Urteil des VG Köln vom 11.05.2009

VG Köln: malignes melanom, arzneimittel, auflage, behandlung, dosierung, vorbeugung, verdacht, anzeige, hauptsache, medizin

Verwaltungsgericht Köln, 7 K 444/06
Datum:
11.05.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 444/06
Tenor:
Das Verfahren wird hinsichtlich der Auflagen M6., M7., M8., M1., Q17.
und Q19. in den Nachzulassungsbescheiden vom 15.12.2005 und
16.12.2005 eingestellt.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der
Nachzulassungsbescheide des Bundesinstituts für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 15.12.2005 und 16.12.2005 über die
Nachzulassung von J. Qu 5 mg spezial und J. M 5 mg spezial betreffend
die versagten Teilindikationen "gutartige Geschwulsterkrankungen,
begleitende Störungen der blutbildenden Organe, Anregung der
Knochenmarkstätigkeit, bösartige Erkrankungen der blutbildenden
Organe, Interleukin-6-abhängig wachsende Tumore z.B. Hypernephrom
und malignes Melanom" verpflichtet, unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts insoweit über den
Nachzulassungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden,
Die Auflagen M3. und M4. in den Bescheiden der Beklagten betreffend
die angeordneten Angaben der Gegenanzeigen "bösartige Erkrankung
der blutbildenden Organe, Interleukin-6-abhängig wachsende Tumoren
z.B. Hypernephrom und malignes Melanom" in den Informationstexten
und die Auflage M10. werden aufgehoben. Die Beklagte wird unter
teilweiser Aufhebung der Auflage M1. in den Bescheiden verpflichtet, die
Formulierung "ist ein anthroposophisches Arzneimittel zur ergänzenden
Behandlung bei Tumorerkrankungen" zuzulassen. Die Kosten des
Verfahrens trägt die Beklagte. Die Kostenentscheidung ist gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des
Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Am 28.06.1978 zeigte die Klägerin die streitgegenständlichen Arzneimittel J. ® M und J.
® Qu nach Art. 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts
mit den arzneilich wirksamen Bestandteilen: Fermentierter wässriger Auszug (10%) aus
Viscum Mali (Apfelbaummistel) bzw. Viscum Quercus (Eichenmistel) nach spezieller
2
Herstellungsart und den Anwendungsgebieten Therapie maligner Erkrankungen;
präcanceröse Zustände; Anregung der körpereigenen Abwehr in der Darreichungsform
Injektionslösung an.
Mit Antrag vom 13.08.1985 zeigte die Klägerin eine Änderung der Anwendungsgebiete
in "Gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis z.B.:
Geschwulstkrankheiten, vorbeugend gegen Rückfälle nach Geschwulstoperationen,
Störungen der normalen Knochenmarkstätigkeit, bösartige Erkrankung der
blutbildenden Organe, definierte Präkanzerosen" für das Arzneimittel J. ® M an. Am
27.08.1988 zeigte sie eine Änderung der Nebenwirkungen an und legte den Text der
Packungsbeilagen für sämtliche J. Präparate vor, laut der die Anwendungsgebiete wie
in der 85-er Anzeige angegeben waren.
3
Die Klägerin reichte am 04.04.1990 den sog. Kurzantrag für die streitgegenständlichen
Arzneimittel ein, in dem als wirksame Bestandteile angegeben waren: Fermentierter
wässriger Auszug aus 50 mg Viscum album ssp. album (Apfelbaummistel) bzw. Viscum
album ssp. album (Eichenmistel) (Pflanze zu Auszug = 1:5). Als Anwendungsgebiete
waren angegeben: Gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis.
Dazu gehören: Bösartige und gutartige Geschwulstkrankheiten sowie bösartige
Erkrankungen und begleitende Störungen der blutbildenden Organe; Anregung der
Knochenmarkstätigkeit; Vorbeugung gegen Geschwulstrezidive; definierte
Präkanzerosen. Am 03.08.1990 reichte die Klägerin für die Präparate jeweils den
Langantrag ein, in dem die angezeigten Anwendungsgebiete und die arzneilich
wirksamen Bestandteile denen im Kurzantrag entsprachen. Die Klägerin nahm in ihrem
Antrag Bezug auf die Monographie zu Viscum album vom 04.06.1986 (BAnz.
04.06.1986).
4
Mit Schreiben vom 10.10.1991 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass der
Verlängerungsantrag nach Aktenlage von der für die Arzneimittel bestehenden fiktiven
Zulassung nicht in allen Punkten abgedeckt sei. Eine Änderungsanzeige zur
Anpassung der Anwendungsgebiete an die Aufbereitungsmonographie gemäß Art. 3 §
7 Abs. 3 a AMNG läge nicht vor und sei nachzureichen. Mit Schreiben vom 07.11.1991
wies die Klägerin darauf hin, dass der Verlängerungsantrag betreffend die Angaben der
Anwendungsgebiete dem Text der Monographie "Viscum album" der Kommission C
wörtlich angepasst worden sei und das Indikationsgebiet nicht erweitert worden sei. Sie
habe in analogen Fällen bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine zusätzliche
Änderungsanzeige auch deshalb entbehrlich sei, weil der Nachzulassungsantrag
konkludent als Änderungsanzeige zu betrachten sei.
5
Unter dem 20.01.1992 reichte die Klägerin für alle J. Präparate eine Änderungsanzeige
betreffend die Anwendungsgebiete ein und bezog sich dabei auf die Monographie
Viscum album vom 04.06.1986. Als Anwendungsgebiete wurden angegeben: Gemäß
der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis. Dazu gehören: Bösartige und
gutartige Geschwulstkrankheiten sowie bösartige Erkrankungen und begleitende
Störungen der blutbildenden Organe; Anregung der Knochenmarkstätigkeit;
Vorbeugung gegen Geschwulstrezidive; definierte Präkanzerosen.
6
Mit Schreiben vom 07.08.1992 wurde der Klägerin von der Beklagten Gelegenheit
gegeben, den in den Stellungnahmen formaler Teil/formale pharmazeutische Prüfung,
pharmazeutische Qualität und Klinik/Pharmakologie/Medizin genannten Mängeln
innerhalb von drei Jahren abzuhelfen. Ausführungen zu den Anwendungsgebieten
7
wurden in den Stellungnahmen nicht gemacht. Die Klägerin nahm zu den aufgeführten
Mängeln mit Schreiben vom 30.11.1994 Stellung und reichte neue
Verlängerungsanträge nebst neuer Dokumentation ein.
Nach Hinweis des Direktors des Instituts für physiologische Chemie, Prof. Gabius, auf
eine Werbeschrift der Klägerin stellte Dr. Wiebrecht in seinen für die Beklagte erstellten
fachlichen Gutachten vom 14.08.1995 fest, dass es sich bei den streitgegenständlichen
Präparaten offensichtlich um ein neue Arzneimittel mit Standarisierung des
Mistelextraktes auf die Gesamtlektine handele und aufgrund dessen eine Neuzulassung
erforderlich sei.
8
Mit Schreiben vom 12.09.1996 des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) wurde die Klägerin zur beabsichtigten Versagung der streitgegenständlichen
Arzneimittel angehört. Ihr wurde vorgehalten, aus ihrer Werbeschrift lasse sich die völlig
neue Einstellung des Präparates auf einen definierten Gesamtlektingehalt entnehmen.
Die Klägerin habe demnach ein neues Arzneimittel entwickelt, da der
Gesamtlektingehalt standardisiert sei. Da eine Änderung des fiktiv zugelassenen
Arzneimittels nach § 105 Abs. 3 a Nr. 1 bis 5 AMG nicht möglich sei, sei für J. M/Qu 5 mg
spezial eine Neuzulassung erforderlich. Die Klägerin wies den Vorwurf der
unzulässigen Änderung zurück. Es handele sich bei J. M/Qu 5 mg spezial in der
Herstellung um ein "normales" J. , bei dem fermentierter Sommer- und Wintersaft in
typischer Weise miteinander vereint werde. Man habe von der in der Zwischenzeit
gegebenen Möglichkeit, die Lektine zu bestimmen, Gebrauch gemacht und halte diese
durch Mischung nativer Säfte in engeren Grenzen.
9
Mit Mängelschreiben vom 03.03.2004 gab die Beklagte der Klägerin Gelegenheit, den
Mängeln, die in der formal pharmazeutischen Stellungnahme, der Stellungnahme zur
Qualität sowie der Stellungnahme zur Toxikologie/Klinik und Pharmakologie genannt
worden waren, innerhalb von 12 Monaten abzuhelfen. In der medizinischen
Stellungnahme wurde u. a. ausgeführt, die Standardisierung eines fermentierten
Presssaftes auf Mistellektine entspreche nicht den Wirkstoffen, die Gegenstand der
Bewertung durch die Monographie gewesen seien. Die Standardisierung sei der
anthroposophischen Therapierichtung insgesamt fremd, da der Gesamtextrakt als
arzneilich wirksam gelte.
