Urteil des VG Köln vom 20.09.2010

VG Köln (aufschiebende wirkung, unternehmen, richtlinie, umsetzung, anschluss, netz, angemessene frist, öffentliches interesse, gemeinschaftsrechtskonforme auslegung, europäisches gemeinschaftsrecht)

Verwaltungsgericht Köln, 21 L 799/10
Datum:
20.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 L 799/10
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 wird in Bezug auf
Ziffer 1 des Tenors des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25. Januar
2010 bis zum 31.Dezember 2010 angeordnet, soweit der Antragstellerin
hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Call-by-Call) und
Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu
gewährleisten.
Der Antrag im Übrigen wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin zu 9/10 und die
Antragsgegnerin zu 1/10.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 25.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag,
2
1. die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 in Bezug auf Ziffer 1 des Tenors
des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25.01.2010 anzuordnen, soweit der
Antragstellerin hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Call-by-Call) und
Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu gewährleisten,
3
2. hilfsweise die aufschiebende Wirkung der Klage 21 K 1025/10 in Bezug auf Ziffer 1
des Tenors des Beschlusses BK 2 c 09/002- R vom 25.01.2010 bis zum 31.12.2010
anzuordnen, soweit der Antragstellerin hierin auferlegt wird, Betreiberauswahl (Call-by-
Call) und Betreibervorauswahl (Preselection) am All-IP- Anschluss zu gewährleisten,
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ist zulässig. Bezogen auf das unter Ziffer 1) mit ihm verfolgte Begehren ist der Antrag
aber nicht begründet (1). Hinsichtlich des hilfsweise mit Ziffer 2) verfolgten Begehrens ist
der Antrag begründet (2).
5
Nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 137 Abs. 1 TKG haben Widerspruch und Klage
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gegen telekommunikationsrechtliche Entscheidungen der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur -
BNetzA - keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen. Bei seiner
Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private
Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Das private Interesse überwiegt in der Regel dann,
wenn der Bescheid bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach-
und Rechtslage sich als offensichtlich rechtswidrig erweist, denn dann liegt dessen
sofortiger Vollzug nicht im öffentlichen Interesse. Dagegen überwiegt regelmäßig ein
öffentliches Interesse, wenn sich der Widerspruch/ die Klage wegen offensichtlicher
Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides als voraussichtlich aussichtslos erweist
und die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Lassen sich
die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
nicht sinnvoll abschätzen (etwa weil dort schwierige Rechtsfragen zu klären wären), ist
eine Abwägung zwischen dem privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung und
dem allgemeinen öffentlichen Interesse bzw. dem privaten Interesse sonstiger
Beteiligter am Vollzug vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung ist auch eine
gesetzgeberische Grundentscheidung (für den Ausschluss der aufschiebenden
Wirkung) in den Blick zu nehmen,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.04.1999 - 4 VR 18.98, 4 A 45.98 -, NVwZ-RR 1999, 554
(556); OVG NRW, Beschluss vom 24.02.1989 - 12 B 2166/88 -, NJW 1989, 2770 und
Beschluss vom 17.03.1994 - 15 B 3022/93 -, NVwZ-RR 1994, 617.
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Bei seiner Abwägung bleibt die gerichtliche Prüfung im Rahmen des vorliegenden
Verfahrens über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vornehmlich
auf solche Einwendungen beschränkt, die der Rechtsschutzsuchende geltend macht, es
sei denn, sonstige Mängel der angegriffenen Behördenentscheidung stellen sich bei
summarischer Prüfung als offensichtlich dar.
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(1) Bei der hier nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage
spricht Überwiegendes dafür, dass die unter Ziffer 1) der Regulierungsverfügung vom
25. Januar 2010 der Antragstellerin auferlegte Verpflichtung, ihren Teilnehmern bzw.
Teilnehmern der mit ihr verbundenen Unternehmen den Zugang zu den Diensten aller
unmittelbar zusammengeschalteten Anbieter von Telekommunikationsdiensten für die
Öffentlichkeit u.a. durch Betreiberauswahl (Call-by-Call) und Betreibervorauswahl
(Preselection) zu ermöglichen, auch insoweit rechtmäßig ist, als sie sich auf sog. "All-IP-
Anschlüsse" erstreckt. Insoweit geht die Interessenabwägung schon aus diesem Grunde
zu Lasten der Antragstellerin aus.
