Urteil des VG Köln vom 16.08.2007

VG Köln: bundesamt für migration, anerkennung, sicherheit, gutachter, zahl, besitz, auskunft, widerruf, wahrscheinlichkeit, religionsgemeinschaft

Verwaltungsgericht Köln, 15 K 475/07.A
Datum:
16.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 475/07.A
Tenor:
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
02.02.2007 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit yezidischer Religionszugehörig- keit. Er
stammt aus Bismil/Diyarbakir.
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Im Mai 1986 reiste er - zusammen mit weiteren Familienmitgliedern - auf dem Luftweg in
die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 27.05.1986 beantragten er und seine
Familienangehörigen bei dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt -, sie als
Asylberechtigte anzuerkennen. Zur Begründung beriefen sie sich auf eine Verfolgung
wegen ihrer Religionszugehörigkeit.
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Mit Bescheid vom 09.03.1988 erkannte das Bundesamt u. a. den Kläger als A-
sylberechtigten an mit der Begründung, als Yezide habe er in der Türkei einer mittel-
baren Gruppenverfolgung unterlegen.
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Eine anschließend vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (BBfA) er-
hobene Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) Köln mit Urteil vom 21.02.1990 - 9 K
10866/88 - ab. Das nachfolgende Berufungsverfahren (OVG NRW - 2 A 10228/90)
wurde am 19.05.1993 wegen Zurücknahme der Berufung eingestellt.
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Unter dem 08.11.2006 leitete die Beklagte ein Widerrufsverfahren ein und kam zu dem
Ergebnis, angesichts der Verbesserung der Lage in der Süd-Ost-Türkei und mangels
nachgewiesener Referenzfälle lasse sich eine nichtstaatliche regionale
Gruppenverfolgung der Yeziden nicht mehr bejahen. Unter dem 27.12.2006 wurde u. a.
der Kläger zu einem beabsichtigten Widerruf an- gehört.
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Mit Bescheid vom 02.02.2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom
09.03.1988 (Az. 265575-163) erfolgte Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 1 des
Bescheides). Ferner wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1
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AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2 des Bescheides). Ebenso seien Ab-
schiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben (Ziffer 3 des Be-
scheides).
Dieser Bescheid wurde am 05.02.2007 per Einschreiben an den Prozessbevoll-
mächtigten des Klägers zur Post gegeben.
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Am 10.02.2007 hat der Kläger Klage erhoben.
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Er vertritt im wesentlichen die Auffassung, dass sich die Verfolgungslage in Be- zug auf
die Yeziden nicht grundlegend und nachhaltig verändert habe, so dass die zu seinen
Gunsten getroffene Anerkennung als Asylberechtigter fortbestehen müsse.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes vom 02.02.2007 aufzuheben, hilfsweise
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die Beklagte unter Abänderung von Ziffer 3 des genannten Be- scheides zu verpflichten
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls, der
Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der den Beteiligten im
Verlaufe des Verfahrens bekannt gegebenen Auskünfte, Stellungnahmen und Pres-
severöffentlichungen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage ist begründet.
19
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 02.02.2007 ist rechtswidrig und
verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage des Widerrufsbescheides (Ziffer 1 des Bescheides vom 02.02.2007)
ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes
ab 01.01.2005 geltenden Fassung. Nach dieser Vorschrift sind - vorbehaltlich des
Satzes 3 - die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen,
unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.
Entscheidend ist insoweit, dass die für die Anerkennungs- und
Feststellungsentscheidung maßgebenden Voraussetzungen nachträglich entfallen sind,
die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nunmehr ausgeschlossen ist. Dies ist der Fall,
wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich
erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr
des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht
maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit
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ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Diese
Vorschrift entspricht ihrem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK,
vgl. insoweit Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21.04 -,
DVBl. 2006, 511,
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sowie dem entsprechenden Erlöschenstatbestand des Artikel 11 Abs. 1 Buchst. e der
seit dem 10.10.2006 unmittelbar anzuwendenden EU-Richtlinie 2004/83/EG vom
29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von
Staatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die
anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden
Schutzes (sogenannte Qualifikationsrichtlinie).
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Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger vorverfolgt ausgereist ist, so dass
hinsichtlich der Verfolgungsprognose der erleichterte Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt,
mithin der Kläger vor einer erneuten politischen Verfolgung hinreichend sicher sein
muss. Denn - wie im Erstverfahren festgestellt worden ist - handelt es sich bei dem
Kläger und seiner Familie um gläubige Yeziden, die ihren Glauben auch praktiziert
haben. Nach der seinerzeitigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen
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vgl. OVG NRW, Urteile vom 03.03.1993 - 25 A 10247/88 -, vom 24.11.2000 - 8 A 4/99.A -
sowie vom 22.01.2001 - 8 A 792/96.A - und - 8 A 4154/99.A -
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war im Zeitpunkt ihrer Ausreise davon auszugehen, dass Yeziden in der Türkei
jedenfalls in ihren angestammten Siedlungsgebieten einer mittelbaren staatlichen
Gruppenverfolgung ausgesetzt waren, ohne dass ihnen eine inländische
Fluchtalternative offen stand.