10
Die therapeutische Wirksamkeit sei nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen
Erkenntnisse unzureichend begründet, da ein Monographiebezug im Hinblick auf die
Standardisierung der Mistelzubereitung nicht möglich sei. Der Gutachter habe sich zum
Beleg der Wirksamkeit nur auf die Daten der anderen J. Präparate bezogen, ohne die
Übertragbarkeit dieser Daten zu diskutieren.
11
Von den beantragten Anwendungsgebieten seien die Indikationen "gutartige
Geschwulsterkrankungen, die begleitenden Störungen der blutbildenden Organe, die
Anregung der Knochenmarkstätigkeit, die Vorbeugung der Geschwulstrezidive" zu
versagen, da sie über die 1978 angezeigten Anwendungsgebiete "Therapie maligner
Erkrankungen, präkanzeröse Zustände; Anregung der körpereigenen Abwehr"
hinausgingen und somit der Anwendungsbereich von 1978 verlassen worden sei.
12
Es bestünden Anhaltspunkte für Risiken bei der Anwendung der streitgegenständlichen
Präparate. Es seien wiederholt (kurzfristige) immunsuppressive Effekte unter hohen
Misteldosen beobachtet worden. Es lägen invitro Ergebnisse und Tierversuche vor, die
13
auf einen möglichen Tumorenhancement-Effekt hindeuteten. Aus den in-vivo und in-
vitro Untersuchungen könne für hämatologische Systemerkrankungen ein Risiko
abgeleitet werden, so dass auch anerkannte Experten bei einer hämatologischen
Systemerkrankung von der Therapie mit Mistelextrakten abrieten. Die "bösartigen
Erkrankungen der blutbildenden Organe" seien auch unter Gegenanzeigen
aufzunehmen, da die mögliche Tumorpromotion durch Mistelzubereitungen nicht
auszuschließen sei. Bei den immunogenen Tumoren wie Hypernephrom und malignem
Melanom bestehe das Risiko eines Tumorenhancements durch die IL-6 abhängige
Wachstumsdynamik. Es seien wiederholt (kurzfristige) immunsuppressive Effekte unter
hohen Misteldosen beobachtet worden. Systematische Untersuchungen zur
Immunsuppression lägen zur Zeit nicht vor.
Die Klägerin nahm mit Schreiben vom 02.03.2005 zu den angeführten Mängeln Stellung
und reichte Verlängerungsanträge ein, in denen als Anwendungsgebiete angegeben
waren: Gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis. Dazu
gehören: Anregung von Form- und Integrationskräften zur Auflösung und
Wiedereingliederung verselbständigter Wachstumsprozesse, z.B. bösartige und
gutartige Geschwulstkrankheiten; bösartige Erkrankungen und begleitende Störungen
der blutbildenden Organe; Anregung der Knochenmarkstätigkeit; Vorbeugung gegen
Geschwulstrezidive; definierte Präkanzerosen.
14
Zur Frage der Identität des arzneilich wirksamen Bestandteils führte die Klägerin u. a.
aus, sie habe die Menge des arzneilich wirksamen Bestandteils reduziert, um in der
Reihe der J. Arzneimittel zur besseren Handhabung des Dosierungsschemas eine
weitere Stärke zu erhalten. Durch die Reduzierung der Menge des arzneilich wirksamen
Bestandteils sei jedoch aus pharmazeutischer Sicht gleichzeitig eine neue
Quantifizierung erforderlich gewesen. Es handele sich um einen quantifizierten Extrakt
entsprechend der Monographie Extrakte des Europäischen Arzneibuches. Die
Quantifizierung auf Gesamtmistellektine als "Leitsubstanz" bedeute die Form der
Quantifizierung der Herstellung, jedoch keine Änderung der Identität des
Mistelextraktes.
15
In einer internen Stellungnahme des BfArM wurde hierzu u. a. ausgeführt, dass im Falle
eines quantifizierten Extraktes ein Bezug auf die Monographie möglich sei, solange die
Quantifizierung nicht deklariert werde.
16
Mit Bescheid vom 15.12.2005 betreffend J. Qu 5 mg spezial und vom 16.12.2005
betreffend J. M 5 mg spezial erteilte das BfArM der Klägerin die
Zulassungsverlängerung für die Anwendungsgebiete "Gemäß der anthroposophischen
Menschen- und Naturerkenntnis. Dazu gehören: Anregung von Form- und
Integrationskräften zur Auflösung und Wiedereingliederung verselbständigter
Wachstumsprozesse, z.B.:
17
- bösartige Geschwulsterkrankung
18
- definierte Präkanzerosen"
19
Die weiteren beantragten Anwendungsgebiete "gutartige Geschwulsterkrankungen, die
begleitenden Störungen der blutbildenden Organe, die Anregung der
Knochenmarkstätigkeit, die Vorbeugung der Geschwulstrezidive" wurden mit der
Auflage M2 versagt, da sie über die 1978 angezeigten Anwendungsgebiete
20
hinausgingen und somit der damals angezeigte Anwendungsbereich verlassen worden
sei. Die Wirksamkeit der Misteltherapie in diesen Anwendungsgebieten sei nicht belegt.
Die Verlängerung der Zulassung des Teilanwendungsgebiets "bösartige Erkrankungen
der blutbildenden Organe" werde versagt, da für parenterale Mistelzubereitungen bei
diesem bisher zugelassenen Anwendungsgebiet zwischenzeitlich begründete
Anhaltspunkte für ein mögliches Arzneimittelrisiko infolge eines Tumorenhancements
bestünden und keine Unterlagen eingereicht worden seien zum Beleg, dass das
Arzneimittel für dieses Anwendungsgebiet nach dem gegenwärtigen gesicherten Stand
der wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreichend geprüft worden sei. Wegen der
bislang ungeklärten Relevanz der Wachstumsfaktoren und der fehlenden
systematischen Untersuchungen zum Tumorenhancement bei Leukämien und
Lymphonen bestehe die Notwendigkeit weiterführender klinischer Untersuchungen,
ohne die eine Anwendung von Mistelextrakten bei hämatologischen
Systemerkrankungen und Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren derzeit nicht
vertretbar sei. Im Hinblick darauf wurde in der Auflage M3. unter Gegenanzeigen in der
Fachinformation und M4. unter Gegenanzeigen in der Gebrauchsinformation bestimmt:
"Darf nicht angewendet werden bei ... - Bösartigen Erkrankungen der blutbildenden
Organe, - Interleukin-6- abhängig wachsenden Tumoren z.B. Hypernephrom und
malignem Melanom". In der Auflage M6. wurde eine geänderte Dosierung bestimmt. In
der Auflage M7. sah die Beklagte unter "Nebenwirkungen" u. a. vor: "Übermäßige lokale
Reaktionen lassen sich durch Verdünnung des Ampulleninhaltes mit physiologischer
Kochsalzlösung mindern." In der Auflage M8. bestimmte die Beklagte, dass der Text
über Notfallmaßnahmen entsprechend den Formulierungen der Fachinformation Viscum
album vom 17.02.1993 in die Fachinformation aufzunehmen sei. In Auflage M10.
ordnete die Beklagte wegen fehlender Erkenntnisse über die Auswirkungen des
Arzneimittels bei einer Dosierung von mehr als 1 mg Mistel pro Anwendungstag an,
Untersuchungen als Beleg der Unbedenklichkeit des Arzneimittels in der beantragten
Dosierung durchzuführen.
Die Bescheide wurden der Klägerin am 19.12.2005 bzw. 21.12.2005 zugestellt. Mit
Änderungsbescheiden vom 28.12.2005 und 04.01.2006 wurde der Wortlaut der
Auflagen M4. und M5. geändert.
21
Die Klägerin hat am 18.01.2006 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die in den
Bescheiden verfügte Teilversagung der beantragten Indikationen sowie die
Gegenanzeigen in den Auflagen M3. und M4. - bösartigen Erkrankungen der
blutbildenden Organe - Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren, z.B.
Hypernephrom und malignem Melanom, wendet und begehrt, die in den angefochtenen
Bescheiden aufgeführten Auflagen M6., M7., M8., M10. und M11. aufzuheben bzw. zu
ändern sowie die Auflage M1. betreffend die Angabe in der Gebrauchsinformation zu
ändern in: "/.../ ist ein anthroposophisches Arzneimittel zur ergänzenden Behandlung bei
Krebserkrankungen". Hinsichtlich der Auflagen Q17. im Bescheid zu J. M5 mg spezial
und Q 19. im Bescheid zu J. Qu 5 mg spezial begehrt die Klägerin, die Frist zur
Auflagenerfüllung zu verlängern.
