eindeutigen Wortlaut sowie
dem auf Verbesserung der Information des nichtfachkundigen Verbrauchers
abzielenden Regelungszweck der Bestimmung,
44
vgl. insoweit den Ausschussbericht zum Gesetz zur Neufassung des
Arzneimittelgesetzes sowie die amtliche Begründung zum 3. AMG - Änderungsgesetz,
abgedruckt bei Kloesel/Cyran, AMG, § 28,
45
allein die Sicherung der materiellen Übereinstimmung der Informationstexte mit den
"eingereichten", dass heißt den tatsächlich vorgelegten Unterlagen sowie die
Formulierung dieser Texte.
46
Vgl. in diesem Sinne Kloesel/Cyran, § 28 AMG, Rd. Nr. 14.
47
Die Behörde kann daher eine über die bloße Formulierung hinausgehende Ergänzung
oder Änderung der vom pharmazeutischen Unternehmer vorgeschlagenen Texte nur
insoweit anordnen, als sich diese Angaben bereits aus den vorgelegten
Zulassungsunterlagen ergeben. Sie kann es dem pharmazeutischen Unternehmer
dagegen nicht auferlegen, in den Informationtexten daraufhin zuweisen, dass er im
(Nach)zulassungsverfahren vorzulegende Unterlagen bzw. vorzunehmende Prüfungen
48
nicht vorgelegt bzw. nicht vorgenommen hat und dies zum vorbeugenden Schutz des
Anwenders mit einer Gegenanzeige zu verbinden.
Die angefochtene Auflage findet ihre Rechtsgrundlage auch nicht in § 105 Abs. 5 a Satz
1 und 2, 2. Alt. AMG und/oder § 36 Abs. 1 2. Alt. VwVfG, worauf sich die Beklagte
erstmals in ihrem zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereichten
Schriftsatz vom 19.9.2003 berufen hat. Es erscheint bereits fraglich, ob das
Nachschieben dieser Ermächtigungsgrundlagen im vorliegenden Verfahren noch zu
berücksichtigen ist, da die Auflage im Bescheid allein auf § 28 Abs. 2 AMG gestützt
worden ist. Dies kann jedoch offenbleiben, denn es fehlt auch hier bereits den
tatbestandlichen Voraussetzungen der in Anspruch genommenen Rechtsgrundlagen.
49
§ 105 Abs. 5 a Satz 1 und 2, 2. Alt. AMG kommt als Ermächtigungsgrundlage nicht in
Betracht. Nach dieser Vorschrift können Auflagen neben der Sicherstellung der in § 28
Abs. 2 genannten Anforderungen auch die Gewährleistung von Anforderungen an die
Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zum Inhalt haben, es sei denn, dass wegen
gravierender Mängel der pharmazeutischen Qualtität, der Wirksamkeit oder der
Unbedenklichkeit Beanstandungen nach Absatz 5 mitgeteilt oder die Verlängerung der
Zulassung versagt werden muss. Im Bescheid über die Verlängerung ist anzugeben, ob
der Auflage unverzüglich oder bis zu einem von der zuständigen Bundesoberbehörde
festgelegten Zeitpunkt entsprochen werden muss.