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Widerrufsbescheid der Beklagten keinen
Bestand. Die für glaubensgebundene Yeziden in der Türkei maßgeblichen Verhältnisse
haben sich in der Zeit seit der Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter nicht
erheblich und dauerhaft so verändert, dass asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen auf
absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sind.
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Zwar ist in der neueren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen
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vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2006 - 15 A 2119/02.A -; ebenso Schleswig-
Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 29.09.2005 - 1 LB 38/04 -
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angenommen worden, Yeziden unterlägen in der Türkei keiner (mittelbar staatlichen)
Gruppenverfolgung mehr. Diesen Entscheidungen lagen jedoch Fallkonstellationen zu
Grunde, in denen die Kläger nicht vorverfolgt ausgereist waren. Das Gericht verkennt
nicht, dass sich die Verhältnisse in der Türkei in der Zeit seit der Asylanerkennung des
Klägers verändert haben. Insbesondere hat die Türkei im Zuge der Bemühungen, der
Europäischen Union beizutreten, erhebliche Anstrengungen unternommen, die
rechtlichen Voraussetzungen für einen demokratischen Rechtsstaat zu schaffen.
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Vgl. dazu die Lageberichte des Auswärtigen Amtes, zuletzt vom 11.01.2007.
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Gleichwohl sind immer noch rechtliche Defizite, insbesondere aber auch
Vollzugsdefizite festzustellen. Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit und
Religionsfreiheit sind nur eingeschränkt gewährleistet, und auch wenn es
diesbezügliche Rechtsvorschriften gibt, werden diese von den Inhabern staatlicher
Macht nicht immer konsequent und zuverlässig angewandt, wie zum Beispiel die immer
noch nicht vollständig beseitigte Folter zeigt.
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Vgl. insoweit OVG NRW, Urteil vom 19.04.2005 - 8 A 273/04.A -; ferner auch VG
Hamburg, Urteil vom 22.03.2007 - 15 A 1150/03 -.
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Im Hinblick auf die Situation der türkischen Yeziden kann nicht angenommen werden,
dass diese politischen Änderungen auch bewirkt haben, dass die hier
anerkennungsrelevanten Gruppenverfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit
hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind. Das Gericht geht dabei davon aus, dass
in der Türkei gegenwärtig nur noch eine sehr geringe Anzahl von Yeziden leben. Die
Zahlen gehen insoweit auseinander. Während das Auswärtige Amt die Zahl der in der
Türkei verbliebenen Yeziden auf noch ca. 2000 schätzt vgl. Lagebericht vom 11.01.2007
sowie Auskunft an das OVG Sachsen- Anhalt vom 20.01.2006,
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beziffert der Gutachter Baris
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vgl. Gutachten an das OVG Sachsen-Anhalt vom 17.04.2006
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aufgrund demografischer Erhebungen die Zahl der in der Türkei verbliebenen Yeziden
auf annähernd 400 Personen. Das Yezidische Forum e. V. Oldenburg
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vgl. Stellungnahme zur Situation der Yeziden in der Türkei vom 04.07.2006
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berichtet davon, dass ihre letzte am 30.03.2006 abgeschlossene Bestandsaufnahme
524 Yeziden ergeben habe, die bisher durchgängig in der Türkei gelebt hätten. Das
Gericht neigt dazu, die Zahlenangaben von Baris und dem Yezidischen Forum
Oldenburg aufgrund der zugrundeliegenden Erhebungsmethoden und der persönlichen
Kontakte zur Religionsgemeinschaft der Yeziden in der Türkei für zuverlässiger zu
erachten und von einer Größenordnung von ca. 500 verbliebenen Yeziden in der Türkei
auszugehen. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Selbst wenn die vom Auswärtigen
Amt geschätzte Zahl von ca. 2000 Yeziden zutreffend wäre, wäre dies kein Grund, eine
erneute Verfolgung der Yeziden mit hinreichender Sicherheit auszuschließen zu
können. Denn nach der Überzeugung des Gerichts haben sich in den letzten Jahren
noch eine Vielzahl von Übergriffen auf yezidische Glaubensangehörige sowie auf deren
Heiligtümer und Kultstätten ereignet, so dass nicht von einer nachhaltigen und
dauerhaften Änderung der Verfolgungslage ausgegangen werden kann. So hat Baris
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vgl. Gutachten vom 17.04.2006 an das OVG Sachsen-Anhalt
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eine erhebliche Liste an aktuellen asylerheblichen Verfolgungsmaßnahmen
zusammengestellt, dass die hier geforderte hinreichende Wahrscheinlichkeit für die
Sicherheit von Rückkehrern nicht als gewährleistet erscheint. Im einzelnen nennt er eine
Reihe von Körperverletzungen, insbesondere Schläge mit zum Teil erheblichen
Verletzungsfolgen, Bedrohungen (mit dem Tode), Erpressungen, physische Gewalt,
durch die Behörden unterstützten Landraub und Vertreibungen der ansässigen Yeziden,
die Vernichtung sämtlicher yezidischer Kultstätten durch Moslems mit Unterstützung der
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türkischen Behörden, Vernichtung von Ackerland, Verminung von Gelände, Entführung,
Verschleppung und sogar 4 Morde.