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Nach § 40 Abs. 1 TKG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 18.
Februar 2007 (BGBl. I. S.106) verpflichtet die Bundesnetzagentur Unternehmen, die bei
der Bereitstellung des Anschlusses an das öffentliche Telefonnetz und dessen Nutzung
an festen Standorten als Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht eingestuft wurden,
nach Maßgabe des Satzes 4 dieser Vorschrift dazu, ihren Teilnehmern den Zugang zu
den Diensten aller unmittelbar zusammengeschalteten Anbieter von
Telekommunikationsdiensten für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Nach Satz 2 dieser
Bestimmung geschieht dies sowohl durch Betreiberauswahl im Einzelwahlverfahren
durch Wählen einer Kennzahl (sog. Call-by-Call) als auch durch Betreibervorauswahl
(sog. Preselection), wobei jedoch bei jedem Anruf die Möglichkeit bestehen muss, die
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festgelegte Vorauswahl durch Wählen einer Betreiberkennzahl zu übergehen.
Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind vorliegend erfüllt. Die Antragstellerin ist
mit der Festlegung der Bundesnetzagentur vom 28. April 2009 auf dem hier
maßgeblichen bundesweiten Markt für den Zugang zu Privat- und Geschäftskunden
zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten (Markt 1) als Unternehmen mit
beträchtlicher Marktmacht eingestuft worden; die unter Ziffer 1 der
Regulierungsverfügung vom 25. Januar 2010 getroffene Regelung setzt die
Verpflichtung aus § 40 Abs. 1 TKG in für die Antragstellerin verbindlicher Form um. Dies
kann nicht schon deswegen als offensichtlich rechtswidrig angesehen werden, weil die
Bundesnetzagentur davon ausgegangen ist, dass ihr - wie sie ausdrücklich unter Ziffer 3
f der Begründung der Regulierungsverfügung ausgeführt hat - insoweit ein
Regulierungsermessen nicht zukommt. Nach dem Wortlaut von § 40 Abs. 1 TKG
"verpflichtet" die Bundesnetzagentur das marktmächtige Unternehmen zur
Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl, ohne dass ihr insoweit ein Ermessen
zukäme. Anders als bei der Entgeltgenehmigungsverpflichtung, deren Auferlegung nach
dem Wortlaut von § 30 Abs. 1 TKG gleichfalls eine gebundene Entscheidung darstellt,
gebietet vorliegend auch Europäisches Gemeinschaftsrecht keine
gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung dieser Bestimmung dahingehend, dass sie
ungeachtet ihres Wortlauts Regulierungsermessen eröffnet,
11
vgl. für § 30 Abs. 1 TKG: BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2009 - 6 C 39.07 -, MMR 2009,
786 - 790.
12
Mit § 40 TKG wird nämlich Art. 19 der Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und
Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten
(Universaldienstrichtlinie) umgesetzt, der hinsichtlich der Verpflichtung zur
Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl die Ausübung von Regulierungsermessen
nicht voraussetzte. Dass Art. 19 der Universaldienstrichtlinie inzwischen durch Artikel 1
Nr. 13 der Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.
November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und
Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzes und -diensten, der Richtlinie
2002/58/EG über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der
Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation und der Verordnung (EG) Nr.
2006/2004 über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz außer Kraft getreten ist,
führt hier voraussichtlich zu keinem anderen Ergebnis, da diese Richtlinie nach ihrem
Artikel 4 erst bis zum 25. Mai 2011 in nationales Recht umzusetzen ist und ihr schon
deswegen für den hier maßgeblichen Zeitpunkt der angegriffenen
Regulierungsverfügung keine die Auslegung von § 40 Abs. 1 TKG bestimmenden
Gesichtspunkte entnommen werden können.