22
Die Klägerin hat das Verfahren hinsichtlich der Auflagen Q17. bzw. Q19. am 14.11.2007
nach Erfüllung dieser Auflagen in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat
die Auflage Q17. am 15.01.2009 und die Auflage Q19. in der mündlichen Verhandlung
in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das Verfahren hinsichtlich der Auflage M11. ist
von den Beteiligten am 18.03.2009 bzw. 21.04.2009 in der Hauptsache für erledigt
erklärt worden im Hinblick darauf, dass die Klägerin sich in der Klagebegründung zur
23
Streichung der Desensibilisierungsanleitung bereit erklärt hat. Hinsichtlich der Auflage
M6. hat die Klägerin erklärt, den Anordnungen der Beklagten insoweit zu folgen.
Hinsichtlich der Auflage M8. haben sich die Beteiligten auf einen von der Klägerin
vorgeschlagenen Text zu den Notfallmaßnahmen geeinigt. Hinsichtlich des
angefochtenen Teils von Auflage M7. haben sich die Beteiligten in der mündlichen
Verhandlung auf einen Text betreffend die Dosierung bei übermäßigen lokalen
Reaktionen der Mistelpräparate geeinigt. Die Beteiligten haben daraufhin die Klage
gegen die Auflagen M6., M7. und M8. in der mündlichen Verhandlung für erledigt erklärt.
Die Klägerin trägt zur Klagebegründung vor: Die angefochtenen Bescheide seien ohne
die nach § 25 Abs. 7 Satz 4 AMG erforderliche Anhörung der zuständigen Kommission
für anthroposophische Arzneimittel - Kommission C - ergangen und wegen dieses
gravierenden Verfahrensfehlers rechtswidrig und aufzuheben. § 25 Abs. 7 Satz 4 AMG
verlange die Beteiligung der Kommission im Nachzulassungsverfahren bei Fragen von
grundsätzlicher Bedeutung. Die Frage, ob die Misteltherapie das Wachstum von
Tumoren fördere anstatt diese zu behandeln, sei von grundsätzlicher Bedeutung und
erfordere eine Entscheidung der Kommission. Die grundsätzliche Bedeutung dieser
Frage zeige sich auch darin, dass die Beklagte in 60 anderen vergleichbaren Fällen den
Anträgen der pharmazeutischen Unternehmen und auch der Klägerin stattgegeben
habe. Eine Abkehr von dieser etablierten Verwaltungspraxis stelle eine grundsätzliche
Bedeutung dar. Die Tatsache, dass die Beklagte im Rahmen der anstehenden
Verlängerung der Zulassung von nunmehr insgesamt 61 Präparaten beabsichtige, die
Zulassung zu versagen, zeige ebenfalls, dass die Entscheidung von grundsätzlicher
Bedeutung sei. Soweit die Beklagte meine, im Rahmen des Nachzulassungsverfahrens
von der Monographie und damit von der publizierten Bewertung der Misteltherapie
durch die Kommission C abweichen zu müssen, sei dies für die anthroposophische
Medizin von sehr grundsätzlicher Bedeutung, zumal die Misteltherapie das zentrale
Anwendungsgebiet in der anthroposophischen Therapierichtung darstelle. Die
Beteiligung der Kommission C mit ihrem besonderen Sachverstand für die
anthroposophischen Arzneimittel sei daher zwingend gewesen. Die Berücksichtigung
des besonderen Sachverstandes der anthroposophischen Medizin durch die
Kommission C diene nicht nur dem Schutz der Ärzte und Patienten, sondern auch der
Unternehmen, die sich dieser Medizin verpflichtet fühlten. Der Sachverstand der
zuständigen Kommission solle gewährleisten, dass die Bundesoberbehörde die
anthroposophischen Prinzipien nicht verfälsche und willkürlich entscheide. Die
unterlassene Anhörung der Kommission C verletze daher auch die Klägerin in ihren
subjektiv-öffentlichen Rechten. Die fehlende Beteiligung der Kommission C stelle einen
gravierenden Verfahrensmangel dar, der nicht nach § 45 Verwaltungsverfahrensgesetz
heilbar sei und daher zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führe.
24
Die Beklagte habe zu Unrecht einen Teil der beantragten Indikationen mit der
Begründung versagt, diese gingen über die 1978 angezeigten Anwendungsgebiete
hinaus. Die Klägerin habe nämlich nach längerer Korrespondenz mit der Beklagten eine
Änderungsanzeige am 21.01.1992 eingereicht, die die beanspruchte
Indikationserweiterung angezeigt habe. Zur Begründung habe sie auf die positive
Aufbereitungsmonographie der Kommission C verwiesen. Dieser Anzeige habe die
Aufforderung des früheren Bundesgesundheitsamtes vom 14.01.1992
zugrundegelegen. In diesem Schreiben habe die Beklagte ausdrücklich die Auffassung
vertreten, dass eine Erweiterung der Indikation in Anpassung an die hier maßgebliche
Aufbereitungsmonographie für J. im Wege der Änderungsanzeige möglich sei. Die
Änderungsanzeige der Klägerin aus dem Jahre 1992 sei nach der damals
25
maßgeblichen Vorschrift in Art. 3 § 7 Abs. 3 a AMNG i.d.F. der 4. AMNG-Novelle zu
bewerten. Die Beklagte habe die Ausnahmevorschrift für Änderungen im Rahmen der
Monographieanpassung nicht beachtet. Die von der Klägerin angezeigte Erweiterung
bewege sich im Rahmen der Aufbereitungsmonographie vom 17.02.1986
(Bundesanzeiger vom 04.06.1986), welche von der sachkundigen anthroposophischen
Expertenkommission aufgestellt worden sei. Die Indikationen bewegten sich aber auch
innerhalb des bisherigen Anwendungsbereiches. Im Jahre 1978 habe die Klägerin als
Anwendungsgebiet beantragt: "Therapie maligner Erkrankungen, präkanzeröse
Zustände, Anregung der körpereigenen Abwehr". Bei der Beurteilung der Frage, ob die
neue Indikation noch demselben Anwendungsbereich zuzuordnen sei, sei die 6.
Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes vom 23.10.1990 zugrunde zu legen.
Die am 21.01.1992 angezeigten Indikationen stellten im Übrigen eine Konkretisierung
der früher zugelassenen Anwendungsgebiete dar. Dies sei auch plausibel aus der
Genese der Aufbereitungsmonographie. Die Experten der anthroposophischen
Kommission hätten sich auf der Grundlage der bis dahin gewonnenen therapeutischen
Erfahrungen mit dem Erkenntnisstand zur Wirksamkeit auseinandergesetzt und die
früher noch sehr generell gefassten Indikationen auf der Grundlage der gewonnenen
Erkenntnisse weiter konkretisiert. Die Aufbereitungsmonographie sei gerade im Hinblick
auf das Hauptprodukt J. und dessen Wirksamkeit bewertet und festgelegt worden. Mit
der Änderungsanzeige von 1992 seien die Indikationen für die Arzneimittel J. M/Qu 5
mg spezial rechtswirksam an die Aufbereitungsmonographie angepasst worden.
Letztendlich habe das Ministerium für Gesundheit in einem an das
Bundesgesundheitsamt adressierten Schreiben vom 14.12.1992, welches wegen seiner
grundsätzlichen Bedeutung über die Verbände kommuniziert worden sei, sich
dahingehend geäußert, dass anthroposophische Arzneimittel auf der Grundlage der
erarbeiteten Aufbereitungsmonographien mit den darin zugestandenen Indikationen in
das Nachzulassungsverfahren eingezogen werden könnten und kein
Neuzulassungsverfahren durchzuführen sei.
Die Klägerin habe einen Anspruch auf Verlängerung der Zulassung in den beantragten
Teilindikationen, da diese der gültigen Aufbereitungsmonographie der Kommission C
entsprächen. Die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Präparate sei durch die
Aufbereitungsmonographie belegt. Die Versagung der Teilindikationen "bösartige
Erkrankungen und begleitende Störungen der blutbildenden Organe" und "Anregung
der Knochenmarkstätigkeit" wegen einer ungünstigen Nutzen-Risiko- Relation sei
rechtswidrig, da ein begründeter Verdacht wegen des Vorliegens eines
Tumorenhancements nicht gegeben sei.
26
Die Anordnung von Kontraindikationen "bösartige Erkrankungen der blutbildenden
Organe, Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren z.B. Hypernephrom und
malignes Melanom" in den Auflagen M3. und M4. sei rechtswidrig. Da die Indikation
durch die Aufbereitungsmonographie belegt sei und anhand der vorhandenen
wissenschaftlichen Erkenntnisse kein Risiko erkennbar sei, liege insgesamt ein
positives Nutzen-Risiko-Verhältnis vor, so dass die Teilversagungen und
Kontraindikationen wissenschaftlich und rechtlich nicht haltbar seien.