50
Hierauf kann die angefochtene Auflage aber nicht gestützt werden. Denn die
Auflagenbefugnis nach § 105 Abs. 5 a Satz 1 und 2. Alt. AMG betrifft nur solche
Anordnungen, die der Mängelbeseitigung dienen. Dies ist aber bei der hier streitigen
Auflage nicht der Fall. Der Zusammenhang mit dem Mängelbeseitigungsverfahren ergibt
sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem darin in Bezug genommenen
Absatz 5 des § 105, nach dessen Satz 4 die zuständige Bundesoberbehörde in allen
geeigneten Fällen keine Beanstandungen nach Satz 1 auszusprechen, sondern die
Verlängerung der Zulassung auf der Grundlage des Absatu 5 a Satz 1 und 2 mit einer
Auflage zu verbinden hat, mit der dem Antragsteller aufgegeben wird, die Mängel
innerhalb einer von ihr nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmenden Frist zu
beheben. Der Zulassungsbehörde stehen danach grundsätzlich zwei Wege offen, auf
Mängel im Nachzulassungsverfahren zu reagieren. Wenn der Mangel vor der
Nachzulassung beseitigt werden soll, erlässt die Zulassungsbehörde einen
Mängelbescheid ("Beanstandungsverfahren" gemäß § 105 Abs. 5 Satz 1 und 2), soll der
Mangel hingegen erst nach der Nachzulassung behoben werden, verbindet Sie die
Nachzulassung mit einer Auflage ("Auflagenverfahren" nach § 105 Abs. 5 a Satz 1 bis 3
AMG). Beim Beanstandungsverfahren erhält der pharmazeutische Unternehmer die
Nachzulassung erst und nur dann, wenn er den Mangel innerhalb der gesetzlichen Frist
behoben hat, während die Zulassung beim Auflagenverfahren sogleich erteilt wird, ihr
Bestand aber von der fristgerechten Behebung des in der Auflage bezeichneten
Mangels abhängt. Durch das 10. AMG - Änderungsgesetz ist die Behörde verpflichtet
worden, von der Möglichkeit der Auflagenerteilung vorrangig in allen geeigneten Fällen
Gebrauch zu machen. Das Beanstandungsverfahren soll Mängeln vorbehalten bleiben,
die so gravierendend sind, dass es ausgeschlossen ist, die Nachzulassung zu erteilen,
bevor sie beseitigt sind.
51
Vgl. zum ganzen Ausschussbericht zum 10. AMG Änderungsgesetz, abgedruckt bei
Kloesel/Cyran, § 105; ferner Sander, AMG, § 105 Anm. 17; Kloesel/Cyran, AMG, § 105
Anm. 74.
52
Es erscheint bereits zweifelhaft, ob es sich bei dem hier gerügten Mangel fehlender
Prüfung sowie mangelnder Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels für
Kinder unter 12 Jahren - die Begründetheit der Beanstandung unterstellt - überhaupt um
einen "nicht gravierenden" Mangel im Sinne des § 105 Abs. 5 a Satz 1 und 2, 2. Alt.
AMG handelt. Denn insoweit kommen nur solche Mängel in Betracht, die bis zur
Erfüllung der Auflage toleriert werden können,
53
vgl. insoweit den Ausschussbericht zum 10. AMG Änderungsgesetz a. a. O.,
54
was in aller Regel nur bei geringfügigen, unwesentlichen und kurzfristig zu
beseitigenden Mängeln der Fall ist,
55
vgl. hierzu Sander, AMG, § 105, Anm. 17 unter Bezugnahme auf ein Schreiben des
BfArM an den BPI vom 17. August 1999; ferner Pabel, PharmR 1995, 180 (183).
56
Die Frage kann jedoch offen bleiben. Denn der Klägerin wird durch die angefochtene
Auflage nicht aufgegeben, den geltend gemachten Mangel unzureichender Prüfung
durch Nachreichen von Unterlagen oder Durchführung von Untersuchungen etc. zu
beheben. Ihr wird lediglich auferlegt, in der Gebrauchsinformation auf das Fehlen
ausreichenden Erkenntnismaterials hinzuweisen und dies mit der Gegenanzeige "soll
nicht angewendet werden" für die betroffene Personengruppe zu verbinden. Soweit in
der Begründung der Auflage auf die Möglichkeit hingewiesen wird, das fehlende
Erkenntnismaterial im Wege einer zustimmungspflichtigen Änderungsanzeige
vorzulegen, dient führt dies nicht zur Mängelbeseitigung im o. a. Sinne, weil es der
freien Entscheidung des pharmazeutischen Unternehmers überlassen bleibt, ob er von
der Änderungsmög- lichkeit Gebrauch machen will.
57
Die Auflage kann schließlich auch nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, dass
andernfalls eine Versagung der Nachzulassung nach § 105 Abs. 4 f i. V. m. § 25 Abs. 2
Nr. 2 AMG wegen nicht ausreichender Prüfung hätte erfolgen müssen. Nach § 36 Abs. 1
VwVfG darf ein Verwaltungsakt, auf den, wie bei der arzneimittel- rechtlichen Zulassung
der Fall, ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur dann versehen werden,
wenn sie durch Rechtsvorschriften zugelassen ist, was hier - wie dargelegt - nicht
gegeben ist, oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
des Verwaltungsakts erfüllt werden.