13
Nach § 40 Abs. 1 TKG erstreckt sich die Verpflichtung zur Betreiberauswahl und
Betreibervorauswahl auf alle Anschlüsse an das öffentliche Telefonnetz und dessen
Nutzung an festen Standorten und damit sowohl auf Anschlüsse, die im (klassischen)
schmalbandigen PSTN- Netz realisiert werden als auch auf solche, die ausschließlich
im Breitbandnetz eingerichtet sind. Nach § 3 Nr. 16 TKG bezeichnet der Begriff
"öffentliches Telefonnetz" allgemein ein Telekommunikationsnetz, das zur
Bereitstellung des öffentlich zugänglichen Telefondienstes - das ist ein der Öffentlichkeit
zur Verfügung stehender Dienst für das Führen von Inlands- und Auslandsgesprächen
(Art. 3 Nr. 17 TKG) - genutzt wird. Auf die Frage, ob der Anschluss im schmalbandigen
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PSTN- Netz oder in einem Breitbandnetz realisiert wird, kommt es dabei nicht an.
Der Auffassung der Antragstellerin, § 40 Abs. 1 TKG erfasse nur schmalbandige
Anschlüsse, vermag das Gericht daher nicht beizutreten. Aus dem Erwägungsgrund 8
der Universaldienstrichtlinie in der Fassung vom 7. März 2002 kann die Antragstellerin
nichts für ihre Auffassung herleiten. Wenn dort ausgeführt wird, dass eine grundlegende
Anforderung an den Universaldienst darin besteht, den Nutzern auf Antrag einen
Anschluss an das öffentliche Telefonnetz an einem festen Standort zu einem
erschwinglichen Preis bereitzustellen und diese Anforderung auf einen einzelnen
"Schmalbandnetzanschluss" begrenzt ist, so kann daraus nicht gefolgert werden, dass
der Anwendungsbereich von Art. 19 der Richtlinie auf schmalbandige Anschlüsse
beschränkt sei. In Erwägungsgrund 8 sind lediglich die Mindestanforderungen an den
Universaldienst angesprochen, die im Kapitel II der Richtlinie konkretisiert werden und
deren Erfüllung die Mitgliedstaaten für alle Endnutzer sicherzustellen haben. Der
Erwägungsgrund ist damit ohne Aussagekraft für die in Kapitel III der Richtlinie
geregelten Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Unternehmen mit beträchtlicher
Marktmacht auf speziellen Märkten. In diesem Zusammenhang wird in Art. 16 Abs. 1 b)
der Richtlinie sogar ausdrücklich geregelt, dass die Mitgliedstaaten alle Verpflichtungen
für Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl nach der Richtlinie 97/33/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 über die
Zusammenschaltung in der Telekommunikation im Hinblick auf die Sicherstellung eines
Universaldienstes und der Interoperabilität durch Anwendung der Grundsätze für einen
offenen Netzzugang (ONP- Richtlinie) aufrecht erhalten. Auch der darauf gestützten
Verpflichtung zur freien Auswahl des Verbindungsnetzbetreibers in § 43 Abs. 6 TKG in
der Fassung vom 25. Juli 1996 - der Vorgängervorschrift des heute geltenden § 40 Abs.
1 TKG - lassen sich keine Hinweise dafür entnehmen, dass diese Verpflichtung nicht
allgemein, sondern nur beschränkt auf bestimmte technische Zugangsvarianten gültig
sein könnte.
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Auch aus dem Umstand, dass Art. 19 der Universaldienstrichtlinie mit Art. 1 Nr. 13 der
Richtlinie 2009/136/EG gestrichen worden ist, ergibt sich kein Anhaltspunkt für die
Rechtsauffassung der Antragstellerin. Wie sich aus dem Erwägungsgrund 20 der
genannten Richtlinie ergibt, erfolgte die Streichung vor dem Hintergrund einer
befürchteten Behinderung des technischen Fortschritts bei gemeinschaftsrechtlicher
Aufrechterhaltung der Verpflichtungen zur Betreiberauswahl und Betreibervorauswahl.