27
Die Auflage M1. sei aufzuheben, da die Kennzeichnung der Stoff- und
Indikationsgruppe durch den Zusatz "zur begleitenden Behandlung" bei
Krebserkrankungen in der anthroposophischen Misteltherapie unzutreffend sei. Bei der
Misteltherapie mit J. handele es sich um eine "komplementäre" also "ergänzende"
Behandlungsmöglichkeit bei Krebserkrankungen. Die "ergänzende Behandlung" sei
28
völlig unmissverständlich Teil eines Gesamtbehandlungskonzepts. Die von der
Beklagten vorgenommene Anordnung der "begleitenden Behandlung" entspreche nicht
dem Behandlungskonzept von J. in der Misteltherapie. J. werde zwar von Patienten
zusammen oder gleichzeitig mit schulmedizinischen Maßnahmen (z.B. Chemotherapie)
angewendet. Nach den maßgeblichen Erfahrungen des Herstellers werde das Präparat
aber noch häufiger nach erfolgter bzw. abgeschlossener schulmedizinischer
Behandlung verabreicht, insbesondere dann, wenn diese wegen Nebenwirkungen
und/oder ungenügender Wirksamkeit nicht fortgesetzt werden könne. Von einer
"Begleitung" der schulmedizinischen Behandlung könne also keineswegs als alleiniger
Indikation gesprochen werden. Die Begriffe ergänzend bzw. komplementär vermittelten
die therapeutische Absicht aus diesem Grunde zutreffender.
Die Forderung der Beklagten in Auflage M10., eine nicht-interventionelle Untersuchung
zur "Sammlung von Erkenntnissen über die Auswirkungen des Arzneimittels bei einer
Dosierung von mehr als 1 mg Mistel pro Anwendungstag auf geeignete Parameter des
humoralen und zellulären Immunsystems" durchzuführen, sei rechtswidrig. Für diese
Auflage gebe es keinerlei Grundlage. Die Forderung nach Durchführung einer Studie
sei auch nicht nachvollziehbar, da durch diese Studie der zugelassene Dosisbereich
überprüft werden solle. Die beauflagten Texte für die Fach- und Gebrauchsinformation
sähen in der Erhaltungsphase eine Tagesdosis von 1 Ampulle J. M/Qu 5 mg spezial
(also 1 ml, entsprechend 5 mg Misteldroge) sowie, je nach Krankheitsverlauf, eine
Steigerung bis zu 2 Ampullen (also 2 ml entsprechend 10 mg Misteldroge) vor. Die
Beklagte vermute, dass höhere Misteldosen immunsupprimierend wirken könnten, und
setze, gewissermaßen als sicheren Grenzwert, eine Misteldosis von "1 mg Mistel pro
Anwendungstag" fest. Die Begründung hierfür sei jedoch nicht nachvollziehbar.
Vielmehr sei festzuhalten, dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine
immunsupprimierende Wirkung von J. oder anderen Mistelextrakten gebe und die von
der Beklagten angeführte Grenzdosis von "1 mg Mistel pro Anwendungstag" völlig
unplausibel sei. Die Forderung einer nicht-interventionellen Studie durch die Beklagte
sei unbegründet.
29
Die Klägerin beantragt,
30
1. die Bescheide der Beklagten vom 15. und 16. Dezember 2005 über die
Nachzulassung von J. Qu 5 mg spezial und J. M 5 mg spezial insoweit aufzuheben, als
die Teilindikationen "gutartige Geschwulsterkrankungen, begleitende Störungen der
blutbildenden Organe, Anregung der Knochenmarkstätigkeit, bösartige Erkrankungen
der blutbildenden Organe, Interleukin-6-abhängig wachsende Tumore z.B.
Hypernephrom und malignes Melanom" versagt wurden, und die Beklagte zu
verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts insoweit über den
Nachzulassungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden,
31
2. die Auflagen M3., M4. in den Bescheiden der Beklagten betreffend die angeordnete
Angabe der Gegenanzeigen "bösartige Erkrankung der blutbildenden Organe,
Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren z.B. Hypernephrom und malignes
Melanom" aufzuheben,
32
3. die Auflage M10. in den Bescheiden der Beklagten aufzuheben,
33
4. die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Auflage M1. in den Bescheiden der
Beklagten zu verpflichten, die Formulierung "ist ein anthroposophisches Arzneimittel zur
34
ergänzenden Behandlung bei Tumorerkrankungen" zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
35
die Klage abzuweisen.
36
Die Beklagte trägt zur Klageerwiderung vor: Die Versagung der Teilindikationen sei zu
Recht erfolgt, da die Klägerin mit der Änderungsanzeige vom 21.01.1992 eine
Ergänzung der Anwendungsgebiete über die 78er Anzeige hinaus in unzulässiger
Weise vorgenommen habe. Die Voraussetzungen des Art. 3 § 7 Abs. 3 a Nr. 2 AMNG
seien nicht erfüllt, da die Klägerin mit der Ergänzung der streitgegenständlichen
Indikationen nicht innerhalb der bisherigen, der 78er-Anzeige entsprechenden
Anwendungsbereiche geblieben sei. Weder ließe sich die Teilindikation "gutartige
Geschwulsterkrankungen" unter die ursprünglich anzeigten "präkanzerösen Zustände"
unterordnen noch könnten die Indikationen "Anregung der Knochenmarkstätigkeit" und
"Vorbeugung gegen Geschwulstrezidive" unter die 1978 angezeigte Indikation
"Anregung der körpereigenen Abwehr" gefasst werden. Die Klägerin könne aus dem
Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums vom 14.12.1992, wonach
anthroposophische Arzneimittel auf der Grundlage der Aufbereitungsmonographien der
Kommission C in das Nachzulassungsverfahren einzubeziehen seien, keinen
Vertrauensschutz herleiten, da mit diesem Schreiben die anthroposophischen
Arzneimittel lediglich grundsätzlich der Möglichkeit einer Nachzulassung zugeführt
werden sollten. Über die gesetzlichen Rahmenbedingungen für eine nachträgliche
Änderung oder Ergänzung der ursprünglich angezeigten Indikationen könne sich dieses
Schreiben nicht hinwegsetzen. Im Übrigen reichten die vorgelegten Unterlagen zum
Beleg der Wirksamkeit und Sicherheit von J. M/Qu 5 mg spezial nicht aus.
37
Die Teilanwendungsgebiete "bösartige Erkrankungen der blutbildenden Organe,
Interleukin-6-abhängige Tumore" sowie "Anregung der Knochenmarkstätigkeit" seien im
Übrigen wegen einer ungünstigen Nutzen-Risiko-Relation zu versagen. Es bestehe bei
diesen Anwendungsgebieten der begründete Verdacht eines Tumorenhancements in
der Misteltherapie, der weitere klinische Untersuchungen erforderlich mache.
38
Die Nichtanhörung der Kommission C stelle keinen Verstoß gegen § 25 Abs. 7 Satz 4
AMG dar. Auf eine Beteiligung der Kommission C habe die Beklagte verzichten können,
da aufgrund der eindeutigen Rechtslage - nämlich Überschreitung des 1978
angezeigten Anwendungsbereichs mit den versagten Teilindikationen - eine
Teilversagung der strittigen Anwendungsgebiete unumgänglich gewesen sei. Eine
Beteiligung der Kommission C hätte in diesem Fall keinen anderen Ausgang der
Entscheidung herbeiführen können. Die Beurteilung der Anwendung von
Mistelextrakten bei den Indikationen "bösartige Erkrankungen und begleitende
Störungen der blutbildenden Organe" sei aber auch im Rahmen der 7. und 8. Sitzung
der Kommission C erfolgt. Dies gelte ebenfalls für die Erörterung der Frage der
Tumorpromotion und Immunsuppression. Die Kommission C stehe der Haltung der
Beklagten zum Verdacht der Tumorpromotion zwar kritisch gegenüber, sie sei aber
hinsichtlich der Frage der Tumorpromotion durch Mistelextrakte nicht entschieden
anderer Auffassung als das BfArM. Im Übrigen sei zweifelhaft, ob die Beteiligung der
Kommission C subjektive Rechte der Klägerin begründe. Nach Auffassung der
Beklagten habe sich das BfArM des besonderen Sachverstands der Kommission im
Hinblick auf die Anwendung des objektiven Rechts zu bedienen, ohne dass hierdurch
besondere formelle und materielle Rechte der Klägerin betroffen seien.