58
Ob § 36 Abs. 1 2. Alt. VwVfG auch im Arzneimittelrecht Anwendung findet, erscheint
zweifelhaft.
59
bejahend OVG Berlin, Beschluss vom 30. Juli 1990 - 5 S 39/90 -; Kloesel/Cyran, § 28,
Anm. 8; a. M. wohl Sander, § 28 AMG, Anm. 4; anders ders. in § 105, Anm. 17.
60
Der umfangreiche und detaillierte Auflagenkatalog in § 28 AMG sowie des in § 105 Abs.
5 a Satz 2 Alt AMG vorgesehene Auflagenverfahren zur Mängelbeseitigung sprechen
eher für eine abschließend normierte Auflagenermächtigung. Für den hier in Rede
stehenden Fall nicht ausreichender Prüfungen ist zudem in § 28 Abs. 3 AMG ein
spezieller Auflagentatbestand enthalten, der bei Arzneimitteln mit großem
therapeutischem Wert eine vorzeitige Zulassung des noch nicht abschließend geprüften
Medikaments ermöglicht, was den Rückschluss nahelegt, dass in allen anderen Fällen
von einer den Anforderungen des § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG entsprechenden Prüfung nicht
61
abgesehen werden kann. Im übrigen beinhaltet § 36 Abs. 1 2. Alternative VwVfG keine
allgemeine Ermächtigung der Behörde, nach Ermessen von der Erfüllung oder
genaueren Prüfung zwingender Genehmigungsvoraussetzungen usw. abzusehen und
stattdessen auf Ne- benbestimmungen auszuweichen. Insbesondere darf die Behörde
wesentliche Voraussetzungen des Verwaltungsakts nicht auf Nebenbestimmungen
"verlagern" und damit letztlich offen lassen.
vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, § 36 Rdnr. 46 a, Stelkens/Bonk/Sachs,
VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 36 Rdnr. 69 a, jeweils m. w. N..
62
Dies gilt im Hinblick auf den Schutzzweck der Arzneimittelsicherheit auch und gerade
für den Bereich des Arzneimittelrechts.
63
vgl. zum ganzen die Entscheidung der Kammer vom 16.7.2003 - 24 K 8660/99 -.
64
Die Fragen bedürfen jedoch keiner abschließenden Klärung, weil jedenfalls die
Voraussetzungen des § 36 2. Alternative VwVfG nicht vorliegen. Die Vorschrift gestattet
die Erteilung einer Auflage als "Minus" zur Versagung vielmehr nur dann, wenn allein
dadurch ein andernfalls gegebener Zulassungsversagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG
entfallen würde.
65
vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 24. Juli 1990 - 5 S 39.90 -; sowie allgemein
Stelkens/Bonk/Sachs, § 36 Rdnr. 67 a.
66
Das ist hier jedoch nicht der Fall. Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden,
dass die Zulassung für das streitbefangene Arzneimittel gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG
hätte (teilweise) versagt werden müssen. Eine im Sinne der vorgenannten Vorschrift
nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht
ausreichende Prüfung liegt vielmehr nur dann vor, wenn die im Rahmen des
Zulassungsverfahrens vorgelegten Prüfungsergebnisse nicht entsprechend dem in den
Arzneimittelprüfrichtlinien und ggf. in den Guidelines der zuständigen europäischen
Gremien bekanntgemachten Stand der medizinischen und pharmazeutischen
Wissenschaft durchgeführt worden sind.
67
Vgl. Sander, § 25 AMG, Anm. 4; Kloesel/Cyran, § 25 AMG, Anm. 13 ff.
68
Dabei kann offenbleiben, ob insoweit allein auf die Art und Weise der durchgeführten
Prüfungen abzustellen ist, der Versagungsgrund also nicht eingreift, wenn etwa zur
Anwendung bei bestimmten Personengruppen überhaupt keine Untersuchungen
vorgenommen worden sind,
69
so VG Berlin, Urteile vom 15.7.1999 - 14 A 445.95 - und - 14 A 171.96 -.