So bereits VG Hamburg, Urteil vom 22.03.2007 - 15 A 1150/03 - .
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Ein ähnliches Bild zeichnet auch die
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Stellungnahme des Yezidischen Forums e. V. Oldenburg vom 04.07.2006.
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Auch hier werden - teilweise überschneidend mit den von Baris geschilderten Vorfällen,
teilweise darüber hinausgehend - eine Reihe von Gewaltakten aus neuerer Zeit gegen
Yeziden substantiiert beschrieben. Zwar ist der Gutachter Baris selbst ein Yezide und
auch bei dem Yezidischen Forum e. V. Oldenburg handelt es sich nicht um eine
unparteiische Einrichtung. Es spricht jedoch nichts dafür, dass die Vielzahl der von
diesem Gutachter bzw. dieser Institution detailliert beschriebenen Vorkommnisse frei
erfunden ist.
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Zu den vom Yezidischen Forum e. V. unter dem 04.07.2006 aufgeführten Vorfällen hat
auch das Auswärtige Amt im einzelnen Stellung genommen,
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vgl. Auskunft vom 26.01.2007 an das OVG Lüneburg - 11 LB 14/06 -.
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Dabei fällt auf, dass in einer Vielzahl von Fällen die vom Yezidischen Forum e. V. (a. a.
O.) geschilderten Vorkommnisse in einem Kernpunkt bestätigt werden, aber die
Auseinandersetzungen o. ä. auf andere Motive zurückgeführt oder anders bewertet
werden. Der Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist das Yezidische Forum e. V. mit
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Gutachten vom 20.03.2007
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erneut Punkt für Punkt entgegengetreten und hat mit beachtlichen und weitgehend auch
überzeugenden Argumenten auf die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes repliziert.
Wertet man diese Stellungnahmen zusammenfassend, so vermag das Gericht nicht zu
der Überzeugung zu gelangen, dass die vom Auswärtigen Amt u. a. im
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Lagebericht vom 11.01.2007
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wiedergegebene Beschreibung der Lage der Yeziden, die dort als weitgehend
unproblematisch dargestellt wird, zutreffend ist. Die Vielzahl der von Baris (a. a. O.) und
vom Yezidischen Forum e. V. (a. a. O.) in Zusammenhang mit den Yeziden
geschilderten Übergriffe und ähnlichen Ereignisse sowie die vom Auswärtigen Amt
teilweise doch recht vordergründigen Erklärungsversuche hierzu sprechen dafür, dass
die Verfolgungslage der Yeziden sich nicht nachhaltig geändert hat. Dabei ist in
Rechnung zu stellen, dass die Informationsquellen, die dem Auswärtigen Amt zur
Verfügung stehen, oft die wahren Hintergründe solcher Ereignisse nicht werden
offenbaren können oder wollen. Entscheidend für die Überzeugungsbildung des
Gerichtes und die Annahme, dass sich die Verfolgungssituation der Yeziden (noch)
nicht nachhaltig und dauerhaft geändert hat, ist schließlich, dass die Ursachen für die
Verfolgung der Yeziden nach wie vor unverändert fortbestehen. Baris (a. a. O., Seite 6)
führt insoweit aus:
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„Das Religionsgesetz des Islams ordnet die yezidische Religion als „heidnische" ein
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und billigt die drastische Verfolgung und Zwangsislamisierung als durch Gott gesegnet
und durch ihre Propheten offenbart. In der kanonischen Sure des Korans fallen
ausschließlich die „Buchreligionen" unter das „Duldungsgebot" und „genießen"
gewissermaßen Resonanz, während alle (anderen) Glaubensrichtungen als „Zindik",
was soviel wie Ketzer heißt, gelten."