39
Die Klägerin habe weder im Rahmen des behördlichen Verfahrens noch mit der
Klagebegründung die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihres Präparates in Bezug auf
die beanspruchten Anwendungsgebiete hinreichend belegt. Ein Beleg der Wirksamkeit
von Anwendungsgebieten durch Bezugnahme auf eine Aufbereitungsmonographie
könne nur im Rahmen der 1978 angezeigten Indikationen erfolgen. Die Klägerin sei mit
ihren erst im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen zum Beleg der Wirksamkeit der
klägerischen Präparate in den fraglichen Anwendungsgebieten gemäß § 105 Abs. 5
Satz 3 AMG präkludiert.
40
Ein weiterer Grund für die Teilversagung der streitgegenständlichen Indikationen sei die
mögliche Tumorstimulation durch die streitgegenständlichen Präparate. Hier bestehe
aufgrund der in-vitro bzw. in-vivo Untersuchungen sowie des von Hagenah et al.
dokumentierten Falles ein begründeter Verdacht der Beklagten hinsichtlich des Risikos
eines Tumorenhancements. Die Beklagte sei für das Vorliegen schädlicher Wirkungen
nicht darlegungs- und beweispflichtig. Ihr obliege es lediglich, das Bestehen eines
begründeten Verdachts festzustellen, wobei an die Wahrscheinlichkeit und das Maß der
erforderlichen Konkretisierung um so geringere Anforderungen zu stellen seien, je
schwerer der mögliche Schaden wiege. Es sei sodann Aufgabe des pharmazeutischen
Unternehmers, einen solchermaßen begründeten Verdacht zu entkräften. Insoweit habe
er nach § 29 Abs. 1 a Satz 2 AMG auch alle Angaben und Unterlagen vorzulegen, die
belegten, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis weiterhin günstig sei. Eine aussagekräftige
Nutzen-Risiko- Bewertung könne nur erfolgen, wenn Daten zur Unbedenklichkeit nach
den Wirtsbäumen der Mistel getrennt vorgelegt würden, aus denen sich unter
Berücksichtigung der Tumorarten und -stadien, Hormonstaten, onkologischer Therapie
und Verläufen in der Bewertung kein Risiko ergebe. Entsprechende Untersuchungen
habe die Klägerin hingegen nicht durchgeführt und damit den begründeten Verdacht
einer Tumorpromotion nicht entkräftet.
41
Die Aufnahme der Indikationen "bösartige Erkrankungen der blutbildenden Organe,
Interleukin-6-abhängig wachsende Tumore, z.B. Hypernephrom und malignes
Melanom" in die Auflage M3. und M4. unter Gegenanzeigen sei zwingend erforderlich,
da aus dem Wegfall der entsprechenden Indikation für den Anwender die aufgrund der
Risikobedenken bestehende Einschränkung der Anwendung von Mistelpräparaten nicht
erkennbar sei. Die Klägerin habe bislang keine Unterlagen vorgelegt, mit denen das
bestehende Nebenwirkungsrisiko betreffend die Kontraindikationen widerlegt worden
sei. Die Beauflagung von Kontraindikationen erfolge aus Gründen des
Patientenschutzes, da das Risiko eines Tumorenhancements bestehe.
42
Die Auflage M1. sei zu Recht erfolgt, da die Formulierung "zur begleitenden
Behandlung" der im klinischen Alltag üblichen Verwendung von Mistelextrakten
entspreche. Diese würden in der Regel als Begleitbehandlung zur schulmedizinischen
Therapie verabreicht mit dem Ziel, eine positive Beeinflussung des
Krankheitsgeschehens im Sinne des anthroposophischen Menschenbildes zu
erreichen. Dies schlage sich bereits in der einleitenden Formulierung zu den
Anwendungsgebieten "Anregung von Form- und Integrationskräften zur Auflösung und
Wiedereingliederung verselbständigter Wachstumsprozesse, z.B." nieder. Eine
unmittelbare Beeinflussung des Tumorwachstums ergebe sich aus der Indikation nicht.
Die vorgeschlagene Formulierung der Klägerin "zur ergänzenden Behandlung bei
Krebserkrankungen" grenze die Misteltherapie stärker von der schulmedizinischen
Behandlung ab und könne von dem Patienten dahingehend interpretiert werden, dass
43
sie eine eigenständige, mit den schulmedizinischen Maßnahmen vergleichbare
therapeutische Wirksamkeit besitze. Es sei daher durch die von der Beklagten gewählte
Formulierung allen Anwendern deutlich zu machen, in welchen Grenzen sich die
Anwendbarkeit und Wirksamkeit der Mistelpräparate bewege.
Die Auflage M10. sei zu Recht erfolgt, da im Hinblick auf eine Vielzahl von
Publikationen ausreichende Hinweise für mögliche immunsupprimierende Wirkungen
von Mistelpräparaten bestünden. Da in der Behandlung maligner Erkrankungen eine
Immunsuppression negative Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf habe, bestehe die
Notwendigkeit, diese durch geeignete Untersuchungen auszuschließen. Bei den
geforderten Untersuchungen gehe es dabei darum, für jedes auf dem Markt befindliche
Mistelpräparat das potentielle Risiko der Immunsuppression auszuschließen. Soweit die
Klägerin ausführe, die Schwellendosis von 1 mg Misteldroge sei nicht korrekt, sei
festzustellen, dass mit der Festlegung auf 1 mg Misteldroge eine Begrenzung auf die
höheren Stärken erfolgen solle, um der Klägerin unnötige Untersuchungen zu ersparen.
Die Argumentation, dass der Lektingehalt abhängig vom Wirtsbaum und
Herstellungsverfahren pro 1 mg Misteldroge sehr unterschiedlich sei, sei
nachvollziehbar. Eine entsprechende Änderung des Grenzwertes müsse diskutiert
werden.
44
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die Gerichtsakten, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge nebst
Dokumentationsunterlagen, sowie die von der Klägerin und der Beklagten ins
Klageverfahren eingeführten Unterlagen.
45
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
46
Soweit das Verfahren hinsichtlich der Auflagen M6., M7., M8., M11. sowie Q17. bzw.
Q19. in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, war das Verfahren in
entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
47
Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
48
1. Soweit die Klage darauf gerichtet ist, die Versagung der Teilindikationen gutartige
Geschwulsterkrankungen, begleitende Störungen der blutbildenden Organe, Anregung
der Knochenmarkstätigkeit, bösartige Erkrankungen der blutbildenden Organe) und
Interleukin-6-abhängig wachsende Tumore z.B. Hypernephrom und malignes Melanom
aufzuheben und den Nachzulassungsantrag neu zu bescheiden, ist die Klage als
Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage gem. § 42 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt, §
113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zulässig. Dabei ist festzustellen, dass die Zulassung von nur
zwei beantragten Teilindikationen in Auflage M2 die Versagung der übrigen im
Nachzulassungsantrag beantragten Teilindikationen bedeutet und die Aufnahme der
Gegenanzeige in Auflagen M3. und M4. "... darf nicht angewendet werden bei
Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren z.B. Hypernephrom und malignes
Melanom" ebenfalls eine Teilversagung zur Folge hat.
49
Gegenanzeigen, die auch als Kontraindikationen bezeichnet werden, bezeichnen die
Umstände, unter denen das Arzneimittel nicht, nur beschränkt oder nur unter
besonderen Voraussetzungen angewendet werden darf. Gegenanzeigen sind damit das
Gegenstück zur Festlegung der Anwendungsgebiete, die den Einsatzbereich des
Arzneimittels bezeichnen. Mit der Gegenanzeige "... darf nicht angewendet werden bei
50
Interleukin-6-abhängig wachsenden Tumoren z.B. Hypernephrom und malignes
Melanom" wird die Nichtanwendbarkeit der streitgegenständlichen Arzneimittel für die
genannte Indikation bestimmt, obwohl das Arzneimittel für die Anwendungsgebiete
"bösartige Geschwulsterkrankungen; definierte Präkanzerosen" zugelassen worden ist.
Die Gegenanzeige stellt daher eine Teilversagung eines begünstigenden
Verwaltungsaktes dar, die ebenso wie die Versagung eines Teils der beantragten
Indikationen mit der Verpflichtungsklage angegriffen werden kann.
Vgl. zur Gegenanzeige: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Urteil vom 21.07.2007 - 3
C 39.06 - , OVG NW Urteile vom 11.02.2009 - 13 A 2150/06 - und vom 6.09.2007 - 13 A
4644/06 - .
51
Die Klage ist auch begründet.
52
Die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Zulassung nach § 105 Abs. 4f Satz 1
AMG sind gegeben. Die fiktive Zulassung der streitgegenständlichen Arzneimittel, die
mit den Anzeigen vom Juni 1978 gem. Art. 3 § 7 Abs. 1 AMNG entstanden ist, ist nicht
nach Maßgabe des Art. 3 § 7 Abs. 3 AMNG erloschen.
