Urteil des VG Köln vom 08.01.2001

VG Köln: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, besondere gefahr, vollziehung, zwangsgeld, ausführung, sanierung, firma, ermessen, zustand

Verwaltungsgericht Köln, 2 L 3090/00
Datum:
08.01.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 3090/00
Tenor:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
gegen die Ordnungsverfügung vom 12.12.2000 wird wiederhergestellt
bzw. angeordnet, und zwar hinsichtlich der Forderungen,
"Die Verankerungen der Notleiter sowie des Ausstiegspodestes am
Gebäude C. Straße 00 sind innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung
dieser Ordnungsverfügung nach den anerkannten Regeln der Technik
gemäß § 3 Abs. 1 BauO NRW durch eine Fachfirma sanieren zu
lassen."
und
"Dem Bauaufsichtsamt ist innerhalb der vorgenannten Frist eine
Bescheinigung des vorgenannten Sachverständigen über die
sachgemäße Ausführung der Arbeiten nach den anerkannten Regeln
der Technik gemäß § 3 Abs. 1 BauO NRW vorzulegen."
bis zum 15.02.2001 und hinsichtlich der Forderung,
"Vor Ausführung sind die Sanierungsmaßnahmen durch einen staatlich
anerkannten Sachverständigen für die Prüfung der Standsicherheit im
Sinne der Verordnung über staatlich anerkannte Sachverständige nach
der Landesbauordnung (SV-VO) genehmigen zu lassen."
sowie der Zwangsgeldandrohung ohne zeitliche Begrenzung.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 2.000,00 DM festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Die Antragstellerin wehrt sich mit ihrem am 27.12.2000 gestellten Antrag gegen die
Anordnung der sofortigen Vollziehung einer gegen sie unter dem 12.12.2000
erlassenen Ordnungsverfügung, mit der ihr aufgegeben wird, die Anbringung von
Notleiter und Ausstiegspodest an ihrem Wohnhaus C. Straße 00 in L. unter Beteiligung
eines staatlich anerkannten Sachverständigen binnen zweier Wochen sanieren zu
lassen. Außerdem wird ihr für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die
Ordnungsverfügung ein Zwangsgeld von 10.000,00 DM angedroht, wenn sie den
Forderung nicht binnen der gesetzten Frist nachkommt. Wegen der Einzelheiten des
Antrags, mit dem sich die Antragstellerin im wesentlichen gegen die wegen der
Weihnachtstage und der Feiertage zum Jahreswechsel zu kurz bemessenen Frist zur
Klärung des Sachverhaltes wendet, wird auf die Antragsschrift verwiesen.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 21.12.2000 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12.12.2000 wiederherzustellen bzw.
anzuordnen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Stellungnahme des Antragsgegners
verwiesen.
5
II.
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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist im wesentlichen begründet. Nach § 80
Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
wiederherstellen, wenn diese - abweichend von der Regel des § 80 Abs. 1 VwGO -
nach Abs. 2 nicht besteht. In der anhängigen Sache entfällt die aufschiebende Wirkung,
weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Ordnungsverfügung vom
15.12.2000 als im öffentlichen Interesse liegend gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO unter
Beachtung der formellen Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO angeordnet hat bzw.,
soweit sich der Widerspruch gegen die in der Ordnungsverfügung enthaltene
Androhung des Zwangsmittels eines Zwangsgeldes richtet, die aufschiebende Wirkung
nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 8 Ausführungsgesetz NW zur VwGO
entfällt.
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Das Gericht stellt dann die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her, wenn
das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs das öffentliche
Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Das öffentliche Interesse überwiegt,
wenn sich die Ordnungsverfügung bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5
VwGO gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig darstellt und die
sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Läßt sich die
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ordnungsverfügung nicht "offensichtlich" feststellen,
kommt es bei der gebotenen Interessenabwägung insoweit auf die Wahrscheinlichkeit
des Erfolgs der Anfechtung der Ordnungsverfügung in der Hauptsache an.