Um eine solche Behinderung zu vermeiden, sollen diese Verpflichtungen zukünftig
vielmehr aufgrund einer Marktanalyse im Rahmen des in §§ 9 ff TKG geregelten
Verfahrens auferlegt werden. Daraus lässt sich zwar ableiten, dass zukünftig von der
Auferlegung abgesehen werden kann, wenn anderenfalls technische Fortentwicklungen
der Netztechnologie behindert würden. Nicht daraus ableiten lässt sich hingegen, dass
der Anwendungsbereich von Art. 19 der Universaldienstrichtlinie in der Fassung vom 7.
März 2002 und § 40 Abs. 1 TKG von vornherein auf eine bestimmte Netztechnologie
beschränkt ist und diese Vorschrift auch dann keine Anwendung auf andere
Technologien findet, wenn eine Behinderung des technischen Fortschritts nicht zu
besorgen ist.
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Auch die Auffassung der Antragstellerin, dass andere als schmalbandige, von § 40 Abs.
1 TKG erfasste Zugangsvarianten, nicht dieser Bestimmung, sondern § 40 Abs. 2 TKG
unterfallen, teilt das Gericht nicht. Schon nach dem Wortlaut der genannten
Bestimmungen werden die Anwendungsbereiche von § 40 Abs. 1 TKG und § 40 Abs. 2
TKG nicht durch die Art der technischen Realisierung des Zugangs zu den Diensten der
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Zusammenschaltungspartner, sondern durch die Art der Unternehmen mit beträchtlicher
Marktmacht bzw. die betroffenen Märkte abgegrenzt. Während Absatz 1 Anwendung
findet auf "bei der Bereitstellung des Anschlusses an das öffentliche Telefonnetz oder
dessen Nutzung an festen Standorten" marktmächtige Unternehmen, erfasst Absatz 2
andere marktmächtige Unternehmen, also Betreiber anderer Netze als des Festnetzes.
Dies dient der Umsetzung von Art. 19 Abs. 2 der Universaldienstrichtlinie in der
Fassung vom 7. März 2002. Diese Bestimmung bezieht sich in gleicher Weise auf
"andere Netze" als die in Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie angesprochenen Festnetze,
insbesondere also auf Mobilfunknetze,
einhellige Auffassung, vgl. Stamm in Scheurle/Mayen: Telekommunikationsgesetz, 2
Aufl. 2008, § 40 Rdnr. 62 m.w.N,; Piepenbrock/Attendorn in Beck'scher TKG-
Kommentar, 3. Aufl., 2006, § 40 Rdnr. 34; Ellinghaus in Arndt/Fetzer:
Telekommuikationsgesetz, Kommentar, § 40 Rdnr. 29.
18
Wenn die Antragstellerin in diesem Zusammenhang ausführt, die seit der Einführung
von Call-by-Call und Preselection veränderten Marktverhältnisse, die sie vornehmlich
darin sieht, dass viele Verbindungsnetzbetreiber zugleich Anschlussnetzbetreiber seien
und dass wegen der zunehmend am Markt etablierten Paketangebote die im Call-by-
Call und Preselection generierten Umsätze kontinuierlich rückläufig seien, geböten eine
einschränkende Auslegung von § 40 Abs. 1 TKG dahingehend, dass die dort geregelten
Verpflichtungen nicht ohne weiteres auch auf neue Netztechnologien übertragen
werden könnten, ist dem entgegen zu halten, dass eine solche Auslegung angesichts
des klaren Wortlauts von § 40 Abs. 1 TKG ausscheidet. Es liegt insoweit am
Gesetzgeber zu entscheiden, ob auf geänderte Marktgegebenheiten durch eine
Lockerung von Regulierungsverpflichtungen auf Seiten marktmächtiger Unternehmen
reagiert werden kann und ggf. muss.