53
Zwar ist festzustellen, dass die von der Klägerin 1985 (Anzeige nur im
Verwaltungsvorgang für J. ® M enthalten), und 1988 angegebenen Anwendungsgebiete
"Gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis z.B. :
Geschwulstkrankheiten, vorbeugend gegen Rückfälle nach Geschwulstoperationen,
Störung der normalen Knochenmarkstätigkeit, bösartige Erkrankung der blutbildenden
Organe, definierte Präkanzerosen" von denen im Jahr 1978 angezeigten
Anwendungsgebieten Therapie maligner Erkrankungen; präcanceröse Zustände;
Anregung der körpereigenen Abwehr abweichen. Ob dies aber auch im Sinne der
anthroposophischen Therapierichtung eine Änderung der Anwendungsgebiete
bedeutet, lässt die Kammer ebenso dahingestellt, wie die Frage, ob die unter dem
20.01.1992 angezeigte Änderung der Anwendungsgebiete in Anpassung an die
Monographie Viscum album vom 04.06.1986 gemäß Art. 3 § 7 Abs. 3a AMNG zulässig
gewesen ist. Nach Auffassung der Kammer können der Klägerin nämlich aus
Vertrauensschutzgesichtspunkten die mit Änderungsanzeige 13.08.1985 angezeigten
Änderungen der Anwendungsgebiete aufgrund des Vorschlags der Beklagten im
Schreiben vom 14.01.1992 nunmehr nicht als unzulässig entgegengehalten werden.
Die Kammer geht in entsprechender Anwendung des § 38 VwVfG davon aus, dass die
Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 14.01.1992 zugesichert hat, im
Nachzulassungsverfahren der Klägerin die Änderung der Anwendungsgebiete nicht
entgegenzuhalten. In dem nur in Kopie vorliegenden, von der Klägerin eingereichten
Schreiben, welches sich ausdrücklich auf die Anzeige vom 13.08.1985 bezieht, wurde
von Dr. Wohlrabe nämlich ausgeführt:
54
"Zur Vermeidung einer Ablehnung wegen Unzulässigkeit sehen wir daher für den im
Briefkopf genannten Antrag und für alle vergleichbaren Anträge nur die beiden
Möglichkeiten, dass Sie
55
- entweder für jeden einzelnen Antrag die Änderungsanzeige auf den indessen
vorgeschriebenen Formblättern einreichen
56
- oder unter Vorlage von entsprechenden Austauschseiten Ihre Anträge auf
Nachzulassung auf den derzeit auf dem Markt befindlichen Stand jedes Arzneimittels
57
bringen, d. h. also auf den in der Änderungsanzeige vom 13.08.1985 mitgeteilten
Stand."
Es spricht einiges dafür, dass die Nachzulassung der übrigen 60 J. Präparate unter
Zugrundelegung dieses Schreibens erfolgt ist. Auch im Nachzulassungsverfahren der
streitgegenständlichen Präparate ist die fiktive Zulassung nicht erloschen.
58
Die Teilversagung der Indikationen in den Bescheiden der Beklagten ist rechtswidrig,
weil die nach § 25 Abs. 7 Satz 4 AMG zur Mitwirkung bestimmte Kommission C nicht an
dieser Entscheidung mitgewirkt hat. Dieser Verfahrensfehler führt zwar nicht zur
Nichtigkeit der Versagungsentscheidung gem. § 44 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG, sondern ist
vielmehr gem. § 45 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG heilbar, in dem die Mitwirkung, die für den Erlass
des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachgeholt wird. Dies wäre nach § 45 Abs. 2
VwVfG im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch bis zum Abschluss
der letzten Tatsacheninstanz möglich. Die Beklagte hat eine Nachholung der
versäumten Mitwirkung der Kommission C aber ausdrücklich u. a. mit der Begründung
abgelehnt, die Kommission sei in Fragen der Beurteilung eines Arzneimittelrisikos nicht
zu hören. Dieser Auffassung vermag die Kammer nicht zu folgen.
59
Dem Wortlaut der Regelung in § 25 Abs. 7 Satz 4 AMG ist eine Beschränkung der
Mitwirkung auf bestimmte Bereiche der Zulassungsentscheidung nicht zu entnehmen.
Nach dieser Vorschrift ist vielmehr bei einer Entscheidung über die Verlängerung der
fiktiven Zulassung bei Arzneimitteln der anthroposophischen Therapierichtung die
zuständige Kommission nach § 25 Abs. 7 Satz 4 i. V. m. Satz 3 zu beteiligen, sofern
eine vollständige Versagung der Verlängerung nach § 105 Abs. 3 Satz 1 beabsichtigt
oder die Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung ist. Nach ihrem Wortlaut umfasst
die gesetzliche Regelung damit sämtliche Entscheidungen ohne Differenzierung
danach, ob diese toxikologische, pharmakologische oder pathophysiologische
Fragestellungen betreffen. Die Einschaltung der Kommission C ist danach nicht, wie die
Beklagte meint, nur auf die Beurteilung von Fragen erstreckt, die sich aus den
Besonderheiten der Therapierichtung ergeben. Das BfArM ist allerdings nicht, wie § 25
Abs. 7 Satz 5 ausdrücklich feststellt, an die Stellungnahme der Kommission gebunden,
wodurch dem BfArM die Möglichkeit gegeben wird, den von ihr angeführten
toxikologischen, pharmakologischen oder pathophysiologischen Bedenken Rechnung
zu tragen.
60
Dass die Kommissionen der einzelnen Therapierichtungen grundsätzlich zu beteiligen
sind und ihre Beteiligung sich nicht auf bestimmte Themenbereiche oder Fragen zur
Wirksamkeit oder zur Unbedenklichkeit beschränkt, ergibt sich aus dem
Ausschussbericht zum 5. Änderungsgesetz des AMG, in dem es heißt: "Im Bereich der
besonderen Therapierichtungen hat das Arzneimittelinstitut die zuständige Kommission
zu beteiligen." Auch in der amtlichen Begründung zum 8. Änderungsgesetz verweist der
Gesetzgeber auf die "obligatorische" Beteiligung der Kommission für die besonderen
Stoffgruppen und Therapierichtungen und beschränkt mit dem 8. Änderungsgesetz vom
07.09.1998 die Mitwirkung der Kommission in Absatz 7 aus Gründen der
Verfahrensvereinfachung nur insoweit, als es sich um Vollversagungen bzw. um Fälle
grundsätzlicher Bedeutung handeln muss. Eine Einschränkung auf bestimmte Bereiche,
wie etwa Wirksamkeit, oder der Ausschluss von Beurteilungen zur Toxikologie,
Pharmakologie oder zu pathophysiologischen Fragestellungen hat der Gesetzgeber
nicht vorgenommen.
61
Dies würde auch der Stellung der Therapierichtungen im 1976 neugefassten AMG
widersprechen. Der Gesetzgeber hat sich bei der Neufassung des AMG laut
Ausschussbericht "von der politischen Zielsetzung leiten lassen, dass sich im
Zulassungsbereich der in der Arzneimitteltherapie vorhandene
Wissenschaftspluralismus deutlich widerspiegeln muss." Dieser Zielsetzung folgend hat
der Gesetzgeber bestimmt, dass die einzelnen Therapierichtungen bei der
Zulassungsentscheidung zu beachten sind. Hierzu heißt es im Bericht des Ausschusses
zum AMG 1976 - abgedruckt in Kloesel/Cyran zu § 25 AMG -:
62
"Der Ausschuss hat daher durch geeignete institutionelle Vorkehrungen Sorge dafür
getragen, dass die Zulassungsentscheidung im konkreten Einzelfall nicht nach
Maßgabe einer für allgemeinverbindlich erklärten herrschenden Auffassung abläuft,
sondern sich im Einklang mit allen im Bereich der Wissenschaft miteinander
konkurrierenden und streitenden Lehrmeinungen befindet. Die Zurückhaltung
gegenüber einer Entscheidung über eine Lehrmeinung darf den Staat aber nicht davon
abhalten, den Laien vor falschen Behauptungen und Heilversprechen zu schützen. Jede
Entscheidung über die Zulassung eines Arzneimittels ist eine Ermessensentscheidung,
in die vor allem bei der erforderlichen Güterabwägung von Risiko und Nutzen
höchstpersönliche Wertungen als mitentscheidende Faktoren einfließen. Deshalb kam
es dem Ausschuss wesentlich darauf an, das Verfahren der Entscheidungsfindung so
auszugestalten, dass die Monopolisierung einer herrschenden Lehre als verbindlicher
"Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" vermieden wird und die durch die
besonderen Therapierichtungen repräsentierten Minderheiten nicht majorisiert werden.