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Ob die im Tenor angeführte erste und dritte Forderung der angefochtenen
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Ordnungsverfügung rechtmäßig sind, kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht mit der erforderlichen Sicherheit vorhergesagt werden. Die
Feststellungen des Antragsgegners in der angefochtenen Ordnungsverfügung und in
dem Schriftsatz, den er im gerichtlichen Verfahren vorgelegt hat, erlauben es der
Kammer nicht, die Größe der bestehenden Gefahr und die Notwendigkeit einer
Sanierung der Notleiteranlage abschließend zu beur- teilen.
Jedoch dürfte es im Ergebnis nicht zu beanstanden sein, dass der Antragsgegner den
tödlichen Unfall bei der Benutzung einer Notleiteranlage zum Anlass genommen hat,
sich von der Ordnungsgemäßheit anderer, von der gleichen Firma angebrachter
Notleiteranlagen zu vergewissern. Denn die Bauaufsichtsbehörden haben nach § 61
Abs. 1 BauO NRW u. a. bei der Nutzung baulicher Anlagen darüber zu wachen, dass
die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen
Anordnungen eingehalten werden. Sie haben in Wahrnehmung dieser Aufgaben nach
pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Andererseits wird
aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen und den Stellungnahmen des
Antragsgegners nicht hinreichend deutlich, dass der Fall der Antragstellerin mit dem
Fall, der Anlass zur Überprüfung aller Anlagen, die die im Bezugsfall tätig gewesene
Firma angebracht hat, wirklich vergleichbar ist. Der An- tragsgegner hat zwar die
(abstrakte) Notwendigkeit der Befestigung derartiger Anlagen durch Injektionsanker
anstelle von Dübeln im Schriftsatz vom 04.01.2001 erläutert. Nicht dargetan hat der
Antragsgegner indes, dass im Falle der Antragstellerin die Art der tatsächlich
vorhandenen Befestigung (Qualität des Mauer- werks, Material, Dicke und Länge der
Befestigungsschrauben und Dübel) mit dem Bezugsfall vergleichbar ist. Besonders
hervorzuheben ist, dass sich insbesondere in den Gründen der Ordnungsverfügungen
keinerlei Hinweis auf die Größe der Gefahr befindet, die von der Notleiteranlage der
Antragstellerin ausgeht, wenn es zu einem Brand im Haus der Antragstellerin kommen
sollte. Die Dringlichkeit einer unverzüglichen Regelung des bestehenden Zustandes
erschließt sich bisher nicht zwingend. Nach den Erläuterungen des Antragsgegners im
Schriftsatz vom 04.01.2001 hat sich die von ihm vorgenommene Überprüfung darauf
beschränkt festzustellen, dass die Köpfe der verwendeten Schrauben keine
Zulassungsnummer vorweisen. Andererseits kann von dem Gericht die Gefahr eines
Versagens der Notleiteranlage im Brandfall nicht ausgeschlossen werden. In dem
laufenden Widerspruchsverfahren können jedoch von dem Antragsgegner und ggf. von
der Widerspruchsbehörde die erforderlichen Begründungen noch ohne weiteres
nachgeschoben werden.
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Angesichts des im Ergebnis offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens macht die
Kammer von dem ihr in § 80 Abs. 5 VwGO eingeräumten eigenen Ermessen
dahingehend Gebrauch, dass sie durch eine befristete Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung die von dem Antragsgegner gesetzte Frist deutlich verlängert.
Maßgebend für diese Entscheidung ist - neben der Unsicherheit über die
Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und der grundsätzlichen Nachholbarkeit der
zur Zeit immer noch mangelhaften Begründung der Ordnungsverfügung - zum einen,
dass die Antragstellerin selbst ihre Widersprüche im wesentlichen mit der zu kurz
bemessenen Frist über das Jahresende begründet hat. Zum anderen erscheint eine
Verlängerung der gesetzten Frist auch deshalb vertretbar, weil der Antragsgegner noch
im Mai des vergangenen Jahres in einem vergleichbaren Fall zur Anbringung der
Notleiteranlage eine Frist von vier Monaten eingeräumt hatte.