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Die Verfügung vom 25. Januar 2010 ist - im hier angegriffenen Umfang - auch nicht
deshalb offensichtlich rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin sich in ihrer Begründung
auf den Standpunkt gestellt hat, eine routerseitige Implementierung der Verpflichtung,
bei welcher der Nutzer einzelne Anbieter erst in ein Integrated Access Device
einprogrammieren müsse, um sie anschließend für einzelne Telefonate auswählen zu
können, genüge nicht den Anforderungen des § 40 Abs. 1 TKG (Seite 19 oben).
Unabhängig von der Frage, ob die Möglichkeit einer nutzerseitigen Implementierung im
Rahmen eines etwaigen Auswahlermessens hätte Berücksichtigung finden müssen
oder ob sie die Auferlegung der in Rede stehenden Verpflichtungen von vornherein
schon deswegen ausgeschlossen hätte, weil diese dann beim All-IP- Anschluss wegen
der Möglichkeit entsprechender Konfigurationen des bei diesem Anschluss zwingend
erforderlichen Routers nicht mehr erforderlich wären, ist die Annahme der
Antragsgegnerin jedenfalls der Sache nach aller Voraussicht nach zutreffend. Nach § 40
Abs. 1 TKG obliegt es dem marktmächtigen Unternehmen, seinen Teilnehmern Call-by-
Call und Preselection zu ermöglichen. Dies hat im Einzelwahlverfahren durch Wählen
einer Kennzahl bzw. durch - dauerhafte - Betreibervorauswahl zu geschehen. Die dafür
erforderlichen Voraussetzungen sind üblicherweise mangels entsprechender
Alternativen durch Implementierung der notwendigen Funktionalitäten im Netz zu
schaffen. Davon könnte - sofern technische Alternativen bestehen - allenfalls dann
abgesehen werden, wenn diese technischen Alternativen gegenüber der netzseitigen
Bereitstellung der Funktionen in jeder Beziehung gleichwertig wären. Dies ist
vorliegend aber auch auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin nicht der Fall.
Das folgt schon daraus, dass der Nutzer die Möglichkeiten der Betreiberauswahl und
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Betreibervorauswahl bei seinem Anschluss nicht bereits vorfindet, sondern diese erst
durch die Konfiguration eines entsprechend ausgestatteten Routers selbst schaffen
muss. Wenn er sich dieser Mühe nicht unterziehen will, wenn er zu diesen
Konfigurationsmaßnahmen in Ermangelung der notwendigen Kenntnisse oder
Informationen nicht selbst in der Lage ist, oder wenn diese Maßnahmen fehlschlagen,
kann er die Möglichkeit von Call-by-Call und Preselection, die nach § 40 Abs. 1 TKG
lediglich das Wählen einer Kennziffer bzw. die Abgabe einer entsprechenden Erklärung
gegenüber dem Netzbetreiber voraussetzt, nicht nutzen. In diesem Zusammenhang
erhält auch der Umstand Bedeutung, dass die von der Antragstellerin vorgelegte
Kurzanleitung zur nutzerseitigen Inbetriebnahme des All-IP- Anschlusses und zur
Routerkonfiguration (Anlage Ast. 3) ausdrückliche Hinweise auf die Möglichkeit von
Voreinstellungen für die Auswahl des Verbindungsnetzbetreibers nicht enthält, so dass
der Nutzer sich diese Informationen offenbar auch erst auf andere Weise beschaffen
muss.
Im Übrigen setzt die routerseitige Implementierung auch voraus, dass in den genutzten
Routern die entsprechenden Konfigurationsmöglichkeiten überhaupt implementiert sind.
Dies ist - so die Antragstellerin - bei den "derzeit am Markt erhältlichen" Routern zwar
der Fall; dennoch hinge die Nutzung von Call-by-Call und Preselection damit aber von
technischen Voraussetzungen ab, deren Bestand außerhalb des Einflussbereichs der
Antragstellerin liegt und den diese nicht gewährleisten kann.