Der Ausschuss hat dem Umstand Rechung getragen, dass Fragen der
wissenschaftlichen Erkenntnis nicht nach Maßgabe einer Mehrheitsentscheidung
beantwortet werden können. Er ist vielmehr einmütig der Auffassung, dass die Pluralität
der wissenschaftlichen Lehrmeinungen in der Arzneimitteltherapie auch in den
konkreten Entscheidungen über die Zulassung eines Arzneimittels ungeschmälert zum
Ausdruck kommen muss. Er hält eine institutionelle Verankerung des externen
Sachverstandes in Kommissionen in Verbindung mit einer faktischen Bindung der
Zulassungsbehörde an die Voten dieser Kommissionen über das im Regierungsentwurf
vorgesehene Maß hinaus für erforderlich. Durch entsprechende Verfahrensregelungen
wird außerdem sichergestellt, dass die Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen,
insbesondere das hierzu vorhandene wissenschaftliche Erkenntnismaterial
einschließlich des nach wissenschaftlichen Methoden aufbereiteten ärztlichen
Erfahrungsmaterials durch eigene, ausschließlich von den jeweiligen ärztlichen
Fachgesellschaften vorgeschlagene Sachverständige, die über wissenschaftliche
Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügen, beurteilt werden. Das Gesetz
gewährleistet somit, dass die medizinisch-klinischen Ergebnisse gleichwertig neben die
medizinischen Erfahrungen gestellt werden."
63
An dieser Berücksichtigung der besonderen Therapierichtungen im
Nachzulassungsverfahren hat sich auch später nichts geändert, vielmehr hat der
Gesetzgeber bei Änderungen der Vorschriften des AMG stets darauf hingewiesen, dass
den Anforderungen der besonderen Therapierichtungen Rechnung zu tragen ist. (Vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und
Gesundheit über Erfahrungen mit dem Arzneimittelgesetz, BtDrucks. 10/2413 vom
23.11.84.).
64
Nach dem Willen des Gesetzgebers sind die Besonderheiten der einzelnen
Therapierichtungen im Nachzulassungsverfahren umfassend zu berücksichtigen mit der
65
Folge, dass eine Beurteilung der Arzneimittel im Nachzulassungsverfahren durch die
Kommissionen der einzelnen Therapierichtungen als sachverständige Gremien
unbeschränkt zu erfolgen hat. Eine einseitig vom BfArM vorgenommene Einschränkung
der Mitwirkungsrechte auf spezielle Fälle trägt den Besonderheiten der
Therapierichtung nicht umfassend Rechnung und stellt einen schweren
Verfahrensfehler dar.
Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht eine - allgemeine - Erörterung der
Misteltherapie zwischen der Kommission C und dem BfArM, die laut den Auszügen der
Sitzungsprotokolle der Kommission C stattgefunden hat, nicht aus, um die
Voraussetzungen des § 25 Abs. 7 Satz 4 AMG zu erfüllen. Aus dem Wortlaut des
Gesetzes, aus seinem Kontext im Gesetzesgefüge und den Gesetzesmaterialien ergibt
sich vielmehr eindeutig, dass eine Einzelfallentscheidung der Kommission C zu
erfolgen hat. Laut Satz 4 ist die zuständige Kommission nämlich zu beteiligen, sofern
eine vollständige Versagung der Verlängerung nach § 105 Abs. 3 Satz 1 beabsichtigt
oder die Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung ist. Das Gesetz stellt damit auf
den konkreten Fall ab. Dies wird auch durch die Bestimmung in Satz 4 a. E., wonach die
Kommission innerhalb von zwei Monaten Gelegenheit zur Stellungnahme hat, und
durch Satz 5, wonach die Bundesoberbehörde, soweit sie bei der Entscheidung nach
Satz 4 die Stellungnahme der Kommission nicht berücksichtigt, hierfür die Gründe
darzulegen hat, verdeutlicht. Diese Regelungen wären überflüssig, sollte nicht jeweils
eine Einzelfallentscheidung einzuholen sein. Dies entspricht auch dem Willen des
Gesetzgebers, wie sich der amtlichen Begründung zum 8. Änderungsgesetz entnehmen
lässt:
66
"Die obligatorische Beteiligung der Kommission für die besonderen Stoffgruppen und
Therapierichtungen wird in Absatz 7 aus Gründen der Verfahrensvereinfachung auf
relevante Fälle beschränkt. Entscheidungen sind insbesondere dann von
grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie Fragestellungen betreffen, die bei einer Vielzahl
von Arzneimitteln in der Nachzulassung auftreten oder die Streichung ganzer
Anwendungsgebiete betreffen. Die Beteiligung der Kommission ermöglicht dann die
rechtzeitige Erörterung der Auswirkungen solcher Grundsatzentscheidungen auch im
Hinblick auf gleich oder ähnlich zu beurteilende Arzneimittel."
67
Durch das 8. Änderungsgesetz vom 07.09.1998 hat der Gesetzgeber allerdings die bis
dahin bestehende generelle Beteiligung der Kommission C nur in Fällen für erforderlich
gehalten, die die vollständige Versagung der Verlängerung nach § 105 Abs. 3 Satz 1
AMG betreffen oder in denen es um eine Grundsatzentscheidung geht. Die Streichung
ganzer Anwendungsgebiete ist, wie der amtlichen Begründung zu entnehmen ist, eine
Frage von grundsätzlicher Bedeutung, die eine vorherige Einschaltung der Kommission
C erfordert. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass diese Anwendungsgebiete in der
von der Kommission C erstellten Aufbereitungsmonographie aufgeführt sind. Das
Problem der Wirksamkeit sowie der Unbedenklichkeit der Misteltherapie stellt sich
zudem in vielen Nachzulassungsverfahren anthroposophischer Arzneimittel. Die
Beklagte hat selbst in der 4. Sitzung der Kommission C am 30.09.1998 festgestellt, dass
es sich aus Sicht des BfArM um eine Frage grundsätzlicher Bedeutung handelt, "wenn
eine Neubewertung, z. B. der Misteltherapie erforderlich ist."
68
Die Nichtbeteiligung der Kommission C stellt einen beachtlichen Verfahrensfehler dar,
der zur Aufhebung der Versagung der beantragten Indikationen bzw. der Gegenanzeige
führt. § 46 VwVfG, nach dem eine Aufhebung des Verwaltungsaktes dann ausscheidet,
69
wenn der Verfahrens- oder Formfehler offensichtlich ohne Einfluss auf das
Entscheidungsergebnis war, greift nicht ein. Es ist nicht von vornherein jeder vernünftige
Zweifel dahingehend ausgeschlossen, dass die Nichteinschaltung der Kommission C
und damit die Nichtbeachtung der anthroposophischen Therapierichtung keine
Auswirkungen auf die Sachentscheidung gehabt hat. Die Beurteilung durch die
Kommission bindet allerdings nicht die Behörde in ihrer Entscheidung, wie § 25 Abs. 7
Satz 5 AMG zu entnehmen ist. Es ist aber der Wille des Gesetzgebers, dass vor dieser
Entscheidung der einzelnen Therapierichtung für die Beurteilung Gehör verschafft wird.
Dies ist nicht erfolgt und damit nachzuholen.
2. Soweit die Auflagen M3. und M4. neben der Versagung der Indikationen "- bösartigen
Erkrankungen der blutbildenden Organe, - Interleukin-6-abhängig wachsenden
Tumoren z.B. Hypernephrom und malignem Melanom" durch die Gegenanzeige
ausdrücklich eine Anordnung zur Formulierung der Packungsbeilage trifft, handelt es
sich um eine echte Auflage i.S.d. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, also um einen
eigenständigen, der Nachzulassung beigefügten Verwaltungsakt. Durch diese Auflage
wird die Gebrauchs- und Fachinformation an den Genehmigungsinhalt bezüglich der
Gegenanzeige angepasst. Die für diesen Aufhebungsantrag zulässige
Anfechtungsklage ist begründet. Die Auflagen sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da die Teilversagungen der
Indikationen rechtswidrig sind, ist auch die darauf gestützte Änderung der Gebrauchs-
und Fachinformation rechtswidrig und damit aufzuheben.
70
3. Die Klage auf Aufhebung der Auflage M1. in den Bescheiden und Verpflichtung der
Beklagten, die Formulierung "ist ein anthroposophisches Arzneimittel zur ergänzenden
Behandlung bei Tumorerkrankungen" zuzulassen, ist zulässig. Die - erstmals im
Klageverfahren beantragte - Aufnahme des Zusatzes "zur ergänzenden Behandlung
bei..." stellt eine Konkretisierung der im Verlängerungsantrag angegebenen
Indikationsgruppe Tumorbehandlung dar und somit ein Minus zum
Zulassungsverlängerungsantrag, so dass es keines weiteren Verwaltungsverfahrens
bedarf.