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Die Kammer verkennt nicht den Unterschied zwischen dem Zustand, wie er sich im Mai
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2000 dargestellt hat und dem heutigen Zustand. Damals war die Noteinrichtung nicht
vorhanden, eine besondere Gefahr durch ihre Benutzung konnte nicht entstehen. Heute
hingegen verspricht die vorhandene Notleiteranlage u. U. trü- gerisch einen sicheren
zweiten Rettungsweg. Die Bewohner des Hauses können im Brandfall verleitet werden,
diesen Rettungsweg zu benutzen, obwohl die Gefahr bei der Benutzung des ersten
Rettungsweges wesentlich geringer wäre als die Gefahr, mit der streitigen Anlage
abzustürzen. Zur Behebung der vorbeschriebenen Gefahr hätte es indes ausgereicht,
wenn der Antragsgegner der Antragstellerin die (vorläufige) Beseitigung der Anlage
aufgegeben hätte. Denn diese Maßnahme wäre ohne weiteres von jeder Baufirma auch
ohne jede besondere Sachkunde binnen kürzester Frist ggf. auch zwischen
Weihnachten und Neujahr zu bewerkstelligen gewesen. Sie hätte die Antragstellerin
nicht unverhältnismäßig betroffen, denn die Anlage muss dann, wenn Injektionsanker
angebracht werden, sowieso von der Wand gelöst werden.
Ein Sinn für die zweite Forderung in den Ordnungsverfügungen, die
Sanierungsmaßnahmen von einem Sachverständigen genehmigen zu lassen, ist nicht
ansatzweise erkennbar. Ein derartiges Genehmigungserfordernis durch Private ist der
Bauordnung fremd. Sachverständige werden nach dem System der Bauordnung
regelmäßig dadurch tätig, dass sie Bescheinigungen (vgl. z. B. §§ 43 Abs. 7, 45 Abs. 4,
54 Abs. 2 Nr. 20 und 22 BauO NRW) oder Nachweise (vgl. z. B. §§ 54 Abs. 2 Nr. 21, 68
Abs. 5 BauO NRW) beibringen. Genehmigungen werden von Behörden erteilt (vgl. §§
62, 75 BauO NRW). Die Forderung ist hier aber auch materiell überflüssig, denn die in
der ersten und dritten Forderung angeordneten Maßnahmen (Sanierung und
Bescheinigung eines staatlich anerkannten Sachverständigen über die sachgemäße
Ausführung) binnen der hier verlängerten Frist, erfüllen auch ohne die zweite Forderung
den Zweck, die von der Notleiteranlage ausgehende eventuelle Gefahr zu beseitigen.
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Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung gilt zunächst das oben zu
den Erfolgsaussichten der Grundverfügung Gesagte entsprechend. Außerdem erscheint
das angedrohte Zwangsgeld mit 10.000 DM jedoch auch weit überhöht. Es übersteigt
das von dem Antragsgegner nach der Erfahrung der Kammer ansonsten angedrohte
erste Zwangsgeld um ein Vielfaches, ohne dass in den an- gefochtenen
Ordnungsverfügungen für diese besondere Höhe ein einziges Wort der Begründung
gegeben würde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Rege- lungsgegenstand
des vorliegenden Verfahrens war nach dem Vorbringen der Antragstellerin im
wesentlichen die Verlängerung der ihr gesetzten Frist. Insoweit hat die Antragstellerin
ihr Ziel auch erreicht. Ihr teilweises - mehr formelles - Unterliegen ist demgegenüber nur
geringfügig.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 1 GKG. Er wird von der
Kammer auf 2.000 DM geschätzt.
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