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(2) Ob die angegriffene Regulierungsverfügung insoweit rechtswidrig ist als sie der
Antragstellerin keine angemessene Frist zur Umsetzung der Verpflichtung zur
Bereitstellung von Call-by-Call und Preselection am All-IP- Anschluss einräumt, ist
derzeit offen (a). Die demnach losgelöst von den Erfolgsaussichten der Klage 21 K
1025/10 vorzunehmende Interessenabwägung führt zu einem Überwiegen des
Interesses der Antragstellerin, von der Vollziehung vorübergehend - bis zum 31.
Dezember 2010 - verschont zu bleiben (b).
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(a) Die Frage, ob aus dem System der Auferlegung von Regulierungspflichten nach §§ 9
ff TKG und dem Umstand der Transparenz dieses Verfahrens sowie aus dem
Gesichtspunkt der sofortigen Vollziehbarkeit der Entscheidungen der
Bundesnetzagentur (§ 137 TKG) zu folgern ist, dass von vornherein keine bzw. nur
ausnahmsweise Implementierungsfristen für die Umsetzung von Regulierungspflichten
gewährt werden dürfen, ist offen. Dagegen spricht jedenfalls grundsätzlich, dass die
Ausübung des bei der Auferlegung diesbezüglicher Verpflichtungen der
Bundesnetzagentur eingeräumten umfassenden Regulierungsermessens statt eines
Absehens von Verpflichtungen auch deren zeitlich aufgeschobene Auferlegung
ermöglichen dürfte. Ob dies anders zu sehen ist, wenn - wie hier - die Auferlegung einer
Verpflichtung nicht im behördlichen Ermessen steht, bedarf ggf. der weiteren Klärung im
Hauptsacheverfahren.
23
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die netzseitige Realisierung von Call-by-
Call und Preselection technisch möglich ist. Die Antragsgegnerin hat sich in der
Begründung ihres Beschlusses überdies auf den Standpunkt gestellt, dass dafür eine
Umsetzungsfrist nicht erforderlich sei, weil die notwendigen technischen
Funktionalitäten im Netz bereits vorhanden seien, in der Schweiz die
Betreiber(vor)auswahl am All-IP- Anschluss ohne nennenswerten technischen Aufwand
realisiert worden sei und die Antragstellerin bereits seit Februar 2009 von der
bevorstehenden Verpflichtung Kenntnis gehabt habe und deshalb mit der Umsetzung
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bereits hätte beginnen können und müssen. Diese Annahmen begegnen aber nicht
unerheblichen Zweifeln.
Was die technischen Erfordernisse zur Umsetzung betrifft, so hat die Antragstellerin
unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten des öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen für Telekommunikation, Verbindungspreisberechnung
und Entgeltprüfung sowie für Systeme und Anwendungen der Informationsverarbeitung
Dr.- Ing. Ulrich Schwerhoff vom 19. März 2010 dargelegt, dass die netzseitige
Realisierung im Netz der Antragstellerin technische Modifikationen bzw. Erweiterungen
von Netzfunktionalitäten voraussetzt, deren Implementierung einen Zeitrahmen bis zum
Ende des laufenden Jahres erfordert. Der Gutachter hat dies in seinem Gutachten
nachvollziehbar und plausibel ausgeführt und begründet, ohne dass die
Antragsgegnerin dem nachfolgend substantiiert und mit durchgreifenden Argumenten
entgegen getreten wäre. Die Schlussfolgerungen des Gutachters beruhen maßgeblich
darauf, dass für die Umsetzung im All-IP- Netz auch eine Auswertung der Rufnummer
des A- Teilnehmers (rufender Teilnehmer) zwingend erforderlich ist und dass
zusätzliche Erweiterungen für die Unterstützung von CPS (Carrier Preselection), für das
Call- Processing für Sonderrufnummern, für die Unterstützung von Supplementary
Service (z.B. "Rückruf bei besetzt"), für die Erfüllung von Kundenschutzvorschriften
(Sperrung bestimmter Rufnummerngassen), für das Ignorieren von Call-by-Call und
Preselection bei Notrufen und Diensterufnummern sowie für die Leitweglenkung beim
Überlaufrouting geschaffen werden müssen. Den dafür erforderlichen zeitlichen
Aufwand hat der Gutachter unter Berücksichtigung der erforderlichen eigenen
Aktivitäten der Antragstellerin sowie der notwendigen Leistungen weiterer Unternehmen
(IBM) auch unter Berücksichtigung alternativer Realisierungskonzepte abgeschätzt und
ist dabei zum Ergebnis gekommen, dass das Angebot von Call-by-Call und Preselection
im All-IP- Netz nicht früher als zum 4. Quartal des laufenden Jahres verwirklicht werden
kann.