70
Denn die Beklagte, die für die Voraussetzungen der Auflagenerteilung die
Darlegungslast trägt und damit - bei der Auflagenerteilung als "Minus" zur Versagung -
auch für den hierdurch auszuräumenden Versagungsgrund darlegungspflichtig ist, hat
nichts dafür dargetan, dass und aufgrund welcher Rechtsgrundlagen für die
Nachzulassung des streitbefangenen Arzneimittels besondere Prüfungen für seine
Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren erforderlich gewesen wären. Für solche
Darlegungen bestand hier aber besondere Veranlassung, da die Beklagte für die
übrigen Anwender, also für Erwachsene und Kinder über 12 Jahren
71
präparatespezifische Prüfungen nicht gefordert, sondern Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit des Arzneimittels sowie insbesondere auch die erforderliche
Kombinationsbegründung maßgeblich aus den Monographien der Komission D zu den
in dem Präparat enthaltenen jeweiligen Einzelbestandteilen abgeleitet hat.
§ 11 Abs. 1 Satz 2 AMG kommt entgegen der Ansicht der Beklagten als
Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Denn die darin enthaltene Forderung, in der
Gebrauchsinformation bei den Angaben nach Satz 1 Nr. 7 bis 9, soweit es nach dem
jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntisse erforderlich ist, auf die besondere
Situation bestimmter Personengruppen wie Kinder, Schwangere und Stillende Frauen,
ältere Menschen oder Personen spezifischen Erkrankungen einzugehen, betrifft nach
Wortlaut und Regelungsgegenstand allein den Inhalt der Packungsbeilage, begründet
aber keine alters- bzw. gruppenspezifische Prüfungserfordernisse für bestimmte
Anwender. Soweit sich die Beklagte nunmehr auf neue europäische Guidelines beruft,
führt dies zu keiner anderen Beurteilung, denn es fehlt schon an jeglicher Darlegung, ob
und inwieweit diese Bestimmungen verbindliche Prüfungsanforderungen auch für das
nationale Nachzulas- sungsverfahren enthalten und insbesondere auch für das
homöopathische Medikament der Klägerin gelten. Besondere Prüfungsanforderungen
für die Untersuchung der Anwendung von Arzneimitteln bei Kindern ergeben sich
schließlich auch nicht aus der vom Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung
überreichten Bundestagsdrucksache 14/9544 vom 25.6.2002 betreffend den Antrag der
Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis'90/ Die Grünen und FDP "Medizinische
Versorgung von Kindern und Jugendlichen sichern und verbessern". Der in Absatz 2
Ziff. 7 der erstrebten Entschließung des Bundestags vorgesehene Prüfauftrag an die
Bundesregierung macht vielmehr deutlich, dass die für erforderlich gehaltenen
Bestimmungen im geltenden Recht noch nicht enthalten sind. Entsprechendes gilt auch
für den Hinweis der Beklagten auf die Bemühungen der "Kinderkommission" des
Expertengremiums Arzneimittel für Kinder und Jugendliche des Bundesinstitutes für
Arzneimittel.
72
Die Fragen bedürfen keiner weiteren Vertiefung. Denn selbst wenn das Arzneimittel für
eine Anwendung bei Kindern im Sinne des § 25 Abs. 2 Nr. 2 AMG nicht ausreichend
geprüft worden wäre, so könnte ein daraus resultierender Teilversagungsgrund
jedenfalls nicht durch die angefochtene Auflage ausgeräumt werden. Dies ergibt sich
schon daraus, dass die Anwendung bei Kindern unter 12 Jahren nicht vollständig
ausgeschlossen wird, sondern lediglich nicht erfolgen "soll", so dass es letzlich der
Entscheidung des behandelnden Arztes oder - da das Medikament nicht
verschreibungspflichtig ist - dem Sorgeberechtigten des minderjährigen Patienten
überlassen bleibt, ob das Arzneimittel trotz - hier unterstellter - unzureichender Prüfung
angewendet wird.
73
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO.
74
Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
75