Diese nach wie vor vorhandene Grundeinstellung war Auslöser der mittelbaren
Gruppenverfolgung der Yeziden, die u. a. Anlass war, den Yeziden Eigentumsrechte
streitig zu machen und insbesondere Land wegzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass
diese Verfolgungssituationen wieder aufflammen, wenn Yeziden nach Widerruf ihrer
Asylberechtigung oder ihres Verfolgungsschutzes in die Türkei zurückkehren und dort
ihre Eigentumsrechte geltend machen und ihr Land wieder in Besitz nehmen wollen.
Die muslimischen Staatsangehörigen, die sich in den Besitz der yezidischen
Ländereien gebracht haben, werden nachhaltigen Widerstand leisten und sich aufgrund
des Verhältnisses der Religionen zueinander dazu als berechtigt ansehen. Dies
spiegelt sich auch in den verschiedenen von Baris ( a. a. O.) und dem Yezidischen
Forum e. V. (a. a. O.) geschilderten Vorkommnissen. Es wird der Sachlage nicht gerecht,
wenn das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht vom 11.01.2007 insoweit lapidar
bemerkt:
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„Wenn es in den letzten zwei bis drei Jahren vereinzelt zu Übergriffen zwischen der
muslimischen-kurdischen Bevölkerung und syrisch-orthodoxen Christen im Süd-Osten
der Türkei gekommen ist, ging es dabei - soweit bekannt - um Streitigkeiten wegen
Besitzfragen und Weiderechten, die anderenorts in gleicher Weise zwischen Muslimen
im Zusammenhang mit der Rückkehr in die Dörfer vorkommen. Die
Religionszugehörigkeit spielt bei diesen Übergriffen wie auch bei Übergriffen gegen
Angehörige anderer Glaubensrichtungen (z. B. Yeziden) keine ausschlaggebende
Rolle."
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Es ist auch nicht erkennbar, dass sich in Bezug auf die staatliche Schutzgewährung
gegenüber den Yeziden Entscheidendes in den letzten Jahren geändert hätte. Dagegen
spricht schon, dass die Sicherheitsbehörden naturgemäß überwiegend mit muslimischer
Glaubenszugehörigen besetzt sind. Es fehlt an einem durchgreifenden
Mentalitätswandel. Auch die aufgezeigte Vielzahl von Vorkommnissen innerhalb der
letzten Jahre im Zusammenhang mit Yeziden zeigt, dass die Verfolgungsdichte nicht
erheblich zurückgegangen ist. Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden,
dass sich die Verhältnisse in Bezug auf eine mittelbare Gruppenverfolgung der Yeziden
inzwischen nachhaltig und dauerhaft geändert hätten und damit die Voraussetzungen
für die widerrufene Entscheidung des Bundesamtes nicht mehr vorliegen würden.
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Ebenso VG Neustadt an der Weinstraße, Urteil vom 01.06.2006 - 4 K 493/06. NW -, VG
Koblenz, Urteil vom 28.11.2006 - 1 K 1297/06.KO -, VG Freiburg, Urteil vom 25.07.2006
- A 6 K 1123/05 -; ferner auch VG Hamburg, Urteil vom 22.03.2007 - 15 A 1150/03 -, VG
Darmstadt, Urteil vom 19.04.2007 - 7 E 2413/05.A - und VG Stuttgart, Urteil vom
09.03.2007 - A 9 K 1159/06 -, sowie inzwischen auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom
05.06.2007 - 10 A 11576/06.OVG. Der gegenteiligen Auffassung des
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VG Minden, Urteil vom 21.05.2007 - 8 K 2305/06.A -,
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auf die die Vertreter der Beklagten hingewiesen haben, vermag sich das erkennende
Gericht nicht anzuschließen, da dort der fortbestehende Grundkonflikt zwischen
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Moslems und Yeziden nicht hinreichend berücksichtigt und die o. g. Übergriffe u. ä. aus
diesseitiger Sicht allzu stark im Sinne nicht religiöser Motive relativiert werden.
Aus diesem Grunde ist der streitbefangene Bescheid vom 05.02.2007 (Ziffer 1)
aufzuheben. Der Fortbestand der Asylberechtigung des Klägers beinhaltet zugleich die
Feststellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Für die negative Feststellung zu § 60 Abs. 2 - 7
AufenhG ist bei dieser Sachlage kein Raum. Deshalb sind auch Ziffer 2 und 3 des
angefochtenen Bescheides aufzuheben.
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Der Klage ist mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten
werden für das Verfahren nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG).
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