25
Soweit die Antragsgegnerin sich auf die in der Schweiz bei der Umsetzung
vergleichbarer Verpflichtungen gemachten Erfahrungen bezieht, führt der Gutachter
nachvollziehbar aus, dass die Umsetzung in der Schweiz deswegen weniger aufwändig
gewesen sei, weil zum einen dort die Betreibervorauswahl nicht Bestandteil der
Verpflichtung und zum anderen das Netz hinsichtlich der Übergabepunkte erheblich
kleiner sei und dort nicht zwischen Orts- und Fernverbindungen unterschieden werde.
Überdies - so der Gutachter - habe auch in der Schweiz die Umsetzung einen Zeitraum
vom 1. April 2007 bis Anfang 2008 in Anspruch genommen.
26
Naturgemäß ist es dem erkennenden Gericht im vorliegenden Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes nicht möglich, diese Feststellungen des Gutachters zur Erforderlichkeit
ergänzender netztechnischer Maßnahmen und zur Umsetzung vergleichbarer
Verpflichtungen in der Schweiz auf ihre sachliche Richtigkeit hin zu überprüfen.
Entscheidend fällt deswegen ins Gewicht, dass auch die Antragsgegnerin den
Feststellungen des Gutachters in ihrer Antragserwiderung nicht substantiiert entgegen
getreten ist. Insoweit ist es zwar richtig, dass das vorgelegte Gutachten beim Erlass des
angegriffenen Beschlusses noch keine Berücksichtigung hatte finden können, weil es
erst danach erstellt worden ist. Dies führt jedoch nicht dazu, dass das nachträglich
vorgelegte Gutachten ungeeignet wäre, die Annahmen der Antragsgegnerin über den
Umfang der für die Umsetzung notwendigen Maßnahmen und zur Übertragbarkeit der
bei der Umsetzung in der Schweiz gemachten Erfahrungen zu widerlegen.
27
Soweit die Antragsgegnerin das Erfordernis einer Umsetzungsfrist unter Hinweis darauf
verneint, dass die Antragstellerin seit Anfang 2009 mit einer entsprechenden
Verpflichtung hätte rechnen und daher mit Umsetzungsmaßnahmen bereits hätte
beginnen müssen, spricht zunächst Einiges für die Annahme der Antragstellerin, dass
kostenträchtige Umsetzungsmaßnahmen zur Erfüllung regulatorischer Verpflichtungen
grundsätzlich nicht schon vor dem Wirksamwerden dieser Verpflichtungen ergriffen
werden müssen. Ob und in welchem Umfang im Vorgriff auf zu erwartende
Verpflichtungen von dem der Regulierung unterworfenen Unternehmen ggf. zumutbare
Vorbereitungen getroffen werden müssen und ob dies auch vorliegend anzunehmen ist,
bedarf - bejahendenfalls - jedenfalls einer wertenden Betrachtung des erforderlichen
Vorbereitungsaufwands im Verhältnis zum Gesamtaufwand und unter Abwägung mit
den durch eine verzögerte Implementierung verbundenen Nachteilen für die betroffenen
Wettbewerbs- und Verbraucherinteressen einerseits und mit dem mit vorbereitenden
Umsetzungsmaßnahmen verbundenen Risiko für das betroffene Unternehmen
andererseits. Die Beantwortung dieser Frage ist hier naturgemäß offen. Zwar wird in
diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen sein, dass die Auferlegung der
Verpflichtungen aus § 40 Abs. 1 TKG nicht im Ermessen der Bundesnetzagentur steht,
sie nach dem Gesetzeswortlaut vielmehr "zwingend" ist. Gleichwohl handelt es sich
dabei nicht um eine gesetzesunmittelbare Handlungspflicht, weil diese Vorschrift
voraussetzt, dass die Bundesnetzagentur das marktmächtige Unternehmen
"verpflichtet".