71
Die Klage ist auch begründet. Die von der Beklagten in der Auflage M1. vorgesehene
Formulierung "zur begleitenden Behandlung bei Krebserkrankungen" ist rechtswidrig
und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf
Aufnahme des die Indikationsgruppe " anthroposophisches Arzneimittel bei
Tumorerkrankungen" erläuternden Begriffes "ergänzende Behandlung", § 113 Abs. 5
Satz 1 VwGO.
72
Für die von der Beklagten nach § 105 Abs. 5a Satz 1, § 28 Abs. 2 AMG bestimmte
Anordnung der Angaben zur Indikationsgruppe durch "begleitende Behandlung bei
Krebserkrankungen" fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Auflage M1. lässt sich
weder auf § 28 Abs. 2 Nr. 2 noch auf § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG stützen. Durch § 28 Abs. 2
Nr. 2 AMG wird das BfArM ermächtigt, durch Auflagen sicherzustellen, dass die
Packungsbeilage den Vorschriften des § 11 AMG entspricht. Die Packungsbeilage soll
insbesondere bei Arzneimitteln zur Selbstmedikation dem Verbraucher die Möglichkeit
bieten, sich über den Verwendungszweck des Arzneimittels informieren zu können.
Eine solche Information ist durch die Angabe der Indikationsgruppe in § 11 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 b AMG gegeben. Die Angabe der Klägerin im Zulassungsverlängerungsantrag
"Anthroposophische Arzneimittel bei Tumorerkrankungen" stellt eine Zusammenfassung
der in der gültigen Monographie Viscum album vom 17.02.1986 (BAnz. Nr. 99a vom
73
4.06.1986), korrigiert durch die Veröffentlichung vom 7.04.1988 (BAnz. Nr. 85 vom
08.05.1991) erfassten Anwendungsgebiete des anthroposophischen Arzneimittels dar
und ist von der Klägerin zu Recht gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b AMG unter der
Indikationsgruppe angegeben worden. Da die Packungsbeilage den Vorschriften des §
11 AMG entspricht und die Angaben in der Packungsbeilage insoweit auch den für die
Zulassung eingereichten Unterlagen, nämlich der Monographie, entsprechen, entfällt
ein Beauflagung nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 bzw. Nr. 3 AMG.
Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die Formulierung "zur begleitenden Behandlung
bei Krebserkrankungen" sei erforderlich, um jedem Patienten und Arzt, insbesondere
demjenigen, der mit dem anthroposophischen Gedankengut nicht vertraut ist, die
Grenzen der Anwendbarkeit und Wirksamkeit der Misteltherapie deutlich zu machen, ist
festzustellen, dass Auflagen betreffend die Angaben in den Informationstexten aus
Gründen der Arzneimittelsicherheit nur in den Grenzen des § 28 Abs. 2 Nr. 3 AMG
zulässig sind.
74
Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Aufnahme des Zusatzes "zur ergänzenden
Behandlung" als einer genaueren Bezeichnung der Indikationsgruppe
"Tumorerkrankungen". Die streitgegenständlichen Arzneimitteln werden nämlich in der
Tumortherapie zum einen gleichzeitig mit anderen Behandlungen u. a. der
Chemotherapie eingesetzt, zum anderen werden diese Präparate aber auch nach
Abschluss bzw. vor dem Einsatz dieser - schulmedizinischen Therapien - u. a. zur
Verbesserung der Lebensqualität - eingesetzt. Diese Verwendung entspricht den
Anwendungsgebieten der Monographie für die anthroposophische Therapierichtung:
Bösartige und gutartige Geschwulstkrankheiten sowie bösartige Erkrankungen und
begleitende Störungen der blutbildenden Organe; Anregung der Knochenmarkstätigkeit;
Vorbeugung gegen Geschwulstrezidive; definierte Präkanzerosen; chronische,
grenzüberschreitende Erkrankungen, z. B. Morbus Crohn, chronische
Gelenkerkrankungen. Die von der Beklagten vorgesehene Formulierung der
"begleitenden Behandlung" erfasst vom Wortlaut her nur die gleichzeitige, nicht aber die
erst nach oder vor anderen Therapiemaßnahmen einsetzende Behandlung. Insoweit ist
die von der Klägerin begehrte Formulierung der Indikationsgruppe umfassender und
entspricht auch dem Verständnis der anthroposophischen Therapierichtung. Da in der
Stoff- und Indikationsgruppe das Arzneimittel als ein anthroposophisches
gekennzeichnet ist, hat auch die Angabe zur Behandlung durch dieses Mittel den
anthroposophischen Grundsätzen zu entsprechen. Alles andere wäre für den
Verbraucher verwirrend.
75
4. Die Anordnung in Auflage M10. "im Rahmen der Anwendung des Arzneimittels in den
zugelassenen Indikationsgebieten systematisch Erkenntnisse über die Auswirkungen
des Arzneimittels bei einer Dosierung von mehr als 1 mg Mistel pro Anwendungstag auf
geeignete Parameter des humoralen und zellulären Immunsystems nach den aktuell
gültigen methodischen Standards zu sammeln, dokumentieren und auszuwerten...." ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für
die Anordnung von Studien zur Immunsuppression fehlt es nämlich, wie von der
Klägerin zu Recht moniert, an einer Ermächtigungsgrundlage. Gemäß § 105 Abs. 5a
Satz 2 AMG können Auflagen neben der Sicherstellung der in § 28 Abs. 2 genannten
Anforderungen auch die Gewährleistung von Anforderungen an die Qualität,
Unbedenklichkeit und Wirksamkeit zum Inhalt haben, es sei denn, dass wegen
gravierender Mängel der pharmazeutischen Qualität, der Wirksamkeit oder der
Unbedenklichkeit Beanstandungen nach § 105 Abs. 5 AMG mitgeteilt oder die
76
Verlängerung der Zulassung versagt werden muss. Die in der Auflage M10. verlangten
Studien zu immunologischen Effekten in der klinischen Anwendung der
streitgegenständlichen Präparate in der beantragten wie in höheren Dosierungen
dienen aber nicht der Gewährleistung von Anforderungen an die Unbedenklichkeit des
Arzneimittels. Aus der Formulierung "Gewährleistung von Anforderungen an die
Unbedenklichkeit" ergibt sich eindeutig, dass mit der Erfüllung der Auflage der nach
Auffassung der Beklagten bestehende Mangel endgültig behoben sein, also die
Unbedenklichkeit belegt sein muss. Die von der Beklagten der Klägerin auferlegten
Studien sollen aber, wie sich der Begründung der Auflage entnehmen lässt, erst die
Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Risiken des Arzneimittels schaffen.
Hierzu hat die Beklagte ausgeführt: "Insgesamt kann die angeführte Literatur den
Verdacht der Immunsuppression durch das antragsrelevante Arzneimittel nicht
entkräften, da sich darunter keine präparatespezifischen Untersuchungen
befinden....Nicht angegeben wird, auf welches Mistellektin standardisiert wird. Die
übliche Dosierung von auf Mistellektin 1 standardisierten Präparaten beträgt 1 ng ML-
1/kg KG. Bisher liegen keine Studien zu immunologischen Effekten in der klinischen
Anwendung des antragsrelevanten Arzneimittels an Krebskranken vor. Die
Durchführung der geforderten Untersuchung als Beleg der Unbedenklichkeit des
Arzneimittels in der beantragten Dosierung ist deshalb erforderlich." Auch in der
Klageerwiderung hat die Beklagte festgestellt, dass es bei den geforderten
Untersuchungen darum gehe, für jedes auf dem Markt befindliche Mistelpräparat das
potentielle Risiko der Immunsuppression auszuschließen. Ein Beleg der
Unbedenklichkeit der streitgegenständlichen Arzneimittel wird demnach durch die
verlangten Studien nicht gewährleistet. Die in der Auflage geforderten Studien dienen
vielmehr aus der Sicht der Beklagten einer ausreichenden Prüfung der Arzneimittel
hinsichtlich der immunologischen Effekte bei verschiedenen Dosierungen und stehen
daher im Zusammenhang mit § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG. Der darin geregelte
Versagungsgrund wird aber in § 105 Abs. 5a Satz 2 AMG nicht erwähnt.
Vgl. hierzu Rechtsprechung der Kammer, Urteil vom 27.07.2007 - 7 K 6609/03 -.
77
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 161 Abs. 2, § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO.
Da die Klägerin nur hinsichtlich der Auflagen M6., M11. und Q17. bzw. Q19. die
Erledigung des Verfahrens herbeigeführt hat, hinsichtlich der übrigen in der Hauptsache
für erledigt erklärten Auflagen aber die Beklagte bei summarischer Prüfung unterlegen
gewesen wäre und sie die Verfahrenskosten des der Klage stattgebenden Urteils zu
tragen hat, entspricht es dem Rechtsgedanken des § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO, der
Beklagten die Verfahrenskosten insgesamt aufzuerlegen.
78
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1
VwGO, § 709 ZPO.
79