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(b) Die bei dem demgemäß - hinsichtlich des Erfordernisses einer Umsetzungsfrist -
offenen Prozessausgang vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten der
Antragstellerin aus. Bliebe es bei der sofortigen Vollziehbarkeit, würde von ihr ein
Verhalten verlangt, dass ihr - jedenfalls nach dem von ihr vorgelegten Gutachten -
derzeit noch unmöglich ist. Sie wäre wegen dieses Sachverhalts dann möglicherweise
Vollziehungsmaßnahmen seitens der Antragsgegnerin und Schadenersatzansprüchen
von Verbindungsnetzbetreibern ausgesetzt. Letzteres hat sie durch die Vorlage eines
entsprechenden Schreibens eines Verbindungsnetzbetreibers auch glaubhaft gemacht.
Dem könnte sie - teilweise - nur dadurch entgehen, dass sie bis zur Erfüllung der ihr
durch die Regulierungsverfügung auferlegten Pflichten den Vertrieb von All-IP-
Anschlüssen einstellt. Soweit es bereits bestehende Vertragsverhältnisse betrifft, dürfte
ihr eine - sofortige - Kündigung unmöglich sein, so dass sie die drohenden Nachteile
nicht abwenden kann.
29
Demgegenüber wiegen die Beeinträchtigungen des öffentlichen Interesses weniger
schwer, wenn die Vollziehung noch bis zum Ende des laufenden Jahres - und damit nur
um wenig mehr als drei weitere Monate - ausgesetzt bleibt. Angesichts der auch von der
Antragsgegnerin zugestandenen verringerten wirtschaftlichen Bedeutung der
Betreiber(vor)auswahl - gemessen an ihrer Bedeutung zu Beginn der Liberalisierung
des Telekommunikationssektors -, angesichts des derzeit im Netz der Antragstellerin
noch geringen Umfangs der betroffenen All-IP- Anschlüsse am Gesamtbestand (die
Antragstellerin beziffert diesen unwidersprochen für Ende April 2010 auf %) und
weiterhin unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Inhaber dieser Anschlüsse
jedenfalls faktisch durch entsprechende Konfiguration ihrer Router auch derzeit bereits
Call-by-Call und Preselection an diesen Anschlüssen - etwa bei Verbindungen ins
Ausland oder in Mobilfunknetze - praktizieren können, dürfte das Interesse der Nutzer an
der sofortigen Implementierung nicht überragend hoch einzuschätzen sein.
Entsprechend erscheint gegenwärtig auch die wirtschaftliche Bedeutung für die
Zusammenschaltungspartner der Antragstellerin und die Bedeutung für die weitere
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Förderung des Wettbewerbs noch in einer Weise begrenzt zu sein, dass ein Aufschub
bis zum Jahresende in Abwägung mit den Interessen der Antragstellerin noch vertretbar
erscheint, zumal sich der von der Bereitstellung von Call-by-Call und Preselection am
All-IP- Anschluss ausgehende Wettbewerbsdruck in gewissen Grenzen auch einstellen
wird, wenn die Marktteilnehmer Gewissheit darüber haben, dass diese jedenfalls mit
Beginn des kommenden Jahres zu gewährleisten ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Das Obsiegen der
Antragstellerin hinsichtlich ihres Hilfsantrages bewertet das Gericht mit 1/10 der
wirtschaftlichen Bedeutung des gesamten Streitgegenstandes.
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Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist gemäß § 137 Abs. 3 Satz 1 TKG unanfechtbar.
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